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Siebentes Kapitel

Es gibt nichts Merkwürdigeres, als den Einfluß der Frauen. Obwohl Tancreds Charakter noch nicht vollkommen ausgebildet war – denn das hängt in gewissem Grade sowohl von äußeren Einflüssen wie von der Anlage ab –, so war doch der Grundzug seines Wesens tief und ernst. Durch vieles Nachdenken in der Einsamkeit hatte er sich zu gewissen Ansichten durchgerungen, die seiner starken und glühenden Phantasie als etwas Heiliges erschienen und nach denen er durchaus und unter allen Umständen sein Leben einrichten wollte. Er hatte sich fest vorgenommen, sich hierin durch keinerlei Hindernisse irgendwie abschrecken zu lassen. Darum hatte er sich auch den Bedingungen unterworfen, die seine Eltern an ihn gestellt hatten, denn er war von Natur ein pflichtgetreuer Sohn und wünschte, wenn möglich, sein Vorhaben mit ihrer Beihilfe auszuführen.

Dennoch hatte er sich nur mit Widerwillen in Gesellschaft begeben und hatte in ihr auch wenig gefunden, was ihm wirklich zugesagt hätte. Er empfand inmitten der glänzenden Schar stets das Gefühl der Einsamkeit; er war darum still und in sich gekehrt, obwohl er dabei stets gut beobachtete. Ihm schien in der Gesellschaft ein allgemeiner Mangel an Ruhe und Einfachheit zu herrschen; zu viel Lärm und eine gewisse unangenehm zutage tretende Geziertheit. Die Leute schwirrten in den angefüllten Zimmern aneinander vorüber und wechselten kurze Worte, als ob sie alle die größte Eile hätten. »Sind Sie schon lange hier? Wo gehen Sie nachher hin?« Dies waren die Hauptredensarten in der Konversation der fashionablen Gesellschaft. Und warum wies fast ein jedes Gesicht sein Lächeln auf, das übrigens sehr häufig den Charakter des Grinsens anzunehmen pflegte? Es ist ein häufiger und um so fatalerer Irrtum, anzunehmen, daß ein Lächeln durchaus notwendig sei, um zu gefallen. Es gibt nur wenige Gesichter, die es sich erlauben dürfen, zu lächeln. Ein Lächeln hat manchmal etwas Bezauberndes, doch meist etwas Schales, wenn es nicht geradezu eine direkte Grimasse ist. Und das bezaubernde Lächeln kommt im allgemeinen nur aus dem ernsten Gesicht. Und dann ist es unwiderstehlich. Tancred besaß, obgleich er sich dessen nicht bewußt war, diesen seltenen Zauber. Er hatte ihn von seiner Mutter geerbt, die von Natur eine ernste und merkwürdig einfache Frau war, aber deren Herz in Augenblicken der Zufriedenheit sich durch den Sonnenschein und die reizenden Grübchen ihres Gesichts verriet, die jedermann gewinnen mußten. Das Lächeln der Herzogin von Bellamont war blendend wie ihr Diamantenschmuck, wurde aber ebenso selten wie dieser zur Schau getragen.

Tancred war die Treppe zu Deloraine Haus nicht mit großen Erwartungen hinaufgestiegen. Seine Gedanken weilten weit von hier in den Städten der Wüste und an den palmengeschmückten Ufern alter Flüsse. Er nahm häufig seine Zuflucht zu diesen anregenden und angenehmen Phantasiegebilden, um nicht bei der gesellschaftlichen Eintrittszeremonie aus der Rolle zu fallen. Er war so schüchtern, daß, als die Diener seinen Namen laut in den Saal ausriefen, er vor Scham beinahe in den Boden versunken wäre. Nur sein Stolz, der seiner Schüchternheit gerade das Gleichgewicht hielt, hinderte ihn daran, wieder umzukehren und schleunigst davonzugehen. Und doch war er nicht zehn Minuten in Deloraine Haus gewesen, als er schon darum gebeten hatte, einer Dame vorgestellt zu werden. Es war das erstemal, daß er dies Verlangen an den Tag gelegt hatte.

Er ging in Gedanken nach Hause. Eine gewisse Stimme erklang noch in seinem Ohre und er rief sich von Zeit zu Zeit das Gesicht einer abwesenden Person zurück. Er stand noch längere Zeit, bevor er zu Bett ging, mit seinem Arme auf den Kaminsims gelehnt, in seinem Wohnzimmer und starrte in das Feuer.

