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Der tote Russe

Seit vierzig Jahren machte der alte Fuhrknecht Adam Krafft, wenn er von seinen Botenfahrten in die Dörfer zur Stadt Ortelsburg zurückkehrte, in der Schenke zum Heidekrug Rast. Er kam in der Nachmittagszeit vorbei und pflegte hier einen oder zwei oder, wenn es hoch herging, drei Kümmel einzunehmen. Auf diese Stärkung seines inneren Menschen freute er sich schon eine ganze Weile vorher. Wenn er mit seiner schweren Lastkarre durch den langen schwarzen Wald fuhr, der das letzte Dörfchen von dem Heidekrug trennte, so versüßte er sich den unheimlichen finstern Weg unter dem meist grauen Himmel, indem er sich ausmalte, wie ihn gleich die Schnäpse wohlig warm durchrieseln würden. Wie ein Schlemmer, der sich im besten Gasthaus auf den Winterabend ein ausgesuchtes Essen, beginnend mit Straßburger Gänseleberpastete und angewärmtem Rotwein, bestellt hat, sich im voraus darauf freut, so genoß auch der Fuhrknecht Adam Krafft mit Wonne den Vorgeschmack der Schnäpse, die er sich dort im Heidekrug zu Gemüte führen würde.

»Ob mir Mutter Kowarren«, das war der Name der Wirtin, »wieder ein Schnäpschen draufgießen wird wie das letztemal?« dachte es in ihm, indes er sich auf dem Bock seiner Karre schaukeln ließ. Man kam jetzt durch eine Lichtung des Waldes, in der links ein Moor lag. Von hier aus waren es noch knapp drei Kilometer zum Heidekrug. Adam Krafft blickte zwinkernd etwas eingeduselt von der wiegenden Bewegung seines Bockes zu dem schwarzen Moor hinüber. Es lag unheimlich und drohend im Abendgrauen da. »Keinen Laut gibt es von sich!« grübelte der Fuhrknecht im Weiterfahren, »und hat doch im vorigen Herbst viele, viele Tausende russische Soldaten hinuntergeschlungen. Wie der Tod schielt es einen jetzt an!« Nach und nach wurde ihm die Stille, die daherkam und ihm über den Rücken kroch, ungemütlich. Und er wollte gerade mit seiner Peitsche losknallen und, wie es die Fuhrknechte lieben, sinnlosen Lärm um sich machen, als die Karre vor dem Heidekrug anhielt.

Ziemlich kalt, ja fast gruselig war ihm geworden. Er kletterte von seinem Wagen herunter und schlug ein paarmal heftig die Arme kreuzweis übereinander, um sich zu erwärmen. Man war schon im April. Aber gegen Abend wurde es in den Wäldern noch immer leicht frostig. Das Moor begann zu rauchen. Und ein weißer Schwaden stieg von ihm auf, dehnte sich aus und häkelte da und dort graue Ranken um die Birken und Kiefern. Hinten nach der Tiefe zu standen einige Bäume schon bis an den Hals im masurischen Moorrauch, der einen eigentümlichen beizenden Geruch ausströmte.

Er hatte ein paar Haselnußkätzchen von einem geschützten Wegrand abgeschnitten, um sie der alten Wirtin zu übergeben und ihr Herz von vornherein für eine Zugabe seines Nektars geneigt zu machen. Die beiden Pferde waren von selbst vor der Schenke stehengeblieben, seit langem an die unabänderlichen Bräuche ihres Herrn wie an ihr Geschirr gewohnte Adam Krafft leckte sich die rauhgewordenen Lippen voll Wohlbehagen, endlich an seinem Ziele zu sein. Als er sich der Türe der Schenke näherte, hörte er drinnen ein ganz leises, aber eindringliches Wimmern.

»Als ob die Wirtsleute noch auf ihre alten Tage ein Kind bekommen hätten, klingt es fast«, dachte er bei sich. Er stieß nach seiner Gewohnheit breit die Türe auf. Eine warme Wirtsstubenluft, vermischt aus abgestandenem alten Pfeifenqualm und dem Geruch von übergetropften Spirituosen, quoll ihm entgegen. Die Dämmerung war schon in die Stube eingezogen und umhüllte die Menschen und Gegenstände mit einer verschwommenen Luft, aus der nur die Gläser und Flaschen heller aufleuchteten.

