Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Das Berggestein war, wie wir gesehen haben, innen zu einer Menge Räumlichkeiten ausgehöhlt, zu Zimmern und Galerien, die im Laufe der Zeit manchen verschiedenen Zwecken gedient hatten, als Schatzkammern, als Verstecke, als Gefängnisse. In einer dieser großen Zellen, die aber alle mit dem künstlich aufgebauten Teile des Palastes in Verbindung standen, lag auf einem harten, alten Sofa bewegungslos die schöne Tochter Bessos, sie, die in all dem Luxus einer reichen Umgebung erzogen, sie, die sich stets einer Freiheit zu erfreuen gewohnt war, die ungewöhnlich in jedem Lande und äußerst selten unter Orientalen ist.

Die Ereignisse der letzten Tage waren so schnell und seltsam gewesen, daß ihre Gedanken, trotz ihrer tiefen Trauer, immer wieder zu ihnen zurückkehren mußten. Vor wenig mehr als zehn Tagen hatte sie unter der Obhut ihres Vaters ihre Reise von Damaskus nach Aleppo begonnen. In der Mitte des Wegs, in der Nähe der Stadt Homs, war eine Abteilung türkischer Truppen zu ihnen gestoßen, die der Pascha von Aleppo auf Hillel Bessos Bitte ihnen entgegengeschickt hatte, da das Land wegen der Ansarifehde zu unsicher geworden war. Trotz all dieser Vorsichtsmaßregeln, und obwohl sie auf die Warnung hin noch einen anderen weiteren Weg eingeschlagen hatten, wurden sie dennoch eine halbe Tagereise von Aleppo entfernt von den Bergbewohnern aus einem Hinterhalte überfallen, und zwar in so plötzlicher und wohlüberlegter Weise, daß ihre Eskorte nach kurzem Widerstande das Weite suchte, während Eva und ihre Dienerinnen als Gefangene nach Gindarics gebracht wurden. Eva hatte im übrigen es noch mit ansehen müssen, wie ihr Vater, der sich und seine Tochter zu verteidigen versuchte, von den Räubern niedergehauen wurde.

Das Schicksal ihres Vaters war ihr dermaßen zu Herzen gegangen, daß sie zunächst gar nicht an das ihrige denken konnte und sich vielmehr der schwärzesten Verzweiflung überließ. Als sie schließlich etwas ruhiger geworden und über ihre eigene Lage nachzudenken imstande war, wurde ihr erzählt, daß Tancred und Fakredin, infolge merkwürdigen Zufalls, sich ebenfalls auf der Burg befanden. Sogleich rief sie sich die liebevolle Aufnahme und den tröstenden Zuspruch der Herrin des Schlosses, der gegenüber sie sich zunächst ganz gleichgültig verhalten hatte, ins Gedächtnis zurück. Als sie darüber einige Zeit nachgedacht hatte, schien es ihr vernünftiger zu sein, das Anerbieten der Königin anzunehmen; diese nämlich hatte sie mehrfach darum ersucht, ihre Freundin zu werden und sich nicht als Gefangene zu betrachten – aber Eva hatte ihre Bitte bisher standhaft abgeschlagen. Nun, da sie die Möglichkeit sah, sich mit ihren beiden Freunden über ihren Vater und ihre eigene Lage zu beratschlagen, nahm sie das Anerbieten mit Bereitwilligkeit an.

Aber die Begegnung, von der sie so viel Gutes erwartet hatte, verlief derart gezwungen und unangenehm, daß ihr selbst die Begebenheiten der letzten Tage verglichen damit nicht viel schlimmer vorkamen. Eva wurde natürlich sofort von Tancred und dem jungen Emir erkannt und mit großer Ehrerbietung begrüßt, aber während die beiden Freunde ihren Kummer und ihre Überraschung nur zu offen an den Tag legten, zeigte sich Astarte, die bisher sich so liebenswürdig gegen ihre Gefangene benommen hatte, plötzlich launisch, aufgeregt, hochmütig, ja direkt feindselig ihr gegenüber. Die Königin hatte sofort Fakredin zu sich berufen und einige eilige, aufgeregte Worte mit ihm gewechselt; dann hatte sie auch Tancred etwas gefragt, auf das dieser ohne Vorbehalt geantwortet hatte. Astarte war darauf, augenscheinlich in schlechter Stimmung, aufgestanden und hatte, ohne den Freunden Adieu zu sagen, mit ihren Dienerinnen das Zimmer verlassen, worauf Keferinis seinerseits den jungen Fürsten bedeutete, daß auch sie sich zurückziehen könnten. Eva hingegen wurde, anstatt in die königlichen Gemächer, die sie vordem inne gehabt hatte, in eine andere Räumlichkeit zurückgeführt, die tatsächlich dem Schlosse als Gefängnis diente.

