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Drittes Kapitel.

»Ich wollte es Eurer Lordschaft gestern abend nicht mehr mitteilen,« sagte Baroni, »ich dachte, daß wir für einen Tag genügend Unannehmlichkeiten gehabt hätten.«

»Aber heute, meinen Sie, habe ich mich genügend erholt, um neue Verdrießlichkeiten über mich ergehen zu lassen, nicht wahr?«

»Er sagte es auf hebräisch, damit ich und Scheik Hassan es nicht verstehen könnten, aber ich verstehe die Sprache etwas.«

»Auf hebräisch! Und warum das?«

»Dieser Stamm gehorcht den Gesetzen Mosis.«

»Sie halten sie also für Juden?«

»Die Araber sind nur Juden zu Pferde,« sagte Baroni. »Dieser Stamm, habe ich herausgefunden, nennt sich die Rechabiten.«

»So!« sagte Tancred und begann nachzusinnen. »Ich habe von diesem Namen schon einmal gehört. Es ist doch möglich,« so dachte er weiter, »daß mein Besuch in Bethanien an meiner Gefangennahme schuld ist.«

»Diese Geschichte muß in Jerusalem ausgeheckt worden sein,« sagte Baroni, »ich sah von Anfang an, daß das kein einfacher Überfall war. Diese Leute wissen immer alles. Sie werden sofort Boten zu Besso schicken; sie haben sicherlich in Erfahrung gebracht, daß er Ihr Bankier ist und daß, wenn Sie den Tempel wieder aufbauen wollen, er es auch bezahlen muß. Wenn sie nicht ein außergewöhnliches Lösegeld bekommen, werden sie uns in das Innere der Wüste mitnehmen.«

»Und wozu raten Sie mir?«

»Die Hauptsache hierbei wie bei allen Sachen, ist, Zeit zu gewinnen. Schon aus dem Grunde, weil ich mir selber keinen Rat weiß – aber mit der Zeit kommt, wie man sagt, auch Rat. Ich habe dem großen Scheik schon mitgeteilt, daß Sie kein königlicher Prinz sind, daß Ihr Vater kein Vermögen besitzt, daß drei Jahre hindurch unter seinen Herden die Viehseuche geherrscht hat und daß Sie, obgleich anscheinend ein Vergnügungsreisender, in Wirklichkeit ein politischer Flüchtling sind. Dies alles sind Gründe, die ihn zu einer Herabsetzung des Lösegeldes bestimmen sollten. Augenblicklich aber glaubt er kein Wort davon, denn man hat ihm früher das genaue Gegenteil davon erzählt – aber wenn er bei seinen Lösegeldverhandlungen auf einige Schwierigkeiten gestoßen sein wird, und die Reaktion eingesetzt hat, so wird er schon gefügiger werden. Die Reaktion folgt immer auf die Aktion – das ist unvermeidlich. Aller Erfolg hängt davon ab, zur rechten Zeit zu ahnen, wann sie eintreten wird und die Gelegenheit dann beim Schopfe zu ergreifen.«

»Sie scheinen ein großer Philosoph zu sein, Baroni«, sagte Tancred.

»Ich bin fünf Jahre lang mit M. de Sidonia gereist,« sagte Baroni. »Vielfach sind wir in unangenehmen Lagen gewesen, in unangenehmeren, wie dieser hier, und der gnädige Herr stellte stets seine Betrachtungen darüber an. Ich teilte seine Gefahren und eignete mir manche seiner Anschauungen an, und daher kommt es, daß ich immer weiß, was ich zu antworten, und meistens auch, was ich zu tun habe.«

