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Zweites Kapitel

Der Herzog von Bellamont war eine Persönlichkeit, die an Rang, Blut und Reichtum in der englischen Aristokratie nicht ihresgleichen hatte. Zwar war er nur der Enkel eines einfachen Landadligen, aber dieser sein Vorfahre hatte am Ende des letzten Jahrhunderts die Erbin der Montacutes, der Herzöge von Bellamont, eines schon zu Zeiten der Plantagenets berühmten Adelsgeschlechts, heimgeführt. Der Bräutigam hatte bei seiner Hochzeit den berühmten Namen seiner jungen, schönen Braut angenommen. Mr. Montacute war ein Mann von energischem, unternehmungslustigem Charakter, dessen angeborene Gaben durch seinen großen und frühen Erfolg um so schneller sich entwickelt hatten. Er beschloß, mit den Schlössern und Domänen der Bellamonts sich auch ihre modernen Adelswappen und alten Baronetswürden wiederzuerwerben. Die Zeit war der Ausführung seiner Ideen günstig, doch sollte diese ein Menschenalter in Anspruch nehmen. Er hatte während des Amerikanischen Krieges, also in einer Zeit ziemlichen Aufruhrs, geheiratet. Der König und sein Premierminister schlugen die unabhängige Unterstützung Mr. Montacutes hoch an, denn außer daß er selber für seine Grafschaft im Parlament saß, hatte er noch fünf andere Stimmen zur Verfügung. Er war eine der Hauptstützen der Partei, aber er war nicht allein unabhängig, er war auch sehr gewissenhaft. Saratoga Schlacht im amerikanischen Unabhängigkeitskriege gegen England, die für letzteres Land unglücklich ausfiel. machte ihn stutzig. Der Abfall der Montacute-Stimmen würde in diesem Augenblicke sofort den Kampf zwischen England und seinen Kolonien beendigt haben. Welch ein neuer Beweis für die Vortrefflichkeit parlamentarischer Einrichtungen! Der unabhängige Mr. Montacute stand hingegen fest zu seinem König; seine fünf Stimmen wurden andauernd zugunsten des Premiers abgegeben, und ihr Inhaber war bald imstande, seinen Sitz als Earl von Bellamont und Viscount Montacute im Oberhaus zu nehmen.

Das hätte für eine Generation vollkommen genügt, aber der silberne Löffel, den eine gütige Fee diesem Earl von Bellamont in die Wiege gelegt hatte, war von kolossaler Größe. Die Französische Revolution folgte dem Amerikanischen Krieg, ja, ward durch ihn verursacht. Es war nur zu berechtigt, daß auch sie zum Vorteil eines Mannes beitragen würde, den eine koloniale Revolte zum Earl gemacht hatte. Zur Zeit der jakobinischen Panik, der Volksreden der Demagogen, zu jener Zeit, da der König auf Hannover nicht mehr als Zufluchtsort rechnen konnte und der Premierminister als Zeuge für dieselben Leute auftrat, die er wegen Hochverrats hatte anklagen lassen – stattete der Earl von Bellamont einst Downing Street einen Privatbesuch ab und bat, die alten Titel und Würden der Earls und Herzöge von Bellamont wieder auf ihn übertragen zu wollen. Mr. Pitt, der für den exklusiven Charakter der englischen Aristokratie im vorigen Jahrhundert wenig übrig hatte, war nicht übel geneigt, dem Wunsche seines mächtigen Vasallen zu willfahren – aber der König zeigte sich keineswegs so bereitwillig. Seine Majestät war im Prinzip nicht so sehr dagegen, die Titel an Familien zu verleihen, die den Besitz der alten Aristokratie ohne deren Rechte erworben hatten, und erkannte recht wohl die Ansprüche der jetzigen Earls von Bellamont auf das Erdbeerblatt an, das einst der Vater der jetzigen Gräfin im Wappen geführt hatte. Aber der König war der Meinung, daß diese Auszeichnung nur dem alten Geschlechte selber zuteil werden und daß deswegen erst die nächste Generation der Bellamonts in das Goldene Buch der englischen Aristokratie eingetragen werden dürfe.