Dort hatte sie die Nacht und einen Teil des folgenden Tages verbracht. Sie wurde nur von Cypros bedient, aus der aber kein einziges Wort über den Grund dieser plötzlichen Veränderung herauszubekommen war. Auf alle Fragen schüttelte die Dienerin nur mit dem Kopfe, legte ihren Finger an die Lippen und gab durch Achselzucken ihrem Bedauern, nicht mit der Gefangenen sprechen zu dürfen, Ausdruck.

Es war eine jener Lagen, in denen selbst die Begabtesten von ihrer Klugheit im Stiche gelassen werden, in denen es keinen Trost, aus denen es keinen Ausweg gibt, in denen das Geheimnisvolle und die Ungewißheit noch das Unglück erhöhen und die Gewalt der Umstände unsere ganze Willenskraft zu zermalmen droht.

In diesem traumhaft dunkeln Gemütszustande befand sich gerade die Tochter Bessos – alles, was sie sich noch vorstellen konnte, war der letzte Blick ihres sterbenden Vaters, und die Nebel der Trauer begannen sich dicker und immer schwärzer auf ihr Gemüt zu senken. Plötzlich wurde sie aus ihrer schon beginnenden gänzlichen Apathie durch ein deutliches, wenn auch leises Pochen aufgeschreckt, als ob jemand, der sie nicht zu sehr erschrecken wollte, ihre Aufmerksamkeit erregen wollte. Sie blickte auf – sie hörte das Pochen wieder – und dann flüsterte ihr jemand in das Ohr –

»Eva!«

»Ja? Wer ist da?«

»Still«, sagte eine Gestalt, die sich auf Fußspitzen in das Höhlenzimmer hin einschlich und dann ihren syrischen Mantel abwarf, worauf Eva sie erkannte.

»Fakredin,« sagte sie, indem sie von ihrem Lager aufsprang, »was hat dies alles zu bedeuten?«

Fakredins Gesicht drückte eine Erregtheit aus, die beinahe schon an wirkliche Furcht grenzte.

»Du mußt mir folgen,« sagte er, »es ist keine Minute weiter zu verlieren – du mußt fliehen.«

»Aber warum und wohin?« fragte Eva. »Diese Gefangennahme ist doch nur der Plünderung wegen gemacht worden, es steckt keinerlei andere Böswilligkeit dahinter – wenigstens schien es mir bis vor wenigen Stunden noch so. Nicht die Besorgnis um mich selber hat mich so niedergedrückt. Noch gestern hat mich die Königin dieser Berge mit aufrichtiger Zuneigung behandelt und wenn es ihr nicht gelang, mich wieder aufzurichten, so war der Grund nur der, daß ich den Verlust des Liebsten befürchten mußte. Und jetzt, da ich meine Freunde unerwarteterweise hier angetroffen habe, Freunde, die mir unter diesen Umständen am meisten willkommen sein müssen, hat sich mit einem Schlage alles geändert. Ich bin eine Gefangene, einer harten, selbst grausamen Behandlung ausgesetzt und du sprichst nun sogar davon, daß mein Leben in Gefahr sein könnte.«

»Jawohl.«

»Aber warum?«

Fakredin rang die Hände und beschwor sie: »Komm mit mir!«

»Ich habe keine Lust zum Leben mehr,« sagte Eva, »und ich werde mich nicht von der Stelle rühren, ehe du mir nicht näheren Aufschluß gegeben hast.«

»So vernimm denn: sie ist eifersüchtig auf dich – diese Königin Astarte. Sie ist eifersüchtig auf deine Beziehungen zu dem englischen Prinzen, zu dem Mann, der über uns alle so viel Unheil gebracht hat.«

»Hat er wirklich dieses Unheil über uns alle gebracht?« erwiderte Eva. »Die Königin eifersüchtig auf mich und wegen des englischen Prinzen? Das ist ja höchst merkwürdig. Wir hatten kaum zwölf Worte miteinander gewechselt, als alles geschehen und ich abgeführt war. Eifersüchtig auf mich! Warum hatte sie da ihrem Verlangen Ausdruck gegeben, daß ich in ihren Diwan herabkommen sollte? Du sprichst nicht die Wahrheit, Fakredin.«