»Guten Tag auch!« rief der Fuhrknecht. Aber kein Gruß schallte ihm wie sonst entgegen. Hinter der Schenke saß freilich Mutter Kowarren in ihrem hohen Lehnstuhl und schien noch etwas grauer und vergrämter als sonst. Aber sie gab keinen Ton von sich. Das Wimmern kam von dem alten Vater Kowarren, der seiner ganzen Länge nach auf dem Boden lag. Er hielt seine Hände vor sein Gesicht und heulte und winselte, indes sein kleines Hündchen ihn immerzu ableckte und zu trösten versuchte.

»Was hast du denn, Vater Kowarren, daß du so wimmerst und auf der Erde herumliegst? Zahnschmerzen?« fragte der Fuhrknecht. Er wollte sich zu ihm beugen, als er auf dem Tisch eine so große Menge fremden Geldes herumliegen sah, daß er erschrak. Er ließ seine Blicke unsicher zu Mutter Kowarren hinübergleiten, die noch immer steif wie eingeschlafen hinter der Schenke saß.

»Was fehlt ihm denn, Mutter Kowarren, dem Mann? Hat er das große Los gewonnen?« wandte er sich scherzend zu ihr. Da sprang der Alte jählings vom Boden auf, wischte sich die Augen und stierte die Frau wie sinnlos an. »Sag's ihm doch!« schrie er. »Gib ihm doch Antwort auf seine Fragen! Sieh, er hat dir ein paar Haselschwänzchen mitgebracht, der Herr Fuhrmann! Steck' sie in ein Glas Wasser, daß sie nicht verdursten. Der Herr Fuhrmann ist wieder da, siehst du nicht? Schenk' ihm ein! Du weißt doch, was er immer trinkt. Laß ihn nicht auch verdursten! Verstehst du?«

Und plötzlich lallte er, ganz aus dem Zusammenhang mit diesem gerissen: »Nichts versteht sie. Nichts weiß sie. Nichts tut sie mehr. Tot ist sie, die Mutter Kowarren.«

»Mensch! Du hast dir heute aber einen tüchtigen angeschwefelt!« sagte Adam Krafft und ging auf die Schenke zu. Aber die Frau blieb dort still und gelähmt auf ihrem Lehnstuhl sitzen. »Schrei sie nur tüchtig an!« heulte Vater Kowarren hinter ihm. »Vielleicht, daß sie dich besser versteht. Ich habe mir schon meine ganze Stimme an ihr abgeschrien. Aber sie bleibt dir taub. Sie gibt dir keinen Bescheid mehr. Sie hat jetzt auf ganz andere Dinge zu hören. Der Schlag hat sie gerührt. Der Russ' hat sie erschlagen.«

»Der Russ' hat sie erschlagen. Menschenskind! Wenn Ihr mir im Umkreis von zwölf Meilen einen lebendigen Russen zeigt, will ich – –!« Der Fuhrknecht wußte im Augenblick nicht, was er alles wollte, wenn ein Russe die Mutter Kowarren, die dort wahrhaftig tot vor ihm in ihrem Lehnstuhl saß, erschlagen hätte.

»Und doch ist es ein Russ' gewesen, der sie erschlagen hat! Ein falscher Russ' allerdings!« heulte der Alte und kam fast ins Lachen darüber. Er war offenbar kindisch geworden über das plötzliche schreckliche Unglück, das ihm mit der Frau passiert war.

»Nun erzähl' mir doch einmal, was du dir einbildest!« sagte der Fuhrknecht und drückte ihn, gutmütig auf seinen Rücken klopfend, auf eine Bank nieder. Aber der alte Vater Kowarren ließ sich das nicht ausreden.