Aber Georg der Dritte erfuhr, trotz seines festen Auftretens, mancherlei Enttäuschungen, denn er hatte es mitunter mit Individuen zu tun, die so unbeugsam wie er selbst waren. Benjamin Franklin selber war nicht so halsstarrig als jener Gentleman, den sein Verrat zum englischen Peer gemacht hatte. In dieser Zeit der Panik und Gewaltsamkeiten mußte ein klarer, ausdauernder Kopf, der über Macht verfügte, an sein Ziel kommen, und so wurde trotz des königlichen Willens, am Anfang dieses Jahrhunderts der gewöhnliche Landadlige zum Herzog von Bellamont, Marquis von Montacute, Earl von Bellamont, Dacre und Villeroy ernannt und erhielt noch obendrein alle die Baronien der Plantagenets mit in den Kauf. Die einzige Rache des Königs war die, daß er dem Herzog von Bellamont konsequent den Hosenbandorden vorenthielt, aber das war vielleicht gut, damit sein Sohn auch noch einen Wunsch haben konnte.

Der Herzog und die Herzogin von Bellamont waren das schönste Paar in England, lebten in glücklichster Ehe, aber sie hatten nur ein Kind. Glücklicherweise war dieses Kind ein Sohn. Kostbares Leben! Der Marquis von Montacute wurde verheiratet, bevor er noch majorenn war. Kein Moment durfte verloren gehen, um diesem großen Namen und diesen ausgedehnten Besitztümern einen Erben zu sichern. Vielleicht wäre dieser Zweck besser erreicht worden, wenn die Eltern die Heirat nicht so übermäßig beschleunigt hätten; denn die Ehe war keine glückliche. Immerhin hatte der erste Herzog die Genugtuung, als Großvater zu sterben. Sein Nachfolger hatte keine Ähnlichkeit mit ihm, außer daß er seine männliche Schönheit geerbt hatte, die zum Charakteristikum der ganzen Rasse wurde. Er war mehr ein Genußmensch, als irgendwie geistig veranlagt. Vergnügungssüchtig und Busenfreund des Prinzregenten in seiner übelsten Zeit, starb er schon frühzeitig, aber nicht, ohne zuvor das Herz seines Weibes und das Selbstvertrauen seines Sohnes gebrochen zu haben, der, wie er selbst, ein einziges Kind war.

Der jetzige Herzog von Bellamont hatte etwas von dem klaren Kopfe des Großvaters zusammen mit der sanften Art seiner Mutter geerbt, und seine Fähigkeiten, wie sein freundliches Wesen waren durch seine Erziehung keineswegs unterdrückt worden. Seine Mutter hatte dem Kinde, das die einzige Freude, ja der einzige Trost ihres Lebens war, mit aller Sorgfalt und Fürsorge zur Seite gestanden. Und dennoch ist für die Ausbildung eines jeden Charakters zu einer gewissen Zeit ein rein männlicher Einfluß notwendig und dieser Einfluß fehlte dem jungen Herzog vollständig. Sein Vater selber liebte den Sohn nicht, ja, war zu Zeiten sogar eifersüchtig auf ihn. Der Grund davon war der, daß er zu früh in seinem Leben Vater geworden war: er war selbst noch in der frischesten Jugendblüte und erschrak beinahe über seinen prächtigen Sohn, der ihm seine besten früheren Stunden ins Gedächtnis zurückrief und der, obwohl sein Sohn, eines Tages und zwar bald sein Rival werden konnte. Der Sohn selbst war eine liebenswürdige, freundliche Natur, die die üble Behandlung von seiten des Vaters schwer genug empfand. Aber es fehlte ihm die leidenschaftliche Seite, mit der er an die vielleicht nur oberflächlich versteckten Sympathien seines Vaters hätte appellieren und auf ihn hätte Eindruck machen können. Der junge Montacute war von Natur außerordentlich schüchtern, und die Ereignisse in seinem Leben hatten nichts dazu beigetragen, diesen schmerzlichen Mangel an Selbstvertrauen zu beseitigen. Wohl besaß er physischen Mut, aber seine moralische Beherztheit ließ alles zu wünschen übrig. Bei seinen seltenen Unterredungen mit seinem Vater errötete und erblaßte er abwechselnd, erduldete schweigend alle unverdienten Sarkasmen und ließ oft die ungerechteste Anklage über sich ergehen, ohne auch nur einen Versuch der Verteidigung zu machen. Dann zog er sich mit seinen Tränen und seinem Kummer in die Einsamkeit zurück und verfluchte innerlich seine Energielosigkeit, die wieder eine Gelegenheit zur Besserung seiner häuslichen Verhältnisse hatte vorübergehen lassen. Die meisten Menschen würden unter diesen Umständen verbittert worden sein, aber Montacute war eine zu zarte Natur dafür und wurde darum nur melancholisch.

