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Sechstes Kapitel

Tancred und Fakredin waren einige Tage lang von Gindarics abwesend gewesen, während welcher sie einen Ausflug in die Nachbarschaft gemacht hatten, um verschiedene Stammesoberhäupter kennen zu lernen, deren Hilfe ihnen einmal später von Vorteil sein konnte. Nun, da er aus dem Mittelpunkt so mancher Leidenschaften und Intrigen entfernt war und so mancherlei neue Eindrücke auf ihn einstürmten, nun, da er im übrigen des Erfolges seiner Bestrebungen ziemlich sicher und in Tancreds ständiger Nähe war, wurde das Benehmen des jungen Emirs seinem Freunde gegenüber wieder sanfter, liebenswürdiger und herzlicher. Sie waren übrigens gerade in diesem Augenblick wieder in die Nähe der Palastfestung der Astarte zurückgekommen, sie gaben darum ihren schönen Pferden die Sporen und galoppierten ihren Dienern voran über die Ebene, bis sie an das große Eisentor kamen, wo sofort Fackeln angezündet und andere Vorbereitungen für den Durchgang durch den Tunnel getroffen wurden.

Als sie den Haupthof betraten, bot sich ihnen ein überraschendes Bild: eine Gruppe entwaffneter türkischer Soldaten stand zwischen ruhenden Kamelen, herumliegenden Gepäckstücken, gesattelten Pferden herum, Bewaffnete der benachbarten Bergstämme bildeten die Wache.

»Was bedeutet dies?« fragte Fakredin.

»Es ist der Harem des Paschas von Aleppo,« erwiderte der Soldat, »wir haben ihn in der Ebene abgefangen und ihn hier in die Berge zu unserer Königin der Königinnen gebracht.«

»Der Krieg beginnt«, sagte Fakredin und sah blitzenden Auges Tancred dabei an.

»Die Weiber führen mit den Weibern Krieg«, erwiderte dieser.

»Das ist der Anfang,« sagte der Emir, »und wie man anfängt, ist mir einerlei. Die Weiber sind eben überall der Grund. Wenn mir nicht des Sultans Mutter dazwischen gekommen wäre, so wäre ich jetzt der Fürst des Berges.«

Sowie sie auf ihre Zimmer gegangen waren, erschien auch der hoheitsvolle Keferinis, sie zu ihrer Rückkehr zu beglückwünschen. Der Minister war heute außerordentlich zurückhaltend und hüllte sich besonders über das große Ereignis in mysteriöses Schweigen, so daß die Reisenden, trotzdem sie allerlei mit ihm besprachen, von dieser Geschichte nichts zu erfahren vermochten.

»Die Gefangennahme eines Paschaharems ist nicht auf Sand gegossenes Wasser, edler Keferinis,« sagte der Emir. »Wir werden dann noch mehr zu hören bekommen.«

»Was wir zu hören bekommen werden,« erwiderte Keferinis, »liegt gänzlich im Schoße der Zukunft verborgen – auch kann es nicht geleugnet werden, daß es wenige Menschen gibt, die mit derselben Leichtigkeit die Zukunft prophezeien können, mit der sie sich an die Vergangenheit erinnern.«

»Man kann mitunter bemerken, daß die Gabe der Erinnerung eine ebenso seltene ist als die der Prophezeiung«, sagte Tancred.

»In England,« erwiderte der hoheitsvolle Keferinis, »aber es sollte nicht vergessen, im Gegenteil immer vor Augen gehalten werden, daß die Engländer ein junges Volk sind und nicht zu vielerlei haben, an das sie sich erinnern könnten.«

Tancred verneigte sich.

»Und wie geht es Ihrer Majestät der Königin der Königinnen?« fragte Fakredin.

