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Sechstes Kapitel

Die Herzogin beruhigte sich nach dieser Unterhaltung mit Lord Eskdale allmählich; sie war sehr sanguinisch veranlagt und glaubte mit Leichtigkeit, was sie wünschte. Die Sache stand jetzt so: man war übereingekommen, Tancred ins Heilige Land gehen zu lassen, aber er sollte sich in seiner eigenen Jacht dorthin begeben. Diese Jacht sollte ein hohes Tonnengehalt besitzen und einen Marineoffizier zum Kapitän haben; Oberst Brace, Herr Bernard und Dr. Roby sollten Tancred begleiten und die ganze Dienerschaft sollte unter die Kontrolle eines vertrauenswürdigen Ausländers gestellt werden, der mit dem Osten gut bekannt wäre und den Lord Eskdale auswählen sollte. Tancred seinerseits hatte sich bereit erklärt, bis zu seiner Abreise sich viel in Gesellschaft bewegen zu wollen. Die Herzogin hatte sich ausgerechnet, daß drei Monate unter allen Umständen vergehen mußten, bevor alle Reisevorbereitungen getroffen wären, und war ihrerseits ganz sicher, daß Tancred sich während dieser Zeit in seine Cousine Katharine verliebt haben würde und daß der einzige Nutzen der Jacht der sein dürfte, die ganze Gesellschaft nach Irland herüberzufahren. Der Herzog war zu zweierlei Dingen fest entschlossen: daß sein Sohn tun sollte, was ihm beliebte, und daß er, der Herzog, niemals jemand anderen in der Sache um Rat fragen würde, als Lord Eskdale.

In der Zwischenzeit wurde Tancred, ohne daß er eigentlich viel davon merkte, in die große Welt eingeführt. Der Name des Marquis von Montacute war einer der ersten in jenen Zeitungslisten, durch die ein neugieriges und bewunderndes Publikum erfährt, wo und wann ihre Aristokratie ißt, trinkt, tanzt und mitunter auch betet. Lord Montacute wurde in der Presse von den Salons Belgravias und Grosvenor Squares bis zu den heiligsten Sitzen der Königlichen Kapelle verfolgt und registriert, und diese interessanten Nachrichten wurden jeden Morgen mit noch größerem Appetit verschlungen, als das Morgenfrühstück, während dessen sie gelesen wurden. England ist ja das einzige Land der Welt, das den unglaublichen Vorteil hat, so regelmäßig und so schnell mit einer Liste jener beglückten Sterblichen versehen zu werden, die die Häuser der Großen betreten durften. Welch eine Liebenswürdigkeit von der Seite jener, die diese Nachrichten in die Zeitungen bringen! Welch unzweifelhaftes Zeugnis ihres edlen Empfindens! Wie hoch stehen alle diese Aristokraten über der kleinlichen Eitelkeit! Und wie hoch – auf der anderen Seite – alle die guten Bürger, denen diese Wohltaten zuteil werden, über servilen Gefühlen! Auf der einen Seite keine Arroganz, auf der anderen kein Neid! Nur Länder, die mit einer freien Presse gesegnet sind, weisen derartige schöne Züge auf! Selbst eine freie Presse ist oft nicht genug. Außer der freien Presse muß man nämlich noch ein Sklavenpublikum dazu haben.

Doch wir wollen nicht ungerecht sein. Die außenstehende Welt ist zu dem Glauben geneigt, daß viele Leute außerhalb des glänzenden aristokratischen Zirkels den dringenden Wunsch – einen Wunsch, der sich kaum mit Selbstachtung verträgt – im Busen tragen, in die Gesellschaft der Großen zu gelangen. Das ist unwahr: sehr wenig Leute wollen wirklich ihre Gesellschaften besuchen. Nicht die Reize ihrer Unterhaltung, die Schönheit ihrer Frauen, die Gegenwart der Berühmtheiten, nicht all der Glanz und die Annehmlichkeiten der großen Welt locken die Menge in ihre Salons. Was die Menge wünscht, ist weniger in die Häuser der hohen Damen, als in ihre Zeitungslisten zu kommen. Bei einer Gesellschaft glückt es z. B. einer Mrs. Guy Flouncey schließlich, eine Einladung zu Lady St. Julians Diners zu erhalten. Es ist ein großartiger Triumph, und Mrs. Guy Flouncey freut sich schon, ihn genügend ausnützen zu können. Aber wehe! Am nächsten Morgen findet sie heraus, daß man sie, obwohl sie persönlich beim Diner war, aus der Liste einfach weggestrichen hat! Ein schwerer Schlag! Aber mit einiger Energie wird es Mrs. Guy Flouncey schon noch gelingen, in jede Liste zu kommen, und dereinst wird sie sogar – welch Glück – selber noch Namen ausstreichen dürfen!

