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Sechstes Buch

 


Erstes Kapitel

In der schwarzen Schlucht eines Bergpasses standen zwei Reitersleute Schildwache. Ihr Gewand war das der Kurden: weiße Turbane und schwarze Obergewänder, denen ein Strick als Gürtel diente, auf ihrem Rücken hatten sie eine lange Lanze, an ihrer Seite hing das krumme Schwert und im Gürtel staken ein paar Pistolen.

Vor ihnen dehnte sich eine weite, aber gebirgige Ebene aus, die aus vielen kleinen Ketten bestand und im Hintergrunde durch eine Reihe stattlicher Berge abgeschlossen wurde. Der allgemeine Eindruck, den man von dieser Szenerie empfing, war der der Wildheit, denn die Felsen waren schwarz und zerrissen, auf den Hügeln wuchs weder Gras noch Strauch und die granitenen Spitzen der mächtigeren Berge ragten, wenn sie nicht von Schnee bedeckt waren, gänzlich nackt in den klaren Äther hinein. Trotz des ersten Eindrucks der Öde und Trauer jedoch war das Land an sich nicht unfruchtbar. In den Tälern befanden sich, wenn auch dem forschenden Auge verborgen, nicht unbedeutende Anpflanzungen und auf den weniger steilen Abhängen hatte man sogar Terrassen angelegt und diese mit künstlicher Erde bedeckt. Zahlreiche Dörfer zeigten außerdem an, daß das Land keineswegs spärlich bevölkert war. Seine Einwohner konnten anscheinend ihren Bedarf an Wein und Getreide selbständig decken, ebenso wie sie auch imstande waren, ihre eigenen Gewänder und alles, was dazu gehört, herzustellen – und wenn sie sonst etwas nötig hatten, so konnten ihnen ihr Gummi, ihr Bienenwachs und ihre Ziegenwolle als hinreichende Austauschobjekte dienen.

»Ich habe heute morgen über den Gibel Kiflis schon zweimal zwei Adler fliegen gesehen,« sagte einer der Reitersleute zu dem andern. »Was kann das zu bedeuten haben?«

»Einen guten Bakschisch für unsere Königin, Kamerad. Wenn die Franken eine fürstliche Mitgift bezahlen können, nur um ein paar Säulen in der Wüste, wie z. B. Tadmor, sich anzusehen, so können sie uns sicherlich die goldenen Schlüssel zu ihrer Schatzkammer geben, wenn man ihnen erlaubt, ein Land zu besuchen, das nur jemand betreten darf, der –«

»Aber man erzählt sich, dieser Franke wäre einer von den Unsrigen.«

»Unter den Franken gibt es keinen von den Unsrigen,« erwiderte sein Gefährte und schüttelte den Kopf. »Die Franken sind alle Nazarener, und bevor sie Nazarener waren, waren sie Wilde und lebten in Höhlen.«

»Aber Keferinis hat den Befehl ausgegeben, daß jeder für die Sicherheit der Fremden genau so wie für die der Königin Sorge tragen sollte, und daß einer von ihnen ein Prinz und unzweifelhaft einer der Unsrigen sei.«

»Mein Vater Azaz zählte einhundertundzehn Jahre damals, als er uns verließ, und er hatte vierundzwanzig Kinder, und als er am Sterben war, erzählte er uns zweierlei: einmal, daß wir niemals vergessen dürften, wer wir seien und zweitens, daß während seiner ganzen Lebensdauer niemals einer, der nicht zu uns gehörte, unser Land betreten hätte.«

»Die Adler fliegen schon wieder über den Gipfel des Gibel Kiflis: die Fremden nähern sich, glaube ich.«

»Mag der Besuch weder uns noch ihnen Schaden bringen.«

»Hegst du irgend welche Besorgnisse?«

»Wir stehen allein unter den Menschen und wir sollten allein bleiben.«

»Du hast recht. Ich war einmal in Haleb (Aleppo) und möchte meinen Besuch daselbst um keinen Preis wiederholen.«

»Wir sind mit den Bergen, diesen Bergen unserer Väter, zufrieden und freuen uns der wunderschönen Dinge, die nur uns allein zu sehen vergönnt sind.«

»Wahrlich: man kann ihresgleichen nicht in den Basaren von Haleb, noch in den Gärten von Damaskus finden.«

»Ah! Und wer ist unserer Königin gleich? Ich weiß, wem sie allein vergleichbar ist, aber ich werde es nicht aussprechen, denn auch du, mein Waffenbruder, weißt es.«

»Du hast recht: Es gibt Dinge, die man nicht in den Basaren von Haleb, noch in den Gärten von Damaskus finden kann.«

