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Zehntes Kapitel

Tancred hatte von der geschickten Angriffsweise der Kinder Rechabs in den Pässen des steinigen Arabien gelernt und die türkischen Truppen in dieselbe Art des Hinterhalts gelockt. Er hatte zunächst allerlei falsche Nachrichten verbreiten lassen und sodann an der Grenze dem Pascha einen scheinbaren Widerstand entgegengesetzt, so daß dieser seine Leute arglos in die Berge eindringen ließ. Tancred war es selbst gelungen, den Pascha in einen ganz bestimmten Paß hineinzulocken, denn seine Spione hatten dem türkischen Anführer versichert, daß die Besetzung gerade dieses Passes den Ansari gänzlich entgangen sei. Diese Manöver waren denn auch, wie die vollkommene Niederlage der Türken bewies, von bestem Erfolge gekrönt. Tancred hatte sie, an der Spitze seiner Kavallerie, bis in die Ebene verfolgt, hatte aber, bevor er die Berge verließ und die Verfolgung unternahm, einen kurzen Halt gemacht, einen Boten an die Königin geschickt und ihr, unter Übersendung der eroberten Roßschweife des Paschas, von seinem Siege Bericht erstattet.

Während nun Tancred mit wenigen Leuten hinter sich über die Ebene galoppierte und eine in panischen Schrecken versetzte türkische Abteilung, die übrigens weit stärker war als die seinige, vor sich hertrieb, kam zufällig eine starke Schwadron türkischer Kavallerie aus den Bergen in die Ebene zurück. Diese nämlich war in die Berge auf einem anderen Wege eingedrungen, und ihr Befehlshaber hatte, sobald er von der Niederlage des Hauptkorps gehört hatte, es für richtig befunden, sich wieder zurückzuziehen und eine abwartende Haltung einzunehmen. Hätten jetzt die von Tancred Verfolgten die Ihrigen erkannt, hätten sie kehrt gemacht und sich ihrerseits gegen ihn gewendet, so wäre ein Entrinnen unmöglich gewesen. Glücklicherweise blieben die gehetzten Türken unter dem Eindruck, daß ihre Verfolger nur noch Verstärkung erhalten hätten, so daß sie durch das Eintreffen ihrer eigenen Truppe eigentlich noch mehr in Verwirrung gesetzt wurden. Schließlich aber hätten sie sich doch von ihrem Irrtum überzeugen müssen, so daß Tancred in die höchste Gefahr geraten wäre, wenn nicht Baroni, dessen schneller Blick sofort die gefährliche Lage erkannt hatte, ihn gewarnt hätte.

»Mylord, wir sind umzingelt; es gibt jetzt nur einen Ausweg für uns. In die Berge können wir nicht zurück, und wenn wir weiter vorgehen, so kommen wir immer weiter in feindliches Gebiet, wo wir schließlich einer Überzahl unterliegen müssen. Wir können uns jetzt nur nach Osten zu in die Wüste retten.«

Tancred machte halt und sah sich um: er hatte kaum zwanzig Mann bei sich. Die ihnen nachfolgende türkische Kavallerie, die an hundert Mann stark war, hatte ihre Beute schon aufs Korn genommen und versuchte, ihnen anscheinend den Rückzug abzuschneiden.

»Gut,« sagte Tancred, »wir sind gut beritten und wollen einmal probieren, was wir aus unseren Gäulen herausholen können. So leb denn wohl, Gindarics! So leb wohl, Gott des Olympus! Auf – und in die Wüste zurück, die ich niemals hätte verlassen sollen! Mit diesen Worten galoppierte er und seine Schar nach Osten zu.

Sie hatten einen solchen Vorsprung, daß ihre Verfolger, trotzdem sie sich redliche Mühe gaben, ihnen nicht nachkommen konnten. Die aus immer weiterer Ferne kommenden Flintenschüsse kündigten denn Tancred und den Seinigen auch bald an, daß die Verfolger ihre Jagd aufgegeben hatten. Die Nacht brach jetzt herein, und drei Stunden später erreichten die Flüchtlinge einen Brunnen, der sich in der Nähe eines Dorfes befand, aus dem sie sich einige Lebensmittel verschaffen konnten. Eine Stunde vor der Morgendämmerung brachen sie wiederum auf und kamen jetzt durch ein flaches Land, das aber nur halb bebaut war und hier und da Dörfer, die in Dickichten von indischen Feigen versteckt dalagen, aufwies.

