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Sechstes Kapitel

»Ich hätte Ihre Bekanntschaft schon in Jerusalem machen sollen,« sagte Tancred zu Besso, zu dessen Rechten er saß, »aber mein verspäteter Dank ist darum nicht minder herzlich.«

»Meine Tochter hat mir berichtet, Sie nähmen ein gewisses Interesse an unserem Volke und ich habe Sie darum zu unserem Feste gebeten.«

»Ich verstehe nicht, wie ein Christ kein Interesse an einem Volke nehmen sollte, das ihn unsterbliche Wahrheiten gelehrt hat.«

»Ach, edler Reisender, die übrige Welt hält dieses unser Verdienst für nicht so ausgemacht, als Sie.«

»Aber was verstehen Sie unter ›übriger Welt‹? Verstehen Sie darunter die Bewohner von Europa, das ein noch nicht ganz ausgerodeter Wald ist, oder die Bewohner Asiens, das eine einstürzende Ruine ist?«

»Die Eisenbahnen werden mit den Wäldern schon fertig werden«, sagte Besso.

»Und was soll aus der Ruine werden?« fragte Tancred.

»Gott wird dieses Land nicht vergessen.«

»Das ist Wahrheit; die Erde muß nach göttlichen Grundsätzen regiert werden und der Anstoß dazu kann nur von Asien ausgehen.«

»Wenn Ihre Regierung nur die orientalische Frage verstehen würde,« sagte der Herr Generalkonsul Laurella, der soeben einen halben Satz aufgeschnappt hatte, über den Tisch herüber zu Tancred. »Sie ist viel einfacher, wie Sie denken, und ich würde mich sehr freuen, bevor Sie nach England und in Ihr Parlament zurückkehren, mit Ihnen darüber etwas zu plaudern. Ich könnte Ihnen einige Sächelchen erzählen –« und hierbei warf er einen bezeichnenden Blick auf sein Gegenüber und hüllte sich dann in das bekannte diplomatische Schweigen. Tancred verbeugte sich.

»Ich für meinen Teil,« sagte Hillel Besso leichthin und zuckte dabei mit den Achseln, »halte die orientalische Frage nur für ein großes Imbroglio, das allein in den Kabinetten der Diplomaten existiert. Warum spricht man überhaupt von der orientalischen Frage? Es ist ja alles in schönster Ordnung. Es könnte uns doch noch schlechter ergehen, viel schlechter sogar, nicht wahr?«

»Ich freue mich unendlich, einmal wieder mit Ihnen allen zusammen sein zu können,« flüsterte Fakredin seiner Nachbarin, Madame Murad Farhi, ins Ohr. »Ich fühle mich hier wie zu Hause.«

»Und wir alle sind stolz darauf, Sie wieder in unserer Mitte begrüßen zu können, edler Emir.«

»Ich fürchte nur, der brave Signor Murad hat keine zu gute Meinung von mir«, fuhr Fakredin fort, der im Innern schon wieder an eine neue Anleihe dachte.

»Im Gegenteil, nobler Emir, mein Mann hat nie anders von Ihnen, als mit der größten Hochachtung gesprochen.«

»Ich selbst kenne keinen Mann, zu dem ich so viel Vertrauen hätte,« erwiderte Fakredin. »Unsern lieben Wirt, der in Wirklichkeit mein Vater ist, ausgenommen, kenne ich niemand, auf dessen Urteil ich so viel gäbe. Ich wünschte, liebe Madame Murad, Sie würden ihm meine Worte wiedererzählen, denn mir ist wirklich an seiner Achtung viel gelegen.«

»Mir gefällt sein Haar besonders«, flüsterte Therèse Laurella ziemlich vernehmbar über die dicke, ewig-lächelnde Madame Picholoroni hinweg zu ihrer Schwester.

