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Fünftes Kapitel

Als die Herzogin erfuhr, daß die Unterhaltung mit dem Bischof nicht die erwarteten guten Folgen gehabt hatte, war sie tief betroffen, aber sie war eine viel zu optimistische Natur, um gleich auf die erste Niederlage hin klein beizugeben. Sie war der Meinung, daß seine Lordschaft den Fall nicht recht verstanden oder ihn nicht richtig aufgefaßt hätte; ihr Vertrauen in ihn war übrigens jetzt, da er den Puseyiten erlaubt hatte, Lichte auf ihren Altar zu stellen, obwohl er ihnen das Anzünden derselben verboten hatte, nicht mehr ganz so felsenfest, als damals vor zwanzig Jahren, als der »Finger Gottes« im Begriffe stand, Irland protestantisch zu machen. Seine Lordschaft hatten seit dieser Zeit vieles gesagt und getan, was der Herzogin wider den Geschmack ging – aber alle diese seine Mißgriffe kamen ihr erst ins Gedächtnis zurück, als es dem Bischof mißlungen war, ihren Sohn zu überzeugen, daß religiöse Wahrheit in dem Stadtviertel von St. James und politische Gerechtigkeit in den glücklichen Jagdgründen des Montacute-Waldes zu finden wären.

»Der Bischof sagt, daß Tancred ein Schwärmer ist,« sagte die Herzogin zu ihrem Gatten mit einer Stimme, die großen Mißmut verriet. »Schön – aber gerade, weil er ein Schwärmer ist, haben wir ihn zum Bischof geschickt. Ich wollte probieren, ob einer, der in Amt und heiligen Würden ist, und der gleichzeitig gelehrt und beredt ist, ihm nicht diese falschen Ideen ausreden könnte. Natürlich ist er ein Schwärmer! Die Puseyiten waren ebenfalls Schwärmer und der Bischof ist auch mit ihnen fertig geworden; obgleich ich, wenn er mit Tancred in demselben Tone gesprochen hat, als mit ihnen, mich nicht verwundern kann, daß er kein Glück gehabt hat! Dies ist wahrhaftig eine der unangenehmsten Geschichten, die uns je passiert sind. Irgend etwas müssen wir tun, aber was? Was meinst du, George? Das Gespräch mit dem Bischof, das du ja gebilligt hast, war ohne Erfolg, was willst du weiter tun?«

Dies Gespräch fand in dem Boudoir der Herzogin statt; der Wagen des Herzogs stand angespannt im Hofe, denn er wollte sich soeben ins House of Lords begeben und kam nur gerade herein, um, seiner Gewohnheit gemäß, seiner Frau Adieu zu sagen.

»Es tut mir leid, daß die Unterredung mit dem Bischof resultatlos verlaufen ist,« sagte der Herzog mit zögernder Stimme und spielte dabei etwas nervös mit seinem Spazierstock; dann ging er auf das hohe Fenster zu, das einen prachtvollen Ausblick auf den Green-Park gewährte, und sagte nach einigem Nachdenken: »Meiner Meinung nach wird mit einem Schwärmer am besten ein Weltmann fertig.«

»Aber was wissen die Weltmänner über diese Fragen«, sagte die Herzogin traurig.

»Sehr wenig,« sagte der Herzog, »und deswegen lassen sie sich nicht auf irgend welche Beweisführung ein, die meiner Meinung nach die Leute nur noch hartnäckiger macht. Weltmänner haben die große Gabe, alles ohne große Redereien ordnen zu können, denn sie besitzen Takt. Es ist geradezu wunderbar, wie Lord Eskdale allerlei Schwierigkeiten aus dem Wege räumen kann, Schwierigkeiten, die so bedrohlich aussahen, daß vermeintlich kein Mensch ihrer Herr werden konnte und über die wir monatelang diskutiert hatten. Erinnere dich nur an den Fall mit den Kirchen, diese Geschichte entzweite die ältesten Freunde in der Grafschaft; selbst Hungerford und Ilderton sprachen nicht mehr miteinander. Solch böse Zeit, wie die, habe ich nie wieder durchgemacht, und ich für meine Person, setzte alles daran, das gute Verhältnis unter meinen Freunden in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Schließlich überließ ich die ganze Sache Eskdale, und Eskdale ordnete sie in kurzer Zeit und zu allseitiger Zufriedenheit. Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat: es war ganz unmöglich, den streitenden Parteien neue Beweisgründe anzuführen – aber er brachte es fertig, und zwar durch seinen Takt. Takt schafft zwar keine Schwierigkeiten aus dem Wege, aber er bewirkt, daß sie kleiner und kleiner erscheinen, bis sie schließlich ganz verschwinden.«

»Hm,« sagte die Herzogin, »aber ich kann nur dies eine nicht verstehen, wie Takt uns über religiöse Wahrheit unterrichten oder meinen Sohn daran verhindern kann, zum Heiligen Grabe zu wallfahren.«

»Laß es uns versuchen«, sagte der Herzog.