»Der Russ' hat schuld an allem. Der verdammte Russ' von da oben aus dem Moor. Ich glaube, es ist der Teufel selbst, der mich in dies Verderben gestürzt hat.«

»Du bist verrückt oder gänzlich besoffen«, sagte der Fuhrknecht und schielte zu der Frau hinüber. »Wie soll der Russ' aus dem Moor kommen? Sie sind doch alle versunken oder von uns begraben worden.«

»Der nicht!« schrie der Alte ganz wütend darüber, daß der andere ihn nicht verstand. »Der nicht! Den hat die Hölle wiedergegeben. Der Frühling bringt ja alles mögliche ans Licht zurück, was der Winter verschlungen und festgehalten hat«, fuhr er geheimnisvoll fort. »Warum nicht auch einen toten Russen, der sich in das Geschlinge unten im Moor verwickelt hatte und nun wieder auftaut und heraufkommt mit den ersten Fröschen und gelben Blumen?«

»Und solch ein Russe soll dir begegnet sein?« meinte der Fuhrknecht, noch immer ungläubig.

»Ja! Ja doch! Gestern abend, als ich aus dem Busch kam mit einer Kufe Holz. Ich ging an dem Moor vorüber. Da schwamm sich wahrhaftig etwas Weißes darauf. Zuerst denk' ich, es ist der Mond. Aber wie es sich so unheimlich bewegt und mit den Blasen herumtreibt, da seh' ich, daß es ein Leichnam ist, der auf dem schwarzen Wasser so schwimmt. Mit den Füßen stieß er fast ans Land, als hätt' er aus dem Sumpf heraussteigen und ein ehrliches Begräbnis unter guter Erde haben wollen. Hatte den ganzen Winter über steif im Sumpf stehen müssen. Ja, ein paarmal pochte er nun mit den Zehen ans Ufer an, als hätte er sprechen wollen: »Zieht mich doch ans Land und beerdigt mich, damit ich endlich Ruhe finde!«

»Was du dir nicht alles einbildest im Dunkeln, wenn es spukt«, warf der Fuhrknecht dazwischen. Wollte lachen und konnte es nicht.

»Warum hab' ich es nicht sogleich der Frau erzählt, als ich heimkam?« klagte Vater Kowarren sich an. »Warum hab' ich zum erstenmal in meinem Leben eine ganze Nacht lang ein Geheimnis vor ihr gehabt? – Du mußt wissen, Adam. Siehst du: Ich konnte den toten Kerl nicht im Finstern herausziehen aus dem Moor. Das ist gefährlicher als mit Licht in einer Scheune einzuschlafen. Und außerdem hatt' ich keinen Strick und keine Stange bei mir. Da machte ich mich denn nach Hause ganz spät am Abend. Aber ich sagte der Frau kein Sterbenswörtchen von dem toten Russen. Die lacht dich aus! dacht' ich mir, wie ein Kind, dem der Heidemann oder das blaue Licht im Geröhre begegnet ist. Lacht dich aus, ganz genau, wie du es vorhin getan hast. Und das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen die Nacht über.«

Der Fuhrknecht Adam Krafft nickte ihm mit einem verstohlenen Seitenblick auf die Entschlafene zu. Er schien zum erstenmal ein Verständnis für diese Sache zu haben.

»Aber am andern Morgen, sobald es hell geworden war, ging ich zum Moor zurück. Mit meinem Beil, einem alten Fischnetz und zwei Bohnenstangen. ›Willst du schon Frösche fangen gehen?‹ lachte die Frau mich aus. Aber auch da sagt' ich noch nichts von dem Toten, den ich im Kolk gesehen hatte. Warum nicht? Weil ich sie überraschen wollte. Ein Toter ist doch keine Überraschung! Und man soll keinen Menschen überraschen, und am wenigsten mit so etwas. Nun hab' ich sie mir zu Tode überrascht.«

Er war wieder ins Heulen geraten und hielt sich die Augen zu, um die Frau nicht zu sehen, die starr und teilnahmslos hinter der Schenke seinem Gerede zuhörte.

»Und war er noch da, dein toter Russe? Heut morgen im Tageslicht, Vater Kowarren?« fragte der Fuhrknecht.

»Gewiß war er noch da. An der nämlichen Stelle. Aber er hatte sich herumgedreht über Nacht. Er lag jetzt mit dem Kopf zwischen dem Röhricht am Land. Als hätt' er wenigstens sein todmüdes Haupt auf die Erde betten wollen, während sein Leib und seine Füße noch im Wasser schwammen. Ich zog ihn nur mit schwerer Mühe wie einen aus dem Winterschlaf aus dem brodelnden Sumpf, der in der Frühjahrssonne gurgelte. Er war ein stämmiger, fester Kerl, vom Frost noch ganz gut erhalten. Nur das Wasser hatte ihm zugesetzt und ihn unmäßig aufgeschwemmt, so daß er wie eine Schweinsblase in die Höhe getrieben war.