Die schwarzäugige Taube Karagus hatte der Königin der Ansari eine Botschaft ihres Agenten Darkusch überbracht, derzufolge zwei junge Fürsten, ein Syrier und ein Franke ihr Land zu besuchen wünschten, um mit ihr ernste Dinge zu erörtern. Darkusch hatte gleichzeitig hinzugefügt, daß er Grund zu der allerdings seltsamen Vermutung hätte, daß einer dieser Fürsten, der Franke, zu ihrem Geschlechte gehöre. Am Abend des nächsten Tages brachte eine allerdings von dem langen Fluge sehr angegriffene andere Taube die Antwort ihrer Majestät, die dahin ging, die Erlaubnis zu erteilen, aber sie nur auf die beiden Fürsten und zwei ihrer Diener auszudehnen. Einer von diesen war Baroni. Die Reise ging im übrigen recht langsam vonstatten, denn Tancred benutzte die Gelegenheit, um auf dieser Reise gleichzeitig Hama und Aleppo zu besuchen.

Sie hatten gerade die letztere Stadt verlassen, den Fluß Kuweik überschritten und näherten sich nun ihrem Ziele. Die Reise aber wurde, je mehr man vorwärts kam, desto langsamer und selbst gefährlicher, und zwar aus dem Grunde, weil die Königin der Ansari gerade mit dem Pascha von Aleppo im Kriege lag. Der türkische Machthaber nämlich hatte einige Dörfer, die der Königin gehörten, gezwungen, Tribut zu zahlen, und zwar unter dem Vorwand, daß diese Dörfer, nach dem alten Vertrage der Ansari mit der Pforte, nicht als den Bergbewohnern gehörig angesehen werden konnten. Die Folge dieses Friedensbruches war natürlich, daß alle Augenblicke Streifkorps der Ansari aus den Bergen hervorbrachen und die Ebene von Aleppo unsicher machten. Zudem bestand zwischen den Ansari und den Kurden noch ein alter Vertrag, demzufolge bei irgend einem Kriege der Ansari mit den Türken die Kurden, die den Bergbewohnern äußerlich vollkommen glichen, die Gelegenheit benutzen und unter den Fahnen der Ansari ebenfalls an den Raubzügen teilnehmen sollten. Darkusch aber hatte Baroni an den Geheimagenten der Ansari in Aleppo einen Geleitbrief mitgegeben, vermittelst dessen alle Schwierigkeiten, die anderweitig unüberwindlich hätten werden können, glücklich überkommen waren, und so konnten die obenerwähnten Posten in der schwarzen Bergesschlucht, die zum Palaste der Königin hinanführte, stündlich das Erscheinen der beiden Prinzen erwarten.

Plötzlich kam über die Hügelkette in vollstem Galopp ein Reitersmann gesprengt, der beim Vorübersausen dem Doppelposten die Ankunft der Fremden ankündigte und sich dann schnellstens weiter hinauf in die Schlucht verlor. Bald darauf erschien dann auch die Kavalkade mit den Prinzen, die außer diesen noch aus den beiden Dienern sowie einer Anzahl Reiter mit weißen Turbanen und langen Lanzen bestand.

Tancred und Fakredin ritten beide Vollblutpferde. Das Vergnügen, gut beritten zu sein, ist gewiß ein sehr großes, aber dieser Umstand war es nicht allein, der ihre Augen lebhafter blitzen und ihre Wangen sich höher färben ließ. Ihre Reise war höchst befriedigend gewesen; sie hatte ihnen etwas ganz Neues und Abenteuerliches geboten, denn sie waren auf Schwierigkeiten gestoßen und hatten diese überwunden. Aber alles dieses war es nicht allein: sie hatten etwas noch Größeres vor und standen am Vorabend eines bedeutenden Ereignisses. Dazu waren sie jung und voller Mut und Tatkraft.

»Eine starke Stellung«, sagte Tancred, als sie in die Felsenschlucht einbogen.

»Oh, mein Tancred, was haben wir schon miteinander erlebt!« rief Fakredin aus. »Und was kann alles noch folgen!«

Die Schlucht war nicht zu lang und erstreckte sich fast ganz gerade in einer Richtung. Sie endete auf einem nicht zu großen Hochplateau, das seinerseits von einer Felsenkette rings umschlossen war. Auf einem der näheren Berge dieser Kette befand sich eine dem Anscheine nach sehr ausgedehnte Befestigung – als aber die Reisenden näher herankamen, bemerkten sie zu ihrem Erstaunen, daß die Kunst sich nur mit Vorteil der natürlichen Anlage bedient hatte und daß die Türme und Zinnen, die die Burg nach außen hin verteidigten, nur aus dem ursprünglichen Felsengestein herausgemeißelt waren.