»Wirst du heute unseren Vetter sehen, George?«

»Er ist sicherlich im House of Lords,« erwiderte der Herzog schnell. »Ich schlage folgendes vor, Kate: Tancred ist ins House of Commons gegangen, um einer Debatte beizuwohnen; ich werde probieren, unseren Vetter zum Diner mit nach Hause zu bringen und dann können wir die ganze Geschichte mit ihm besprechen. Was meinst du?«

»Das ist eine gute Idee.«

»Mit dem Bischof haben wir kein Glück gehabt, vielleicht kann uns ein Weltmann mehr helfen, und da glaube ich, gibt es nur einen, der in Frage kommen könnte, unseren Vetter –«

»Ja, ja, George,« sagte die Herzogin, »bitte ihn, herzukommen, sage ihm, daß wir ihn dringend sprechen müssen, daß wir seinen Rat nötig haben, und ich bin sicher, er muß kommen, selbst wenn er etwas anderes vor hat.«

Die beiden Peers stellten sich dementsprechend um ein halb neun Uhr in Bellamont Haus ein. Sie kamen später, als man angenommen hatte, denn die Sitzung war erst spät geschlossen worden. Der Herzog war sehr aufgeregt, und auch Eskdale sah aus, als ob irgend etwas passiert sei. Und es war auch etwas passiert: im House of Lords hatte eine Abstimmung stattgefunden. Welch seltenes, wundervolles Ereignis! Das schien ja gerade, als ob die Peers ihr Amt wieder ernst nehmen wollten: denn die Abstimmungen im House of Lords sind heutzutage so selten, daß, wenn eine stattfindet, die Peers gackern, als ob sie ein Ei gelegt hätten. Das scheint sie dann ganz stolz auf ihre augenscheinlich noch vorhandene schöpferische Tätigkeit zu machen. Die Abstimmung von heute abend betraf keinen Gegenstand von großer Wichtigkeit oder von öffentlichem Interesse; aber es war doch eine Abstimmung, und, was noch auffallender war, war die Tatsache, daß die Regierung in der Minorität geblieben war. Es war allerdings klar, daß die Katastrophe durch einen Irrtum herbeigeführt worden war. Der Diktator, der Herzog von Wellington, hatte nämlich während der Debatte geschlafen und bestand, nachdem er aus seinen Träumen erwacht war, darauf, eine Rede zu halten, und seine Rede war eigentlich eine für die Opposition. Er merkte die Sache zunächst nicht, bis ein lebhafter Kollege, der mit der kalten Disziplin der vornehmen Versammlung noch nicht recht vertraut war, es wagte, ihn beim Rockschoß zu zupfen – ein Vorgehen, das im House of Commons erlaubt ist und für den Fall in Anwendung kommt, wenn der Premierminister eine kleine Dummheit zu begehen im Begriffe steht. Dieser kleine Wink kann, besonders für einen zu lebhaften Ministerpräsidenten, von großem Nutzen sein, nur Sir Robert Peel ist sehr dagegen eingenommen, und zwar aus dem Grunde, weil das freie Schwingen seiner Rockschöße ebenso wie das Hämmern der roten Schachtel vor ihm eine der wichtigsten Begleiterscheinungen seiner Rhetorik sind. Als der Diktator dann schließlich selbst merkte, daß er einen Fehler gemacht hatte, wollte er ihn doch nicht eingestehen; es kam zur Abstimmung, einige Minister verschwanden, die übrigen sahen sich genötigt, mit ihrem unvorsichtigen Meister zu stimmen; wohingegen seine anderen Freunde, die sich freuten, ihre Unabhängigkeit einmal zeigen und dem Diktator eine nicht zu harte Lektion erteilen zu können, ihn im Stiche ließen. So geriet der große Mann in die Minorität, und sowohl der Herzog von Bellamont wie Lord Eskdale hatten dazu beigetragen.

