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Zehntes Kapitel

Als Tancred Sequin Court erreicht hatte, wartete gerade ein Wagen mit einem fremden Königswappen am Fuße der großen Treppe, die zu dem Gebäude hinaufführte. Ein dicker, galonierter Portier, der auch in seines Vaters Schlosse am Platze gewesen wäre, erhob sich in ziemlich unverschämt-fauler Weise von seinem Sitze und fragte Tancred, der etwas zu zögern schien, wohin er wollte.

»Ich möchte Herrn von Sidonia sprechen.«

»Unmöglich. Hat jetzt keine Zeit.«

»Ich habe einen Brief an ihn abzugeben.«

»Gut. Geben Sie ihn mir – ich werde ihn hineinbringen lassen. Nehmen Sie hier Platz.« Der Portier öffnete ein Wartezimmer und bat Tancred, darin Platz nehmen zu wollen. »Oh, danke sehr, ich kann auch hier draußen warten«, sagte Tancred und sah sich etwas genauer die mit Eichenholz ausgetäfelte Vorhalle an, an deren Wänden verschiedene gute Porträts hingen. Eine andere schöne Treppe, die von hier nach oben führte und die nur noch in diesen alten Häusern zu finden ist, erregte besonders seine Aufmerksamkeit. In der einen Ecke der Halle stand auf einer kleinen Porphyrsäule eine Marmorbüste mit der Aufschrift: » Fundator«. Es war der Erste von der Dynastie der Sidonias, die Büste selbst war von Chantrey.

»Danke sehr – ich kann auch hier warten,« sagte Tancred und sah sich weiter um. »Ich bin zu zwei Uhr hierher bestellt«, fügte er etwas zögernd hinzu.

In diesem Augenblicke schlug es vom Glockenturm einer benachbarten alten Kirche zwei Uhr – eine alte deutsche Uhr in der Halle wiederholte klangvoll die beiden Schläge.

»Das mag wohl sein – aber ich kann den Herrn jetzt nicht stören. Der spanische Gesandte ist drin und andere Leute warten schon noch länger. Wenn der Gesandte weg ist, werde ich Ihren Brief mit einigen anderen hier dazu hineinschicken.«

Jetzt traten einige Leute in die Vorhalle und gingen, ohne von dem Portier Notiz zu nehmen, auf die Zimmer zu.

»Wohin gehen diese Leute?« fragte Tancred.

Der Portier sah den Fragenden verächtlich an und sagte dann, ohne überhaupt aufzusehen: »Sie gehen höchstwahrscheinlich in ihre Kontore oder auf die Bank.«

»Ich möchte gerne wissen, ob unser Portier auch solch ein frecher Dachs ist, wie der von Herrn de Sidonia«, dachte Tancred.

Von drinnen wurde ein Geräusch hörbar. »Der Gesandte kommt,« sagte der Portier, »treten Sie beiseite.«

Das gute Ohr des Torhüters kannte natürlich seit Jahren jedes Geräusch, das die Fußböden, Türen und Zimmer von Sequin Court hervorbringen konnten. Obgleich diese Türen alle geschlossen waren, wußte er genau, wenn sich jemand drinnen von seinem Stuhle erhob – auch jetzt hatte er richtig gehört. Eine Tür im Hintergrund öffnete sich und der spanische Gesandte kam heraus.

»Machen Sie Platz«, sagte der Portier zu Tancred, dann rief er den Dienern draußen etwas zu und machte seinerseits der vorübergehenden Exzellenz eine tiefe Verbeugung.

»Jetzt werde ich Ihren Brief mit den anderen hineinexpedieren lassen«, sagte er zu Tancred, den er für einen Augenblick allein gelassen hatte. Dann setzte er sich gemächlich in seinen Stuhl und nahm, ohne von unserem jungen Helden irgend welche weitere Notiz zu nehmen, die Lektüre seiner »Times« wieder auf.