Es war am Anfang Dezember und das Land sehr ausgetrocknet, aber die kurze, heftige Regenzeit stand vor der Tür, und diese verjüngt in einer einzigen Woche den ganzen Anblick der Natur und versorgt Palästina mit genügend Wasser, so daß der Regen, der in anderen Gegenden über das ganze Jahr verteilt ist, hier nur während einer ganz kurzen Zeit herniedergeht. Tancred und seine Begleiter kamen jetzt durch sehr unfruchtbares und beinahe wüstes Land, dessen mächtige Ebene nur von einigen Herden und hier und da einem wandernden Turkomanen- oder Kurdenstamm belebt war. Sie durchritten es in drei Tagen und kamen gegen Sonnenuntergang des dritten Tages an einen breiten, palmenbesetzten Fluß, der ein Nebenfluß des Euphrat war.

Das umgebende Land bestand aus einer Reihe leichter Hügel, die mit spärlichen, jetzt dazu noch von der Hitze vollständig versengten Kräutern bestanden waren. Tancred ging einen der höheren Hügel hinan, von dem er einen weiteren Überblick gewinnen konnte und bemerkte, daß sich dieselbe Art Gegend nach Süden hin unbegrenzt weiter erstreckte.

»Die syrische Wüste!« sagte Baroni. »Vierzehn Tage später wird dasselbe wüste Land hier mit Blumen und allerlei würzigen Kräutern bedeckt sein.«

»Mein Herz schlägt höher und leichter,« sagte Tancred. »Was ist Damaskus mit alle seiner Pracht verglichen mit dieser süßen Freiheit!«

Sie verließen jetzt die Flußufer und ritten nach Süden zu weiter, so daß sie bis in das Innerste der Wüste gelangten; am folgenden Tage aber trafen sie wieder auf die Ufer des Flusses, der inzwischen einen großen Bogen beschrieben hatte. Und jetzt bot sich ihrem Auge eine wunderbare Szene dar: so weit es reichen konnte, sah es nichts wie unzählige Zelte; Herden von Kamelen kamen vom Ufer des Flusses zurück oder gingen auf dasselbe zu; eine Unmenge Pferde stand in Haufen beieinander, Frauen gingen mit Wassergefäßen auf dem Kopfe zu den palmenbesetzten Wassern herab, dazu Schwärme von Kindern, bellenden Hunden, sowie unzählige Herden, während hier und da ein kühner Reitersmann auf seinem Rosse um das mächtige Zeltlager herumsprengte.

Als Tancred dieser arabischen Ansiedlung zum ersten Male ansichtig wurde, war weit und breit kein Mensch zu sehen – aber plötzlich sprang eine Abteilung Berittener hinter einem Hügel hervor und galoppierte auf sie zu, um zu erfahren, wer sie seien.

»Wir sind Brüder,« sagte Baroni, »denn wer kann der Gebieter so vieler Kamele sein, wenn nicht der Herr der syrischen Weiden?«

»Es gibt nur einen Gott,« sagte der Beduine, »und niemand anders sind die Herren der syrischen Weiden, als die Kinder Rechabs.«

»In Wahrheit: es gibt nur einen Gott,« sagte Baroni, »geh und berichte dem großen Scheik, daß sein Freund, der englische Fürst, hierhergekommen ist und ihm das Friedenssalam entbieten läßt.«

Die Beduinen galoppierten mit Windeseile zurück und verloren sich bald im Gewirr der Zelte.

»Alles geht gut,« sagte Baroni, »heute nacht werden wir mit Amalek in seinem Zelte essen.«

»So statte ich ihm endlich einmal einen Besuch auf seinem prächtigen Weidenplatze ab,« sagte Tancred, »aber leider! ich besuche ihn allein!«

Sie waren jetzt gerade im Begriff, langsam auf das Lager zuzureiten, als sie in der Ferne einen Trupp Berittener bemerkten, der sich gerade von der äußersten Grenze des Feldlagers loslöste. Es war Amalek selber, der es sich nicht nehmen lassen wollte, Tancred persönlich willkommen zu heißen. Der würdige Mann ritt auf seinem schönsten Rosse heran, und in seiner Begleitung befanden sich einige der obersten Scheiks seines Stammes; das Auge des alten Häuptlings blitzte vor Freude, als er, näher gekommen, Tancred erblickte, mit seiner Hand ihm würdevoll zuwinkte und seine Hand aufs Herz legte.

»Tausend Salams!« rief er aus, sowie er bei Tancred angekommen war, »es gibt nur einen Gott. Ich drücke dich an mein Herz der Herzen. Es gibt noch andere Freunde, aber sie sind nicht hier.«

»Salam, großer Scheik! Ich fühle, wir sind wirklich Brüder. Es gibt Freunde, von denen wir sprechen müssen, ebenso von vielen anderen Dingen.«

Während sie so, Seite an Seite reitend, miteinander sprachen, waren sie an das Lager gekommen. Es waren in dieser Wildnis ungefähr fünftausend Leute versammelt, und zweitausend Krieger waren auf einen Befehl hin bereit, ihre Lanzen aufzupflanzen. Die Anzahl der Pferde war ebensogroß und die der Kamele zehnmal größer. Die Wildnis hier war der hauptsächlichste Ruheplatz des großen Scheiks, denn der Wasserreichtum und das vergleichsweise üppige Weideland erlaubte es ihm, hier einen großen Teil seines Stammes um sich versammeln zu können.