»Die gnädigste Königin der Königinnen,« erwiderte Keferinis geheimnisvoll, »hat in diesem Augenblicke mancherlei Gedanken.«

»Wenn sie Hilfe braucht,« erwiderte Fakredin, »so steht ihr jedes Gewehr im Libanon zur Verfügung.«

Keferinis nickte mit dem Kopfe und sagte dann: »Es kann nicht geleugnet werden, daß gewisse Dinge zu ihrer Erledigung eines gewissen Maßes von roher Gewalt benötigen, über welchen Punkt sich der edle Emir vollkommen zutreffend ausgedrückt hat; aber es gibt hingegen auch andere Dinge, die durch Anwendung einer Reihe von Worten ins Reine gebracht werden können, vorausgesetzt, daß diese Worte richtig gewählt und von der nötigen, unschätzbaren Klarheit sind. Aus dem, was sich bisher zugetragen hat, folgt es noch nicht, daß zwischen dem Volke der gnädigsten Königin der Königinnen, und den Städte- und Landbewohnern blutige Zusammentreffen stattfinden werden, obwohl nicht geleugnet werden kann, daß der Krieg ein Mittel ist, durch den viele Dinge zum endgültigen Abschluß gebracht werden können. Auf der anderen Seite hat aber auch die Höflichkeit ihre Rechte, selbst unter den Türken, obwohl es weder geleugnet, noch verschwiegen werden kann, daß ein Türke, besonders ein Pascha, von allen nichtswürdigen Teufelskindern dieser Erde die elendeste und verächtlichste Kreatur ist.«

»Wenn ich die Königin wäre,« sagte Fakredin, »so würde ich den Harem nicht ohne weiteres ziehen lassen, und das würde die Sache zur Entscheidung bringen. Die Garnison von Aleppo ist nicht sehr stark; sie haben sechs Regimenter nach Deir el Kamar schicken müssen, und wenn auch der Libanon jetzt verhältnismäßig ruhig ist, so brauche ich doch nur eine Brieftaube an meinen Vetter Francis el Kazin zu schicken und Jung-Syrien wird sich in einer Weise rühren, daß der alte Wageah Pascha keinen einzigen Mann weiter entbehren kann. Fünfzig Feuer werden in derselben Nacht auf dem Berge bei Beirut aufflammen, und Oberst Rose wird sofort einen Dampfer an Sir Canning abschicken, der ihm von der Revolution im Libanon berichten wird und gleichzeitig eine andere Note für Aberdeen mitschicken, die die rauchenden Dörfer und niedergemetzelten Frauen des genaueren schildern wird«, mit diesen Worten und bei der Erinnerung an den Erfolg seiner bisherigen Schwindelmanöver blies der Emir den Rauch aus seiner Nargileh mit erneuter Energie in die Lüfte.

Als die Sonne unterging, berichtete man unseren Reisenden, daß die Königin sie zu empfangen wünschte. Astarte erschien von ihrer Rückkehr angenehm überrascht und war gegen die beiden Freunde, wenn auch in verschiedener Art und Weise, sehr liebenswürdig, fragte nach allem, was sie gesehen und getan hätten, mit wem sie gesprochen und was sie gehört hätten. Zum Schlusse sagte sie: »Auch in Gindarics ist in Ihrer Abwesenheit etwas vorgefallen, ihr edlen Prinzen. Gestern abend wurde nämlich ein Teil des Harems des Paschas von Aleppo gefangen genommen und hierher geführt. Daraus kann etwas entstehen.«

»Ich habe mir schon dem hochlöblichen Keferinis gegenüber zu bemerken erlaubt,« sagte Fakredin, »daß jede Lanze im Libanon Ihnen, gnädigste Königin, zur Verfügung stehen wird.«

»Wir haben selber Lanzen genug,« sagte Astarte, »und davon habe ich gerade jetzt nicht sprechen wollen. Auch liegt es nicht in meiner Absicht, den Krieg in die Länge zu ziehen. Wenn der Pascha auf den Tribut der Dörfer verzichten will, so kann er den Frieden haben – wenn nicht, müssen wir es eben anders versuchen. Ich habe keine Lust, diese Haremsgeschichte auf unsere Verhandlungen Einfluß gewinnen zu lassen. Meine hauptsächliche Gefangene ist ein schönes Weib, das noch dazu mir sehr gefällt, und mich höchlichst interessiert. Sie ist keine Türkin, sondern, wie ich vermute, eine Christin aus der Stadt. Sie hat anscheinend tiefen Kummer und weint mitunter so bitterlich, daß mein Herz ihre Sorgen mit empfindet – aber sie weint nicht deswegen, weil sie eine Gefangene ist, sondern weil jemand, der ihr sehr nahesteht, in diesem Scharmützel umgekommen sein soll. Ich habe sie besucht und ihr Trost zugesprochen; ich habe sie gebeten, ihren Kummer zu vergessen und meine Freundin werden zu wollen. Aber nichts kann sie beruhigen, und die Tränen fließen immerfort aus ihren Augen, die vielleicht die schönsten sind, die ich jemals gesehen habe.«

»In diesem Lande sind schöne Augen die Regel«, sagte Tancred, und Astarte warf, wie unbewußt, dem Redenden einen Blick zu.

