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Zwölftes Kapitel

Den Wipfel des Palmenbaumes in Evas Garten umspielten die letzten Strahlen der scheinenden Sonne. Die Herrin von Bethanien saß in ihrem Kiosk auf dem Rande der Fontäne und spielte, anscheinend gänzlich unbewußt und träumerisch das fallende Wasser anstarrend, mit einer Blume. Sie hatte Tancred bei ihrem Vater, der sich auf dem Wege der Besserung befand, zurückgelassen. Sie hatten beide schon während des Tages eine lange Unterhaltung miteinander gehabt und hatten sich alle die merkwürdigen Ereignisse, die seit ihrer ersten Bekanntschaft hier in diesem Garten stattgefunden hatten, wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Jetzt war die Herrin von Bethanien mit ihren Gedanken wieder allein.

Ein Geräusch schlug an ihr Ohr: sie sah auf und erkannte Tancred.

»Ich muß noch einmal die Sonne über Arabien untergehen sehen,« sagte er, »beinahe hätte ich den edlen Besso gebeten, mich zu begleiten.«

»Das Jahr ist schon zu vorgerückt«, sagte Eva, die etwas unruhig geworden war.

»Schade, daß die kurzen Sommernächte vorüber sind,« sagte Tancred, »damals, als ich zum ersten Male hierher kam, war es noch schöner. Ich segne noch heute diese Stunde in meinem Geiste.«

»Wir wissen nicht, was wir in dieser Welt segnen sollen«, sagte Eva traurig.

»Ich weiß es«, sagte Tancred und setzte sich ebenfalls auf den Rand des Marmorbassins.

»Alle die merkwürdigen Dinge und Ereignisse,« sagte Eva, »von denen wir uns heute unterhalten haben, scheinen nur auf eins herauszukommen und dies eine heißt: Trauer.«

»Ja, sicherlich nicht Freude.«

»Oft überkommt mich eine große Niedergeschlagenheit,« sagte Eva, »und ich weiß nicht warum. Meine Grundsätze sind so unerschütterlich wie je, meine Hoffnung so fest wie früher, und dennoch –«

»Und dennoch?« fragte Tancred mit leiser, ausdrucksvoller Stimme, als sie zauderte.

»Ich habe ein unsicheres Gefühl,« antwortete Eva traurig, »als ob heldenhafte Bestrebungen zu einem Nichts geführt, als ob edle Kräfte nutzlos verschleudert worden wären, und doch ist es vielleicht«, fügte sie zögernd hinzu, »niemandes Schuld. Vielleicht haben wir die ganze Zeit von etwas Unerreichbarem geträumt und uns auf Abwege leiten lassen. Der Hauptgrund unserer Enttäuschung liegt am Ende in unserer irregeleiteten Phantasie.«

»Mein Glauben ist fest,« sagte Tancred, »aber wenn ihn irgend etwas erschüttern könnte, so wäre es die Bemerkung, daß Sie zu zweifeln anfingen.«

»Vielleicht ist die Dämmerung daran schuld,« sagte Eva gezwungen lächelnd. »Die stimmt einen mitunter traurig.«

»Es gibt keine Trauer, wo es Neigung gibt,« sagte Tancred mit leiser Stimme. »Ich bin traurig gewesen und bin es noch, aber nur, wenn ich allein bin, aber wenn ich bei Ihnen weile, so fühle ich mich gekräftigt und allem gewachsen.«

»Und doch, – –« sagte Eva und hielt dann inne.

»Und was?«

»Und doch können Ihre Gefühle nicht mehr dieselben sein, als sie es früher waren. Damals dachten Sie nur an Ihre göttliche Mission, an Sterne, Engel und an unser eigentümliches, gesegnetes Palästina. Aber jetzt ist alles verdorben, Ränke, Politik, Argwohn und menschliche List sind dazwischen gekommen, und alles ist besudelt. Sie selber mögen davon frei geblieben sein – ja, Sie sind wirklich davon frei geblieben, – aber Ihr Glauben ist nicht mehr derselbe. Sie glauben, gestehen Sie es, nicht mehr an Arabien.«

