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Zweites Kapitel

»Ich muß von hier fort, Cypros! Ich kann nicht einen Augenblick länger bleiben; mein Herz schlägt zu ungestüm.«

»Liebste Herrin,« antwortete Cypros, »die Überraschung hat es dir angetan.«

»Überraschung, Cypros? Ich glaube nicht, daß das Überraschung ist. Jedenfalls bin ich dann in meinem ganzen Leben noch nicht überrascht gewesen.«

»Ich glaube, sie waren ebenfalls überrascht, liebste Herrin«, sagte Cypros lächelnd.

»Stille, stille! Du lachst viel zu laut, Cypros.«

»Ich lachen, liebste Dame? Ich wußte nicht, daß ich lachte. Dann habe ich noch nie in meinem ganzen Leben gelacht.«

»Wenn sie nur weder von unserem Lachen, noch von unseren Seufzern etwas erfahren, liebe Cypros.«

Die Sprecherin war ein achtzehnjähriges Mädchen, ihre Gesichtszüge waren ganz griechisch, ihr Teint war blendend schön, ihr Haar schwarz wie die Nacht und die Farbe ihrer Augen das schönste Violett. In diesem Augenblicke allerdings war ihr schönes Gesicht von einem Schleier verhüllt, obwohl seiner höchstens ihre Dienerin Cypros, ein noch jüngeres, frisches und sehr hübsches Mädchen ansichtig werden konnte.

Die beiden Gefährtinnen waren eine hölzerne Galerie entlang gegangen, die, hinter dem Diwan mit unseren Reisenden vorbei, zu dem großen, viereckigen Turm in der Mitte, der weiter oben erwähnt wurde, führte. Da die Wahrheit schließlich doch immer herauskommt, so wollen wir unseren Lesern nicht verhehlen, daß die schönen Mädchen die gute Gelegenheit benutzt hatten, um den frei vor ihnen liegenden Diwan und seine Insassen einer von diesen unbemerkten, gründlichen Besichtigung zu unterziehen. Plötzlich war Fakredin von seinem Sitze aufgestanden, und diese unerwartete Bewegung hatte die Mädchen so erschreckt, daß sie eiligst davongelaufen waren.

Die Galerie führte zu einer Treppe, und von dieser Treppe aus kam man in das erste einer Reihe gänzlich unmöblierter Zimmer, falls man von den stets im Orient vorhandenen Sofasitzen, die stets zwei Drittel der Wände einnehmen, absah. Die Mädchen schlüpften von hier in ein Nebengemach, das in klassischem, ionischem Stile gehalten, aber daneben auch roh mit Arabesken ausgemalt war; dieses Nebenzimmer öffnete sich auf einen Garten hinaus, der einige Myrtenbäume enthielt und in dessen Mitte eine Fontäne sprudelte.

»Hier sind wir sicher,« sagte die Herrin, »aber ich fürchte, man hat uns gesehen.«

»Das ist ganz unmöglich«, erwiderte Cypros.

»Nun, schließlich müssen sie uns ja doch sehen,« sagte die Herrin. »Hui, wie wird es mir bei dem Empfang ergehen, wenn mein Herz wieder anfangen sollte, so zu klopfen.«

»Ich an deiner Stelle würde diesen Empfang etwas aufschieben, bis ich mich mehr an sie gewöhnt hätte, liebste Herrin.«

»Ich werde mich trotzdem nicht mehr an sie gewöhnen. Außerdem wäre es ungastlich, sie solange warten zu lassen. Gestern war noch eine Entschuldigung dafür da: sie waren müde, wenigstens konnte ich das mit einem gewissen Rechte annehmen, aber heute gibt es keine Entschuldigung, den Empfang aufzuschieben, Cypros.«

»Wahrscheinlich aber würden sie sich zufrieden geben, wenn du heute nur den Tag bestimmst, an dem du sie empfangen willst, liebste Herrin.«

»Aber ich werde mich damit nicht zufrieden geben, Cypros. Ich habe sie jetzt einmal gesehen und ich wünsche sie auch wiederzusehen, denn man kann doch nicht immer zufällig und ohne Grund auf der Galerie herumschleichen.«

»In diesem Falle würde ich sie heute empfangen, liebe Herrin. Soll ich den edlen Keferinis ersuchen lassen, hierherzukommen?«

»Ach, ich wünschte, ich wäre Cypros und du – horch! was war das?«

»Nur die Antilope, liebste Dame.«

»Ich dachte, es war – was meinst du, liebe Cypros, welcher der beiden Prinzen gehört zu den Unsrigen?«

»Ach! Sie sind beide so hübsch!«

»Und doch einander gar nicht ähnlich!«

»Nein, sie ähneln einander nicht,« erwiderte Cypros, »und doch –«

»Nun?«

»Der Blonde ähnelt dir in der Frische seines Aussehens.«

»Und blaue Augen hat er auch – nein, sie sind etwas zu hellblau. Und weil er mir ähnlich sieht, hältst du ihn für einen der Unsrigen?«

»Ach, wenn sie doch alle beide zu den Unsrigen gehörten!« seufzte Cypros.

»Ach Gott!« sagte die Herrin, »ich glaube nicht, daß der Blonde der Betreffende ist. Nein, nein, liebste Cypros, denke nur einmal etwas nach, süßes Mädchen. Das Gesicht, der Kopf des anderen – erinnert dich das nicht an etwas, was du schon früher gesehen hast? Dieser Kopf, der so stolz auf den Schultern sitzt – dieses Haar, dieses dunkelbraune Haar – die hohe Stirne, der stolze Mund, dieses feine und doch selbstbewußte Gesicht, hast du das nicht alles schon einmal gesehen? Denke einmal nach, Cypros!«

»Ja – doch! liebe Dame!«

»Dann sage es mir leise ins Ohr – sein Name darf nicht laut ausgesprochen werden.«

Cypros trat an ihre Herrin heran, beugte ihren Kopf zu ihrem Ohr herunter und flüsterte ihrer Herrin ein Wort in das Ohr, das diese tief erröten machte. »Ja«, murmelte sie dabei mit leichtem Lächeln.

»Dann ist er also derjenige, der zu uns gehört«, sagte Cypros.


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