Paul Ernst
Geschichten von deutscher Art
Paul Ernst

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Der große König

Gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts lebte in einem thüringischen Dorf als Schulmeister ein früherer Soldat aus dem Heer Friedrichs des Großen. Er war Bürger einer freien Reichsstadt, hatte Theologie studiert und war auf einer Wanderung nach einem Dorf begriffen gewesen, wo er eine Pfarrstelle antreten sollte; als er an einem Abend müde in einer Herberge einkehrte, war er preußischen Werbern in die Hände gefallen, die ihn betrunken gemacht, ihm das Handgeld in die Tasche gesteckt und eine Grenadiermütze aufgesetzt hatten; und so hatte ihn denn am nächsten Morgen ein Unteroffizier mit dem Ladestock aufgeweckt und mit noch einigen anderen in Ketten seinem Truppenteil zugeführt. Nachdem die Kriege beendet waren, hatte man ihn entlassen; er war bettelnd durch das Land gezogen und hatte zu seinem Glück, ehe er der Polizei in die Hände fiel, noch eine Schulmeisterstelle gefunden.

In den Soldatenjahren hatte er sich an den Schnaps gewöhnt, und da sein Lohn für Wirtshausunkosten nicht ausreichte, so ließ er sich gern von den Bauern freihalten und erzählte ihnen dafür Geschichten aus seinen Kriegen und Schlachten. Dieses ist eine Geschichte, die er am Häufigsten erzählte.

Es war ein Fahnenjunker zu uns gekommen, der noch ein reines Kind war, erst fünfzehn Jahre alt. Wir lachten immer über ihn, wenn er uns kommandierte, weil seine Stimme noch umschlug, denn wir hatten Kerls unter uns, die schon an die Vierzig waren und aus aller Herren Ländern stammten; mein Nebenmann war ein Ungar, der behauptete, von Adel zu sein; mit dem sprach ich immer Latein. Aber gern hatten wir den Junker doch, er war ja noch ein richtiger Junge.

Er hielt sich viel zu mir, weil ich doch mehr Bildung hatte wie die anderen, und wenn er Etwas nicht wußte, so fragte er immer mich. Wir haben auch des Nachts meistens zusammengelegen, und ich habe ihm oft meinen Mantel gegeben, denn so ein Junge, der hat doch noch nicht die Körperwärme wie ein Erwachsener. Er tat auch so kuriose Fragen; er war noch nicht in der Schlacht gewesen und wollte immer wissen, wie es da zuging, und ich beschrieb es ihm denn auch, wie man Essen und Trinken vergißt und sich noch nicht einmal auf das Vaterunser besinnen kann, so ist man weg. Zuletzt fragte er dann immer, ob man Angst hätte, und ob ich glaubte, daß er Angst kriegen würde, und ich sagte ihm dann, daß sich da Mancher die Hose vollgemacht hat, der vorher das große Maul hatte, aber er sah mir nicht so aus, er hatte so etwas Bescheidenes und Couragiertes.

So ging das nun eine Weile, und dann kam die Bataille. Wir standen allein, Gewehr bei Fuß, wir sahen nichts mehr von den Anderen, nur daß wir den Spektakel von Weitem hörten; wir dachten schon, der Alte hat uns vergessen, und freuten uns, daß wir nicht mit los mußten; da kam mit einem Mal ein Offizier übers Feld angeprescht und schrie unserem Hauptmann zu, der Hauptmann kommandierte, und nun vorwärts! Wir liefen, was wir konnten, da standen wir mit einem Male hundert Schritt vor einer Batterie, und da ging es auch schon los; wir haben schöne Bücklinge gemacht, aber das half alles Nichts; wie ich mich umsehe, da stehen nur noch so einige fünfzig Mann da und gucken sich verwundert an. Ich merke gleich, daß kein Offizier mehr aufrecht ist, und da war mir gerade ein Graben zur Hand; ich schwenke ab und denke: was geht mich die Batterie an! Da ist mit einem Mal der Junker hinter mir und haut mir mit dem flachen Säbel um die Beine, daß ich die Engel im Himmel pfeifen höre, und schreit, was er kann: »Vorwärts, Kerle, wer kein Hundsfott ist!« Ich schäme mich doch vor dem Jungen und laufe ihm nach, und wie ich mich umsehe, laufen ihm die Anderen auch alle nach. So sind wir mit einem Mal mitten in der Batterie und stechen zu, wie es gerade kommt. Das weiß man nachher nicht mehr, wie das gewesen ist. Man sticht immer ins Weiche. Also mit einem Mal ruft unser Junker »Viktoria!«. Da sehen wir uns um, richtig, wir sind nur noch Preußen in der Batterie. Ich stehe neben ihm, er fragt mich: »Was nun?« »Vernageln,« sage ich. Einer wirft seinen Tornister ab, kramt Nägel vor, da lag eine Axt, ich mache mich an die Kanonen, vier Stück waren es. Die Andern sahen zu, es war so komisch, es war mir, als ob es nur noch fünf oder sechs Mann sind. »Ei verflucht!« denke ich, »Du kannst von Glück sagen.«