Cypros, die beim Eintritt der Fürsten ihre Herrin verlassen hatte, kehrte jetzt wiederum zu ihr zurück. Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck der Bestürzung, und sie sagte Astarte leise, aber aufgeregt, etwas ins Ohr. Die Ursache war, daß die schöne Gefangene der Königin plötzlich Cypros gegenüber hatte den Wunsch verlauten lassen, in den Diwan der Königin zu kommen, obwohl sie den ganzen Tag über sich geweigert hatte, diesen zu betreten. Cypros hegte die Besorgnis, daß die Gegenwart der beiden Gäste ihrer Herrin diesem Wunsche entgegenstehen möchte, besonders da die Freiheit des Verkehrs zwischen Mann und Frau, wie er unter den Ansari bestand, sogar nicht einmal unter den Frauen der Maroniten und Drusen gang und gäbe war. Aber die schöne Gefangene hegte in dieser Beziehung durchaus keine Vorurteile, und Cypros war heruntergekommen, um die Erlaubnis der Königin einzuholen oder sie um Rat zu befragen. Astarte fragte Keferinis, der mit tiefsinniger Gebärde ihr zuhörte und schließlich durch eine tiefe Verbeugung seiner Zustimmung Ausdruck gab, worauf Cypros sich wiederum zurückzog.

Astarte hatte Tancred bedeutet, näherzutreten, während Keferinis in einiger Entfernung in eifriger Unterhaltung mit Fakredin, den er früher niemals hatte allein sprechen können, begriffen war. Der Bericht, den der Minister Fakredin über alles, was während der Abwesenheit stattgefunden hatte, abstattete, war äußerst günstig. Keferinis hatte die Gelegenheit nämlich benutzt, um mit der Königin oft und ausführlich über die beiden Freunde sich zu besprechen. Die Idee eines geeinigten Syrien hatte auf die Phantasie der jungen Königin einen großen Eindruck gemacht. Der Plan – so meinte der Minister – wäre im übrigen wirklich gar nicht so schwer realisierbar, er erfordere keinerlei besondere Bündnisse, keinerlei Unterstützung von seiten des Zufalls, keinerlei besondere diplomatische Maßregeln. Die Vereinigung Fakredins und Astartes könnte sich vollkommen in der Stille vollziehen, ohne Mißvergnügen zu erregen oder gar den Einspruch der Mächte zur Folge zu haben. Diese Vereinigung wäre außerdem ebenso natürlich wie vorteilhaft. Durch sie käme man in den Besitz eines größeren Steuerertrages, wie einer bedeutenderen Kriegsmacht. Sowie das sich auflösende Ottomanenreich seine nächste Krise durchmache, würde sich die Ebene mit kriegerischen Bergvölkern anfüllen können, die einerseits die ganze syrische Küste und andererseits alle Binnenlandstädte von Aleppo bis Damaskus sich unterwerfen würden.

Bei diesen glatten Worten des Eunuchen blitzte das Auge des jungen Emirs vor Vergnügen. »Der Libanon, liebster Keferinis,« »ist der Schlüssel zu Syrien, und wir werden das Land damit aufschließen. Wir wollen nicht ruhig schlafen, bis unser Plan durchgeführt ist. Sie glauben also, daß sie nicht zu viel an einen gewissen anderen denkt? Ich sage nur das eine, er muß fort, oder wir müssen uns seiner anderswie entledigen; ich fürchte ihn nicht, aber er ist mir im Wege, und der Weg sollte so glatt sein, wie die Wasser von El Arisch. Denken Sie an den Tempel der syrischen Gottheit in Deir el Kamar, lieber Keferinis! Die Religion ist so gut wie eine gewonnene Schlacht! Welch eine Wonne, meine Bischöfe und diese verfluchten Mönche loszuwerden, diese Drohnen, diese Hanswürste, diese Frömmler, die meinen goldenen Wein von Canobia trinken und meinen süßen Tabak von Latakia rauchen. Sie kennen Canobia, lieber Keferinis, oder haben wenigstens davon gehört. Sie waren in Bteddin? Nun, Bteddin verhält sich zu Canobia wie ein arabischer Mond zu einer syrischen Sonne. Der Marmor Canobias allein kostet eine Million Piaster, und die Ställe sind würdig, die Gestüte Salomos aufzunehmen. Allerlei Wild, von dem Panther zur Antilope, ist in seinen Wäldern zu haben. Hören Sie, liebster Keferinis, – lassen Sie uns ans Werk gehen, schnell ans Werk gehen, und Canobia ist unser.«

»Träumen Sie mitunter?« fragte Astarte Tancred.