»Nun, da hätten Sie ja hier die beste Gelegenheit, Ihre Geschicklichkeit zu zeigen, obgleich meiner Meinung nach unsere Aufgabe eine sehr einfache, wenn auch nicht eine sehr rühmliche ist. Wir müssen uns aus der Gefangenschaft loskaufen. Wenn ich jetzt am Ende meines Kreuzzuges wäre, so könnte ich mich, wie Richard Löwenherz, nach langem Leiden darin fügen – aber jetzt, gerade erst am Anfang, kommt mir die Katastrophe äußerst ungelegen und ich bezweifle sehr, ob ich den Mut besitzen werde, meinen Weg fortzusetzen. Wäre ich nur allein, ich würde mich niemals durch Lösegeld freizukaufen versuchen. Ich würde meine Gefangenschaft als eine jener Prüfungen ansehen, die meiner warten; ich würde durch Mut und Geschicklichkeit mich ihr zu entziehen versuchen und bei diesen meinen Versuchen fest auf die göttliche Hilfe vertrauen – aber ich bin leider nicht allein. Ich habe Sie in mein Mißgeschick mitverwickelt, Sie und diese armen Engländer hier, und, wie es scheint, auch den braven Hassan und seinen Stamm. Ich kann von Ihnen nicht dieselben Opfer verlangen, die ich mir gerne selber auferlegen würde und es bleibt uns darum anscheinend nur das eine übrig, unsere Nacken unter das Joch zu beugen.«

»Mit Verlaub,« antwortete Baroni, »ich kann durchaus nicht dem Vorschlage Eurer Lordschaft beistimmen. Mylord sehen sicherlich zu schwarz. Solche Anschauungen sind niemals gerechtfertigt; etwas tritt immer ein, was alle Berechnungen, und wenn sie auch noch so sorgfältig auf Beobachtungen begründet erscheinen, zuschanden macht. Dieses Etwas ist der Zufall. Der Zufall hat noch jede Krise entschieden, die ich mitgemacht habe. Seien Sie versichert, Mylord, der Zufall wird auch diesen Knoten hier lösen.«

»Ich sehe nicht, was der Zufall in dieser Lage für uns bewirken könnte,« erwiderte Tancred. »Der Zufall spielt in Städten eine große Rolle, wo die öffentliche Meinung, die von den verschiedensten Motiven regiert wird, alle Augenblicke eine andere zufällige Form annimmt, aber wir befinden uns augenblicklich in der Wüste. Der große Scheik wird seine Ansicht so wenig wie seine althergebrachten Gewohnheiten ändern wollen, jene Gewohnheiten, die seine Vorfahren, genau so wie er heute, vor tausenden von Jahren übten, denn er lebt wie jene allein und keiner hat ihm etwas zu sagen.«

»Irgend etwas passiert immer«, sagte Baroni.

»Nun, mir scheint's, wir sind in eine Sackgasse geraten«, sagte Tancred.

»Es gibt überall Auswege, selbst aus einer Sackgasse heraus.«

»Glauben Sie, es wäre ratsam, den Besitzer dieses Zeltes hier zu fragen,« sagte Tancred mit leiser Stimme. »Er scheint uns wohlgesinnt zu sein.«

»Den Emir Fakredin?« sagte Baroni.

»Heißt er so?«

»Ja, ich hörte es gestern abend. Er ist ein Fürst des Hauses Schihab, eines großen, aber etwas heruntergekommenen Hauses.«

»Er ist ein Christ«, sagte Tancred mit Betonung.

»So?« sagte Baroni nachlässig; »ich habe schon manchen Schihab gekannt und kann ihren Glauben nur dann erraten, wenn ich weiß, welche Gesellschaft sie pflegen.«

»Er könnte uns vielleicht seinen Rat geben.«

»Zweifelsohne, Mylord, aber mit Ratschlägen brechen wir nicht unsere Ketten. Und mehr wie allen Ratschlägen vertraue ich in der Wüste noch meinem Kamele. Ich nehme es als sicher an, daß diese Geschichte hier nur durch Lösegeld zu beendigen ist, und dann kommt es doch hauptsächlich darauf an, die hohe Meinung, die der große Scheik von Ihrem Reichtume hat, etwas niedriger zu schrauben. Dies kann aber nur von der Seite aus geschehen, von der die Idee des Überfalles ausgegangen ist. Darum werde ich den großen Scheik zu bewegen versuchen, die Boten an Besso begleiten zu dürfen. Diese Botenreise wird Zeit kosten, und Zeit gewonnen, alles gewonnen, wie M. de Sidonia damals sagte, als die Wilden uns lebendig verbrennen wollten und ein gerade einsetzendes Gewitter ihre schon angezündeten Holzstöße wieder auslöschte.«

»Eines Tages müssen Sie mir wirklich einmal Ihre Geschichte erzählen«, sagte Tancred.