Als der Diener am nächsten Morgen in das Zimmer trat, überreichte er ihm ein Billett von Mrs. Guy Flouncey, das ihn um drei Uhr nachmittags nach Craven Cottage einlud: »Lunch um vier Uhr präzise« hieß es weiter darauf. Tancred warf einen Blick auf die Karte, deren Buchstaben sich ihm zusammenzudrängen und die Gesichtszüge von Lady Constance anzunehmen schienen. »Es wäre sehr vernünftig von mir, wenn ich hinginge,« sagte er zu sich selber, »denn ich muß vor allen Dingen Lord Fitzheron kennen lernen, der mir vielleicht in meiner Jachtangelegenheit helfen kann.« Und so bestellte er seinen Wagen um drei Uhr.

Die Guy Flounceys waren Leute, denen ihr Eintritt in die Gesellschaft viel Mühe gekostet hatte, die genötigt gewesen waren, ihre Eroberungen daselbst Schritt für Schritt, wie die Engländer in Indien, bis zur vollkommenen Unterwerfung, zu erkämpfen. Daß sie überhaupt ihr Ziel erreichten, ist die Ausnahme und nicht die Regel in der Gesellschaft. Gewöhnlich sind solche sozialen Belagerungsversuche nicht von Erfolg begleitet, oder der errungene Erfolg ist nur ein teilweiser und wird nur unter großen Kosten aufrechterhalten, wie z. B. der der Franzosen in Algerien.

Das Ehepaar gehörte außerdem keineswegs zu den besonders reichen Leuten. Sie hatten ein gutes Vermögen, vielleicht sieben- bis achttausend Pfund per Jahr. Aber es reichte aus, denn, obwohl sie nach außen hin luxuriös und selbst verschwenderisch auftraten, so verstanden sie doch, nach innen gut hauszuhalten. Und ein gutes Einkommen bei einer sparsamen Haushaltung und ohne jenes kostspielige Vergnügen eines Landsitzes ist beinahe ebensoviel wert, als das große Vermögen eines Peers. Und die Flounceys hatten nicht allein keinen Landsitz, sie hatten auch keine Kinder. Und ein gutes Vermögen bei guter Verwaltung und ohne Landsitz und Kinder ist eine Aladinslampe.

Herr Guy Flouncey war ein Sportsmann. Seine Frau hatte ihm durch viele eindringliche Worte die Überzeugung beigebracht, daß dies der einzige Weg sei, auf dem er mit den »besten Leuten der Gesellschaft« bekannt werden könnte. Er hatte zwar von Sportsachen nur gerade soviel Ahnung, daß er sich nicht unbedingt lächerlich machte, aber schließlich lernte er es doch, sich darin zurechtzufinden. Im übrigen war er, trotz seiner affektierten Unachtsamkeit in Wort und Tat, eine sehr berechnende Persönlichkeit, die überhaupt niemals in eine unangenehme Lage kommen konnte. Wunderbar war die Gewandtheit, mit der er sich aus den Krallen eines Freundes retten konnte, der, vielleicht durch Flounceys offenes und gutherziges Benehmen ermuntert, an ihn das Ansinnen einer Anleihe von nur ein paar hundert Pfunden gestellt hatte. Herr Guy Flouncey wies diese Bittsteller niemals herzlos ab, im Gegenteil, er gab seiner Freude, seinen Freunden einmal helfen zu können, stets den liebenswürdigsten Ausdruck. Aber er hatte in diesen Fällen immer noch zunächst einen wichtigen Brief an seinen Bankier oder an seinen Rechtsbeistand oder an irgend eine sonstige Person zu schreiben, und schließlich endigte die Geschichte stets damit, daß Herr Guy Flouncey, ohne irgend jemanden zu beleidigen, ja, unter dem Anschein der Erfüllung aller Wünsche, niemals mit seinen hundert Pfunden herausrückte. Der Mann hatte sich eben durch weiß Gott welche Manöver den Ruf eines »guten Kerles« erworben, obgleich es seinen größten Lobrednern schwer gefallen wäre, eine einzige Tatsache zum Beweise seines guten Herzens anzuführen.