Lord Montacute empfand es sehr unangenehm, als er eines Morgens die Zeitung aufmachte und seinen Namen darin gedruckt fand. Obwohl er allein war, errötete er, ja er fühlte sich unangenehm berührt, daß man dem englischen Publikum mitteilte, er hätte am vorigen Sonnabend bei der Gräfin St. Julians diniert und wäre nachher in der Oper »bemerkt« worden.

Er entdeckte, daß er mit einem Male ein berühmter Mann geworden war, und er wußte, daß er diese Berühmtheit nicht verdient hatte. Wenn er ein Held gewesen wäre, oder etwas gesagt, getan oder geschrieben hätte, das etwas wert gewesen wäre, so hätte er es schließlich begreiflich finden oder sich gar, obwohl er schüchtern war, daran gewöhnen können, daß man mit dem Finger auf ihn deutete, denn er war ehrgeizig – aber sich des öffentlichen Ansehens aus keinem anderen Grunde zu erfreuen, als weil er ein junger Lord war und deswegen in den Zeitungen verkündet zu sehen, wo er dinierte und wie er sich amüsierte, erschien ihm nicht allein peinlich, sondern direkt erniedrigend. Als er aber dann schließlich zu einer Notiz kam, die seinen Kirchenbesuch sorgfältigst angab, nahm er sofort seinen Wagen, um nach dem Surrey-Kanal zu fahren und sich dort eine Jacht anzusehen, denn er war entschlossen, London sobald wie möglich zu verlassen und nach Jerusalem zu pilgern.

Er hatte von Anfang an die Vorbereitungen zu seiner Reise mit allem Eifer der Jugend betrieben; und das heißt natürlich nichts anderes, als mit der Energie der Unerfahrenheit und all der Kraftverschwendung des Neulings. Da alles davon abzuhängen schien, daß er sich ein tüchtiges Schiff besorgte, verließ er sich auf keine Agenten oder Mittelspersonen und hatte in jeder Zeitung Annoncen erlassen. Schon hatte er mehr als eine Jacht herausgefunden, die gar nicht übel zu passen schienen. Die Herzogin war über seine eifrige Tätigkeit ganz bestürzt. »Ich habe Angst, er hat schon eine gefunden,« sagte sie zu Lord Eskdale, »und wird jetzt bald in See gehen.«

Lord Eskdale schüttelte seinen Kopf. »Ein paar solcher Schiffe werden ständig angeboten. Er wird seine Erkundigungen einziehen, bevor er den Handel abschließt, und wird dann schon herausfinden, daß es sich wieder um einen alten Kasten handelt.«

»Einen alten Kasten?« fragte die Herzogin ängstlich. »Was ist das?«

»Ein Dings, das so langsam wie ein Kohlenschiff fährt und das ihn, anstatt nach Jerusalem, kaum nach Newcastle bringen kann.«

Lord Eskdale hatte recht. Trotz allen Eifers und allen Fragens, trotz aller Besuche in Cowes und im Surrey-Kanal, trotz aller Annoncen und Schreibereien verging die Zeit und Tancred hatte seine Jacht noch immer nicht.

Während so alles noch in der Schwebe war, wurde er eines Abends nach Deloraine House zum Ball eingeladen. Eigentlich war es kein Ball, sondern nur eine sehr gewählte und brillante Tanzgesellschaft. Trotzdem erschienen Tancred bei seinem Eintritt sämtliche Räumlichkeiten sehr überfüllt. Als der Name des Marquis von Montacute vom Diener ausgerufen wurde, drehten sich alle Köpfe herum. Tancred hatte sich noch kaum in Gesellschaft sehen lassen und schon hatte er die allgemeine Aufmerksamkeit erregt; alle Welt sprach von ihm, aber wenige hatten ihn noch bis jetzt zu Gesicht bekommen.