»Wenn ich unverrichteter Sache von meiner Jerusalemer Reise wieder zurückgekehrt bin. Alles, was wir für den Augenblick tun können, ist, auf eine Herabsetzung der Summe hinzuarbeiten – denn sie sprechen von Millionen! – und während der Verhandlungen müssen wir eine Gelegenheit auszuspüren versuchen, die uns auf einem billigeren Wege die Freiheit verschaffen kann.«

»Da habe ich wenig Hoffnung.«

»Die darf man nicht aufgeben, denn die Zukunft kann keiner ahnen.«

»Aber man könnte sie doch voraussehen, da heute alles, wie man behauptet, ein Rechenexempel ist.«

»Nein,« sagte Baroni energisch, »alles in diesem Leben ist Abenteuer.«

In der Zwischenzeit befand sich der Emir Fakredin in einer äußerst gedrückten Stimmung. Tancred hatte vom ersten Augenblicke an auf sein empfängliches Herz jenen magnetischen Einfluß auszuüben begonnen, dem er so leicht unterworfen war. In der Mitte der Wildnis und in der Person seines Opfers erkannte der Emir mit einem Male jenen heroischen Charakter, der ihm so oft unklar als Ideal vorgeschwebt hatte und das er, wie er jetzt einsah, so unvollkommen erreicht hatte. Die äußere Erscheinung Tancreds, sein Mut, seine Manieren, seine Gedankentiefe und sein stolzes und doch ergebenes Gebaren inmitten so verzweifelter Umstände, in die er geraten war, hatten Fakredin vollkommen für ihn eingenommen. Jener Freund, nach dem er so lange vergeblich ausgeschaut hatte, nach dem er sich seufzend stets gesehnt hatte, schien ihm jetzt endlich in der Person dieses Franken gefunden zu sein. Denn Tancred besaß gerade jenen festen Charakter, der unbeabsichtigt Gehorsam einflößte, einen Charakter, der, wie Fakredin herausfühlte, seinem launenhaften Wesen eine nur zu nötige Ergänzung und Stütze gewähren konnte. Und wie stand er jetzt diesem Wesen gegenüber, das er an sein Herz zu pressen wünschte und mit dem vereint er sich kräftig genug fühlte, die Welt zu erobern? Es war kaum auszudenken. Die Bewaffnung der Maroniten trat vor der Möglichkeit, ja der Notwendigkeit, Tancreds Freundschaft zu gewinnen, gänzlich zurück. Oh, hätte er sich doch nicht in diese Verschwörung eingelassen – und doch, wie hätte er Tancred ohne sie kennen lernen können? Es erschien ihm jetzt ganz unmöglich, zu irgend einem Entschluß zu kommen; das einzige, was er tun konnte, war abzuwarten und aufzupassen, ob sie beide nicht irgendwie aus dieser verwickelten Situation sich herausretten konnten.

Fakredin schickte einen seiner Diener am frühen Morgen zu Tancred, um ihm Pferde anzubieten, falls sein Gast, wie die andern Engländer es gewöhnlich taten, die benachbarten berühmten Ruinen besuchen wollte – aber dieser lehnte ab, da seine Wunde noch zu sehr schmerzte. Darauf bat der Emir um die Erlaubnis, ihn besuchen zu dürfen und stattete ihm, nachdem er diese erhalten hatte, eine Visite ab, die eigentlich nur eine Viertelstunde dauern sollte; als Fakredin jedoch sich nebst seiner Nargilehpfeife einmal auf dem Diwan niedergelassen hatte, stand er auch nicht mehr davon auf. Aber Tancred konnte in Wahrheit keinen interessanteren Besucher haben als ihn, denn Fakredin legte wie immer die überraschendste und liebenswürdigste Offenheit an den Tag. Sein Freimut war wirklich erstaunenswert. Tancred wußte gar nicht, was er von diesen, ihm ganz neuen Selbstenthüllungen denken sollte; Fakredin erschien ihm als ein Konglomerat erhabener Pläne, zweideutigen Benehmens, unglaublicher Phantasie und dunkelster Intrigen! Die lebhafte Art und Weise und die schöne Ausdrucksweise, in der alles, was er sagte, herauskam, erhöhte die Wirkung des Gesprochenen noch bedeutend. Fakredin wußte einen Charakter mit einem Satze zu skizzieren, und zwar so genau, daß man die beschriebene Person auch ohne persönliche Kenntnis genau vor sich sah. Seine Gesten waren, zum Unterschied von denen der anderen Orientalen, ebenso lebhaft wie seine Worte. Die Wiedergabe der Gespräche und Abenteuer wurde durch sein bedeutendes Schauspielertalent nur noch wirksamer gemacht; seine Stimme konnte jeden Ton und sein Gesicht jeden Ausdruck annehmen. Und mitten in der Erzählung konnte er in die melancholischsten Klagen ausbrechen und gelegentlich auch mit Hintansetzung aller Selbstachtung sich selber mit dem teuflischsten Spotte übergießen.