Das Diner wurde in der Bibliothek serviert; die Konversation während desselben drehte sich um dies Hauptereignis des Tages. Die Herzogin, die auch etwas in Politik machte, meinte, es wäre schade, daß der Diktator je aus seiner militärischen Sphäre herausgetreten und zur Politik übergegangen sei; ihr Gatte, der noch niemals eines Redners Rockschöße ziehen gesehen hatte, tadelte Lord Spur, der sich auf diese unherkömmliche Weise belustigt hatte, während Lord Eskdale, der lange Jahre im House of Commons gesessen hatte und an allerlei gewöhnt war, seinem Vetter versicherte, daß dieses Verfahren, obwohl merkwürdig, dennoch gar nicht so ungewöhnlich war. »Ich erinnere mich,« sagte er, »wie Ripon und Huskisson einst beide zu derselben Zeit Cannings Rockschöße zupften.«

Während des Diners wurde kein Wort von Tancred gesprochen. Lord Eskdale fragte weder, wo er wäre, noch wie er sich befände. Schließlich neigte sich, zur größten Erleichterung der Herzogin, das Diner seinem Ende zu. Die Diener verschwanden. Der Herzog stand vom Tisch auf, man stellte die Sessel um das Kaminfeuer herum, Lord Eskdale trank ein halbes Glas Madeira, streckte seine Beine vor sich, stand dann wieder auf, schürte das Feuer, stellte sich mit dem Rücken und die Hände in den Taschen gegen dasselbe und bemerkte dann mit langgedehnten und bedächtig klingenden Worten: »Also, Frau Herzogin, Tancred will nach Jerusalem gehen?«

»George hat Ihnen also schon von unserer fatalen Lage gesprochen?«

»Nicht viel; das meiste hat er Ihnen überlassen, und ich bin heute hier, um es zu hören.«

Auf diesen Wink hin begann die Herzogin zu erzählen und sprach eine geraume Zeit mit großer Geschicklichkeit und Lebhaftigkeit, so daß der Herzog sich kein Wort entgehen ließ und Lord Eskdale sie nicht ein einziges Mal unterbrach. Aus ihren Worten sprach das leidenschaftliche Interesse einer aufopfernden Mutter, aber hin und wieder ließ sie auch ihre theologischen Kenntnisse, die an Tiefe und Umfang nichts zu wünschen übrig ließen, durchleuchten. Sie verschwieg Lord Eskdale selbst nicht die Unterredung Tancreds mit dem Bischof und erzählte ihm, wie dieser ihr letzter Versuch ebenfalls fehlgeschlagen sei. »Trotz aller unserer Einwendungen« – also schloß die Herzogin – »besteht Tancred darauf, nach Jerusalem zum Heiligen Grabe pilgern zu wollen.«

»Nach Jerusalem will er gehen?« fragte Seine Lordschaft, »nun das ist immer noch besser wie zu den hiesigen Juden, was die meisten jungen Leute in seinem Alter zu tun pflegen.«

»Da bin ich durchaus nicht Ihrer Meinung,« sagte die Herzogin, »denn ich sähe ihn lieber bankerott als tot.«

»Die Leute sterben nicht mehr so schnell wie früher,« erwiderte Seine Lordschaft. »Man braucht bloß die Versicherungsgesellschaften zu fragen – die haben alle ihre Beiträge erhöhen müssen.«

»Ich verstehe nichts von Versicherungsgesellschaften, aber ich weiß, daß fast ein jeder stirbt, der in diese Länder geht; erinnern Sie sich noch an den jungen Fernborough, der so alt wie Tancred war; das Fieber allein würde genügen, um ihn zu töten.«

»Dann muß er sich etwas Chinin mitnehmen«, sagte Lord Eskdale.

