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Fünftes Kapitel

Bevor Tancred sich noch von seiner Überraschung erholt hatte, betrat eine Anzahl kleiner grinsender Negersklaven in weißen Kleidern und roten Kappen und Pantoffeln den Kiosk. Sie brachten auf Tabletten von Ebenholz eine Menge kleiner Schüsseln herein. Vergebens bedeutete Tancred den kleinen Jungen, daß er kein Verlangen trüge, an dem aufgetragenen Diner teilzunehmen, und daß er sich lieber von seiner Matte erheben und gehen wollte. Sie verstanden nichts von allem, was er sagte, sie lächelten nur und liefen mit um so größerer Geschwindigkeit um ihn herum. Schließlich banden sie ihm gar eine goldbesetzte Serviette aus dem feinsten Leinen um den Hals, bedeckten die Teppiche und den Rand des Springbrunnenbassins mit ihren Gerichten, Tellern und Gläsern voll verschieden gefärbtem Scherbet und machten sich trotz seines Widerspruchs daran, ihm die verschiedenen Speisen der Reihe nach zu reichen. Wenngleich Tancreds augenblickliche Stimmung gerade zu einem Diner wenig zu passen schien, begann er doch angesichts der Speisen zu bemerken, daß er stundenlang nichts gegessen hatte. Er hatte sich während dieser Zeit sogar körperlich sehr angestrengt und war außerdem noch ziemlich weit von der Stadt entfernt. So kamen ihm der sanfte Zwang und die zarten Aufmerksamkeiten seiner kleinen Bedienten doch nicht ganz ungelegen. Er versuchte einige von ihren Gerichten, erklärte schließlich, daß er genügend gegessen, worauf sie die Speisen mit derselben Schnelligkeit wieder hinaustrugen, mit der sie sie aufgetragen hatten. Darauf überreichten zwei von ihnen Tancred einen Tschibuk und eine Nargileh zur Auswahl. Tancred wählte die letztere, stand von seiner Matte auf und machte den kleinen Pagen ein Zeichen, daß er jetzt aufbrechen möchte. Sie gingen ihm auf dem Pfade, auf dem er gekommen war, bis zum Rosenbeete voran, verbeugten sich wohl hundertmal und nahmen so Abschied von ihrem fränkischen Gaste.

Die Sonne war gerade untergegangen, als Tancred den Garten verließ: ihr roter Schein, der später in Gold und Purpur überging, verklärte die starren Hügel Judäas und verlieh der ganzen Landschaft einen beinahe übernatürlichen Glanz; selbst die wilden Schluchten und dunkelsten Spalten der Berge wurden durch dieses merkwürdige Licht dem staunenden Auge sichtbar, die warme Luft war jetzt durch eine leichte Brise, die über die Wildnis vom Jordan herkam, etwas abgekühlt, und die großen runden Sterne, die am Himmelszelte auftauchten, verrieten, daß wir unter dem Himmel Syriens wandelten. Die geheimnisvolle Abendstunde und die heilige Szenerie um ihn herum paßten zu Tancreds Gedanken, die jetzt sanfter und doch ernster Natur waren. Seine Gedanken begannen sich in angenehmer Träumerei über sein merkwürdiges Erlebnis zu ergehen. Wer war diese Dame von Bethanien, die nicht unwürdig gewesen wäre, jenem zu folgen, der durch seine Gegenwart ihren Lieblingsaufenthalt so oft geehrt hatte? Ihre Schönheit hätte vielleicht selbst dem größten Maler der schönen jüdischen Heiligen Schwierigkeiten bereiten können: Ein Raffael selbst hatte nie eine zartere und stolzere Stirn auf die Leinwand gezaubert. Ihr selbstbewußtes und doch graziöses Wesen, die Klarheit ihres Verstandes, ihr Freimut und ihr Ernst, der dennoch von aller billigen Begeisterung und unruhigen Ekstase frei und auf Kenntnisse und tiefes Nachdenken gegründet war, die gute Ausdrucksweise und ihre scharfe Beweisführung, die in der lieblichsten aller Stimmen gegeben wurde, dazu das gewichtige und alles in den Hintergrund drängende Gesprächsthema, das so recht eigentlich ihr zu liegen schien und über das Tancred selber so viel nachgedacht hatte: das waren alles Umstände, welche auf unseren Helden einen ganz merkwürdigen Eindruck gemacht halten.