Diese Art pseudo-guter Ruf ist, ob nun zum Guten oder zum Bösen, in der Welt nicht gar so selten. Der Mensch ist ein nachahmendes Tier, gute Psychologen sind selten; die meisten von uns sprechen ohne Gedanken die Ansichten irgend einer dritten Person nach, diese Person hat sie vielleicht ohne vorherige Prüfung in die Welt gesetzt, und so kommt vielleicht ein stolzer, edler Mann mit der Zeit in den Ruf, ein Geizhals zu sein, weil er irgend einem Taugenichts kein Geld geborgt hat, der dafür durch Verbreitung übler Nachrede seine Rache genommen hat. Auf der anderen Seite gewinnt eine kaltherzige, aber glattzüngige Persönlichkeit, die allerlei kleine, billige Dienste zu leisten gewillt und zu nichts Höherem zu haben ist, oder jemand, der aus Eitelkeit sehr gastfrei ist, die Sympathie unserer gedankenlosen Gesellschaft und erwirbt sich den angenehmen Ruf eines »braven Mannes«.

Man begann von Guy Flounceys Diners zu sprechen; es wurde, besonders unter Sportsleuten, eine Art Modesache, sie zu besuchen, und bei dieser Gelegenheit wurden sie der Frau des Hauses vorgestellt. Diese ließ natürlich keine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen. Wenn ein Mann eine Frau hatte, die eine gesellschaftliche Stellung einnahm, so konnte man darauf wetten, daß sie, trotz anfänglichen Widerstrebens, früher oder später Frau Guy Flouncey ihren Besuch abstatten würde, und wer die Frau einmal erst kannte, dem gefiel sie auch. Die Guy Flounceys verloren nie einen günstigen Augenblick: sobald die Saison vorüber war, tauchten sie in Cowes auf, dann in einem deutschen Badeort, dann in Paris, dann auf einem englischen Landsitze, und dann wieder in London. In sieben Jahren hatten sie mehr mitgemacht, wie andere Leute in einem halben Jahrhundert, denn sie hatten jedes Jahr sechs verschiedene Saisons zu erledigen. Es war wahrhaftig eine schwere Arbeit für die armen Leute. An einem gewissen Punkte angelangt, konnten sie denn auch, wie alle anderen ebenfalls, nicht mehr weiter. Die meisten Leute geben die Geschichte dann auf, aber Geduld ist, nach Buffons Meinung, so viel wie Genie, und Frau Guy Flouncey war in ihrer Art ein weibliches Genie. Ihre Diners erfreuten sich gewissermaßen eines alten und festen Rufes, und wegen dieser Diners wurden sie denn auch zu allen anderen eingeladen. Nur an Bälle hatte sie sich noch nicht herangewagt. Denn Bälle, wenigstens Bälle ersten Ranges, gibt es nur wenige, und gar einen selber zu geben, daran konnte Frau Guy Flouncey so wenig denken, als an die eigenhändige Vertagung des Parlaments. Inzwischen erwarb sich ihr Haus aber den Ruf, daß die »besten Männer« dort verkehrten, denn Frau Guy Flouncey lud alle die jungen, tanzfähigen Lords zu sich zum Diner ein. Mütter bringen stets ihre Töchter dahin, wo junge Lords verkehren. Frau Guy Flouncey hatte außerdem eine gute Opernloge, die sie gerne ihren Freunden überließ, dazu ebenfalls eine Loge im französischen Theater, mit der sie nur ihre Feinde bestach. Beide Logen wurden fleißig weggeschenkt, ebenso wie Herrn Guy Flounceys Jacht, leider aber nur unter der Bedingung, daß die Leute, die davon Gebrauch machten, Mitglieder jener großen Welt waren, in der Frau Guy Flouncey durchaus festen Fuß fassen wollte.

Frau Guy Flouncey war hübsch und dabei kokett. Aber sie war mit Berechnung kokett und überschritt niemals die Grenzen des Erlaubten – dazu waren ihre sozialen Instinkte zu stark entwickelt. Sie wußte, daß die feinen Damen, mit denen sie in Wettbewerb getreten war, ausgesprochene Splitterrichterinnen einer jeden Frau gegenüber waren, die nicht auf gleicher Rangstufe mit ihnen geboren war. Was man einer Patrizierin lächelnd vergeben hätte, wäre einer anderen Dame zum ewigen Vorwurf gemacht worden, und hätte sie weiter nichts getan, als eine Gräfin um die Zuneigung eines Gatten gebracht, selbst eines Gatten, der vielleicht jahrelang nicht mehr mit ihr gesprochen hatte. Wenn eine Gräfin schon ihren Gatten verlieren soll, so sollte sie ihn wenigstens – nach dem Moralkodex dieser Damen – an eine Baronin verlieren, denn so geht der Herr Graf doch nicht für die »Gesellschaft« gänzlich verloren.