»Du machst Witze, Henry,« sagte die Herzogin enttäuscht, »während ich in Verzweiflung bin.«

»Nein,« sagte Lord Eskdale und sah dabei zu der Decke auf, »ich überlege mir nur, wie man Tancred davon abbringen kann, nach Jerusalem zu gehen, ohne sich seinen Wünschen offen zu widersetzen.«

»Ja, ja,« sagte der Herzog, »das ist der springende Punkt!« Dabei warf er seiner Frau einen triumphierenden Blick zu, als ob er sagen wollte: »Da kannst du sehen, wozu ein Weltmann gut ist.«

»Man kann nach Jerusalem nicht, wie nach Birmingham, mit dem nächsten Zuge gehen,« fuhr Seine Lordschaft fort, » er muß dazu Vorbereitungen treffen, und wenn ihr eure Zustimmung zu seiner Abreise gebt, so habt ihr gleichzeitig auch das Recht, über die Art seiner Reise etwas mitzureden. Euer Sohn sollte mit einem größeren Gefolge reisen und sollte die Reise auf seiner eigenen Jacht machen. Jachten findet man nicht so leicht wie Equipagen zu kaufen, obgleich gerade jetzt verschiedene angeboten werden, aber diese haben nicht genügende Größe und bieten euch nicht genügende Sicherheit für solche Reise und gegen eine hohe See. Die Leute sprechen zwar sehr leichthin vom Mittelländischen Meer, aber es kann auch da ganz gehörig blasen. Ängstliche Eltern, Eltern, die ihren Sohn so lieben und nur diesen einen Sohn besitzen, dessen Leben also sehr kostbar ist, haben ein gutes Recht, ihre Zustimmung zur Reise davon abhängig zu machen, daß sie in einem Schiffe von genügend großem Tonnengehalt unternommen wird. Nun wird er eine alte Jacht sehr schwer auftreiben können, und selbst wenn er eine findet, wird sie ihm nicht gefallen. Schließlich wird er am Jachtbauen Interesse finden, wie er jetzt an Jerusalem Interesse gefunden hat: Beides sind ganz ähnliche, jugendliche Grillen. So bleibt er sicher noch ein Jahr in England, um eine Jacht zu bauen, die ihn nach dem Heiligen Lande bringen soll; die Jacht wird erst in zwölf Monaten fertig sein, dann wird er sich des Gedankens entschlagen haben und statt nach Palästina nach Cowes gehen.«

»Ich bin vollkommen derselben Ansicht«, sagte der Herzog.

»Das ist mir noch gar nicht eingefallen«, sagte die Herzogin.

Lord Eskdale setzte sich und trank noch ein halbes Glas Madeira.

»Nun, ich denke, das hört sich sehr vernünftig an, Katherine«, sagte der Herzog nach einer Pause.

»Und was sollen wir zuerst tun?« sagte die Herzogin zu Lord Eskdale.

»Schickt Tancred in Gesellschaft: die beste Art, ihn Jerusalem vergessen zu machen, ist, ihm London zu zeigen.«

»Aber wie soll ich das anfangen?« sagte die Herzogin. »Ich gehe ja überhaupt nicht aus, kein Mensch kennt ihn und Tancred hat auch gar keinen Wunsch, andere Leute kennen zu lernen.«

»Mit eurer Erlaubnis laßt mich dafür sorgen; es ist nicht schwer, ein junger Lord hat bloß mit dem Kopfe zu nicken und ist in einer Woche überall eingeführt. Ich werde der Lady St. Julians und einigen anderen großen Damen einen Wink geben; und ihr werdet sehen, die Einladungskarten werden wie ein Hagelschlag auf ihn niedergehen. Alles, was ihr zu tun habt, ist, ihn zu veranlassen, daß er auch geht.«

»Und wie soll ich das anfangen?« sagte die Herzogin.

»Das ist ganz leicht«, sagte Lord Eskdale. »Ihr gebt eure Erlaubnis zu seiner Reise eben nur, wenn er auch eurem Wunsche willfährt und sich in die Londoner Gesellschaft einführen läßt. Er kann und wird euch das nicht abschlagen. Ein junger Mann fühlt zunächst stets etwas Widerwillen, sich in die große Welt einführen zu lassen – das ist die erste Befangenheit, aber nachdem diese überwunden ist, fühlen sie sich gewöhnlich so wohl, daß man eher bremsen als anspornen muß. Laßt ihn nur einmal die Welt erst kennen lernen und ihr könnt sicher sein, daß ihn bald irgend etwas fesseln wird.«

»Solange er nicht zu spielen anfängt, soll es mir einerlei sein, was er tut«, sagte der Herzog.

»Wie kannst du so etwas sagen, mein lieber George«, sagte die Herzogin. »Ich hatte gehofft,« fügte sie traurig hinzu, »ihn verheiraten zu können, ohne daß er deine sogenannte Welt zu betreten brauchte, Henry. Armer Junge! Ich sehe ihn schon von allerlei Gefahren bedroht.«


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