»Solch ein Anblick tut einem wohl neben unseren schrecklichen Turbanen.«

»Und sein Anzug ist so kleidsam. Ich verstehe nicht, wie irgend ein zivilisiertes Wesen Sachen wie die unsrigen tragen kann, die aussehen, als ob sie aus einer Theatergarderobe stammten.«

»Nun, nun, Sophonisbe,« sagte der vernünftige Moses Laurella, »ich meinerseits bewundere die Franken ungemein, aber ich muß doch das eine sagen, daß gerade ihre Kleidung nicht ihre stärkste Seite ist.«

»Ach, liebster Onkel,« sagte Therèse, »sieh doch bloß diese prächtige weiße Krawatte. Was haben wir dagegen aufzuweisen? Sie ist so einfach, so distinguiert! Welch ein Geschmack! Und die Stiefel! Vergleiche sie einmal mit unseren entsetzlichen Pantoffeln, die mit Perlen und allerhand Unsinn überladen sind, während die Frankenstiefel in ihrem prächtigen, natürlichen Glanze erstrahlen!«

»Er muß sich hier entsetzlich ennuyé fühlen«, sagte Therèse zu Sophonisbe mit einem bezeichnenden Blicke.

»Sicherlich: keine Bälle, keine Oper – er tut mir wirklich leid. Warum er nur überhaupt hergekommen ist?«

»Vielleicht hat er eine geheime Liebe,« sagte Therèse; »er sieht unglücklich aus.«

»Und dabei sitzt er noch gerade unter lauter Leuten, mit denen er nichts gemeinsam haben kann.«

»Ausgenommen Herr Hillel Besso,« sagte Therèse. »Das scheint ein ganz gebildeter Mann zu sein, ich habe vor dem Essen mit ihm einige Worte gewechselt. Er ist einen Winter hindurch in Pera gewesen und hat dort alle Bälle mitgemacht.«

»Lord Palmerston hat die orientalische Frage bis zu einem gewissen Grade verstanden,« sagte der Generalkonsul Laurella, »aber wäre ich im Dienste der Königin von England gewesen, ich hätte ihn doch noch auf verschiedenes aufmerksam machen können –« und damit verfiel er wieder in sein mysteriöses Schweigen.

»Dieses ewige Schwatzen über Lord Palmerston ist mir zuwider,« sagte der Emir unmutig, »gibt es denn außer Palmerston gar keine anderen Staatsmänner in der Welt? Und was kann jemand von der orientalischen Frage verstehen, der niemals im Orient war?«

»Das, nobler Emir, sind Fragen der hohen Diplomatie. Die können nur von Kabinetten, die ihre Tradition haben, entschieden werden.«

»Ich könnte die orientalische Frage in einem Monate beilegen, wenn ich wollte«, sagte Fakredin.

Der Herr Generalkonsul lächelte überlegen und sagte dann: »Aber die Frage ist, was eigentlich die orientalische Frage ist?«

»Ich meinerseits,« sagte Hillel Besso in seiner gewöhnlichen, epigrammatischen Form, »sehe nicht ein, warum man sie überhaupt lösen soll.«

»Die orientalische Frage heißt soviel als: wer soll im Mittelmeer herrschen?« sagte der Emir. »Es gibt nur zwei Mächte, die das können: Syrien und Ägypten. Die Engländer, die Russen, die Franken, Ihre Freunde, die Österreicher, sind weiter nichts als Fremde. Sie kommen und gehen wieder – aber Syrien und Ägypten bleiben.«

»Ägypten hat es ja versucht – aber ohne Erfolg.«

»Darum sollte Syrien es einmal probieren und es wird mehr Glück haben.«

»Werden Sie, edler Herr, bevor Sie den Orient verlassen, noch Ägypten besuchen?« fragte Besso Tancred.

»Ich habe noch gar nicht an meine Rückkehr gedacht, aber ich würde Ägypten gerne sehen. Es ist ein Land, das wir in Europa nicht gut verstehen. Und es hat sich sehr verändert.«

Besso schüttelte den Kopf und lächelte.

»Ägypten,« sagte er, »ändert sich nicht. Es ist dasselbe Land heute wie damals zur Zeit der Pharaonen: es wird nach denselben nationalökonomischen Grundsätzen verwaltet wie damals und hat noch heute seinen jüdischen Premierminister.«

»Einen jüdischen Premierminister!«

»Aber gewiß: Artim Bey, der jetzige Premier von Ägypten, der früher des Paschas Gesandter in Paris war und bei weitem der tüchtigste Politiker in der Levante ist. Er ist nicht nur der Nachfolger Josephs, sondern auch sein Nachkomme.«

»Dann muß man ja seinen Namen ebenfalls auf die von Ihrem Freund Sidonia zusammengestellte Liste moderner jüdischer Staatsmänner setzen«, sagte Tancred.