Einst, auf einem Schlosse in der Provinz, wurde Frau Guy Flouncey ein hoher Adliger vorgestellt. Ihr hübsches Gesicht, ihre liebenswürdige Koketterie, ihre Lebhaftigkeit, ihre reizende Toilette und vielleicht vor allem ihre unerschöpfliche gute Laune machten tiefen Eindruck auf ihn. Die Frau des hohen Adligen war unerfahren genug, ihren Ärger offen zu zeigen, aber Frau Guy Flouncey wußte die Gelegenheit gut zu benutzen. Sie gab ihrem gefangenen Earl die Freiheit, oder besser gesagt, den Laufpaß, und wurde die intimste Freundin seiner Frau Gemahlin, die natürlich vor Dankbarkeit über diesen Edelmut sich kaum genug tun konnte. Die beiden Frauen wurden innige Freundinnen, und nach einer solchen Freundschaft mit einer hohen Dame hatte Frau Guy Flouncey lange gesucht. Sie hatte die Männer besiegt, sie war durch sie zuerst in die Gesellschaft eingeführt worden und war klug genug gewesen, durch keine ostentative Vorliebe für irgendeinen von ihnen sich bloßzustellen. Aber gerade weil sie unter Männern beliebt war, war sie natürlich unter Frauen unbeliebt; sie wurde zwar dort nicht gerade gehaßt, denn sie hatte, vernünftigerweise, sich keinen vornehmen Liebhaber genommen, aber man war doch ihr gegenüber übereingekommen, ihr keineswegs bei der Befriedigung ihres gesellschaftlichen Ehrgeizes behilflich sein zu wollen. Jetzt aber hatte sie eine Freundin und Bundesgenossin, und eine Bundesgenossin in der höchsten Stellung gefunden. Der Moment, auf den sie jahrelang sehnsüchtigst gewartet hatte, war gekommen. Frau Guy Flouncey beschloß darum sofort, von der Gelegenheit Gebrauch zu machen und einen Ball zu geben.

Einige unserer Leser in der Provinz werden hier die Bemerkung fallen lassen: »Weiter nichts? Es ist doch nicht gar so ein gewaltiger Entschluß, einen Ball zu geben. Wo liegt die Schwierigkeit? Die Dame braucht doch nur die Lichter in ihrem Hause anzuzünden, die Musiker zu engagieren, ihre Treppengeländer mit Girlanden zu schmücken, ihren Balkon etwas aufzuputzen, bei Herrn Gunter das beste Essen zu bestellen, und wenn sie dann alle ihre Freunde und Freundinnen einladet, so wird sie einen so schönen Ball zustande bringen, wie ihn die Jugend nur wünschen oder das Alter vertragen kann.«

Unschuldiger Provinzler! So leicht geht das denn doch nicht! Man mag zwar sein Haus schmücken wie einen russischen Palast, man mag ihn mit tausenden von Lichtern erleuchten und mit den schönsten Wohlgerüchen Arabiens erfüllen, man mag Jullien und seine Kapelle engagieren und ein Bankett, das den Römern Ehre gemacht hätte, beim Traiteur bestellen. Und unsere Freunde könnten bis zum Tagesanbruch bei uns tanzen und schließlich noch übereinstimmend erklären, sie hätten nie ein schöneres, fröhlicheres, geschmackvolleres Fest mitgemacht. Das alles könnte vollkommen gelingen, aber was nützt es einen Ball zu geben, wenn man keinen Bericht und keine Gastliste nachher in die Zeitung bringen kann? Der Grund dafür ist natürlich klar: es steht von unserem Ball deswegen nichts in der Zeitung, weil man sich seiner Gäste geschämt hat. Also – gehört »man« nicht zur Gesellschaft.