Er war gerade in diesen Gedanken versunken, sein Blick schweifte weit in die Ferne und schien an den Purpurbergen und den Gestirnen zu hängen, die er in Wahrheit trotz ihrer schimmernden Pracht gar nicht bemerkte – als ein plötzlich an sein Ohr dringender Ruf ihn aus seiner Träumerei emporscheuchte. Es war die Stimme eines Reitersmannes, der auf dem engen Pfade von Jerusalem um den Ölberg herum nach Bethanien an ihm vorbei wollte und ihn beiseite zu treten bat. Der Mann zu Pferde war derselbe junge Emir, der am Abend zuvor im Diwan Bessos zu Gaste gewesen war. Obgleich er nach Art der Bedienten hoher Würdenträger in Mameluckentracht – weiten Hosen, rotem Jackett, weißem Turban und mit einem Gürtelschal, in dem sein Säbel und seine Pistolen steckten – war, ritt er doch ein Pferd bester Rasse. Ein Läufer trabte neben ihm her, der die Nargilehpfeife trug, aus der der Emir hier und da einen Zug nahm. Er warf einen scharfen prüfenden Blick auf Tancred, der beiseite getreten war, dann warf er seinem Bedienten den Pfeifenschlauch zu und galoppierte davon.

Doch wir dürfen die Dame von Bethanien, trotz ihres plötzlichen Verschwindens aus dem Kiosk, nicht außer Auge lassen. Sie war ihren am Bergesabhang gelegenen Garten hinaufgegangen, zwei ihrer Sklavinnen, die außerhalb des Kiosk gewartet hatten, hatten sie begleitet, und bald war sie oben auf der Höhe des Berges angelangt, wo sie sich jenen ansehnlichen Pavillon, von dem wir schon gesprochen, errichtet hatte. Er war lang und niedrig, hatte ein überhängendes Dach, das von sarazenischen Säulen gestützt war; das Ganze war in Gold und Weiß prächtig bemalt, aber weder Türen noch Fenster waren von außen zu sehen. Die Dame trat zwischen die Säulen hinein, drückte auf eine geheime Feder, eine Tür öffnete sich, die auf einen kleinen Gang führte, an den sich wiederum zwei Zimmer anschlossen. In beiden saßen weibliche Dienerinnen, die die Herrin stumm begrüßten, um unmittelbar darauf wieder in ihrer Arbeit fortzufahren. Die Dame trat darauf in ein größeres und schön geschmücktes Zimmer. Die Decke war mit dem bekannten sarazenischen Schnitzwerk versehen und in Rosa und Silber ausgemalt. In die Wände von Zedernholz waren zahlreiche Spiegel eingelassen; ein Diwan von rosa Seide ging rings um das Zimmer herum, und auf dem dicken, bunten Teppiche lagen viele weiche Kissen um einen marmornen Dreifuß, dessen Füße aus sich windenden Schlangen bestanden. Die Dame entledigte sich ihrer Pantoffeln und setzte sich nach Art ihres Landes auf den Diwan; eine der Sklavinnen brachte eine silberne Lampe, die nicht nur ein schönes Licht, sondern auch einen entzückenden Geruch ausströmte, die andere klatschte in die Hände, worauf eine Anzahl wunderschöner Mädchen mit allerlei Früchten, Süßigkeiten, Gerichten, Tischen, Tellern und Gläsern hereintrat. Die Herrin nahm einiges davon zu sich und erlaubte dann ihren Sklavinnen, ebenfalls zu essen, die daraufhin ihre Hände ehrerbietig küßten und sie ans Herz legten. Eines der Mädchen verließ sodann das Zimmer und kehrte bald darauf mit einer kristallenen Nargileh zurück, die von den geschicktesten Handwerkern von Damaskus in silberner Filigranarbeit hergestellt und mit prächtigen Steinen geschmückt war. Sie überreichte die biegsame, silberne, mit Bernsteinmundstück versehene Röhre der Dame, die nun ein Zeichen mit der Hand gab, worauf sofort abgeräumt wurde. Nur eins der Mädchen blieb zurück, die beim Scheine der Silberlampe aus einem Buche vorlas, während ihre Herrin selber dazu eine Mischung von Rosen- und seltenen Nußblättern aus ihrer Nargileh rauchte.