»Man sagt, unser ganzes Leben sei nur ein Traum.«

»Ich wünschte manchmal, dem wäre so. Aber die Schmerzen sind manchmal zu heftig, als daß es sich bloß um Träume handeln könnte.«

»Aber Sie haben doch keine Schmerzen?«

»Ich hatte während Ihrer Abwesenheit einen Traum, der mich sehr beunruhigt hat«, erwiderte Astarte.

»Wahrhaftig!«

»Ich träumte, die Juden hätten Gindarics eingenommen. Sie haben so viel von ihnen gesprochen, daß sie mich anscheinend im Schlafe nicht mehr zufrieden lassen.«

»Und sie verdienen es. Sie sind ein unerschöpfliches, höchst interessantes Gesprächsthema,« sagte Tancred, »denn die Größe und das Glück der ganzen Welt, auch das von Gindarics hängt von jenen Grundsätzen ab, die sie zum erstenmal der Welt verkündet haben.«

»Es würde mich trotzdem sehr betrüben, wenn mein Traum wahr werden sollte«, sagte Astarte.

»Mögen Ihre Träume so glücklich und so heiter sein, wie Ihr Leben«, sagte Tancred.

»Aber mein Leben ist nicht glücklich und heiter,« sagte die Königin, »ich dachte einmal, ich wäre glücklich, aber das ist schon lange her.«

»Aber warum sind Sie unglücklich?«

»Vielleicht träumen Sie einmal und finden in Ihrem Traume den Grund dafür,« sagte die Königin. »Kümmernis ist mitunter so unergründlich wie Glück. Beides geht und kommt wie ein Vogel.«

»Wie die Taube, die Sie nach Damaskus schickten«, sagte Tancred.

»Oh, warum habe ich die je gesandt!«

»Weil Sie die gütigste aller Frauen sind.«

»Weil ich ein unvorsichtiges Mädchen bin, edler Prinz.«

»Wenn die großen Taten, zu denen während dieses Besuches der Grund gelegt wurde, einmal ausgeführt sind, so werden Sie es nicht länger bedauern.«

»Ach, ich bin nicht zu großen Taten geboren, ich bin eine Frau und muß mich mit schönen Taten zufrieden geben.«

»Träumen Sie noch immer von der syrischen Göttin?« fragte Tancred.

»Nein, nicht von der syrischen Göttin. Sagen Sie mir: Die hebräischen Frauen sind sehr schön, nicht wahr?«

»Sie stehen in dem Ruf.«

»Und ist das auch Ihre Meinung?«

»Ich habe einige gekannt, die durch ihre Schönheit berühmt waren.«

»Haben sie Ähnlichkeit mit jener Statue in unserem Tempel?«

»Es ist eine andere Rasse,« sagte Tancred, »aber der Grieche wie der Hebräer gehören zu den höchsten Typen der Menschheit.«

»Aber Sie ziehen den Hebräer vor?«

»Ich halte mich nicht für berechtigt, eine Entscheidung zu treffen,« sagte Tancred, »ich bewundere nur das Schöne.«

»Nun, hier kommt meine Gefangene,« sagte die Königin, »wenn Sie wollen, gebe ich sie frei, denn ich fühle mich sehr zu ihr hingezogen. Sie ist eine Georgierin, glaube ich, eine, die uns alle in den Schatten stellt. Ich wenigstens kann mich nicht mit ihr messen, und vielleicht verschwindet neben ihr selbst jene schöne Jüdin, in die Sie, wie man mir erzählte, so verliebt sind.«

Tancred blickte erstaunt auf und wollte soeben antworten, aber in diesem Augenblicke näherte sich Cypros mit der Gefangenen, die, sobald sie sich vor die Königin gesetzt hatte, ihren Schleier abnahm. Der Schleier fiel und Fakredin und Tancred schauten in das schöne Antlitz Evas!


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