Beim Eintritt in sein Mannesalter verlor Montacute seine Mutter, und dies Ereignis schien die Katastrophe seines unglücklichen Lebens werden zu wollen. Sein Vater teilte seinen Kummer nicht und kein Trost kam dem unglücklichen Sohne aus seinem Munde – im Gegenteil, er suchte den Schmerz seines Sohnes durch sein Benehmen noch zu verdoppeln. Sein Hauptzweck dabei war, zu verhindern, daß Lord Montacute in die Gesellschaft eingeführt wurde, und da der Vater das nervöse Temperament seines Sohnes sehr stark beherrschte, so schienen seine freundlichen Absichten große Aussicht auf Erfolg zu haben. Als die Erziehung seines Sohnes vollendet war, wollte der Herzog ihm weder die Mittel zukommen lassen, ohne die er sich nicht in Gesellschaft bewegen konnte, noch wollte er ihm irgend welche Reisen zu seiner Ausbildung gestatten. Er war vielmehr einzig und allein darauf bedacht, den Charakter seines Sohnes sich gefügig zu machen, und dies dadurch, daß er ihn andauernd auf dem Lande behielt. Andere reiche Erbsöhne würden dieser Schwierigkeit bald Herr geworden sein. Sie hätten sich Geld zu irgend welchen Wucherzinsen geborgt und würden ihres Vaters Pferde in Newmarket geschlagen, mit ihren Mätressen sie übertrumpft oder im Parlament die Stimmen ihrer Wahlkreise gegen die Partei abgegeben haben. Aber Montacute war nicht einer jener jungen Helden, die den Anfang dieses Jahrhunderts mit ihren Taten und Nachruhm erfüllten. Er war in seinem Leben so viel mit Frauen und Geistlichen zusammen gewesen, daß er sich von jenem Gesetze, das die Eltern zu ehren gebietet, niemals lossagen konnte. Außerdem war er bei all seiner Furchtsamkeit und Menschenscheu innerlich außerordentlich stolz. Niemals konnte er vergessen, daß er ein Montacute war, obwohl er, wie die Welt um ihn herum, vergessen hatte, daß sein Großvater einst einen anderen und weit bescheideneren Namen getragen hatte. Alle kamen darin überein, daß er der lebende Sproß jener Montacutes von Bellamont sei, deren große politische Erfolge, deren erstaunliche Taten, deren großartiges und würdevolles Leben durch siebenhundert Jahre hindurch einen hervorragenden Teil der Geschichte Englands ausgemacht hatten. Der Tod war seiner Meinung nach besser, als solch einen Namen in Jockeykneipen, Wuchererkontoren und Kurtisanenhöhlen zu beflecken. Wie schmerzlich der junge Herzog oftmals das Betragen seines Vaters gegen ihn selbst oder gegen seine Mutter empfand, so stieg ihm doch die Schamröte ins Gesicht, wenn der Name Bellamont in Verbindung mit einem Turfmanöver oder einer unsinnigen Orgie an sein Ohr klang.