Und reich muß er gewesen sein, der arme Teufel! Er war sicher ein Offizier oder gar General, der sich hierher versprengt hatte. Wozu versprengt? Es sind ja ihre Hunderttausende hier ersoffen. Über achthundert Rubel hatte er in seinem Geldbeutelchen aus pikfeinem Gummi über der Brust. Sonst trug er nichts mehr bei sich. Was braucht man auch einen andern Ausweis, wenn man soviel Geld mit sich führt? Dort liegen sie, die verwünschten Münzen, die mir das Unglück ins Haus gebracht haben.«

Der Fuhrknecht glotzte den Haufen Geld an, der dort auf dem Tisch vor der Schenke lag, und sagte sich: Geld lügt doch nicht. Soll sich der Alte am Ende die Wahrheit zusammenphantasieren?

»Glaubst du's nun endlich! Ich hab' sie ihm abgeknöpft, dem toten Russen eh' ich ihn begraben habe. Begraben so christlich, wie ich es konnte. Mit einem Spruch aus dem Katechismus und einem Gesangbuchvers dazu, Aber es muß ihm wohl noch nicht fromm genug gewesen sein, Adam. Er hat sicher einen von ihren Popen dabei haben wollen, sonst hätte er nicht hinterdrein so fürchterlich Rache an mir genommen. Aber drei Stunden hab' ich an seinem Grab herumgehauen mit meinem Beil. Denn der Boden war unten noch hart gefroren. Er sah mich so dankbar an, wie ich ihn in die Erde senkte zur ewigen Ruhe. Aber es ist ein Heimtücker gewesen wie alle Russen.«

»Was hat er dir denn nach tun können, der Tote in seinem Grabe? Dich mit der Knute streicheln?« fragte der Fuhrknecht und wollte mit einem Spaß über die schauerlichen Einbildungen des alten Mannes wegkommen. Aber Vater Kowarren ließ sich nicht irre machen in dem, was er glaubte: »Er hat nur einen Einfall hinters Ohr gesetzt. Wie wär' ich sonst anders auf solch einen Einfall gekommen, frag' ich einen! Als ich nämlich mit dem gefundenen Geld nach Hause zu meiner Alten gehen will, da seh' ich eine weiße Eisbärmütze noch zwischen dem Schilf herumschwimmen. Und es war mir so, als hätte sie geflüstert: ›Nimm mich doch auch mit aus dem schwarzen, kalten Wasser!‹

Ich fischte sie mir heraus und trug sie in der Hand bis nach Hause. Unterwegs denk' ich mir aus, wie die Frau sich freuen wird über die goldene Überraschung, und was wir alten Leute alles noch anstellen wollen von dem vielen schonen Geld. Und als ich nun zitternd von der Aufregung und Erwartung vor unserer Türe stehe, da juckt mich die weiße Eisbärmütze, deren Haare indessen fast trocken geworden waren, in den Fingern, daß ich sie mir über den Kopf stülpe.

›Guck einmal!‹ mach' ich alter Schafskopf, noch vor der Türe stehend, als hätt' es schon ›Kuckuck! Kuckuck!‹ aus den Wäldern gerufen. Wollt ein Späßchen machen, ein dummes Späßchen. Es war aber der tote Russe dahinter, der mich dazu anstachelte, verstehst du. ›Wie wird die Frau ihre Augen aufreißen!‹ denk' ich mir noch lachend. Damit stoß' ich die Türe auf und stolziere großmächtig mit meiner weißen Mütze herein. Die beiden Hände hab' ich voll Geld und komm' mir vor wie der Schimmelreiter, der um Weihnachten an den Häusern vorbeizieht. Dort saß die Frau hinter der Schenke, wo sie jetzt noch sitzt, und starrt mich erschrocken an. Ich gehe aus sie zu. ›Wer ist das?‹ spaßhaft mir verstellter Stimme frag' ich. Es war aber der tote Russe, der mich dazu trieb. Und werfe das Geld vor sie hin auf den Tisch.