Aber selbst eine Liste ist noch nicht genug. Der Erfolg hängt auch davon ab, einen Tag zu bekommen, und das ist meistens außerordentlich schwierig. Da muß man zunächst seine Freunde fragen. Dann muß man die Spalten der »Morning Post« studieren, wobei man schließlich entdeckt, daß in ungefähr fünf Wochen ein Tag unbesetzt ist. Karten werden ausgeschickt, das Haus wird hergerichtet, die Blumendekorationen sind da, eine Kapelle, vielleicht auch zwei, sind schon bestellt. Herr Gunter hat das Souper schon halb angerichtet und das Eis ist schon ganz fertig – da sendet achtundvierzig Stunden vor dem Balle, zu dem vor fünf Wochen eingeladen war, die Marquise von Deloraine ihrerseits Einladungen zu einem Balle aus, der zu Ehren einer eben angekommenen europäischen Fürstlichkeit bei ihr stattfinden soll. Um nicht die kostbare Liste zu verlieren, muß man natürlich jetzt sofort nach allen Richtungen Boten ausschicken, um zu verkünden, daß unser Ball verlegt ist, was um so unangenehmer ist, als man sowieso sich aus keiner einzigen Persönlichkeit unter den Eingeladenen irgend etwas gemacht hätte.

Der Ball ist also aufgeschoben und am nächsten Tage ist in der »Morning Post« zu lesen, wann er anstatt dessen stattfinden soll. Einen Tag später, nachdem man diese interessante Neuigkeit in die Zeitung gegeben hat, erlebt man die freudige Überraschung, auf diesen Tag selber bei der Lady St. Julians zum Balle eingeladen zu werden. In Verzweiflung schiebt man wieder auf. So gibt es Damen, die jedes Anrecht auf einen guten Ball hätten, die Gäste, Gunter, Girlanden, schöne Häuser und hübsche Töchter besitzen, die jahraus jahrein geduldig auf eine gute Gelegenheit gewartet haben und die doch schließlich am Ende einer jeden Saison die große Festlichkeit wieder mit schmerzlicher Resignation auf die nächste verschieben müssen.

Man versteht jetzt, daß es nicht so leicht ist, einen Ball zu geben, als es den Anschein hat und daß, wenn Frau Guy Flouncey den ihrigen durchsetzte und mit glänzendem Erfolge durchsetzte, es sich um eine Tat handelte, die dieser großen, sozialen Generalin würdig war. Die Schlacht wurde denn auch glänzend von ihr gewonnen. Die von ihr angewandten Mittel waren, wie die aller großen Feldherren, äußerst einfache. Sie hatte ihre gräfliche Freundin gebeten, ihre Gäste persönlich für sie einzuladen, und die gefällige hohe Dame fuhr selber in ihrem Wagen herum und bat um die Zusage. Viele von den Geladenen wollten auch wirklich gerne die Bekanntschaft von Frau Guy Flouncey machen, andere kamen hingegen nur, weil Lady Kingcastle sie gebeten hatte. Selbst die hohen Fürstlichkeiten kamen, weil jemand, der an Rang und sozialem Einfluß ihnen gleichkam, es sich als persönliche Gunst von ihnen ausgebeten hatte – auch wußten sie wohl, daß sie ihrerseits gegebenenfalls auf Gegenseitigkeit von seiten der Gräfin rechnen konnten. Im übrigen waren die Dinge wirklich so weit gediehen, daß die Anerkennung der Frau Guy Flouncey als gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft nur noch eine Frage der Zeit sein konnte. Denn die Guy Flounceys hatten sich allmählich emporgearbeitet, ihre Wohnungen waren ständig bessere geworden, von Park Crescent waren sie nach Portman Square und von da in ihr prächtiges Haus in Belgrave Square gezogen. Ihre Diners erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit, Frau Guy Flouncey war ständig zu den »besten« Bällen eingeladen und hatte bei dieser Gelegenheit stets die »besten« Männer um sich. Obgleich sie hübsch und kokett war, war sie doch eine Parvenue mit einem gewissen Zartgefühl, denn sie hatte keiner hohen Dame ihren Gemahl weggeschnappt. Und dann war sie vor allem Lady Kingcastles Freundin, und Lady Kingcastle sprach von ihr und ihrem Gatten nie anders, als von diesen »reizenden Guy Flounceys«.