Montacute, der sich so ohne einen Freund, selbst ohne einen Bekannten sah, suchte seine Zuflucht in der Liebe. Die Frau, die auf seinen dunklen Lebenspfad die Lichtstrahlen weiblicher Sympathie fallen lassen sollte, war seine Cousine, die Tochter von seiner Mutter Bruder, der ein englischer Peer war und im Norden Irlands auf seinen ausgedehnten Besitzungen lebte. Sie stammte aus einer Familie, die im übrigen wenig geeignet erschien, die Wolken von der Stirne eines melancholischen und an sich selbst irren jungen Mannes zu verscheuchen; sie war ernst, puritanisch, formell, und selbst die Erholung ihres Kreises bestand in einer Bibelgesellschaft oder wurde bei einem Meeting zur Bekehrung der Juden gefunden. Aber Lady Katherine war sehr schön und sämtliche Familienangehörigen waren freundlich zu ihrem Verwandten, der Freundlichkeit um so höher schätzte, als er sie gar nicht gewohnt war und als er ihrer infolge seines zurückgezogenen Wesens um so mehr bedurfte.

Montacute bat seinen Vater um die Einwilligung zu der Ehe mit seiner Cousine, die ihm sofort verweigert wurde. Der Herzog hatte einen großen Widerwillen gegen die Familie seiner Frau – aber sein Hauptgrund war der, daß er überhaupt nicht wünschte, daß sein Sohn sich je verheiraten sollte. Er hatte die Absicht, selber für die Fortpflanzung seiner Rasse zu sorgen und trug sich gerade jetzt, inmitten seiner Ausschweifungen, mit Gedanken an eine zweite Heirat, die ihn für seine jugendliche Dummheit entschädigen sollte. Diese Zwangslage rief denn schließlich doch Montacutes Opposition wach. Der junge Mann ward dazu durch die mächtigste aller Leidenschaften ermutigt, nebenbei durch einen stärkeren Willen, als seinen eigenen unterstützt – und er dachte schon ernstlich daran, gegen den Willen seines Vaters, auf seine Liebe, siebenhundert Pfund Sterling jährlich und ein kleines Haus an einem irischen See hin zu heiraten, als er die Nachricht erhielt, daß sein Vater, der mit seiner robusten Gesundheit ein Patriarch zu werden drohte, plötzlich gestorben war.

Der neue Herzog von Bellamont hatte keinerlei Welterfahrung; besaß aber, trotzdem er sich lange von seinem Vater hatte beherrschen lassen, einen starken Charakter. Obgleich sein Ideenkreis notwendigerweise ein beschränkter war, so waren doch diese seine Ideen fest und klar. In seiner einsamen Jugend hatte er einige Eindrücke erhallen und war zu gewissen Schlüssen gekommen, die ihm zu festen Lebensgrundsätzen geworden waren und nach denen er stets handelte. Seine Mutter war ihm das Ideal weiblicher Vollkommenheit, und er hatte seine Cousine nur deswegen so gern, weil sie eine große Ähnlichkeit mit ihrer Tante hatte. Er war ferner der Meinung, daß das Verhältnis zwischen Vater und Sohn so fest und intim wie nur möglich sein solle, und er gelobte sich, daß, wenn je die Vorsehung ihm einen männlichen Nachkommen bescheren würde, das Kind in ihm einen treuen und liebevollen Vater finden sollte.