»Ah! Das ist Lord Montacute,« sagte eine große Dame und fixierte ihn dabei durch ihre Lorgnette, »sehr distinguiert aussehender junger Mann!«

»Hören Sie mal,« flüsterte Herr Ormsby in Lord Valentines Ohr, »Ihr jungen Leute solltet euch zusammennehmen, sonst hebt euch Lord Montacute noch sämtlich aus dem Sattel.«

»O nein – der will ja nach Jerusalem gehen«, sagte Lord Valentine.

»Jerusalem!« sagte Herr Ormsby und zuckte dabei die Achseln, »was kann er in Jerusalem wollen?«

»Das möchte ich auch wissen,« sagte Lord Milford. »Mein Bruder war 1839 da, er hatte nach dem Bombardement von Akkra sich Urlaub genommen und er hat mir erzählt, daß es dort so gut wie gar keine Sportgelegenheit gäbe.«

»Zur Zeit Jeremias gab es da noch Rebhühner,« sagte Herr Ormsby, »wenigstens haben sie uns so etwas ähnliches letzten Sonntag in der Kirche erzählt. Ich habe dort übrigens zum ersten Male Gelegenheit gehabt, Lord Montacute zu sehen, und muß wahrhaftig sagen, daß er ein sehr hübscher junger Mann ist.«

»Na, heutzutage ist in dem ganzen Lande kein einziger Vogel mehr aufzutreiben«, sagte Lord Milford.

»Montacute macht sich nichts aus Sport«, sagte Lord Valentine.

»Woraus macht er sich denn etwas?« fragte Lord Milford. »Wenn er nämlich ein paar gute Pferde haben will, kann ich ihm ein paar besorgen.«

»Er will sich eine Jacht kaufen,« sagte Lord Valentine. »Das erinnert mich übrigens daran, daß Exmouth mir gesagt hat, er wollte seine ›Kornblume‹ loswerden und die könnte meinem Vetter vielleicht passen. Ich werde es ihm sofort mitteilen.« Mit diesen Worten ging er seinem Vetter nach.

»Sie und Valentine müssen sich jetzt ein bißchen mehr anstrengen, Milford,« sagte Herr Ormsby; »denn ein neuer Rivale ist im Feld erschienen. Wir sprechen gerade von Lord Montacute,« sagte Herr Ormsby zu Herrn Melton, der gerade an ihre Gruppe herangetreten war, »ich habe soeben zu Milford gesagt, daß der euch alle an die Wand drücken wird.«

»Nun,« sagte Herr Melton, »ich für meinen Teil habe schon so viele Erfolge gehabt, daß es mir zur Abwechslung sehr angenehm sein kann, wenn mich auch einmal einer an die Wand drückt.«

»Gut gebrüllt, Jemmy,« sagte Lord Milford.

»Ich sehe mit Vergnügen, lieber Melton,« sagte Herr Ormsby, »daß Sie sich wie ein Philosoph über Ihr unvermeidliches Schicksal trösten werden.«

»Nun, Montacute,« sagte Lord St. Patrick, ein angenehmer, witziger Herr, »wann werden Sie nach Jericho gehen?«

»Sagen Sie mir doch,« antwortete Tancred in ziemlich ernstem Tone, »wer ist diese Dame dort?« Hierbei deutele er vorsichtig auf eine ziemlich große, junge Dame mit prächtigem Teint, klassischen Gesichtszügen und einer Menge hellbraunen Haares, das ein sehr intelligentes Gesicht umrahmte.

»Das ist Lady Constance Rawleigh. Wenn Sie wünschen, stelle ich Sie vor. Sie ist meine Cousine und außerordentlich klug. Kommen Sie!«

In der Bildergalerie, wo getanzt wird, geht es inzwischen hoch her. In dem Zimmer, das dorthin führt, ist die Fülle der Menschen überaus erdrückend, weil die Paare, die getanzt haben, sich mit denen, die erst tanzen wollen, hier gerade treffen. Während sie aneinander sich vorüber drängen, werden kleine, flüchtige Bemerkungen ausgetauscht.