Der Ball wurde gegeben; Belgrave Square war so voll, daß sich kein einziger Mensch abends dort hätte durchzwängen können. Am nächsten Morgen stand die Liste in der »Morning Post«, in der sie zwei Spalten ausfüllte. Lady Kingcastle war die persönliche Freundin einer königlichen Prinzessin, die sie ebenfalls zum Ball gebeten hatte und die auch erschienen war. Man stelle sich den Empfang der hohen Dame vor: wie die Kapelle des Garderegiments plötzlich » God save the King« intoniert, wie Frau Guy Flouncey, die unter einem roten Baldachine steht, der hohen Besucherin mit einer sonnigen und ungekünstelten Liebenswürdigkeit die Hand reicht und dabei so viel Sicherheit, Ruhe und Grazie an den Tag legt, als ob sie ihr ganzes Leben nichts anderes wie königliche Prinzessinnen empfangen hätte. Die königliche Prinzessin selbst ist ganz entzückt über ihre neue Gastgeberin und Freundin, spricht sich über sie zu Lady Kingcastle sehr anerkennend aus, erzählt ihr, wie außerordentlich gut es ihr gefiele und bleibt sogar eine halbe Stunde länger, als gewöhnlich. Und unter den übrigen Gästen befanden sich fast sämtliche Peers. Der Diktator, der Herzog v. Wellington, war ebenfalls da und Frau Guy Flouncey widmete sich dem großen Manne, sowie ihre Königliche Hoheit sich zurückgezogen hatte. Alle großen Damen, alle Gesandten, alle Schönheiten waren anwesend, und die »besten Männer« erklärten einstimmig, daß es ohne Zweifel der »beste Ball« der Saison gewesen wäre. Glückliche Frau Guy Flouncey! Um fünf Uhr morgens stand sie, während ihr Gatte, der »den ganzen Abend keinen Bissen zum Essen bekommen hatte«, aus der bloßen Hand in ihrem Boudoir ein belegtes Brötchen hinunterschlang, vor ihrem Spiegel, warf einen triumphierenden Blick hinein und sagte: »Mein Lieber, wir haben die Schlacht gewonnen!«

Sie hatte recht, denn von demselben Tage an wurde Frau Guy Flouncey in alle guten Häuser eingeladen und wurde eine Dame vom »besten Ton«.

Aber wir haben bei dieser langen Erzählung beinahe ihr Dejeuner vergessen, zu dem Tancred nach Craven Cottage geladen war ...

Es war ein wunderschöner Tag: Musik, Sonnenschein, entzückende Hüte und kleine, in allen Farben glänzende Sonnenschirme, die von weitem wie große Schmetterlinge aussahen. Die neuen Phaethons trotteten heran, dann eine Menge vierspänniger Wagen; die Junggesellen kamen meistens in ihren bequemen Broughams, deren Fenster hochgezogen waren, um den Staub von den Straßen fernzuhalten; einige weniger vorsichtige Leute kamen sogar zu Fuß, schienen aber trotz der reichlich gesprengten Straßen etwas besorgt um die Frische der im Knopfloch befindlichen Rose und hüteten sich ängstlich davor, daß nicht etwa ein schwarzes Rußstückchen aus einem Londoner Schornstein sich auf ihre Nase niederließe.

Drinnen hörte man in den verschwiegenen Alleen des prächtigen Gartens lieblich geflüsterte Worte; auf dem großen Rasenplatze standen viele Gruppen von Menschen, und auf der Terrasse ergötzte sich eine ebenso glänzende und gewählte Gesellschaft an dem prächtigen Anblick, den die berühmten Wasser des Themseflusses gewährten.

Auf die stattlichste Gruppe, in deren Mitte Mrs. Guy Flouncey ihren Hof abhält, tritt der Marquis von Montacute und macht der Dame des Hauses seine Verbeugung.