Eine Menge Gründe und Umstände hatten ihm die Überzeugung beigebracht, daß die sogenannte fashionable Welt aus nichts anderem wie Betrug, Frivolität, Dummheit und Laster zusammengesetzt sei, und er hatte darum den Entschluß gefaßt, sich niemals in derartige Gesellschaft zu begeben. Zu diesem Entschlusse war er vielleicht unbewußt durch seine reservierte Natur und durch das Gefühl seiner mangelnden Erfahrung gekommen, denn er blickte auf diese von ihm so verachtete Welt nicht nur mit einem Gefühl des Widerwillens, sondern auch des Argwohns. Für Politik, im vulgären Sinne des Wortes, fühlte er eine ähnliche Verachtung. Trotzdem hatte er eine hohe Meinung von seiner Pflicht gegen den König und sein Vaterland und er fühlte in sich eine Energie, der nur die Gelegenheit fehlte, um sich zu betätigen. Aber er erbte seinen Titel zu einer Zeit politischer Stille, da keine wichtigen Lebensfragen zur Debatte standen und keinerlei Gefahr von irgendwo drohte, und von reinen Parteikämpfen hielt sich der Herzog gänzlich fern, denn er hatte in dieser Beziehung keine Wünsche, nicht einmal den nach dem blauen Bande, Des Hosenbandordens. das er sehr bald genötigt war anzunehmen. Außer auf seinen häuslichen Herd, waren alle seine Interessen auf die Verbesserung seiner ausgedehnten Güter gerichtet. Über diese Fragen hatte er lange nachgedacht und versuchte nun, seine Ideen in die Praxis zu übersetzen. Diese Tätigkeit war sowohl eine Beschäftigung für ihn, als eine Quelle des Vergnügens, denn er liebte das Land und das Landleben. Seine gewöhnliche Reserve machte sofort einem jovialeren Benehmen Platz, sobald er seinen eigenen Grund und Boden betrat. Höflich war er zwar immer – aber dann wurde er herzlich und liebenswürdig. Mit Vorliebe suchte er die »Grafschaft« um sich zu versammeln, sie gesellschaftlich beieinander zu halten – diese Grafschaft, der Kreis, in dem er Alleinherrscher war, war sein erster Gedanke, und diese Alleinherrschaft ward ihm nicht sowohl durch seinen ausgedehnten Besitz zuteil, als durch den Einfluß seines angenehmen und doch festen Charakters, der ihm die Herzen selbst jener Kreisgenossen gewann, die sonst ganz unabhängig von ihm waren.

So wurde der Herzog von Bellamont, der bisher in beschränkten Verhältnissen gelebt hatte und sich kaum die Erfüllung eines Jugendwunsches hatte gestatten können, plötzlich der Erbe eines Besitztumes, das an Ausdehnung einigen kontinentalen Fürstentümern gleichkam. Er konnte von jetzt an in Palästen und Schlössern wohnen, seinen Worten gehorchte eine zahlreiche Dienerschaft, die jeden seiner Wünsche, ehe er ihn äußerte, ihm schon vom Munde abgelesen hatte. Und doch legte er keinerlei Aufgeblasenheit an den Tag und trat seine Erbschaft mit einer Ruhe und Heiterkeit an, als ob er sich niemals danach gesehnt hätte. Die Frau, die er in schweren Stunden sich einst als Lebensgefährtin ausgesucht hatte, stimmte mit ihm, sowohl aus Sympathie wie aus gleicher Charakteranlage, in allen Punkten überein.