»Ich bin eben unter einem unglücklichen Sterne geboren – mein Leben ist ganz zwecklos – denn was ich erreichen will, steht noch in weitester Ferne«, klagte der Emir ein über das andere Mal.

»Das kommt daher,« erwiderte Tancred, »weil Sie einen ganz falschen Weg eingeschlagen haben. Ich zum Beispiel bin der festen Überzeugung, daß nichts Großes je durch Schlauheit erreicht werden kann. All dies Intrigieren, das Sie so meisterhaft zu verstehen scheinen, könnte Ihnen vielleicht an einem Hofe oder in einem oligarchischen Gemeinwesen etwas nützen, aber für eine freie Nation sind kräftigere und einfachere Mittel das einzig angemessene. Dieses Intrigensystem ist für Europa etwas ganz veraltetes. Es ist ein Aberglauben, den das unglückliche achtzehnte Jahrhundert uns hinterlassen hatte, jenes Zeitalter einer übermütig gewordenen Aristokratie. Und welches waren die Folgen? Aller Glauben an Gott und Menschen, alle Größe des Wollens, alle Hoheit des Denkens, alle Schönheit der Empfindung verdorrte in diesem fürchterlichen Kulturklima. Damals waren List und Intrige die einzigen Wege zum Erfolg. Aber wir leben in einem anderen Zeitalter: wir müssen heute an die Ideen des Volkes, wie unbestimmt diese auch sein mögen, appellieren; wir müssen auf jene erhabenen und ursprünglichen Mittel zurückgreifen und zu den Völkern wieder sprechen, wie die Helden und Propheten und Gesetzgeber des grauen Altertums es einst getan haben. Wenn Sie Ihr Land befreien und aus den Syriern ein unabhängiges Volk machen wollen, so dürfen Sie keine geheimen Agenten nach Paris und London schicken – denn der Niedergang dieser Städte ist vielleicht auch nur eine Frage der Zeit – nein, Sie müssen handeln, wie Moses und Mohammed.«

»Aber Sie vergessen die Religionen,« sagte Fakredin. »Ich habe mit so vielen Religionen zu tun. Wenn meine Leute alle Christen oder Mohammedaner oder Juden oder Heiden wären, so könnte ich, wie ich Ihnen gerne zugebe, etwas mit ihnen anfangen – ob das Kreuz, der Halbmond, die Arche oder ein alter Stein unser Symbol ist, das sollte mir höchst gleichgültig sein, ich würde es – welcher Art es auch immer sein mag – auf der Spitze des höchsten Berges in unserem Lande aufpflanzen und würde Damaskus und Aleppo mit dem ersten Schwertstreiche erobern! Aber ich kann mich keiner dieser Religionen bedienen, ich kann höchstens an das Nationalgefühl appellieren, und da meine verschiedenen Völker sich einander noch schlimmer hassen als die Türken, so kann dabei natürlich nicht viel herauskommen. Nationalität ohne Rasse ist wie der Rauch aus dieser Nargilehpfeife, ein verpuffendes Nichts und der schwächste der Beweisgründe. Es bleibt mir also nur persönlicher Einfluß übrig, denn ich stamme aus einer alten Familie, die lange Zeit die Macht in Händen hatte und über große Besitzungen verfügt; persönlicher Einfluß aber kann nur durch Umsicht und Klugheit oder was Sie als ›Intrigieren‹ gebrandmarkt haben, aufrecht erhalten werden und darum wird dasjenige Mitglied der Schihabfamilie schließlich Herr des Libanons werden, das dieses am besten versteht.«