»Nicht mehr an Arabien? Du, du bist mein Arabien,« sagte Tancred, indem er auf sie zuging und vor ihr niederkniete. »Du bist der Engel Arabiens, wie der meines Lebens und meines Geistes! Sprich mir nicht von wankendem Glauben: der meine steht fest. Sprich mir nicht von Aufgaben einer göttlichen Mission, du bist meine Mission, denn du bist göttlich! O Eva, Eva, nimm in Gnaden das Geschenk meines übervollen Herzens an! Ja, auch ich habe, wie du, oft gezweifelt, aber nur, wenn ich mir bewußt werde, daß ich liebe und vielleicht nicht wiedergeliebt werde!«

Er hatte ihre Hände ergriffen und schaute mit Hingebung zu ihr auf. Sein leidenschaftlicher Blick suchte und fand ihre Augen – aber ihr Antlitz drückte eine tiefe Trauer aus. Dennoch entzog sie ihm ihre Hand nicht, sondern murmelte nur mit abgewandtem Kopfe: »Wir dürfen von nichts dergleichen sprechen, nicht einmal daran denken. Sie wissen ja alles.«

»Ich weiß nichts und will von nichts, außer meiner Liebe, wissen.«

»Sie wissen, ich gehöre zu meinen Leuten und Sie zu den Ihrigen. Ja,« sagte sie, indem sie ihre Hand der seinigen zu entziehen versuchte, »fliehen Sie, fliehen Sie mich, Sohn Europas und Jesu Christi!«

»Ich bin ein Christ und in Christi Land,« sagte Tancred, »und ich knie vor einer Tochter aus dem Volke meines Erlösers. Warum sollte ich fliehen?«

»Oh, dies ist Wahnsinn!«

»Nein, göttliche Eingebung,« sagte Tancred, »denn ich werde diese Quelle, an der wir uns einst getroffen, nicht eher verlassen, bis du mir zugestanden hast, und du wirst mir dieses zugestehen,« fügte er in kindlich bittendem Tone hinzu, »daß wir beide vereint die Hauptaufgabe unseres Lebens erfüllen werden. Sprich zu mir nicht von anderen, von anderen, die Anrechte auf dich oder mich haben. Ich habe keinen Verwandten, kein Vaterland, und sollen etwa die altgewordenen Bande, die dich mit den Deinigen verknüpfen, unser heiliges Ziel vereiteln können? Das darf nicht sein! Sag, du liebst mich, und diese Bande werden zerrissen und in den Boden gestampft werden!«

Evas Haupt war auf seine Schulter gefallen. Er drückte einen Kuß auf ihre Wange, die kalt, fast gefühllos schien. Auch aus ihrer Hand, die er noch in der seinigen hielt, schien alles Leben gewichen. Sie war von ihren Gefühlen wie überkommen und in einen Zustand der Ohnmacht verfallen. Sie fiel zurück und Tancred ließ sie sanft auf den Teppich herabgleiten. Er besprengte ihr bleiches Antlitz mit Wasser, er rieb ihre kalten, zarten Hände. Endlich öffneten sich ihre Augen, und sie stieß einen Seufzer aus. Er legte ihr einige Kissen, die gerade zur Hand waren, unter den Kopf. Sie kam wieder zu sich, setzte sich, gegen das Bassin gelehnt, auf und sah mit erstaunten Blicken um sich.

In diesem Augenblicke ertönte von draußen ein Schrei, der sich mehrmals wiederholte, und die Stimmen verschiedener Personen klangen an das Ohr. Die kurze Dämmerung hatte plötzlich der Nacht Platz gemacht. Die Stimmen und Schritte kamen näher. Tancred hörte mehrfach seinen Namen rufen. Er sah aus dem Kiosk heraus und bemerkte eine Menge Leute, die von Fackelträgern begleitet waren. In der Vorhut befand sich Oberst Brace, ihm zur Rechten Pastor Bernard, zur Linken Doktor Roby. Freeman und Trueman und verschiedene Führer und eingeborene Diener standen weiter hinten – alle riefen den Namen Lord Montacutes.

»Hier bin ich,« sagte Tancred, als er bleich und aufgeregt aus dem Kiosk heraustrat. »Was will man von mir?«

Oberst Brace begann zu sprechen, aber alles schrie wild durcheinander.

Der Herzog und die Herzogin von Bellamont waren in Jerusalem eingetroffen.


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