Katharine, Herzogin von Bellamont, war außerordentlich schön: sie war kleinen, aber zierlichen Wuchses, mit einem blendend schönen Teint und einem Lächeln, das, obwohl selten, doch äußerst gewinnend und freundlich war. Ihr reiches, braunes Haar und ihr tiefes blaues Auge hätte einer mythologischen Frauengestalt zur Ehre gereicht, aber ihre Stirne zeigte einen ungewöhnlichen Verstand an und aus ihrem Munde sprach ein fester Vorsatz. Sie war eine Frau von entschiedenen Meinungen und zähen Vorurteilen. In einem Kreise erzogen, in dem man über alle Dinge sich unwiderrufliche Meinungen gebildet hatte, und wo man die großen Fragen, welches Dogma wahr, welche Moral die richtige und welche Manieren die einzig möglichen waren, längst gelöst hatte, hatte die Gräfin schon in früheren Jahren sich die Fähigkeit selbständiger Entscheidung erworben. Nebenbei war sie innerhalb gewisser Grenzen sehr lernbegierig und hatte z. B. viel Zeit und Energie darauf verwendet, einen jeden Autor zu lesen, der jenen Meinungen Ausdruck gab, die sie von vornherein als die richtigen festgelegt hatte. Die Herzogin war besonders in der Gottesgelahrtheil des siebzehnten Jahrhunderts gut bewandert: in der Geschichte der Streitigkeiten zwischen den beiden Kirchen hätte sie mit ihren Kenntnissen St. Omers oder Maynooth in Verlegenheit bringen können. Selbst Chillingworth konnte man in ihrem Boudoir finden. Die Lektüre der Herzogin beschränkte sich indessen nicht allein auf Theologie: sie war im Gegenteil äußerst ausgedehnt und verschiedenartig. In der Religion war sie zwar Puritanerin, in der Moral ausgesprochene Rigoristin – aber in beiden Gefühlen war sie aufrichtig. So war sie überhaupt im ganzen: Eine offene und ehrliche Natur, die zwar in manchen Dingen unerbittlich war, aber stets gerecht zu sein versuchte und deren Pflichtbewußtsein, trotz allen ständischen Stolzes, so fein war, daß sie kein Hindernis, ja selbst keine Erniedrigung scheute, wenn es sich darum handelte, diese ihre Pflichten gegen Gott oder ihren Nebenmenschen zu erfüllen.

Der Herzog von Bellamont erfuhr also von seiner Frau, die in anderer Hinsicht ihn stark beeinflußte, durchaus keinen Widerspruch in betreff seiner Absichten und Lebensweise nach ihrer Hochzeit. Die Herzogin wandte sich mit stolzem Abscheu ab von jener fashionablen Welt, die sie mit offenen Armen empfangen haben würde. Die Bellamonts brachten darum den größeren Teil des Jahres in ihrem prächtigen Schlosse auf dem Lande zu und nahmen nur Anteil an den Vergnügungen oder an der Verwaltung der Provinz. Während der Herzog, als hohe Richterperson, sowie in der Verwaltung seiner Güter und in der Ausübung seines Sports volle Beschäftigung fand, beteiligte sich seine Frau an der Wohlfahrtspflege der Grafschaft oder empfing ihre Nachbarn, las ihre Bücher und huldigte ihrer eigenen Hauptpassion, indem sie neue, schöne Gartenanlagen ersann und zur Ausführung brachte.

Wenn nach Ostern die Eröffnung des Parlaments die Anwesenheit des Herzogs in London nötig machte, so öffnete sich das Tor eines der wenigen Londoner Paläste und die Welt erfuhr dann, daß der Herzog und die Herzogin von Bellamont von Montacute Castle ihren Wohnsitz nach Bellamont House verlegt hatten. Während ihrer Anwesenheit in der Stadt, London. Die englische Aristokratie bringt die sogenannte » Season«, die Zeit vom Mai bis Mitte August, gewöhnlich in London zu. die sie so kurz als möglich gestalteten und die niemals drei Monate überschritt, gaben sie eine Reihe von großen Diners, die hauptsächlich von ihren hohen Verwandten und von jenen Familien der Grafschaft besucht wurden, die ebenfalls so glücklich waren, in London ein Haus zu besitzen. Regelmäßig wurde außerdem jedes Jahr einigen Mitgliedern der königlichen Familie ein großes Bankett gegeben, und jedes Jahr hatten der Herzog und die Herzogin ihrerseits die Ehre, in den königlichen Palast zum Diner eingeladen zu werden. Ausgenommen bei einem Balle oder Konzert unter königlichem Dache, sah man den Herzog und die Herzogin niemals irgendwo anders. Zwar ließen ihnen die großen Damen, Lady St. Julians und die Marquise von Deloraine, regelmäßig ihre Einladungen zugehen, aber diese wurden mit derselben Regelmäßigkeit immer wieder abgelehnt. Dennoch unterhielten die Bellamonts eine Art Gewohnheitsverkehr mit einigen großen Häusern, veranlaßt dazu entweder durch verwandtschaftliche Bande, die in der Aristokratie sehr weit verzweigt sind, oder durch den gelegentlichen Empfang reisender Standesgenossen auf ihren gastfreundlichen Schlössern in der Provinz.