»Und wenn Sie sich nur zum Herrscher des Libanons aufschwingen wollen, so mag das auch vollkommen genügen,« sagte Tancred, »ja, Sie brauchten sich vielleicht noch nicht einmal so viel Mühe zu geben, wie Sie es jetzt tun. Aber vor einer Stunde noch hatten Sie ganz andere Ideen im Kopfe: die Unabhängigkeit der orientalischen Völker sollte ihre Lebensaufgabe werden.«

»Ach!« rief Fakredin aus, »das sind die einzigen Ideen, für die man leben sollte.«

»Die Welt ist niemals durch Schlauheit erobert worden: die Welt wird nur durch den Glauben erobert. Und ich sehe, daß Sie an nichts glauben.«

»Glauben,« sagte Fakredin und verfiel in stilles Nachdenken, gerade, als ob dieses Wort zum ersten Male an sein Ohr gedrungen wäre. »Glauben! Das ist eine große Idee. Wenn man ihn nur haben und damit die Welt erobern könnte!«

»Sehen Sie!« sagte Tancred mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit, »ich würde keine Befriedigung darin finden, die Welt zu erobern, um eine Dynastie zu gründen: denn eine Dynastie geht, wie alles andere, zugrunde, ja sie dauert nicht einmal so lange wie manches andere: sie verfällt gewöhnlich noch schneller. Es gibt Gründe dafür – aber wir wollen uns jetzt nicht bei ihnen aufhalten. Man sollte die Welt erobern, nicht, um einen Mann auf den Thron zu setzen, sondern eine Idee – denn die Ideen sind unvergänglich. Aber welche Idee, fragt es sich da. Das ist der Probierstein für alle Philosophie! Unsere Völker platzen aufeinander, unsere Religionen sinken zusammen, der Katholizismus liegt im Sterben, der Protestantismus in Krämpfen, die Franzosen schreien nach Revolution, die Engländer nach Reformen – und aus all diesem Wirrwarr des unruhigen Europas hört ein geübtes Ohr nur einen Wunsch heraus, den Wunsch nach einem Manneswort, das aber keiner über die Lippen bringen kann! Wenn Asien in Trümmern liegt, so herrscht in Europa ein Drüber und Drunter! Eure Ruhe mag der Tod sein, aber unser Leben ist Anarchie!«

»Ich sinne soeben darüber nach,« sagte Fakredin, nachdem er eine Zeitlang vor sich hingegrübelt hatte, »wie wir in Syrien es fertig bekommen sollten, noch an irgend etwas zu glauben. Ich hatte z. B. an Mehemet Ali geglaubt, aber er ist ein Türke und das hat ihn gestürzt. Wenn der, anstatt eine Pascha-Rebellion zu machen, sich an die Spitze der Araber gestellt und das Kalifat wieder aufgerichtet hätte, dann hätten Sie etwas erleben können. Schwingen Sie sich zum Führer der Wüste auf und Sie können alles durchsetzen. Aber es ist so furchtbar schwierig. Sowie man aber erst die Stämme aus dieser Wüste heraus hat, so werden sie überallhin folgen. Sie wissen ja, wie sie alles vor sich herfegten, als sie das letzte Mal da herauskamen. Es war ein Samum, ein Chamsin, ein fataler, unwiderstehlicher Wüstenwind. Und die Araber sind heute noch genau so frisch wie damals. Die Araber sind überhaupt immer jung: es ist die einzige Rasse, die niemals alt wird. Ich bin selber ein Araber: einer meiner Vorfahren war der Fahnenträger des Propheten und das Bewußtsein, zu dieser Rasse zu gehören, ist noch mitunter mein einziger Trost.«

»Ich bin nur ein Araber von Religion,« sagte Tancred, »und auch mich hält das Bewußtsein meines Glaubens mitunter allein aufrecht. Aber, obwohl ich auf einer entfernten, nördlichen Insel geboren bin, weiß ich, daß der Schöpfer dieser Welt mit den Menschen nur in diesem Lande spricht – und das ist der Grund, warum ich hier bin.«

Der junge Emir warf einen forschenden Blick auf sein Gegenüber, dessen Gesicht, obwohl ernst, doch ruhig war. »Dann sind Sie also gläubig?« fragte er mit Nachdruck.