Die Kavalkade ritt in schnellem Trabe aufwärts und befand sich bald auf einem langsam ansteigenden Zickzackwege, der zu einem großen, massigen Tore führte, dessen oberer Querbalken aus einem riesigen Stein bestand. Eine eiserne Tür öffnete sich vor ihnen und sie ritten in einen in den Felsen gebohrten Tunnel ein, der aber bequem zwei nebeneinander reitende Krieger fassen konnte. Der Tunnel selber war von bedeutender Länge und so dunkel, daß einige Fackelträger vorangehen und ihn erleuchten mußten. Als sie endlich das Licht wiedersahen, befanden sie sich in einem weiten Hofe, dessen greller Sonnenschein sie nach dem Durchreiten des dunklen Torweges unangenehm blendete. Den Hof selber umgaben einige Gebäude in verschiedenen Stilarten und Größen, ihnen gegenüber erhob sich ein breiter, viereckiger, abgestumpfter Turm aus Ziegelsteinen, hinter dem sich die granitenen Spitzen der Berge unmittelbar erhoben.

Im Hofe befanden sich einige Berittene sowie eine Menge Diener, die den Gästen sofort aus dem Sattel halfen. Tancred und Fakredin sprachen kein Wort, sondern warfen einander nur bezeichnende Blicke zu, die vielleicht der Besorgnis Ausdruck gaben, daß es noch schwieriger sein könnte, von hier hinweg-, als hier hineinzukommen. Baroni schien ihre Meinung zu teilen. Indessen das tröstende Wort »Gott ist groß!« hatte Baroni schon unter schlimmeren Umständen aufrechterhalten.

Nun führte man die Gäste in ein Zimmer, das an der einen Seite des Hofes und zu ebener Erde gelegen war und von dort in einen geräumigen Diwan, der auf einen anderen, kleineren Hof hinausging, in dem einige Akazienbäume standen. Wie immer, wurden auch hier jetzt Pfeifen und Kaffee hereingebracht. Baroni blieb indessen mit der anderen Dienerschaft draußen und sorgte für das Gepäck. Darauf trat in etwas gebückter Haltung ein hagerer, einfach, aber sauber gekleideter Mann herein, dessen Stirne vielfach gerunzelt war, dessen Auge aber lebhaft und selbst hinterlistig blinzelte, und der die Ankömmlinge in leiser, etwas kriechend höflicher Weise in Gindarics willkommen hieß. Er setzte sich zu ihnen auf den Diwan und klatschte mit den Händen, worauf ihm ein Diener seine Nargileh brachte.

»Der Emir und ich haben wohl die Ehre, mit dem Minister Keferinis zu sprechen«, fragte Tancred. Der Angeredete war in der Tat der berühmte Eunuche, der der erste Minister der Königin der Ansari war.

»Der englische Prinz,« erwiderte Keferinis in äußerst gezierter Sprachweise, indem er sich verbeugte, »darf in unseren Bergen nicht den Luxus seines eigenen Landes erwarten. Er ist in London geboren, das von der See umgeben ist und er hat eine große Sklavenbevölkerung unter sich und er genießt somit Vorteile, mit denen die Ansari nicht aufwarten können. Der Prinz weiß wohl, daß man uns ungerechterweise unseres Hafens beraubt hat und daß wir bei dem jetzigen schwachen Angebot des Marktes nun nicht mehr wie früher Sklaven von den Turkomanen und Kurden kaufen können.«

»Die Russen haben wohl gegen die Sklavenmärkte Einspruch erhoben?« fragte Fakredin.

»Der edle Emir des Libanons hat vollkommen richtig vermutet,« sagte Keferinis. »Die Russen beziehen jetzt ihren ganzen Haremsbedarf aus dem nördlichen Asien.«

»Der Minister Keferinis ist wohl sehr viel in der Welt herumgekommen?« fragte Tancred.

»Der englische Prinz hat vollkommen richtig vermutet und ehrt mich durch seine schmeichelhaften Worte,« erwiderte Keferinis. »Ich habe in der Tat alle syrischen Städte besucht, ausgenommen Jerusalem, nach dem ja wohl niemand Verlangen trägt und das,« fügte er in ruhig süßlicher Weise hinzu, »unzweifelhaft eine Stadt ist, in der sich nur Schweine wohlfühlen können.«

Tancred fuhr auf, doch es gelang ihm, seine Ruhe zu bewahren.

»Sind Sie auch im Libanon gewesen?« fragte Fakredin.