Als sie eine Zeitlang bei dieser Beschäftigung gesessen hatten, wurde ein Vorhang des Zimmers plötzlich zurückgeschoben, eine andere Dienerin trat ein und flüsterte der Dame etwas ins Ohr, die darauf ruhig mit dem Kopfe ihre Zustimmung nickte. Unmittelbar darauf trat ein riesiger Dongolaneger in reicher, scharlachroter, bauschiger Kleidung und einem großen, silbernen Halsschmuck in das Zimmer, machte die gewöhnlichen, tiefen Ehrbezeigungen und fing dann an, mit leiser Stimme der Dame etwas zu erzählen. Sie hörte auch mit großer Aufmerksamkeit zu, nahm dann Feder und Papier aus ihrem Gürtel, schrieb einige Worte auf das Blatt, übergab dieses dem Neger, der sich mit einer tiefen Verbeugung wieder entfernte. Dann gab sie einen Wink mit der Hand, die Vorleserin schloß das Buch, stand auf, preßte ihre Hand aufs Herz und entfernte sich ebenfalls.

Es hatte den Anschein, als ob der junge Emir unmittelbar nach seinem Eintreffen um die Erlaubnis gebeten hatte, einige Worte mit der Dame von Bethanien wechseln zu dürfen.

Der Vorhang ging wiederum zurück – ein leichter Schritt wurde hörbar und der junge Mann, der soeben Tancred auf seinem Rückwege nach Jerusalem begegnet war, stürmte ins Zimmer.

»Wie geht es der Rose von Saron?« rief er. Dabei warf er sich dem Mädchen zu Füßen und drückte den Saum ihres Gewandes mit einer Inbrunst an die Lippen, die man für Begeisterung oder Ironie hätte halten können, eine Ironie, die eben nur deswegen eine leichtfertige Form annahm, weil sie ihren Ernst nicht verbergen konnte und auch nicht zu sehr an den Tag legen wollte.

»Nun, Fakredin,« sagte die Dame, »seit wann hast du die Berge verlassen?«

»Ich kam gestern abend gegen Sonnenuntergang nach Jerusalem und hatte dich dringend sprechen wollen. Die fremden Konsuln haben meinem Bürgerkrieg Einhalt geboten, und das kostet mich ungefähr an die hunderttausend Piaster. Wir kamen in Beirut zusammen, um den Friedensvertrag zu unterzeichnen. Ich wollte keinen Verdacht erwecken und stellte mich darum auch ein. Es herrscht ein großes Durcheinander bei uns und ich habe eine solche Menge von Plänen im Kopfe! Erst will ich dir erzählen, was ich getan habe, und dann, was ich noch zu tun vorhabe. Ich habe große Erfolge errungen, aber ich bin doch wieder in Schwierigkeiten.«

»So geht es dir anscheinend immer«, sagte die Dame.

»Aber du wirst mir wieder beistehen, Rose von Saron! Du hast es ja bisher immer so gehalten, lieblichste, süßeste aller Freundinnen! Welch ein großartiges Bündnis ist doch das unsere! Meine Gedanken, dein Urteil; meine Pläne, deine Kritik. Da kann ja nichts fehlgehen.«

»Ich sehe bisher noch keine so großen Erfolge,« sagte die Dame. »Erzähle mir aber deine Neuigkeit von den Bergen. Was hast du denn gemacht?«

»Unsere Berge«, sagte Fakredin, »waren in vollständigem Aufruhr, bevor diese dumme Friedensintrige der Konsuln uns den Spaß verdarb, und die Pforte, hinter der Sir Canning steht, besteht darauf, daß kein Fürst aus unserem Hause je mehr dort herrschen soll.«

»Und das nennst du eine gute Nachricht?«

»Hm. Zunächst bleiben mein guter Onkel, der Emir Beschir und seine Söhne als Gefangene in den sieben Türmen. Nun komme ich dazu, dir zu erzählen, was ich getan habe. Ich habe meinem Onkel sagen lassen, daß ich ihm zweihunderttausend Piaster jährlich, so lange er lebt, und nach seinem Tode seinen Söhnen zahlen werde, wenn sie der Pforte die Sache so darstellen wollen, daß nur ein Fürst aus dem Hause Schihab den Libanon zur Ruhe bringen und regieren könne, und daß sie selber, um dies Ende zu erreichen, zugunsten irgend eines Mitgliedes ihrer Familie abzudanken bereit seien.«

»Und was dann?« fragte die Dame von Bethanien und nahm ihre Nargileh aus dem Munde.