Da sträubt sich ihr das graue Haar, sie preßt ihre beiden Hände vor ihren Schoß und schreit ganz von Sinnen: ›Das ist der Russe‹. Und als sie mich, ihren eigenen Mann, noch so entseelt vor Angst wie den leibhaftigen Landschreck anstarrt, da überrieselt es sie vor meinen Augen. Sie lehnt sich zurück in ihren Lehnstuhl und – und – – – Sieh sie dir an, was dann aus ihr geworden ist, was der verfluchte tote Russe aus ihr gemacht hat!«

Der Fuhrknecht Adam Krafft trat an die Schenke heran, beschaute sich die gestorbene alte Frau nochmals genau und sagte sich, daß die Geschichte freilich mit der Toten hier richtig zusammenstimmte. Vater Kowarren stand wimmernd neben ihm: »Du machst sie mir auch nicht mehr lebend, Adam! Das hat selbst die weiße Mütze nicht gekonnt, die ich in meiner Wut dort im Ofen wie einen Spuk verbrannt habe. Geheult hat das Feuer wie in der Hölle dabei und geschrien wie die Pferde der Russen, als sie in den Sümpfen ertranken. Aber Mutter Kowarren hat es nicht mehr hören wollen. Hat sich genug über die Russen geängstigt die ganze Winterzeit hindurch!«

Der Alte war hinter die Schenke gegangen. Er beugte sich zu der toten Frau und versuchte ihr wie sonst ins Ohr zu schmeicheln: »Werd' doch vernünftig, Frau! Komm wieder zu dir. Es ist kein unrechtes Gut. Ich hab' es ehrlich gefunden und aus dem Morast heraus gefischt. Es war keine leichte Arbeit, sag' ich dir. Wer dort nicht Bescheid weiß zwischen dem Röhricht, hätt' es nicht gekonnt. Sei doch gescheit, Frau! Es steht mir von Rechts wegen zu. Frag' den Fuhrmann hier! Schenk' ihm voll ein dabei! Hier sind zwei Gläser. Ich mache mit. Ein Kümmelchen ist kein Kümmelchen. Was, Adam, gehört mir das Geld nicht gesetzlich zu? – Sag' es der Frau, hörst du, damit sie die Augen aufmacht und sich wieder zu leben getraut! Sag's ihr! Hör', Mutter! Er wird es dir gleich bestätigen, daß ich die Wahrheit sage. Der Russe ist tot, der gottverfluchte. Er hat keinen Namen mehr und kein Recht. Alles im Morast, nicht wahr, Adam?«

Der Fuhrknecht überlegte einen Augenblick, ob er mit dem Vater Kowarren nicht Halbpart bei dem fremden Geld machen sollte. Aber der alte Kerl, der da neben der Leiche seiner Frau sich solch wirres Zeug zusammenredete, kam ihm nicht mehr recht sicher und geheuer vor. Drum kippte er schnell seine zwei Schnäpse herunter und empfahl sich mit ein paar hergebrachten frommen Worten von dem verrückt gewordenen Alten.

Auf der Heimfahrt hielt er bei dem nächsten Pastor an, erzählte ihm die Sache und bat ihn, zu dem Vater Kowarren hinzugehen. Es gelang dem Pastor, der ein ebenso gottesfürchtiger wie kraftvoller Mann war, den alten Kowarren wieder zurechtzureden und leidlich geistig zusammenzuflicken. Ferner überzeugte er ihn, daß es besser sei, das fremde Geld, das er im Sumpf gefunden hätte, seiner Kirchengemeinde auszuhändigen, die durch den Krieg schwer geschädigt worden sei. Auch der Landrat hatte nichts hiergegen einzuwenden, als ihm mitgeteilt wurde, daß das Geld des toten Russen dazu benutzt werden sollte, um die Kirchenorgel des Dorfes, die durch den Brand im Krieg gelitten hatte, wiederherzustellen.

»Sie hört sich jetzt nach einmal so stimmungsvoll an wie früher,« sagen die Leute, »namentlich in der Höhe, wo sie wie ein menschliches Seufzen klingt.« Wie das Seufzen von Hunderttausenden ertrunkenen Seelen.


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