»Ja, ja, wir haben unseren Anteil an der Regierung dieser Welt«, sagte Besso.

»Mir scheint, Sie regieren jedes Land, ausgenommen Ihr eigenes«, erwiderte Tancred.

»Und auch das hätte man im Jahre achtzehnhundertundneununddreißig erreichen können,« murmelte Besso, »aber warum sollen wir uns über ein Thema unterhalten, das Sie doch kaum interessieren kann.«

»Kaum interessieren!« rief Tancred. »Es gibt überhaupt kein anderes Thema, das mich mehr interessiert. Schon vor sechshundert Jahren interessierte die Regierung dieses Landes einen meiner Vorfahren und er kam hierher, um sie zu übernehmen.«

Die Sterne glänzten schon am Himmel, als sie Bessos arabisches Zelt verließen. Die Luft war so warm und unbewegt wie an einem englischen Sommermittag, und die Pavillons der Terrassen erglänzten im Scheine tausender von bunten Lampen, überall lagen farbige Teppiche und üppige Kissen für jene bereit, die liegend der Ruhe pflegen wollten; eine Gelegenheit, die die Brüder Farhi und die Mehrzahl der Männer gerne benutzten und bei welcher wieder ungezählte Nargilehs geraucht wurden. Der Generalkonsul Laurella erbat sich die Erlaubnis, Lord Montacute seinen beiden Töchtern Therèse und Sophonisbe vorstellen zu dürfen, die ihrerseits, um Tancred zu beweisen, daß Damaskus doch nicht ganz so barbarisch sei, wie er annehme, ihn ausschließlich von neuen Tänzen und der letzten Oper unterhielten. Tancred seinerseits hätte bei einer solchen Unterhaltung nur den stillen Teilnehmer abgeben können, aber glücklicherweise ersuchte man jetzt die jungen Damen, der Gesellschaft etwas vorsingen zu wollen, einer Aufforderung, der sie erst nach vielen Weigerungen, unter der Betonung, daß sie heute nicht bei Stimme seien und daß man eigentlich nur in einem Zimmer singen könne, Folge leisteten.

»Ich meinerseits,« bemerkte Hillel Besso mit großem Selbstbewußtsein, »finde Musik im Zimmer äußerst angenehm, aber ich muß hinzufügen, daß sie in der freien Luft ebenfalls ihren großen Reiz hat.«

Tancred benutzte die Unterbrechung, um sich Eva zu nähern, die gerade im Gespräche mit der sanftäugigen Schwester Hillels und Madame Nassim Farhi begriffen war. Die drei Frauen bildeten eine Gruppe, die in den Salons Europas wie in den Harems Asiens wohl nicht ihresgleichen gefunden hätte.

»Die Fräulein Laurella sind sehr gebildete Damen,« sagte Tancred, »aber in Damaskus möchte ich nicht gerne etwas anderes als Posaunen und Psalter hören.«

»Aber auch bei Ihnen in Europa behandelt die schönste Musik unsere Geschichte«, sagte Eva.

»Natürlich,« sagte Tancred, »die Musik allein läßt solchen Stoffen Gerechtigkeit widerfahren. Die profane Feder weiß nichts mit ihnen anzufangen.«

»Die Fräulein Laurella haben einmal ein Gebet gesungen, das Gebet Moses' in Ägypten,« sagte Madame Nassim bescheiden. »Es ist sehr schön.«

»Vielleicht singen sie uns das vor,« sagte Eva. »Ich werde Hillel zu ihnen schicken, um sie darum zu bitten.« Mit diesen Worten winkte sie Hillel zu sich heran, der auch sofort auf sie lostänzelte und ihren Wunsch mit herablassendem Hochmut entgegennahm.

»Zunächst werden sie uns mit Don Pasquale aufwarten,« sagte er und zuckte dabei die Achseln. »Ein Gebet ist eine hübsche Sache, aber ich meinerseits halte in Anbetracht der vorgerückten Stunde eine Serenade für angemessener.«

»Und wie gefällt Ihnen mein Vater?« fragte Eva Tancred mit etwas unsicherer Stimme, indem sie aber doch gleichzeitig einen stolzen Blick auf ihn warf.

