Paul Ernst
Geschichten von deutscher Art
Paul Ernst

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Die Kriegsgefangenen

Ein Freund machte eine russische Reise, um die Zustände der Sowjetrepublik zu untersuchen. Er kam bis tief in Transkaukasien hinein.

In einer östlich weit entlegenen Gegend kam er gegen Abend zu einem Dorf, wo er ein Unterkommen für die Nacht suchen mußte. Er fragte einen Bauern, den er vor dem Dorfe traf. Der kratzte sich den Kopf, dann sprach er: »Da muß ich dich zu dem Iwan führen, Väterchen, der ist auch ein Deutscher, und der ist klüger als wir. Der wird dich am passendsten beherbergen.«

Iwan war ein großer, schweigsamer Mann mit einem dunkeln Vollbart, der den Kopf beständig geneigt hielt. Er sagte zu dem Fremden: »Kommen Sie, Herr. Ich gebe, wie ich es geben kann.« Er führte ihn in die Stube, wo die Frau und eine Menge Kinder waren.

Mein Freund war neugierig, zu erfahren, wie der Mann nach hier verschlagen war. Nach dem Abendessen, als die Frau das Nachtlager für Alle hergerichtet, erzählte er.

»Sie wissen ja, wie das im Krieg gewesen ist. Wenn man sich lange gegenüber gelegen hatte, dann richtete man es so ein. Wir lagen über ein Vierteljahr den Russen gegenüber. Wir waren zu Wenige, um Etwas zu machen, und die Russen, nun, die lagen da nun eben einmal. Sie hatten eine Kanone, mit der fuhren sie hinter der Front entlang und schossen. Sie fuhren immer des Nachts. Wir wußten genau, an welcher Stelle sie am nächstem Morgen schießen würden, da räumten wir denn den Graben, wir nahmen auch unsere Sachen mit, denn schließlich, für ein Unglück kann ja bei der Schießerei Keiner gut stehen. Sechzig Schuß hatten sie immer. Wenn sie die abgefeuert hatten, dann zogen wir wieder in unser Grabenstück zurück und besserten den Schaden aus.

Nun hatte sich das mit den Patrouillengängen so gemacht, wozu soll das unnütze Blutvergießen sein? Wir waren alle Familienväter. Man tut seine Pflicht. Es ließ sich nicht immer so einrichten, daß man in Deckung war. Na, wenn dann der Russe gegenüber erschien, so gab man ihm immer erst ein Zeichen, daß er Deckung nehmen konnte, dann schoß man. Der Russe machte es auch so. Das war überhaupt, im Westen, da war es ja lebensgefährlich, aber der Russe, der war ein vernünftiger Mann, mit dem konnte man schon auskommen.

Also da sind nun einmal die Leute gegenüber durch neue Mannschaften ersetzt, und wir haben das nicht gemerkt. Sie wissen natürlich von Nichts. Am andern Morgen muß ich einen Patrouillengang machen. Ich mache mich zurecht und gehe los. Da sehe ich einen Mann stehen. Ich stecke zwei Finger in den Mund und pfeife, daß er Deckung nehmen soll. Er rührt sich nicht. Ich lege das Gewehr an, pfeife wieder. Mit einem Mal stehen vier, fünf Kerle um mich herum, freche Kerle, einer haut mir mit dem Gewehrkolben über den Schädel, daß ich denke, ich soll lang hinfallen, da haben sie mir auch schon das Gewehr fortgerissen. Na, so mußte ich denn mitkommen. Wie sie mich in ihrem Unterstand hatten, da wollten sie mich ausfragen, aber ich nahm Dummpulver ein, ich schimpfte bloß, daß sie Einen so heimtückisch überfallen, da sagten sie, sie sind Neue und haben von Nichts gewußt, wie es hier ist.

Nun haben sie mich denn fortgebracht. Das kann ich gar nicht Alles erzählen, wie das war, aber das kann ich sagen, die Russen sind kein schlechtes Volk, das Letzte, das sie haben, teilen sie mit Einem. So bin ich denn nun hier auf diesen Hof gekommen. Der Mann war im Krieg, die Frau war allein mit vier Kindern. Die konnte der Arbeit nicht vorstehen, das ist ja klar, das konnte Einen jammern, und schließlich, die Frau war unschuldig an dem Krieg, die Kinder auch. Na, das kann ich wohl sagen, ich habe die Sache wieder in Ordnung gebracht. Na, und wie denn das so ist, die Frau hat keinen Mann, und ich habe keine Frau, und dann ist ein Kind gekommen.