»Und dann«, antwortete Fakredin, »habe ich Riza Pascha durch einen anderen Mittelsmann darauf aufmerksam machen lassen, daß von all den Fürsten aus dem großen Hause Schihab keiner so gut die Interessen der Pforte wahrzunehmen imstande sein würde, als der Emir Fakredin, und zwar aus drei Gründen, erstens, weil er ein sehr tüchtiger Fürst ist –«

»Es wäre besser gewesen, diese Tüchtigkeit durch Taten zu beweisen, anstatt sie mit Worten zu verkündigen.«

»Ganz meine Meinung,« sagte Fakredin. »Ich beweise sie in der Tat durch meinen zweiten Grund: ich verspreche seiner Exzellenz die ganzen Einkünfte des ersten Jahres aus meinem Fürstentum, falls ich ernannt werde.«

»Ich kann dir etwas verraten,« sagte die Dame. »Riza sitzt nicht sicher im Sattel. Er gilt auch für zu habgierig. Selbst wenn du durch ihn ernannt würdest, wird deine Ernennung keineswegs großen Beifall finden.«

»Doch, doch, wenn der Diwan nur den dritten Grund für meine Ernennung in Betracht zieht, daß ich nämlich der einzige Fürst aus dem großen Hause Schihab bin, der ein guter Muselmann ist.«

»Du ein guter Muselmann! Und vor zwei Monaten hast du noch den Erzbischof Murad nach Paris geschickt und König Louis um seine Unterstützung gebeten, und hast ihn gleichzeitig wissen lassen, daß du als christlicher Fürst den Glauben und die Interessen der Maroniten unterstützen würdest.«

»Und die Frankreichs ebenfalls,« sagte Fakredin. »Das ist ganz richtig, und es war eine ausgezeichnete Idee, und wenn sie sich nur ausführen ließe, wäre es sehr schön – aber der Gang der Dinge in Paris ist leider kein so glatter.«

»Das tut mir leid,« sagte die Dame, »denn das war noch die praktischste von all den unzähligen Ideen, die du schon im Kopfe gehabt hast. Die hätte sich doch vielleicht ausführen lassen. Die Maroniten sind mächtig; die Franzosen stehen auf ihrer Seite, sie sind gewissermaßen das Bindeglied zwischen Frankreich und Syrien; und du, ein christlicher Fürst und ein Emir aus dem berühmtesten Hause, du, der du noch dazu ein intelligenter Mann bist, der auch gleichzeitig auf unsere Hilfe hier zählen kann, hättest gewiß eine gute Chance gehabt.«

»Was den christlichen Fürsten anbetrifft, Eva, so darfst du nicht vergessen, daß ich die Herrschaft über die verschiedensten Völker auszuüben haben werde: denn die Maroniten sind Christen, die Metualis sind Mohammedaner, die Anzarehs sind Heiden und die Drusen sind gar nichts. Ich selber, das weißt du wohl, stamme aus einem Hause, das älter ist, als dasjenige Othmans. Wir stammen buchstäblich vom Fahnenträger des Propheten ab, und meine eigenen Besitzungen sowie die des Emir Beschir sind nachweislich seit achthundert Jahren in unserem ständigen Besitze geblieben. Unsere Vorfahren wurden Christen, um sich mit den Maroniten zu versöhnen. Und nun sage mir dies eine: in Europa geniert sich kein englischer oder französischer Prinz, der einen Thron haben will, seinen Glauben zu wechseln – warum soll ich da gewissenhafter sein wie jene? Ich nehme die Religion an, die mir ein Zepter zu verschaffen imstande ist, und wenn ein fränkischer Prinz einen neuen Glauben annimmt, wenn er London oder Paris verläßt, warum soll ich nicht meinen, je nach den Berggegenden, durch die ich komme, ebenfalls wechseln? Welchen Zweck hat es, zu einer alten Familie zu gehören, wenn man sich nicht auf das Beispiel irgend eines Ahnen berufen kann, der für jede religiöse oder politische Unternehmung uns als Entschuldigung, ja als Beispiel dienen kann?«

»O Fakredin,« sagte die Dame und schüttelte den Kopf, »du hast keine Selbstachtung.«

»Kein Syrier hat die – das paßt nicht für uns. Du bist eine Araberin; Selbstachtung paßt in die Wüste. Selbstachtung ist ein Aberglauben verflossener Jahrhunderte, eine Begleiterscheinung der Kreuzzüge. Sie paßt nicht mehr in unsere Zeit; sie verrät zuviel Eitelkeit und wirkt auf andere zu verletzend und egoistisch. Kein Mensch ist heute wichtig genug, um Selbstachtung zu haben. Siehst du das nicht ein?«

