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Viertes Kapitel

»Der Wald von Montacute« – also heißt ein Distrikt im Norden Englands, der in mancher Beziehung seinen Namen nicht ganz mit Recht zu tragen scheint. Denn das Land ist besonders während des letzten Jahrhunderts bedeutend entwaldet worden und ist heute zum großen Teil nur eine weite Ebene reichen Ackerlandes, das dem Auge wenig Malerisches bietet. Der Blick schweift nur über dichte Hecken und ausgedehnte Kornfelder, die von manchem funkelnden Kirchturme und einigen lustigen Windmühlen unterbrochen werden. Am Horizonte kann man an einem klaren Tage die blauen Hügel der schottischen Berge sehen und in nördlicher Richtung hört das kultivierte Land plötzlich auf und die dunkle Masse des alten Waldes schließt das Bild ab. Der Wanderer, der die Waldeinsamkeit liebt, wird hier mancherlei Schönheit entdecken und braucht keine Angst vor Gefahren und unerwünschten Abenteuern zu haben. Denn mitten durch den Wald führt zwischen Beständen alter Eichen hindurch eine großartige Straße, und wenn diese Eichen einen reichlich mit Farnkräutern bestandenen Rasenplatz frei lassen, so erblickt man auf diesem häufig ein oder mehrere Rehe, die mit ruhiger und furchtloser Würde auf den Eindringling herabsehen. Eine Menge Seitenwege, die von der Hauptstraße abgehen, sind ebenfalls in ausgezeichneter Weise angelegt und gehalten.

Mitunter lichtet sich auch der Wald und man erblickt das Gehöft eines Forsthauses, das sich durch die Sauberkeit seines Äußeren und die schöne Proportion seiner ländlichen Architektur auszeichnet. Bald werden die Rehe seltener, an die Stelle der Eichen tritt eine Reihe von Kastanienbäumen, an der Stelle des Waldes zu beiden Seiten sieht man Gemüsegärten. Die Gegend wird auch belebter, man trifft allerlei Leute, Frauen mit leeren Körben, die vom Markte zurückkommen, Bauernwagen mit kräftigen Pferden davor, und dann – eine seltene Erscheinung – die Post. Der Postillion treibt die Pferde an, knallt mit der Peitsche und fährt in vollstem Galopp hinein in die Stadt Montacute, den Hauptort des Walddistriktes.

Es ist die anmutigste, kleine Stadt der Welt und ganz aus behauenen Steinen erbaut. Ihre Straßen sind gut gepflastert, abends ausgiebig beleuchtet und so sauber gehalten wie die eines holländischen Dorfes. Sie enthält zwei Kirchen: eine sehr alte, die andere erst von dem jetzigen Herzog erbaut, und zwar in schönstem Stile der christlichen Architektur. Die Brücke, die über den kleinen, aber reißenden Fluß, die Belle, geht, ist vielleicht etwas zu mächtig und römisch für den Zweck; aber sie ward von dem ersten Herzog der zweiten Dynastie erbaut und dieser hatte immer Angst, daß etwas nicht standesgemäß genug aussehen könnte. Die Stadt verdankte ihm ebenfalls ihr Rathaus, das im Palladiostile errichtet ist. Die Stadt Montacute verfügte im übrigen im Parlamente über zwei Stimmen – aber da jedes Haus daselbst dem Herzoge gehörte, so wurden diese beiden Stimmen von den Whigs seit alters her und mit Recht den Tories zugeschrieben.

Das Rathaus, ein literarischer Klub und die neue Kirche liegen am Markte, in dessen Mitte sich eine Fontäne, ein Geschenk der jetzigen Herzogin, befindet und den außerdem noch einige stattliche Häuser neuesten Datums nicht unbeträchtlich verschönen.

Am Ende der Stadt erhebt sich ein mit kleinem Gehölz bestandener Hügel und zwischen den dunkeln Baumgipfeln erblickt man die Türme des äußeren Hofes von Montacute Castle. Das Hauptgebäude, das seine Entstehung verschiedenen Jahrhunderten von den Plantagenets bis zu den Welfen verdankt, erhebt sich auf einer Terrasse, von welcher man an der gerade der Stadt gegenüberliegenden Seite in einen mit stattlichen Bäumen geschmückten Garten, den sogenannten Home Park, herabsteigen kann. Hinter dem Schlosse und dem Hügel setzt sich der Wald wiederum fort – Rehe, die durch das Farnkraut streichen, äugen uns wiederum an – und die große, grüne Besitzung endigt erst an jenen ausgedehnten, purpurnen Mooren, die die Königreiche Großbritanniens voneinander trennen.

Es war an einem der ersten Apriltage. Der Herzog saß mit einer Feder in der Hand in seinem Schreibzimmer, neben ihm die Herzogin, die er von Zeit zu Zeit mit freudigen Augen ansah. Die hohe Frau stand etwas hinter ihm, ihre eine Hand auf der Lehne des Stuhles oder mitunter auf seiner Schulter, mit der anderen preßte sie, in den Pausen des Gespräches, von Zeit zu Zeit ein Taschentuch an ihre Augen, die vor freudiger Erregung überflossen.