»Nicht die völlige Wahrheit, aber es ist trotzdem wahr, sicherlich wahr. Die Königin ist eifersüchtig auf dich, sie liebt Tancred – einen Fluch auf ihn, einen Fluch auf sie beide! Und irgend jemand hat ihr erzählt, daß Tancred dich liebt.«

»Irgend jemand? Wann ist das geschehen?«

»Oh, vor langer Zeit, vor langer Zeit. Sie wußte – das heißt, man hatte es ihr erzählt – daß Tancred mit der Tochter von Besso von Damaskus verlobt war und dieses plötzliche Zusammentreffen hat die Sache zur Entscheidung gebracht. Ich tat alles, was ich tun konnte; ich schwor, daß du nur die Cousine des Besso wärest, den sie meinte, ich tat alles, um dir zu helfen und dich zu retten – aber alles war vergebens, sie ist in solcher Aufregung, daß dein Leben in Gefahr ist.«

Eva dachte einen Augenblick nach. Dann sah sie auf und sagte: »Fakredin, du hast der Königin diese Geschichte erzählt. Du bist der Betreffende, der diesen tollen Schwindel ausgedacht hat. Was du damit bezwecken wolltest, weiß ich nicht, eins aber weiß ich, daß du, um deine Zwecke zu erreichen, weder Freund noch Feind schonen würdest. Verlaß mich jetzt. Ich habe nur wenig Lust zum Leben noch, aber ich glaube an die Macht der Wahrheit. Ich werde die Königin selber aufsuchen und ihr alles klarlegen. Sie wird meinen Worten Glauben schenken, wenn nicht, werde ich mein Schicksal zu tragen wissen, aber dir werde ich es weder jetzt, noch je in Zukunft anvertrauen.«

Fakredin brach nunmehr in eine Flut leidenschaftlicher Tränen aus, warf sich auf den Boden, küßte Evas Füße, führte den Saum ihrer Gewänder an seinen Mund und überschüttete sie unter Seufzern und Schluchzen mit unendlichen Liebesbezeigungen, zwischen denen er in die bittersten Selbstanklagen ausbrach.

»O Eva, meine liebste Eva, Schwester meiner Seele, warum soll ich dich weiter belügen! Jawohl, ich bin ein schlechter Mensch und ein Narr dazu, jawohl, ich habe all dieses Unheil, das mich noch verrückt machen wird, über uns gebracht, aber ich bin bestraft, bitter bestraft, denn alle jene großen Hoffnungen, die ich mir mit Recht habe machen können, sinken jetzt in ein Nichts zusammen! Dieser fränkische Ausländer war das einzige Hindernis, das sich meiner Ehe mit der Königin dieser Berge entgegenstellte – du weißt, wie schön sie ist und du kannst dir denken, daß ihr Reich mit dem meinigen vereinigt die Grundlage zu einem Königreiche abgeben könnte. Ich hatte die Absicht, sie zu heiraten – du kannst mir darob sicher nicht böse sein, Eva. Du weißt nur zu gut, daß, wenn du mich geheiratet hättest, wir uns beide nicht in der gegenwärtigen schrecklichen Lage befinden würden. Oh! Das wäre eine glückliche Ehe geworden! Aber genug davon. Ich bin immer der Unglücklichste der Sterblichen gewesen – niemand hat mich je verstanden. Aber sie liebte diesen fränkischen Prinzen. Ich sah es wohl, denn mir entgeht nichts so leicht. Ich habe ihr darum erzählt, daß er einer anderen sein Herz geschenkt habe. Warum ich deinen Namen dabei erwähnte, weiß ich nicht; vielleicht, weil es der erste war, der mir einfiel, vielleicht, weil ich eine dunkle Ahnung habe, daß er dich wirklich liebt. Die Mitteilung tat ihre Wirkung und meine eigene Bewerbung machte gute Fortschritte. Ich bestach ihren Minister, der seit der Zeit alles für mich tut. Alles ging glatt. Wie hätte ich es jemals ahnen können, daß du wirklich hier auftauchen würdest! Sobald ich deiner ansichtig wurde, fühlte ich, daß alles verloren sei. Ich probierte, die Zügel wieder in die Hand zu bekommen, aber es war alles vergeblich. Tancred ist nicht klug genug, seine geraden Antworten machten es für mich unmöglich, uns wieder herauszulügen. Die Königin ist aufs höchste erregt. Sie ist jung; und dies ist die erste Enttäuschung ihres Lebens. Sobald ihr Herz in Frage kommt, kann man mit ihr kein Wort reden. Kurz, alles ist vorbei!« und Fakredin verbarg sein tränenüberströmtes Antlitz wieder in Evas Kleidern.