»Er ist genau so, wie ihn Sidonia mir beschrieben hat; wert, nicht allein Ihr Vater, sondern der Vater des ganzen Menschengeschlechts zu sein.«

»Die Moslem erzählen, daß nahe bei Damaskus das Paradies gelegen war,« sagte Madame Nassim, »und daß Adam aus unserer roten Erde geformt wurde.«

»Er hatte schon immer den Wunsch, Sie kennen zu lernen,« sagte Eva, »er hatte Sie eigentlich gar nicht heute erwartet, und Ihr Besuch ist ihm darum doppelt angenehm.«

»Wir hätten uns schon früher kennen lernen sollen,« sagte Tancred. »Ich hätte sofort nach meiner Ankunft in Jerusalem Ihnen meine Aufwartung machen sollen. Das war mein Fehler und ich habe dafür büßen müssen. Ich verdiene wahrlich nicht das Glück, Sie kennen gelernt zu haben.«

»Nun, es ist doch schön, daß wir uns doch alle noch schließlich getroffen haben,« sagte Eva, »und daß Sie uns jetzt etwas besser verstehen. Wenn Sie nach England zurückkehren, so werden Sie uns verteidigen, wenn man uns verleumdet, nicht wahr? Sie werden nicht dulden, daß man uns verfolgt, wie vor ein paar Jahren, wo man verbreitet hatte, wir kreuzigten ihre Kinder zu unserem Passahfeste.«

»Ich werde nicht nach England zurückkehren,« sagte Tancred und errötete dabei, »und wenn man Sie verfolgen sollte, so hoffe ich imstande zu sein, Sie hier zu verteidigen.«

Der klare Himmel, die weichen Lüfte, die farbigen Blumen und glänzenden Juwelen ringsherum, dazu die reichen Seidenkleider und die üppige Musik, und all der Glanz und Luxus vereint, schufen eine Szene, die auf Tancred durch ihre Neuheit wie ihre Schönheit einen tiefen Eindruck machte. Ein prächtiger Ton im Gesange von Therèse Laurella unterbrach für einen Augenblick ihre Unterhaltung; solange er noch im Ohre tönte, war alles still. Dann sagte Tancred zu Hillels sanftäugiger Schwester: »Um das Wunder vollzumachen, fehlen jetzt nur noch Ihre schönen Kinder.«

»Sie schlafen,« erwiderte die Dame, »und sie verlieren wenig dadurch, daß sie nicht hier sind, denn sie träumen sicherlich, wie die Königin von Saba, von Musik und Blumen.«

»Man sagt, daß die Kinder unserer Rasse die schönsten der Welt sind,« sagte Eva, »aber wenn sie heranwachsen, so halten sie nicht, was sie versprochen haben.«

»Das wäre wohl auch kaum möglich«, sagte die sanftäugige Mutter.

»Es ist das Bewußtsein der Schmach, das über sie kommt und ihre blendende Schönheit trübt,« sagte Eva. »Statt Freude und Heiterkeit weist das Antlitz des jungen Hebräers bald den Ausdruck der Angst und Unsicherheit auf und die Schande drückt ihr Siegel darauf ein. Denn schon in ihrer frühen Jugend hat sich ihnen das schreckliche Geheimnis enthüllt, daß sie zu einer in der Verbannung lebenden und verfolgten Rasse gehören – und dies Gefühl drückt besonders unsere niedrigeren Klassen. Die Kinder unseres Hauses werden in edlen Gedanken und Achtung vor sich selber erzogen. Ihr Antlitz wird sich später nicht mehr ändern.«

Und was konnte man von dem Antlitz jenes weiblichen Wesens sagen, aus dessen Mund diese braven Worte kamen? Es hätte den Weisesten außer Fassung bringen können. Tancred betrachtete es mit ernster und doch liebevoller Hingabe. Alle seine göttlichen und heroischen Gedanken regten sich in ihm beim Anblick dieses Weibes wieder. Alle jene Umstände, die ihn mit ihr in Berührung gebracht hatten, von ihrem ersten Zusammentreffen in Bethanien an bis zu der heutigen Festesstunde kamen ihm wieder in das Gedächtnis zurück. Seine Gedanken schweiften wieder zurück zu den Ruinen der arabischen Wüste, er sah sie wiederum vor sich wie damals, als er, gerade durch ihre Hilfe gerettet, aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte und sie ihn mit ihrem süß bekümmerten Blicke so zärtlich betrachtet hatte. Jetzt trafen sich ihre Augen wieder und Lord Montacutes Gesicht nahm einen unbeschreiblichen Ausdruck an. Er seufzte.