»Edler Emir: ich bin oft der Gast der Fürsten Ihres berühmten Hauses gewesen. Ich habe auch vielmals mit dem Emir Beschir Unterredungen gehabt,« fügte er mit bezeichnendem Blicke hinzu. »Vielleicht, wenn Ereignisse eingetreten wären, die leider nicht eintraten, so wäre der große Emir Beschir in diesem Augenblicke nicht ein Gefangener in Stambul und das unter Leuten, die man wohl mit Recht als die verruchten Söhne wilder Barbaren bezeichnen könnte.«

»Und warum haben Sie sich nicht mit dem Emir Beschir verständigt?« fragte Fakredin neugierig. »Warum ist es niemals zu einem richtigen Vertrage zwischen eurem Volke und dem Hause Schihab gekommen? Wären wir einig, so wäre Syrien unser, und mehr noch: wir könnten ganz Asien beherrschen.«

»Der edle Emir hat sich mit unbeschreiblicher Anmut geäußert. Die Macht der Ansari kann in der Tat nicht hoch genug angeschlagen werden!«

»Ist es wahr, daß Ihre Königin fünfundzwanzigtausend Mann ins Feld schicken kann?« fragte Tancred.

»Fünfundzwanzigtausend Mann,« erwiderte Keferinis mit einschmeichelnder Höflichkeit, »und jeder von ihnen ist so gut wie neun Maroniten und mithin wie drei Drusen.«

»Fünfundzwanzigtausend Feigen für eure fünfundzwanzigtausend Mann!« rief Fakredin lachend aus.

In diesem Augenblicke traten vier Pagen und vier Mädchen in den Diwan, die im Auftrage der Königin Süßigkeiten und Becher mit Eiswasser den Gästen anboten. Sie verbeugten sich tief, Keferinis wies sie an die Gäste, die auch zugriffen, worauf die Dienerschaft geräuschlos wieder verschwand. Die Unterbrechung geschah somit gerade im rechten Augenblicke, denn Fakredin wurde durch sie an einem scharfen Widerspruche gehindert. Man begann jetzt von der Königin zu sprechen, die, wie Keferinis sagte, gnädigst geruhen würde, die Gäste erst morgen zu empfangen, es sei aber auch möglich, daß die Gewährung der Audienz noch eine Woche auf sich warten lassen könne – eine etwas bedenkliche Mitteilung, die noch dazu in einer so liebenswürdigen Art und Weise herauskam, als ob sie die angenehmste Überraschung der Welt sei.

»Der Name des Vaters der Königin war Suedia«, sagte Fakredin.

»Der Name des Vaters der Königin war Suedia«, erwiderte Keferinis.

»Und der Name der Mutter der Königin –«

»Ist gänzlich belanglos,« bemerkte Keferinis, »denn ihre Mutter war eine Sklavin und gehörte nicht zu uns und kann daher mit dem besten Willen nur als ein ›Nichts‹ bezeichnet werden.«

»Ist sie die erste Königin, die über die Ansari herrscht?« fragte Tancred.

»Jawohl, jedenfalls die erste, seitdem wir diese Berge bewohnen«, erwiderte Keferinis.

»Und wo habt ihr früher gewohnt?« fragte Fakredin.

»Wahrlich,« erwiderte Keferinis, »wir wohnten in Städten, die nie vergessen werden können und die darum keiner Erwähnung bedürfen.«

Tancred und Fakredin waren zwar sehr neugierig, den Namen der Königin zu erfahren, aber sie waren zu wohlerzogen, um Keferinis direkt daraufhin auszufragen. Schon während ihrer Hinreise hatten sie nach ihm geforscht, aber jeder Ansari, den sie danach fragten, hatte ihnen, wenn auch mit größter Höflichkeit, etwas anderes geantwortet. Schließlich gab ihnen Baroni den Rat, weitere Untersuchungen einzustellen, denn aus verschiedenen Gründen wäre es keinem Ansari erlaubt, irgend jemand irgend welche Auskunft über sein Land, seine Rasse, seine Regierung und seinen Glauben zu geben – obwohl sie alle aus Höflichkeit natürlich irgend etwas zu antworten für gut befänden. Die beiden Freunde fanden auch bald heraus, daß selbst von dem geschwätzigen Keferinis nicht viel mehr zu erwarten sei, denn dieser sprach zwar beständig von Ländern und Dingen, von denen er keine Ahnung hatte und floß gewissermaßen in langen und gezierten Reden über – aber wenn der Tag zu Ende war, zeigte es sich, daß seine beiden Zuhörer nur wenig mehr von der Königin und den Ansari wußten, wie damals, als Baroni zum ersten Male über ihre beabsichtigte Reise mit Darkusch von Damaskus sprach.


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