»Wie du doch stets dich selbst und andere ins Unglück stürzen mußt!« sagte Eva. »Aber was tut's! Der andere große Verlust macht mich gegen weitere Schmerzen unempfindlich.«

»Ja – aber höre, was ich zu sagen habe und alles wird gut gehen. Ich mache mir jetzt gar nichts mehr aus meinem eigenen Mißgeschick – das kommt nicht mehr in Betracht. Du, du allein kommst hier in Frage – nur dich will ich retten. Schelte mich nicht mehr – verzeihe mir, verzeih mir, wie du mir tausendmal verziehen hast – verzeihe und habe Mitleid mit mir. Ich bin so jung und wirklich so unerfahren – schließlich bin ich doch nur ein Kind und ich habe niemanden in der Welt, außer dir. Ich bin ein Schuft, ein Dummkopf – alle Schufte sind Dummköpfe. Ich weiß das, aber ich kann's nicht ändern. Ich habe mich doch nicht selber gemacht. Die Frage ist nur die: Wie kommen wir aus dieser peinlichen Lage wieder heraus? Wie kann ich dein Leben retten?«

»Glaubst du denn wirklich, Fakredin, daß mein Leben in Gefahr ist?«

»Ja«, sagte der Emir und weinte dabei weiter wie ein Kind.

»Du kennst die Macht der Wahrheit nicht, Fakredin, du hast kein Vertrauen zu ihr. Laß mich zu der Königin gehen.«

»Unmöglich!« antwortete dieser unter Zeichen großer Aufregung.

»Warum unmöglich?«

»Weil sie augenblicklich ganz von Sinnen ist. Keferinis, das ist nämlich ihr Minister, der mir aber blind ergeben ist, ist der einzige, der mit ihr fertig werden kann und er hat mir eben erzählt, daß es ein richtiger Kamsin war und daß er sich nicht wieder in ihre Nähe traute; und dann würde dein Erscheinen vor ihr die Sache noch viel mehr verschlimmern, weil sie – ich kann es dir nicht länger verbergen – dich schon für tot hält!«

»Tot! Schon für tot!«

»Jawohl.«

»Und wo ist dein Freund und Begleiter?« fragte Eva. »Weiß er etwas von dieser schrecklichen Geschichte?«

»Keiner weiß etwas, außer mir. Die Königin hat mich gestern abend zu einer Besprechung zu ihr beschieden. Es war vollkommen unmöglich, sie von ihrem Vorhaben abzubringen – es hätte unsere Lage nur verschlimmert. Sie würde, wenn man ihr die Wahrheit erzählt hätte, sie nur für eine Notlüge unsererseits gehalten haben. Ich sah, daß dein Schicksal besiegelt war. Trotz meiner Verzweiflung erkannte ich dennoch, daß es das beste sei, ihr in ihrer Leidenschaft nicht zu widersprechen, sondern vielmehr alle ihre Pläne zu billigen. Sie teilte mir mit, daß du keine vierundzwanzig Stunden mehr leben solltest. Ich fachte ihren Rachedurst noch mehr an, teilte ihr im geheimen mit, daß dein Haus das meinige beinahe an den Rand des Abgrundes gebracht habe und daß ich mich einer jeglichen Gefahr aussetzen würde, um an deiner Rasse meine langersehnte Wiedervergeltung zu üben. Ich teilte ihr ferner mit, daß ich schon seit Jahren nur auf eine passende Gelegenheit gewartet hätte. Nun – du siehst jetzt, wie die Dinge stehen – sie gab mir den Auftrag, den sie sonst einem ihrer Sklaven ins Ohr geflüstert hätte. Auf ihren Wunsch und Befehl stehe ich hier – ja, sie denkt jetzt, daß schon alles vorüber ist. Verstehst du?«

»Du solltest mein Henker sein?«

»Ja – ich habe dieses Amt übernehmen müssen, um dich zu retten.«

»Es liegt mir nichts daran, mein Leben zu retten. Was ist dieses Leben für mich, da jenes nicht mehr unter uns weilt, der es mir gab und für den ich allein lebte!«