»Man hat mir erzählt, Sie seien in Paris! Gerade zurückgekommen! ... Himmel, wie die Zeit vergeht! ... Ein hübscher Tanz, nicht wahr? Reizend ... Haben Sie eine Ahnung, ob die Madlethorpes dieses Jahr zur Saison nach London kommen werden? Ich bin nicht ganz sicher, ihr kleines Kind ist krank. Ja, das habe ich auch schon gehört. Wie schade, mit so einem Vermögen! Sehr schade um so ein Vermögen! ... Wie geht's? Herr Coningsby auch hier? Nein, er ist im Parlament. Ich höre, er geht fast regelmäßig hin. Ja, er interessiert sich dafür ... Na, Lady Florentine, Sie haben ganz vergessen, mir die Tanzmusik zu schicken. Verzeihung, aber ich werde es sofort nachholen. Ich habe sie Augusta geliehen und die hat sie behalten, weil sie sie abschreiben wollte ... Darf man Ihnen gratulieren? Warum? Lady Blanche? Ich freue mich wirklich. Eine ausgezeichnete Partie für beide – passen vorzüglich zueinander. Das ist das allgemeine Urteil ... Wie gut Lady Everingham heute aussieht! Ja, sie ist wieder gänzlich hergestellt. Gänzlich ... Sagen Sie mir, haben Sie nicht M. de Talleyrand hier gesehen? Ich habe eben mit ihm gesprochen ... Werden Sie morgen zu Lady Blair kommen? Nein, ich habe bei Mrs. Guy Flouncey zugesagt. Sie hat Craven Cottage gemietet und empfängt jeden Sonnabend. Wenn Sie hinkommen, gehe ich auch. Tun Sie es ja: alle Welt kommt dorthin.«

Lord Montacute hatte eine Zeitlang mit Lady Constance gesprochen; dann hatte er mit ihr getanzt und war den Abend über an ihrer Seite geblieben. Sein Benehmen war, besonders bei einigen erfahrenen Müttern, nicht unbemerkt geblieben. Lady Constance war eine bekannte Schönheit, die erst zwei Saisons mitgemacht hatte und die nebenbei für eine sehr gescheite junge Dame galt. Man erzählte sich, sie hätte schon die besten Anträge zurückgewiesen; man wußte aber auch, daß jene Zurückgewiesenen sie noch immer umseufzten, woraus man den Schluß zog, daß sie trotz ihres entschiedenen Temperaments ihre Pillen zu verzuckern imstande war. Einer von diesen stand sogar auf derselben Rangstufe mit Tancred. Sie hatte den Ruf eines gewandten Benehmens und man sagte ihr nach, daß sie nicht nur mit Liebenswürdigkeiten und Annehmlichkeiten, sondern, wenn nötig, auch ihren Bewunderern mit dem Gegenteil dienen konnte. In der Gesellschaft war außerdem das Gerücht verbreitet, daß sie nur für intelligente Männer schwärme und daß ein Esel ihr nie zusagen würde, selbst wenn er seine Ohren hinter der Erdbeerblüte eines Herzogswappens verstecken konnte.

Selbst in der Garderobe war Tancred noch bei ihr und wurde von ihr ihrer Mutter, Lady Charmouth, vorgestellt.

»Es tut mir leid, daß wir uns trennen müssen«, sagte Tancred.

»Und mir auch,« sagte Lady Constance und lächelte, »aber in unserem Gesellschaftskreise haben wir wenigstens den Vorteil, unsere Freunde alle Tage sehen zu können.«

»Ich bin morgen nirgends eingeladen, wo ich Sie treffen könnte,« sagte Tancred, »oder kommen Sie auch zufällig zum Diner des Erzbischofs von York?«

»Wir haben dort abgelehnt,« sagte Lady Constance, »aber ich gehe anstatt dessen zum Luncheon zu Mrs. Guy Flouncey nach Craven Cottage. Alle Welt geht dorthin. Warum kommen Sie nicht auch?«

»Ich habe nicht die Ehre, sie zu kennen.«

»Oh, das macht gar nichts – es wird ihr im Gegenteil eine große Ehre sein, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich sah sie soeben noch beim Tanze, aber es ist durchaus unnötig, jetzt noch auf sie zu warten. Morgen früh werden Sie eine Einladung von ihr vorfinden.«

»Aber ich bin schon für morgen engagiert. Ich muß mir eine Jacht ansehen.«

»Aber das können Sie am Montag tun; wenn Sie übrigens sich über Jachten unterrichten wollen, so fragen Sie nur meinen Bruder Fitzheron, der sich mehr hat bauen lassen, als irgend ein anderer.«

»Vielleicht wünscht er eine davon zu verkaufen?«

»Wahrscheinlich. Sie können ihn morgen bei Mrs. Guy Flouncey darüber befragen.«

»Mit Vergnügen. Man meldet, daß Lady Charmouths Wagen vorgefahren ist. Darf ich um die Ehre bitten?« fragte Tancred und bot seinen Arm.


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