Aber der sogenannten Welt, der Welt, die in St. James' Street und Pall Mall wohnt und aus einem Klubfenster die menschliche Gesellschaft, wie Lukretius von seinem philosophischen Turme herab, betrachtet, waren der Herzog und die Herzogin von Bellamont gänzlich unbekannt; der Gesellschaftskreis der Georges und der Jemmys, der Mr. Cassilis und Mr. Mellon, der Milfords und der Fitzherons, der Berners und der Egertons, der Mr. Ormsbys und der Alfred Mountchesneys hatte noch nie etwas von diesen hohen Herrschaften gehört. Alles, was die Welt wußte, war, daß ein großer Peer existierte, der der Herzog von Bellamont genannt wurde; daß er in London ein großes Haus mit einem mächtigen Hofe besaß, das seinen Namen trug, daß er außerdem Besitzer eines Schlosses in der Provinz war, das eine Sehenswürdigkeit Englands war, und daß dieser große Herzog eine Herzogin sein eigen nannte – aber sie hatten sie niemals irgendwo getroffen, auch ihre Frauen oder ihre Kinder oder die Damen, die sie bewunderten oder die von ihnen bewundert wurden, waren ihnen nie vorgestellt worden, weder bei einem Balle, noch bei einem Frühstück, noch bei einem Luncheon, noch bei einem Dinner. Es war darum mit Sicherheit anzunehmen, daß die Bellamonts, obwohl möglicherweise große Leute, anscheinend doch nicht zur »Gesellschaft« gehörten.

Vielleicht lag es in der Familie, vielleicht hatte es andere Ursachen, die sich nicht ergründen lassen – aber die Erbfolge des großen Hauses der Montacutes hatte wiederum nur mit einem einzigen Nachkommen zu rechnen. Der Herzog hatte, wie sein Vater und Großvater, nur ein einziges Kind, aber dieses Kind war wiederum ein Sohn. Vom Augenblick seiner Geburt an war das ganze Leben der Eltern abhängig von dem Wohlbefinden dieses Kindes. Der Herzog und die Herzogin nahmen im Hause die zweite Stelle ein: auf der ersten stand ihnen ihr Kind. Niemals war, von der Stunde seiner Geburt an bis zu dem Momente, da diese Geschichte beginnt, auf die Erziehung und Gesundheit irgend eines menschlichen Wesens so viel Sorgfalt verwendet worden. Während seiner jungen Jahre hatte er fast niemals sein Heim verlassen. Einmal hatte man ihn allerdings in Begleitung getreuer Diener und unter der Aufsicht eines argusähnlichen Privatlehrers nach Eton geschickt, aber als dort unmittelbar nach seiner Ankunft Scharlachfieber ausbrach, so holte man ihn aus der gefährlichen Schule sofort wieder hinweg nach Hause. Mit achtzehn Jahren wurde er im Christchurch College zu Oxford als Student aufgenommen. Seine Mutter, die ihn einst selber gesäugt hatte, schrieb ihm jeden Tag, aber dies erschien ihnen noch nicht genug, und so mietete sich der Herzog in der Nachbarschaft der Universität ein Landhaus, so daß gelegentlich ihr Sohn sie auch während des Semesters besuchen konnte.


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