In diesem Augenblicke traten Hillel und Fakredin in heiterster Stimmung auf sie zu. Mit gezierter Grazie reichte er Eva die Hand und sagte dabei: »Meine Damen, wenn Sie die Güte haben wollten, uns zu folgen, so werde ich Ihnen ein Faß Wein zeigen, das soeben von Marseille angekommen ist und das die liebenswürdige Eva nach Aleppo mitnehmen wird. Es ist speziell für mich von der Frau des österreichischen Botschafters, der jetzt in Paris ist, ausgesucht worden. Ich meinerseits sehe in den Diplomaten den einen großen Nutzen, daß sie mitunter einen exotischen Auftrag für einen ausführen können.«

Mit diesen Worten führte Hillel Eva hinweg, seine Schwester und Madame Nassim folgten ihm. Tancred und Fakredin blieben allein zurück.

»Wer ist der Mann?« fragte Tancred.

»Ihr Verlobter,« sagte der Emir, »er hat mir die Braut geraubt, die von Rechts wegen mir zukam. Hoffentlich aber wird Besso, wenn sie verheiratet ist, mich an Sohnes Statt annehmen, denn ich bin ja in gewissem Sinne sein Sohn, da seine Frau meine Pflegemutter war. Wenn er mir nicht sein Vermögen hinterläßt, so sollte er wenigstens alle meine Schulden in Syrien übernehmen. Sind Sie nicht derselben Meinung, Tancred?«

»Wie meinen Sie?« erwiderte Tancred mit träumerischem Blicke.

Aus der Ferne ertönte jetzt lautes Gelächter.

»Kommen Sie, kommen Sie,« sagte Fakredin, »sehen Sie nur, wie sie alle um das Faß herumstehen. Sogar Nassim Farhi ist aufgestanden. Ich muß einmal mit ihm reden: denn der Mann hat mitunter Gefühle, wenigstens mehr als sein Bruder Murad, der ein Stein, wenn auch ein kostbarer Stein ist. Schade, daß man diesen Murad auch nicht einmal mittels seiner Frau magnetisieren kann, denn sie hat nicht eine einzige Idee im Kopfe – während Madame Nassim auf der anderen Seite äußerst aufnahmefähig veranlagt ist. Kommen Sie, Tancred, kommen Sie.«

»Ich komme.«

Anstatt aber seinem Freunde zu folgen, betrat Tancred einen jener Marmorpavillons, die sich in jeder der vier Ecken der Terrasse erhoben und von denen aus man eine prächtige Übersicht auf die glitzernde Gartenstadt hatte. Der Mond war über der beispiellos schönen Landschaft aufgegangen – die weißen Minaretts glänzten hell in seinem Lichte und die mächtigen Kuppeln der Moscheen, die sein Strahl unberührt ließ, waren im Vergleich dazu so schwarz wie die Zypressenwälder, aus denen sie sich erhoben. In der weiten Ferne und hinter der fruchtbaren, näher gelegenen Ebene bemerkte man die Wüste, die hell wie der Horizont auf der See aussah, und wo diese nicht war, gaben die Libanon- und nördlichen Gebirgsketten dem Bilde einen passenden Hintergrund.

Tancreds Antlitz sah mehr als ernst aus, denn es war traurig. Er lehnte sich gegen eine der umkränzten Marmorsäulen, seufzte und murmelte: »Wenn ich du wäre, o schönes Damaskus, so sollte mich Aleppo nicht dieses Edelsteines berauben! Aber ich muß diese Gedanken bei der Wurzel aus meinem Herzen reißen, um das eine fest im Auge zu behalten, daß ich für andere Taten bestimmt bin.«


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