»Du rühmst dich, aus einem der ältesten Fürstenhäuser zu stammen, und die Tatsache selbst wird dir niemand in Abrede stellen können. Ich kann da nicht verstehen, wie jemand, der darauf stolz und mit Recht stolz ist, so wenig fürstlich handeln kann.«

»Fürstlich!« rief Fakredin. »Fürsten zählen heute nicht mehr ohne Anleihen. Besorge mir eine Anleihe, und dann wird der Fürst erst fürstlich handeln können. Dann erst wird aus ihm ein Herrscher. Und das ist doch die Hauptsache.«

»Aber du wirst nie eine Anleihe bekommen, ehe du nicht der Emir vom Libanon bist,« sagte die Dame. »Und heute hast du mir eingestanden, daß deine einzige Hoffnung, nämlich Paris, ebenfalls zunichte geworden ist. Was ist dir denn nun dort in die Quere gekommen?«

»Was können mir die Franzosen noch viel helfen?« sagte Fakredin. »Nachdem sie ruhig zugesehen haben, daß die Ägypter aus diesem Lande hier herausgetrieben worden sind – und das war für mich noch ein Glück, denn ihre Vertreibung hat meinen Onkel gestürzt – werden sie in Syrien nie wieder etwas Gescheites anfangen können. Ich habe von ihnen auch nur das eine verlangt, daß sie bei Riza Pascha keinen Einspruch gegen meine Ernennung erheben möchten. Darum habe ich dem Erzbischof Murad, den sie übrigens in Paris sehr gut aufgenommen haben, den Rat gegeben, eventuell auch mit den Engländern geheime Verbindungen anzuknüpfen. Er hat es auch getan und ihnen sogar angeboten, über den Kanal zu kommen und ihren Ministern genauere Auskunft zu erteilen. Ich wollte die Leute in London nur wissen lassen, daß ich in ihrem Interesse arbeiten und die protestantischen Missionäre im Libanon zulassen würde, und als Gegenleistung sollte Sir Canning bei der Pforte ebenfalls meine Ernennung unterstützen. Ich würde dann die Pforte, England und Frankreich hinter mir gehabt haben und mein Spiel wäre so gewonnen gewesen. Daß es je anders kommen mußte! Kannst du es für möglich halten? Lord Aberdeen übersandte den Brief meines Agenten an Guizot. Ich war vernichtet.«

»Und bist dazu noch in Mißachtung gekommen. Und du hast es reichlich verdient. Du wirst niemals Erfolg haben. Dein beständiges Intrigieren wird dein Ruin sein, Fakredin.«

»Intrigieren!« rief der Prinz und sprang dabei von dem Kissen, auf dem er saß. Die Worte kamen jetzt hastig aus seinem Munde, und er gestikulierte mit Händen und Füßen. »Intrigieren! Und was ist da weiter bei? Es ist das einzige, womit man vorwärts kommt! Glaubst du, Guizot und Aberdeen sind, ohne intrigiert zu haben, Minister geworden? Oder Riza Pascha etwa? Wodurch hat sich Mehemet Ali emporgeschwungen? Glaubst du, Sir Canning intrigiert nicht? Er würde in einer Woche abberufen werden, wenn er sich nicht dazu hergeben wollte. Ich habe sogar in diesem nämlichen Augenblicke auf meinem Schlosse einen seiner Spione, und ich lasse ihn alles an die Engländer berichten, was sie von mir nicht glauben sollen. Intrigieren! Hat England etwa Indien ohne Intrigen gewonnen? Glaubst du, daß nicht jetzt gerade wieder im Pendschab intrigiert wird? Durch Intrigen sind die Hälfte aller europäischen Throne gewonnen worden – jene Griechenlands, Frankreichs, Belgiens, Portugals, Spaniens und Rußlands. Wenn man Erfolg haben will, muß man sich doch einen festen Plan machen – und du nennst Pläne Intrigen!«

»So sitzt du also wiederum in der Patsche,« sagte die Dame. »Ich weiß leider kein Mittel, dir da herauszuhelfen.«