Mit einem Mal kriegt die Frau einen Brief von ihrem Mann, sie hat über ein halbes Jahr keinen Brief gekriegt. Das war ja damals so. Der Brief kommt aus Deutschland, der Mann ist auch gefangen. Also in dem Brief steht, so und so, ich habe es hier gut, bloß mit der Verpflegung ist es schlecht, aber die Leute hier haben Alle Nichts. Und dann schreibt er, er ist auf einem Hof bei einer Frau, deren Mann auch gefangen ist, und das war meine Frau! Da haben wir aber doch lachen müssen, daß so Etwas möglich ist!

Nun natürlich, die Frau antwortet gleich und schreibt ihm, sie hat auch einen Kriegsgefangenen, und das ist der Mann von der Frau in Deutschland, aber weiter hat sie Nichts geschrieben. Und ich lege einen Brief an meine Frau bei und schreibe ihr, daß sie wahrscheinlich meinen letzten Brief nicht gekriegt hat, und schreibe ihr natürlich, daß es mir gut geht, und sie soll auch gegen den Russen gut sein, denn das wäre nur anständig, und dann frage ich, wie es den Kindern geht, und was man denn so schreibt. Die waren auch verwundert, wie sie den Brief gekriegt haben!

Was soll ich sagen, schließlich war es denn so weit, daß sie Frieden machten. Ich habe mir das hin und her überlegt, die Frau kommt und weint und sagt, ich soll bei ihr bleiben, die Kinder weinen auch. Ich sage: »Ich habe doch meine Familie, und habe meinen Hof!« Aber nun war es auch so, daß man schlecht fortkommen konnte. Die Eisenbahn ging nicht mehr, und wie sollte man es da machen? Da kriege ich denn auch einen Brief von dem Russen, der schreibt, es gefällt ihm in Deutschland, und wenn ich nichts dagegen habe, er will gut sein zu meinen Kindern, und er kann auch auf Arbeit gehen als Maurer und schön verdienen, und kann die Familie ernähren. Meine Frau schrieb aber kein Wort. »Aha!« denke ich, »jetzt weiß ich, woran ich bin.«

Sehen Sie, einen Vorwurf kann ich ja meiner Frau nicht machen. Ich will ja nicht sagen, daß es mich nicht gewurmt hat. Aber der Mensch muß auch gerecht sein. Schließlich, ich bin bei der andern Frau gewesen. Und mir gefiel es ja auch gar nicht schlecht in Rußland. Der Boden ist gut, er ist sehr gut. Die Leute hier legen mir Nichts in den Weg. Ich kann hier auch vorwärts kommen. Natürlich, habe ich mir gesagt, es muß Alles seine Richtigkeit haben.

Meine Papiere hatten sie mir gelassen, die hatte ich bei mir: den Geburtsschein, den Trauschein, den Feuerversicherungsschein. Eingepackt, an meine Frau geschickt: So und so, du gehst zum Rechtsanwalt, du sagst: Scheidung. Dann gehe ich zum Landrat hier, dem mache ich das alles klar, ich sage: die Frau will geschieden sein, wir wollen uns heiraten. Der Landrat hat gelacht, dann hat die Frau ein Papier gekriegt, das geht hier in Rußland heutzutage schnell mit dem Scheiden, das ist nun ganz vernünftig. Jetzt bin ich nun auch geschieden, nun haben wir uns geheiratet, meine Frau hat den Russen auch geheiratet.«

Der Mann schwieg. Die Kinder hatten sich um ihn gedrängt, während er in der fremden Sprache mir erzählte, und hatten auf seinen Mund gesehen. Das jüngste hatte er auf dem Schooß, es faßte in seinen Bart und zog an ihm. Die Frau saß auf der Bank, die Hände in den Schooß gelegt. Sie spürte, daß der Mann ihre Geschichte erzählte, sie war rot geworden und blickte verlegen auf den Boden.

Nun setzte der Mann das Kind auf die Dielen und erhob sich. »Es wird Zeit zum Schlafen«, sagte er.


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