»Ich habe nur einen passiven Glauben,« sagte Tancred. »Ich weiß, daß es eine Gottheit gibt, die in verschiedenen Zeitaltern ihren Willen kundgegeben hat, aber was sie jetzt beabsichtigt, darüber befinde ich mich in vollkommenster Unklarheit. Es fehlt mir eben der aktive Glaube; ich weiß nicht, was ich tun soll, und ich würde in vollständige geistige Trägheit versunken sein, wenn ich mich nicht entschlossen hätte, gegen diese fürchterliche Notwendigkeit anzugehen und diese Pilgerfahrt zu unternehmen, die uns auf so merkwürdige Art und Weise miteinander bekannt gemacht hat.«

»Aber Sie könnten doch Ihre heiligen Bücher befragen?« fragte Fakredin.

»Es gab einst heilige Bücher, damals, als Jehova zu Salomon sprach und damals, als Jehova sich durch den Mund seiner Propheten kundtat; und der heiligen Bücher wurden noch mehr damals, als der Schöpfer zu erneuter menschlicher Erbauung eine ganz neue göttliche Literatur uns bescherte. Aber beinahe zweitausend Jahre sind seit dem Erscheinen des letzten heiligen Buches verflossen. Es ist ein größerer Zwischenraum als jener, der zwischen den Schriften Maleachis und denen des Apostels Matthäus liegt.«

»Der Prior des Maronitenklosters zu Mar Hanna hat mir oft gesagt, daß die Sendung Mohammeds keine von Gott gewollte hätte sein können, da unser Herr Jesus Christus selbst vorausgesagt hätte, daß nach ihm ›auch manche falsche Propheten erstehen‹ würden und uns so vor ihnen gewarnt hätte.«

»Der jüdische Fürst hat diese Worte gesprochen,« sagte Tancred, »und nicht der Erlöser dieser Welt. Er wollte damit nur sein eigenes Volk vor den falschen Messiassen warnen, weiter nichts. Denn Jesus hat durch sein Auftreten unter uns die Verbindung zwischen Gott und Mensch nicht nur nicht abschneiden, sondern im Gegenteil erst recht fest und unlöslich knüpfen wollen. Der Einfluß des heiligen Geistes, der uns zugleich tröstet und begeistert, hat erst mit der Himmelfahrt des göttlichen Sohnes begonnen, nicht aufgehört. In dieser Tatsache finden wir vielleicht die Erklärung dafür, warum nach jener Zeit keine heiligen Schriften mehr erschienen sind. Aber anstatt meinem Wunsche nach direkter Erleuchtung entgegenzutreten, ist dieser Umstand vielleicht nur dazu geeignet, sie zu befördern und zu verwirklichen.«

»Und woher wissen Sie, daß Mohammed kein gottgesandter Prophet war?« sagte Fakredin.

»Fern sei es von mir, die göttliche Sendung irgend jemandes aus Abrahams Samen in Abrede stellen zu wollen,« erwiderte Tancred. »Es gibt auch in unserer Kirche gelehrte Doktoren, die die göttliche Mission Mohammeds ehrlich anerkennen, allerdings sei sie nur – wie das ja alle göttlichen Missionen mit der einen Ausnahme gewesen sind – für ein begrenztes Gebiet der Erde bestimmt gewesen.«

»Gott hat also niemals zu einem Europäer gesprochen?« fragte Fakredin mit Nachdruck.

»Niemals.«

»Aber Sie sind doch ein Europäer?«

»Allerdings,« antwortete Tancred und seine Stimme erzitterte, während sein Gesicht erblaßte. »Allerdings. Und das ist ein Gedanke, der mir lange Zeit keine Ruhe gelassen hat. Damals, in England, als ich vergeblich um Erleuchtung flehte, hatte ich mich mit dem Glauben beruhigt, daß das höchste Wesen nur in seinem eigenen Heiligen Lande mir von seinem Willen Kunde geben würde – aber seitdem ich es betreten und mein inniges Gebet an jeder heiligen Stelle zum Himmel aufgestiegen und kein einziges gnädiges Zeichen mir zuteil geworden ist, hat sich meiner die traurige Ahnung bemächtigt, daß der Aufenthalt im Heiligen Lande nicht genügt, sondern daß man auch durch seine Abstammung zur Erleuchtung berechtigt sein müsse und daß der Andächtige, dessen Worte Erhörung finden sollen, nicht allein im Heiligen Lande niederknien, sondern noch dazu ein Angehöriger der heiligen Rasse sein müsse.«