»Entschuldige! Dies ist noch nicht die Patsche – sie kommt erst. Und dazu brauche ich deine Hilfe, Tochter von tausend Scheiks! Aus dem Pariser Unfall kann ich mich herausretten und ihn womöglich noch zu einem Nutzen drehen. Ich habe mit dem Patriarchen des Libanons, der die Geschäfte des Emir Beschir führt, ein Bündnis geschlossen. Der Patriarch haßt Murad, den ich eigentlich zum Patriarchen machen wollte. Ich werde jetzt verbreiten lassen, daß der Erzbischof ein Abenteurer ist, daß er nie von mir einen Auftrag hatte, und daß mein Brief von mir nie geschrieben, sondern anstatt dessen ein gefälschter vorgelegt worden ist. Der Patriarch muß nach Stambul gehen und mich mit Frankreich durch Vermittelung de Bourqueneys wieder versöhnen; mein Onkel muß abgesetzt werden; die Maroniten müssen sämtlich eine Petition unterzeichnen, in welcher die Pforte ersucht wird, mich zu ernennen; die Petition ist sogar schon aufgesetzt –«

»Und die Drusen? Wird dir diese Maroniten-Petition nicht bei den Drusen schaden?«

»Ich wohne ja bei den Drusen selber, siehst du das nicht ein?« sagte Fakredin, schüttelte dabei mit dem Kopfe und sah sie mit schlau blinzelnden Augen an. »Die Drusen sind mir blind ergeben. Sie wissen, daß ich einer der ihrigen bin. Sie werden nichts anderes glauben, als daß ich die Maroniten anführen will.«

»Und was hast du denn den Maroniten zu Gefallen getan, daß sie dir so bereitwillig folgen?« fragte die Dame ruhig.

»Das ist gerade der Punkt,« flüsterte Fakredin, »es ist der beste Streich, den je ein König ohne ein Königreich ersonnen hat – denn ich bin entschlossen, den Berg wenigstens zum Königreich erheben zu lassen! Du erinnerst dich an Ibrahim Pascha und an seinen Plan zur Entwaffnung des Libanons: die Maroniten fielen auf den Rat ihrer Geistlichen darauf hinein, aber die Drusen kamen vernünftigerweise mit ihren Gewehren und Säbeln. Dies hat die Maroniten bis auf den heutigen Tag gewurmt, denn die Drusen lächeln höhnisch, wenn sie einem von ihnen begegnen und behandeln sie nur noch als Weiber. Die Pforte will natürlich nichts mehr für die Maroniten tun, sie nimmt ihnen sogar wieder die Gewehre ab, die sie ihnen für den Aufstand geliehen hatte. Nun, und da die Pforte ihnen keine Waffen mehr geben wollte, so habe ich mich entschlossen, es zu tun.«

»Du!«

»Es ist sogar schon alles verabredet, die Karawane steht fertig da; wir brauchen jetzt nur noch einen Führer. Darum bin ich eben nach Jerusalem gekommen. Scheriff Effendi, den ich gestern getroffen habe, hat mir fünftausend englische Gewehre verschafft, und ich habe die Beduinen von Zoalia geworben, daß sie sie mir in die Berge tragen.«

»Du hast wirklich Salomons Siegelring, mein lieber Fakredin.«

»Ich wünschte, ich hätte ihn, denn dann könnte ich die zweihunderttausend Piaster diesem ägyptischen Kamel, dem Scheriff Effendi, auszahlen, und er würde mir meine Gewehre ausliefern, die er mir jetzt hartnäckig, wie ein wahrer Sohn von Eblis, vorenthält.«

»Dies ist also deine Patsche, Fakredin. Und über wieviel Geld verfügst du denn überhaupt?«

»Ich habe keinen einzigen Piaster in der Tasche und vom Sultan werde ich sicherlich, ehe meine Anleihe geglückt ist, nicht einmal so viel Gold bekommen, wie in einer Rose deiner Nargilehpfeife enthalten ist. Meine Ernte für das nächste Jahr ist schon verkauft, meine Juwelen sind fort, meinen Marstall kann ich auch nicht mehr zusammenhalten. Es gibt keinen Hund mehr in den Straßen von Beirut, von dem ich nicht Geld geborgt hätte. Riza Pascha schluckt alles, er ist wie ein Schwamm, mit dem man den See von Galilea austrocknen könnte.«

»Es ist trotzdem sehr günstig, daß du den Patriarchen vom Libanon für dich gewonnen hast,« sagte die Dame, »ich habe immer das Gefühl gehabt, daß, solange dir dieser Mann feindlich war, auf die Maroniten nie sicher zu rechnen gewesen wäre. Und doch diese Waffen – die haben doch gar keinen Zweck, denn du hast doch gar keine Absicht, einen Aufstand zu machen.«