»O Eva! Eva! quäle mich nicht so! Mache mich nicht ganz verrückt! Wenn ein Mann das für dich tut, was ich für dich tue, wenn er ein Königreich aufgibt und mehr als ein Königreich – ihn dann so zu behandeln! Aber du hast mir nie Gerechtigkeit widerfahren lassen.« Fakredin brach hier in einen erneuten Tränenstrom aus. »Keferinis ist von mir bestochen – er hat mir einen Paß für den geheimen Tunnelweg ausgestellt. Hier sind zwei Mameluckengewänder – ziehe eines davon an. Draußen am Tor stehen zwei Pferde und in achtundvierzig Stunden sind wir in Sicherheit und können über alles lachen.«

»Ich werde wohl nie wieder lachen können,« sagte Eva. »Nein, Fakredin,« fügte sie nach einer kleinen Pause hinzu, »ich will nicht fliehen und du kannst nicht fliehen. Kannst du an diesem wilden Ort deinen vielleicht zu treuen Freund im Stiche lassen, der auf deine Veranlassung hierhergekommen ist?«

»Um den brauchen wir uns nicht zu kümmern,« sagte der Emir. »Ich wünschte, wir hätten ihn nie gesehen. Außerdem wird ihm nichts passieren. Vielleicht hält sie ihn als Gefangenen bei sich zurück. Das wird ihm auch nicht viel schaden. Er macht von seiner Freiheit einen so bescheidenen Gebrauch, daß das bißchen Haft nicht viel Unterschied für ihn machen wird. Sein Leben wird nicht in Gefahr geraten, denn Kopfabschneiden ist nicht der richtige Weg zur Eroberung eines Herzens. Aber wir haben Eile. Komm, meine Schwester, meine geliebte Eva! In wenigen Stunden vielleicht schon könnte ich diese Flucht nicht mehr bewerkstelligen. Komm, denke an deinen Vater, seinen Kummer, seine Verzweiflung. Einen Blick auf dich wird ihm mehr nützen, als die beste Medizin.«

Eva brach in leidenschaftliches Schluchzen aus. »Er wird uns nie wiedersehen. Ich sah ihn fallen, ich werde den Augenblick nie mehr vergessen!« Mit diesen Worten barg sie ihr Antlitz in den Händen.

»Nein, er ist am Leben,« sagte Fakredin. »Ich habe mit einigen der türkischen Gefangenen gesprochen. Sie sahen ihn ebenfalls fallen, aber er wurde beiseite getragen und, obwohl er bewußtlos war, schien seine Wunde keineswegs lebensgefährlich zu sein. Glaub mir, er ist in Aleppo.«

»Sie sahen, daß er weggeschafft wurde?«

»Ganz sicher – und keineswegs in hoffnungslosem Zustande.«

»O Gott meiner Väter!« sagte Eva und fiel auf ihre Knie; »du bist in Wahrheit ein barmherziger Gott!«

»Jawohl, jawohl – niemand kommt dem Gotte deiner Väter gleich, Eva. Wenn du Ahnung von den Geschichten hättest, die hier, sogar in diesen Gewölben und Höhlen hier, vorgehen, du würdest keinen Augenblick zaudern. Sie beten zu ehernen Götzenbildern und die Königin hat sich in Tancred verliebt, weil er einer Marmorstatue ähnlich ist, die aus der Zeit der präadamitischen Sultane stammt. Komm! Komm!«

»Aber woher konnten sie wissen, daß er nicht lebensgefährlich verwundet war?«

»Ich werde dir den Mann zeigen, der mit ihm gesprochen hat,« erwiderte Fakredin, »er wartet draußen bei unseren Pferden. Du kannst ihn selber ausfragen wie du willst. Komm, zieh dein Mameluckenkleid an – wir dürfen keine Minute mehr verlieren.«

»Es erscheint mir unrecht, ihn hier allein zurückzulassen,« sagte Eva. »Er hat unser Salz gegessen, er ist das Kind unserer Zelte, sein Blut wird über unser Haupt kommen.«

»Nun, dann mußt du schon seinetwegen fliehen,« sagte Fakredin, »denn hier kannst du ihm nichts nützen, aber sowie du einmal in Sicherheit bist, so kannst du ihm auf tausendfachem Wege Hilfe leisten. Ich könnte zum Beispiel wieder hierher zurückkommen.«

»Nun, Fakredin,« sagte Eva, indem sie ihn an der Hand faßte und in feierlichem Tone die Worte herausbrachte, »wenn ich dich, wie du wünschest, jetzt begleite, willst du mir dein Wort geben, daß du, sowie wir die Grenze passiert haben, zu ihm zurückkehren willst?«

»Ich schwöre es bei unserer wahren Religion und bei meinen Aussichten auf ein irdisches Königreich!«


 << zurück weiter >>