»Es ist zu viel«, sagte die Herzogin.

»Und so taktvoll und hübsch formuliert«, sagte der Herzog.

»Wir sollten in diesem Augenblicke unserem lieben Kinde noch nichts sagen; es hat so vielerlei jetzt durchzumachen.«

»Du hast recht, Kate. Nach dem Fest ist auch noch Zeit dazu. Wie er sich freuen wird!«

»Mein liebster George, mitunter kommt mir der Gedanke, daß wir zu glücklich sind.«

»Du bist nicht halb so glücklich, als du es verdienst«, erwiderte ihr Gatte und sah sie mit freundlichem Lächeln an. Dann beendigte er sein Antwortschreiben auf den Brief von Mr. Hungerford, eines der Parlamentsmitglieder der Grafschaft, der dem Herzog seine Absicht mitgeteilt hatte, sein Parlamentsmandat zugunsten des soeben majorenn gewordenen Erben des Hauses von Bellamont niederzulegen. »Ich nahm meinen Sitz im Parlament sehr gegen meinen Willen an. Eure Durchlaucht haben mich auf die liebenswürdigste Weise seinerzeit darum ersucht und sind mir auch seitdem stets huldvollst entgegengekommen. Aber ein Marquis von Montacute ist meiner Meinung nach – und diese meine Meinung wird von der ganzen Grafschaft geteilt – unser geeigneter Vertreter, ganz abgesehen von der Erwägung, daß unser Parlament junges Blut dringend nötig hat.«

»Sehr gewandt und taktvoll abgefaßt«, sagte der Herzog noch einmal.

»Aber du bist auch immer sehr nett zu ihm gewesen, George, wie du es im übrigen zu allen Leuten bist. Es ist nur deine rechtmäßige Belohnung.«

»Es würde mir sehr leid tun, wenn Hungerford sein Mandat nicht ganz aus freien Stücken niederlegen würde oder wenn seine Familie etwas dagegen einzuwenden haben sollte,« bemerkte der Herzog. »Sie sind äußerst angesehene Leute, eine der angesehensten Familien in der Grafschaft, es wäre zu bedauern, wenn seine Verwandten und Freunde seinen Schritt nicht billigen würden.«

»Natürlich billigen sie ihn – jedermann billigt ihn. Mr. Hungerford sagt es ja selber. Und ich muß es auch sagen – obgleich ich mich sehr über den Brief freue –, daß ein Lord Montacute das natürliche Parlamentsmitglied für unsere Grafschaft ist, und ich bin der festen Überzeugung, daß, wenn Mr. Hungerford oder irgend ein anderer nicht ihr Mandat niedergelegt hätten, sie unserem Kinde niemals ohne Selbstvorwürfe hätten gegenübertreten können.«

»Trotzdem muß es für einen Mann wie Hungerford, der einer alten Grafschaftsfamilie angehört, nicht leicht gewesen sein, einen anderen in sein warmgesessenes Nest hereinzulassen,« sagte der Herzog nachdenklich. »Es war doch eine hübsche Aufmerksamkeit von ihm.«

»Und wir werden es ihm zu vergelten wissen,« sagte die Herzogin. »Wenn die Hungerfords am nächsten Donnerstag hierherkommen, werden wir aller Welt zeigen, daß wir sie zu unseren besten Freunden rechnen.«

»Das ist meine alte Kate! Hier ist ein Brief von deinem Bruder. Sie werden morgen hier sein. Eskdale kann erst Mittwoch kommen, er hat eine Sitzung wegen seines neuen Hafenprojektes.«

»Ich freue mich sehr, daß sie schon morgen kommen können,« sagte die Herzogin. »Es liegt mir viel daran, daß unser Sohn Kate zu Gesicht bekommt, bevor das Schloß zu voll ist, denn später wird er tausenderlei Verpflichtungen haben, die ihn in Anspruch nehmen! Ich bin sicher, daß er sie sofort liebgewinnen wird. Sie sind zwar Vetter und Cousine, – aber das waren wir auch und das hat uns nicht gehindert, uns herzlich liebzugewinnen.«

»Wenn sie dir so ähnlich ist, wie du deiner Tante bist –«, sagte der Herzog und sah ihr lächelnd ins Gesicht.

»Sie ist mir sehr ähnlich, sagt Harriet, nicht nur an Gesicht und Figur, sondern auch an Charakter.«

»Dann wird unser Sohn einst ein sehr glücklicher Mann sein«, sagte der Herzog.

»Daß das alles so zusammentrifft: Majorenn-Erklärung, Eintritt ins Parlament und Heirat! Wir haben wirklich allen Grund, dankbar zu sein! Welch ein glückliches Jahr!«

»Aber keines dieser glücklichen Ereignisse hat bis jetzt wirklich stattgefunden«, sagte der Herzog und lächelte.

»Aber sie werden – so Gott will – stattfinden«, sagte die Herzogin.

»Ich würde die Heirat nicht zu sehr beschleunigen.«

»Sicherlich nicht – vor dem Herbst sollte er gar nicht daran denken. Aber ich sähe es gerne, wenn seine Hochzeit an unserem Hochzeitstage stattfinden würde.«


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