»Ich bin ein Araber,« sagte Fakredin. »Das ist wenigstens etwas.«

»Wenn ich von Geburt und Religion ein Araber wäre,« erwiderte Tancred, »würde ich meine Zeit nicht daran verschwenden, Pläne zur Regierung von ein paar Bergvölkern auszuhecken.«

»Ich werde Ihnen etwas vorschlagen,« sagte der Emir, warf die Nargileh in die Ecke und sprang von seinem Diwan auf, »wir können das Spiel gewinnen, wenn wir die nötige Energie besitzen. Ich habe einen Gedanken, der das ganze Antlitz der Erde verändern und die Herrschaft über sie wieder dem Orient verschaffen könnte. Nur Energie müssen wir haben. Sie sind, obwohl nicht der Bruder der Königin, doch ein großer englischer Fürst und die Königin wird Ihren Worten stets ein geneigtes Ohr schenken, besonders, wenn Sie zu ihr ebenso eindringlich sprechen, wie zu mir und mit derselben wunderschönen Stimme. Niemals hat jemand zu mir so gesprochen und mich so wunderbar schnell über alles belehrt. Sie werden die Königin ebenso schnell für sich gewinnen, wie Sie mich gewonnen haben. Gehen Sie nach England zurück und versuchen Sie es. Sehen Sie, wie immer die Dinge auch kommen mögen: Eins ist sicher, daß es nämlich mit England aus ist. Es gibt drei Gründe dafür und an jedem einzigen dieser Gründe ist es genug. Primo: O'Connell wird die halben Einkünfte aus Ihrer Majestät Besitzungen in seine Tasche stecken. Secondo: die Baumwolle; die Welt wird der Baumwolle überdrüssig, denn ganz natürlich zieht jedermann die Seide vor, und ich bin sicher, daß der Libanon mit der Zeit die ganze Welt mit Seide versorgen könnte, wenn er nur in die richtige Verwaltung käme. Drittens: die Dampfmaschine, denn mittels dieser sind Ihre großen Schiffe richtige Noahsarchen geworden. Es ist aus mit euch; Louis Philippe kann das Schloß zu Windsor mit derselben Leichtigkeit und trotz widriger Winde im Kanal einnehmen, gerade wie ihr Akkra habt einnehmen können. Es ist also wirklich mit euch aus! Jetzt aber kommt mein coup d'état, der alles wieder retten kann. Suchen Sie aus Ihrer schwachen und unmöglichen Lage herauszukommen und vertauschen Sie sie mit einer anderen, die Ihnen die Herrschaft über ein großes und menschenreiches Land gewährt. Lassen Sie die englische Königin eine große Flotte sammeln, lassen Sie sie alle ihre Goldklumpen, silbernen Teller, Schätze und Waffen auf diese Flotte bringen und verpflanzen Sie ihr Reich und ihre Hauptstadt von England und London nach Indien und Delhi. Sie findet dort ein großartiges, fertiges Reich, ein erstklassiges Heer und ein großes Einkommen. In der Zwischenzeit werde ich mich mit Mehemet Ali verständigen. Ich werde ihm Bagdad und Mesopotamien überlassen und er kann außerdem seine Beduinenkavallerie in Persien einrücken lassen. Syrien und Kleinasien nehme ich unter meinen persönlichen Schutz. Die einzige Art und Weise, wie man mit den Afghanen fertig werden kann, ist mittels der Perser und Araber. Wir würden dafür die Kaiserin von Indien als unsere Suzeränin anerkennen und ihr die levantinische Küste überlassen. Wenn sie will, kann sie auch Alexandria bekommen, wie sie jetzt Malta hat – ja, das ließe sich schon machen! Ihre Königin ist jung; sie hat ein » avenir«. Aberdeen und Sir Peel werden ihr niemals diesen Ratschlag erteilen können; dazu sind sie zu alt und versteinert und auch zu » rusés«. Aber Sie sehen das ein: es ist das größte Reich, das je existiert hat, und zum Überfluß werden Sie dabei noch Ihre beiden Kammern los! Und sehr leicht ausführbar, denn die schwierigste Arbeit, die Eroberung Indiens, die einst Alexander solche Schwierigkeiten machte, ist schon getan!«


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