»Nein – aber sie werden sich mit den Drusen zanken können und einander die Kehle abschneiden, und das wird die Berge noch unsicherer machen, und die Engländer werden ihre Kunden für den Kaliko verlieren, siehst du das nicht ein? Lord Palmerston wird die Sache im Ministerrat zur Sprache bringen müssen, und das wird meine Rache an Aberdeen sein, weil er meinen Brief hinter meinem Rücken Guizot übersandt hat. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Die Kalikolieferanten werden sich den Fürsten aus dem Hause Schihab wünschen! Riza wird mich in Vorschlag bringen; Bourqueney wird kein Wort dagegen einzuwenden haben und Sir Canning wird, wenn er sich so bedrängt sieht, eine fein stilisierte Note über den Frieden Europas und das Gedeihen des Libanon in die Welt setzen und die Sache ist gemacht.«

»Und hast du meinen Vater schon besucht?«

»Ich habe ihn besucht«, sagte der junge Emir und senkte die Augen zu Boden.

»Er hat schon soviel für dich getan«, sagte Eva.

»Bitte du ihn, noch mehr zu tun, Rose von Saron,« sagte Fakredin und gebärdete sich dabei wie ein Kind, das um ein Spielzeug bittet. Schließlich warf er sich ihr sogar zu Füßen und küßte immer wieder und wieder den Saum ihres Gewandes. »Ersuche ihn, noch mehr zu tun,« wiederholte er mit zarter schmeichelnder Stimme, »er kann dir nichts abschlagen. Frage du ihn, frage du ihn, Eva! Du bist meine einzige Freundin und ich bin so ganz verlassen. Du bist mir alles gewesen, meine Freundin, meine Ratgeberin, mein Liebling, meine Perle, mein Rubin, meine Rose von Rochnabad! Bitte du ihn, Eva – vergib mir meine Fehler, – du weißt, mein Herz ist gut – lege du ein gutes Wort ein!«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sag ihm, daß du meine Schwester bist, daß ich sein Sohn bin, daß ich dich und ihn liebe, erzähle ihm, was du willst. Sage ihm, er sollte es tun, weil ich auch ein Jude bin.«

»Was bist du?« fragte Eva.

»Ein Jude, ja, ein Jude. Ich bin ein Jude von Rasse und wir sind alle Juden von Glauben.«

»Du Sohn einer Sklavin!« rief die Dame, »du verheuchelter Mensch! Du magst dich als Christ oder Muselmann, Heiden oder Drusen ausgeben, aber schone mein Volk, Fakredin, es ist von seiner Höhe gefallen –«

»Doch nicht so tief gefallen als ich. Das mag alles wahr sein, aber ich liebe dich, Eva, und du liebst mich, und wenn ich so viele Tugenden selbst wie du hätte, so könntest du mich nicht mehr lieben, vielleicht weniger. Frauen fühlen gerne ihre Überlegenheit; du bist so klug wie ich und dabei viel ruhiger; du bist großmütig und ich bin selbstisch, du bist ehrenhaft und ich ein Schuft, du bist tapfer und ich feige, du bist reich und ich arm. Sei zufrieden damit und gib einem am Boden Liegenden nicht noch Fußtritte« – hierbei nahm Fakredin ihre Hand und bedeckte sie mit unzähligen Tränen.

»Lieber Fakredin,« sagte Eva, »ich dachte, du spaßtest, wie ich vorhin gespaßt habe?«

»Wie kann ein Mann zum Spaß aufgelegt sein, der soviel durchzumachen hat, wie ich!« sagte der junge Emir betrübt und blieb dabei noch immer zu ihren Füßen liegen. »O du, die du mir mehr als eine Schwester bist – es ist die Hölle! Mein Ziel ist selbst mit den größten Hilfsmitteln schwer zu erreichen, und ich habe gar keine.«

»Gib es auf.«

»Aber ich bin jung und außerdem ein ruinierter Mann. Ich habe zwei Ursachen, derentwegen ich handeln sollte – zwei der wichtigsten Gründe: ich bin jung und habe Schulden. Beides regt zum Handeln an. Jeder junge Fürst sollte den Libanon erobern können, aber ein junger Fürst mit Schulden sollte die Welt erobern!« Und der Emir sprang auf und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