Kein menschliches Wesen war in diesem Augenblicke der klugen Dame willkommener, aber sie verstand es meisterhaft, ihre Freude zu verbergen. Ihre Selbstbeherrschung war wirklich der höchsten Bewunderung wert – schade, daß derartige Kunstleistungen in keiner öffentlichen Galerie ausgestellt werden können. Wie alles erstklassige Können, so war auch diese wohlgelungene Empfangsmiene erst nach langen und oft fehlgeschlagenen Versuchen von der Besitzerin errungen worden. Eine Menge verschiedener Umstände und eine unbegrenzte Anzahl von Proben erst waren imstande gewesen, das ehemals etwas zu laute Lachen der Frau Guy Flouncey gebührend abzudämpfen und in ihr Antlitz jene sonnige, stolze Liebenswürdigkeit hineinzuzaubern, das gleich weit entfernt von forcierter Liebenswürdigkeit als von gesuchter Gleichgültigkeit war. Auch ihre Zunge, der sie in ihren früheren Jahren stets überfreien Lauf ließ, hatte sie längst zu beherrschen gelernt. Frau Guy Flouncey schien im Gegenteil jetzt sich nur für das echte Angelsächsisch erwärmen zu können, sie vermied sorgfältig jene vielen Worte unserer Sprache, die aus dem Französischen stammen, und war demgemäß recht einsilbig geworden. Angelsächsisch, eine der drei Schichten, aus denen das moderne Englisch besteht, zeichnet sich durch die überwiegende Anzahl einsilbiger Wörter aus. Auch der unerbittlichste Kritiker würde an ihren sanft hingehauchten Äußerungen nichts mehr zu tadeln oder zu verbessern gefunden haben. Unter den heutigen Umständen würde sie allerdings kaum mehr jene Lords und Grafen für sich eingenommen haben, die gerade durch ihre natürliche und schalkhafte frühere Art früher an ihr Gefallen gefunden hatten. Aber das beweist nur die Größe dieser Frau. Damals spielte sie nur diese Rolle, weil sie durchaus in der Gesellschaft vorwärts kommen wollte. Damals befand sie sich ganz unten in der sozialen Skala; heute aber hatte sie sich aus Reih und Glied herausgearbeitet, war eine Divisionsgeneralin geworden und mußte sich infolgedessen ganz anders benehmen.

Es war dies das erste Dejeuner, an dem Tancred je teilgenommen hatte und es gefiel ihm ausnehmend gut. Die Szenerie, der herrliche Rasen, die schattigen Wege und der glitzernde Fluß, die Luft, die Musik, die schönen Frauen unseres Landes, die sich in ihren farbigen, eleganten Toiletten und mit ihren herrlichen Gesichtsfarben selbst bei hellstem Tageslichte gut ausnehmen – alles dieses zusammen machte so ein Gartenfest für einen jungen Mann, der zum ersten Male daran teilnimmt, äußerst anziehend, selbst wenn dieser junge Mann gerade an Jerusalem denken sollte. Welch mächtigen Einfluß übt doch die Welt auf uns aus: sobald wir uns mit ihr einlassen, verflattern unsere höchsten Ideen in ein Nichts! In unserer Jugend ist es die überschnelle Teilnahme der anderen, die sie zerstören hilft, und wenn wir älter sind, die böse Furcht, uns lächerlich zu machen. Aber vielleicht kann man Tancreds einsame Träumereien nicht wirklich »höhere Ideen« benennen; vielleicht sind es nur jugendliche Phantasmen und Übertreibungen – vages, unsicheres, nebelhaftes, auf keinerlei höhere Prinzipien begründetes Zeug!

Warum sollte er denn nun eigentlich nach Jerusalem gehen? Was hat es für eine Bedeutung und was geht es ihn vor allem an, ob es eine religiöse Wahrheit oder politische Gerechtigkeit gibt? Besitzt er nicht Jugend, Schönheit, Reichtum, Rang, Stellung und Macht im Überfluß? Und hat er nicht Verstand genug, um alle diese ungeheuren Vorzüge gebührend schätzen und ausnützen zu können? Was will er noch mehr? Welch unvernünftiger, junger Mensch! Und selbst angenommen, er geht nach Jerusalem – wer steht ihm dafür, daß er dort religiöse Wahrheit und politische Gerechtigkeit finden wird? Er könnte sich doch über Jerusalem am besten durch Reiselektüre unterrichten – es gibt ja eine ganze Reihe von Büchern von jungen, aber geschickten Verfassern geschrieben, die noch dazu die besten Einführungen bei allen Konsuls gehabt hatten –, und diese Reiseschriftsteller erzählen uns, daß Jerusalem heute eine Stadt dritten Ranges in einer Steinwüste ist. Sollte die »große Welt« nicht diese große Torheit eines ihrer angesehensten Mitglieder zu verhindern imstande sein? Eine Torheit, die selbst zu einer Katastrophe auswachsen kann? Seine Eltern haben sich anscheinend vergeblich an ihn gewandt; aber mitunter ist das höhnische Lächeln der Welt wirksamer als die Bitte eines bekümmerten Vaters, und die Träne einer Mutter floß schon oft vergebens, während der Seufzer einer Geliebten den Entschluß des Unerbittlichsten zu ändern imstande war. Nun – wir wollen abwarten. In diesem Augenblicke gibt Lady Constance Rawleigh ihrem Vergnügen über Tancreds Erscheinen Ausdruck, und das Herz unseres Helden schlägt bei dieser erneuten Begegnung nicht unbeträchtlich höher.


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