Bald waren die Lampen angesteckt und überall herum flackerten die Feuer auf; schon hatte man Schafe getötet, Brot gebacken, Kaffee gemahlen und Tancred die Ehrenpfeife überreicht. Die Festmahlzeit war, jedenfalls für Arabien, besonders lang und reichlich gewesen. Allmählich aber zogen sich die Gäste zurück, die Frauen hörten auf, durch die Gardinen hereinzugucken, und die Kinder waren zu müde geworden, um Baroni um Bakschisch anzubetteln. Amalek und Tancred blieben schließlich allein zurück, worauf der große Scheik, der bisher keinerlei Neugierde über die unerwartete Ankunft seines Gastes an den Tag gelegt hatte, das Gespräch eröffnete: »Alles zu seiner Zeit, Essen, Trinken und auch Beten. Aber mitunter ist es auch an der Zeit, eine Frage zu stellen, zum Beispiel diese hier: Warum ist der Bruder der englischen Königin in der syrischen Wüste?«

»Man kann viel erzählen, wie man viel fragen kann,« sagte Tancred, »aber bevor ich von mir selber spreche, teile mir mit, ob du irgend welche Nachricht von Eva, der Tochter Bessos, mir übermitteln kannst.«

»Wohnt sie nicht in einem Hause mit vielen Diwans?« fragte Amalek.

»Leider nein!« sagte Tancred. »Sie war eine Gefangene und ist jetzt eine Flüchtige.«

»Welche Kinder Gins haben diese Tat getan? Trinken etwa fremde Kamele aus meinem Brunnen? Hat irgend ein verfluchter Kurde ihre Schafe gestohlen, oder hat irgend ein Turkomane, der schwärzer als die Nacht ist, nach ihren Armbändern Verlangen getragen?«

»Nichts von alledem, und dennoch mehr als alles dies. Ich werde dir alles erzählen, großer Scheik, und doch, bevor ich es dir erzähle, sage mir doch, kannst du mir Nachricht von Eva, der Tochter Bessos, verschaffen?«

»Kann ich einen Pfeil abfeuern, der seines Zieles sicher ist?« fragte Amalek. »Sage mir die syrische Stadt, in der Eva, die Tochter Bessos, zu finden ist, und ich werde einen Boten zu ihr schicken, der sie selbst im Bade ausfindig machen wird, wenn sie gerade darin sein sollte.«

Tancred beschrieb darauf dem großen Scheik in raschen Zügen, was Eva zugestoßen war und gab gleichzeitig seiner Befürchtung Ausdruck, daß sie in die Hände der Türken gefallen sein könnte. Amalek entschied sich dahin, daß sie in Aleppo sein mußte, entbot sofort einen seiner Häuptlinge zu sich und gab ihm Befehl, einen geschickten Kundschafter dorthin entsenden zu wollen.

»Bevor der zehnte Tag zu Ende gegangen sein wird,« sagte der große Scheik, »werden wir sichere Nachricht haben. Und jetzt erzähle uns, o Fürst von England, wie du in die Gegenden jener Höllenkinder, der Ansari, gelangt bist, dieser Ansari, die, wie man wohl weiß, Iblis Der Teufel der Mohammedaner. in der gemeinsten Weise verehren.«

»Es ist eine lange Geschichte,« sagte Tancred, »aber ich werde sie doch erzählen müssen. Aber nun, großer Scheik, da du mir den Gefallen getan hast, nach Aleppo um Kundschaft zu schicken, kann ich kaum vergessen, daß ich mehr als drei Tage und nur mit kurzer Unterbrechung geritten bin. Ich bin – leider! – kein wirklicher Araber, obgleich ich Arabien und arabische Gedanken aufs innigste liebe, und obwohl ich herzlich froh bin, daß ich so zufällig Gelegenheit gefunden habe, dich, mein werter Freund, noch einmal wiederzusehen. Ja, ich weiß nicht, was mir, ohne dieses Wiedersehen, widerfahren wäre, denn ich fühle in diesem Augenblick mit Sicherheit, daß ich die Strapazen der letzten Tage und die Schlaflosigkeit der Nächte nicht mehr lange hätte ertragen können. Wenn jetzt Eva in Sicherheit ist, so bin ich es zufrieden – aber was ist Zufriedenheit, was ist Leben, was ist der Mensch? Wahrhaftig, großer Scheik, je länger ich lebe und je mehr ich denke – –« in diesem Augenblicke fiel der Tschibuk aus Tancreds Munde, und er sank übermüdet auf den Teppich zurück.


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