Richtig, da legt sich einer nach dem anderen hin. Wie ich fertig bin, wische ich mir den Schweiß ab, der mir in die Augen gelaufen ist und beißt, und sehe mich nach meinem Junker um. Der sitzt da, hat den Rücken an eine Lafette gelehnt, guckt mich mit großen Augen an und hält sich den Bauch. Ich, vor ihm, nehme ihm die Hände weg, knöpfe den Hosenlatz auf, ziehe das Hemd weg, Nichts zu machen. Der hat ihm das Bajonett im Bauch umgedreht und wieder herausgerissen. »Es tut nicht weh, Grenadier,« sagt der Junge, seine Lippen waren schon ganz blau. Mir war, als ob ich losheulen sollte, wie ich die Wunde sah, ich hatte den Jungen doch lieb. »Meint Er, daß ich sterben muß, Grenadier?« fragt er mich. »Betet nur Euer Vaterunser, Junker,« sage ich ihm, »Ihr sterbt als ein ehrlicher Kerl.« »Meine Mutter hat ja noch fünf,« sagt er. Da wird mir selber schlecht, ich fasse an die Seite, da ist alles naß, ich merke, daß ich auch Etwas abgekriegt habe. Nun weiß ich nicht mehr, wie das war, aber wir müssen wohl eine lange Zeit so gelegen haben, denn wie ich wieder Etwas von mir weiß, da sind die Schatten schon ganz lang. Da höre ich von allen Seiten die preußischen Trompeten. »Das ist Viktoria!«, sage ich und sehe meinen Junker an, der hat immer noch die großen Augen und wackelt mit den Lippen. Und jetzt schrinnt es mir auch an der Seite, das ist meine Wunde.

Der Junker war wohl nicht mehr ganz richtig. Er sagte: »Das versteht Er nicht. Grenadier. Er kriegt die Fuchtel, aber Unsereins hat seine Ehre.« Ich denke mir, er hat gemeint, weil ich habe ausreißen wollen, und er hat die Courage gehabt. Dafür ist er eben der Offizier, ich kriege meine zwei Silbergroschen den Tag; ich wäre doch dumm, wenn ich ausreißen könnte und täte es nicht.

Indem kommt der Alte mit seinen Generalen angeritten. Er sah uns an mit seinen blauen Augen, daß es mir kalt den Rücken hinunterlief. Mit dem war nicht gut Kirschen essen. Mir konnte er ja nichts anhaben, ich war blessiert. Ich höre, wie er zu einem Herrn sagt, der neben ihm reitet: »Nein, das ist alles nicht das Richtige, was Sie sagen. Das Merkwürdigste ist die Entnervung der Kerls, daß sie nicht mich, der alle ihre Leiden verursacht, niederknallen.« Das habe ich mit meinen eigenen Ohren gehört, wie er das gesagt hat. und da habe ich bei mir gedacht: »Recht hast Du, ich könnte jetzt Pastor sein und neben meiner Frau schlafen und morgens meine schöne warme Roggensuppe essen. Denn eigentlich ist es schändlich, wie Du mich gekriegt hast, von einem Glas Kofent werde ich doch nicht besoffen, der Unteroffizier hat mir Schnaps hineingegossen, ohne daß ich es gemerkt habe, ich werde doch nicht den Kuhfuß schleppen, wenn ich eine Pfarre habe! Aber dann müßte schon Einer von hinten kommen, denn wenn Du ihn anguckst, dann hat er keine Courage. Und das ist auch nicht Jedermanns Sache, von hinten schießen.«

Wie die Herren noch auf ihren Pferden sitzen und gucken, denn das war hoch, wo wir lagen, da fängt mein Junker an zu zappeln und stöhnen. Er saß gerade da, wo das Pferd des Alten stand, und das Pferd wird unruhig. Der sieht nieder, blitzt ihn nur so an mit seinen Augen und herrscht los: »Sterb Er anständig, Junker.« Der verstand das schon nicht mehr, aber mir ging das denn doch gegen die Natur, ich denke: »Das Pferd ist ja vernünftiger wie Du,« und so sage ich: »Halten zu Gnaden, aber der Junker hat Ew. Majestät die Batterie erobert.« Da sah er sich erst ordentlich um, und da merkte er wohl die Arbeit, die wir gemacht hatten, denn da wurde sein Ton mit einem Male ganz anders. Er fragte mich: »Wie heißt der Junker?« Ich sage: »Soundso,« nämlich der Name ist mir jetzt entschwunden, man hat ja zu Viel erlebt. Der König wendet sich um und sagt zu Einem von den Herren: »Notieren Sie: »Der und der,« und da sagt er den Namen, den ich eben nun vergessen habe, »der und der ist zum Leutnant befördert.« Na, das war doch eine Ehre für uns, da freut man sich doch, ich also los: »Hurra, der König hoch.« Da lagen noch Einige, die schrien mit, aber es klang nur heiser, viel Puste hatten sie nicht mehr in der Lunge.

Der König wendete sein Pferd und ritt ab mit den Herrn; ich hörte aber noch, wie der neben ihm zu ihm sagte: »Majestät haben eben die Technik.« Technik ist ein Wort, das aus der griechischen Sprache stammt. Was es hier bedeutet, weiß ich nicht, nur er meinte, daß wir Hurra geschrien hatten, und hatten ihn nicht niedergeknallt. Aber das verstand der Alte eben, gerecht war er, das mußte ihm sein Feind lassen.


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