»Ich bin der Meinung, Eva,« sagte er nach einer Pause in seinem gewöhnlichen Tone, »ich bin der Meinung, du solltest doch noch deinen Vater zu überreden versuchen, ich betrachte mich als seinen Sohn, er hat mir das Leben gerettet. Und ich bin ein Jude – die Milch deiner Mutter fließt auch in meinen Adern, und ganz abgesehen davon war mein Ahne der Fahnenträger des Propheten und der Prophet war der Nachkomme Ismaels und Ismael und Israel waren Brüder. Ich bin wirklich der Überzeugung, daß ich mich meiner arabischen Abstammung wegen und weil ich dein Milchbruder bin, einen Juden nennen darf und daß dein Vater mir schon darum helfen sollte.«

»Das mußt du mit meinem Vater allein ausmachen,« sagte Eva. »Nach meinem letzten vergeblichen Versuche habe ich meinem Vater versprechen müssen, daß ich nie mit ihm wieder über deine Angelegenheiten sprechen würde, ich bin daher vollkommen gebunden. Du solltest nicht weiter in mich dringen, Fakredin.«

»Oh, nun bist du mit mir böse,« rief er aus und setzte sich ihr wieder zu Füßen. »Und innerlich denkst du, daß ich das egoistischste aller menschlichen Wesen bin. Ich gebe es auch zu. Aber ich habe zeitweise noble Anwandlungen. Ich bin nicht wie meine Väter damit zufrieden, in einem schönen Palaste inmitten von Wäldern und Bergen zu wohnen und mit schönen Pferden und hurtigen Falken und prächtigen, edelsteingeschmückten Nargilehpfeifen mich zufrieden zu geben. Mein Herz steht nach mehr, als nach einem Haufen schöner Sklaven, Musik und Tänzen. Ich will, daß Europa von mir sprechen soll. Ich habe es satt, von nichts weiter als von Ibrahim Pascha, Louis Philippe und Palmerston zu hören. Auch ich verstehe mich auf Politik und ich stamme aus einer besseren Familie, wie alle diese drei, denn Ibrahim stammt aus der niedrigsten Sphäre, ein Schihab ist besser als ein Burbone, und Lord Palmerston hat nur einen Sitz in der zweiten Ratskammer der Königin, wie mir ein Engländer, mit dem ich in Beirut politische Beziehungen angeknüpft habe, neulich erzählt hat.«

»Du bist aber jetzt in eine Sackgasse geraten, Fakredin, aus der es anscheinend keinen Ausweg mehr gibt. Ich selber kann dir nicht helfen, denn meine Mittel, die niemals sehr große waren, sind vollkommen erschöpft.«

»Nein,« sagte der Emir, »noch können wir das Spiel gewinnen. Höre zu, Rose von Saron, denn dies ist gerade der Punkt, weswegen ich dich um Rat fragen will. Ein junger englischer Lord ist vor ungefähr einer Woche oder zehn Tagen nach Jerusalem gekommen; er gehört zum höchsten Adel seiner Heimat und ist reich genug, um den ganzen Basar von Damaskus aufkaufen zu können; er ist im Besitze eines unbeschränkten Kreditbriefes auf deinen Vater. Kein Mensch kann herausbekommen, weswegen er hier ist. Ich habe meinen Verdacht; außerdem ist ein französischer Offizier hier, der niemals den Mund aufmacht. Ich lasse sie beide beobachten. Der Engländer will, wie ich heute morgen gehört habe, zum Sinai gehen. Es ist natürlich keine Pilgerfahrt, weil die Engländer eigentlich weder Christen noch Juden sind, sondern eine gewisse eigene Religion befolgen, die jedes Jahr von ihren Bischöfen, von denen sie auch einen nach Jerusalem geschickt haben, in einer Art Parlament, einem Mufti-Kolleg, ausgedacht und verkündet wird – du verstehst mich. Nun leihe mir einen Augenblick dieses schöne Ohr, das wie eine Mandel von Aleppo aussieht! Ich mache den Vorschlag, daß einer der Stämme, die deinem Großvater untertänig sind, den Engländer bei seinem Ritt durch die Wüste überfallen und gefangennehmen sollen. Verstehst du? O Rose von Saron, noch bin ich nicht geschlagen, dein Fakredin ist nicht der dumme Kerl, für den du ihn noch vor wenig Augenblicken anscheinend gehalten hast. Selbst Ibrahim oder der König von Frankreich oder Palmerston selber könnten keinen besseren Plan aushecken. Welch feines Lösegeld! Mit dem Gelde des englischen Lords werden Scheriff Effendis fünftausend Gewehre und dann noch die Transportkosten in die Berge auf Heller und Pfennig bezahlt werden!«


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