Der Brief, den Tancred abgegeben hatte, lautete folgendermaßen:

»Lieber Sidonia! Dieser Brief wird Ihnen durch meinen Vetter Montacute, von dem ich Ihnen gestern gesprochen habe, überreicht werden. Er möchte nach Jerusalem pilgern, was seiner Familie sehr unangenehm ist, denn er ist ihr einziges Kind. Ich glaube allerdings, sie übertreiben die Gefahr der Reise etwas. Aber Erfahrung und guter Rat sind stets von hohem Wert und Sie wären derjenige, der ihm damit am besten beistehen kann. Ich habe seinem Vater und seiner Mutter, sehr würdigen Leuten, die mir von allen meinen Verwandten am nächsten stehen, versprochen, daß ich ihrem Sohne in jeder Beziehung helfen werde. Wenn Sie darum irgend etwas für Montacute tun können, so würden Sie mir den größten Gefallen damit erweisen. Er scheint Charakter zu haben, aber ich werde nicht recht aus ihm klug. Ich fürchte, ich habe gestern zu viel Rheinwein getrunken, denn ich verspüre ein Ziehen in meiner großen Zehe.

Mit ergebenem Gruße

Ihr
»Eskdale.«

»Mittwoch Morgen.«

 

Die Uhr in der Vorhalle hatte gerade ein viertel drei geschlagen, als ein junger, blonder, intelligent aussehender Mann die Tür des Wartezimmers öffnete und, da er niemand darin fand, zum Portier sich mit den Worten wandte: »Wo ist Lord Montacute?«

Der Portier sprang von seinem bequemen Stuhle auf und ließ die Zeitung dabei fallen, aber Tancred war schon mit einem kurzen Kopfnicken auf den jungen Mann zugegangen, der seinerseits eine Verbeugung machte und Tancred ihm zu folgen bat.

Er wurde in ein geräumiges und ziemlich langes Zimmer geführt, dessen Wände mit altem Eichenholz bis zu dem weißen Deckengewölbe hinauf getäfelt und mit reichem Schmuck versehen waren. Vier Fenster, von denen aus man die Platane und den Springbrunnen sehen konnte, gaben dem Raume ein genügend helles Licht. Ein Porträt, anscheinend derselben Persönlichkeit, das zu der Chantreyschen Büste draußen das Modell abgegeben hatte und von Lawrence gemalt war, hing über dem hohen, alten, aber sehr hübschen Kaminsims. Ein türkischer Teppich, Gardinen von rotem Samt, einige große, mit Papieren überdeckte Tische und einige Eisenschränke an den Wänden vervollständigten das Meublement des Zimmers, das durch eine Glastüre von den Kontorräumlichkeiten getrennt war. Durch diese Glastüre hindurch sah man eine Unmenge Angestellter an ihren Pulten arbeiten, doch konnte anscheinend durch eine auf- und zugehende Samtgardine dies Zimmer vollkommen von dem anderen abgetrennt werden.

Ein Herr, der gerade mit Schreiben beschäftigt war, erhob sich bei Tancreds Eintritt, gab ihm die Hand und sagte, dabei gleichzeitig auf einen Stuhl deutend: »Es tut mir leid, Sie zu einer so ungewöhnlichen Stunde herbemüht zu haben.«

Der blonde junge Mann hatte sich in der Zwischenzeit zurückgezogen, Tancred hatte seine Verbeugung gemacht und die Begrüßungsformel erwidert. Sidonia schob seinen Stuhl etwas weiter vom Tische weg und fuhr dann fort: »Lord Eskdale schreibt mir, Sie wollten gerne nach Jerusalem gehen.«

»Ich trage mich mit dieser Absicht schon längere Zeit.«

»Schade, daß Sie nicht früher daran gedacht haben, dann hätten Sie vielleicht zur Osterzeit da sein können. Alle Pilger strömen dann dort zusammen – es ist ein höchst interessanter Anblick!«

»Ja, es ist vielleicht schade,« sagte Tancred – »aber mir ist so viel daran gelegen, überhaupt einmal nach Jerusalem zu kommen, daß die Zeit mir einerlei ist.«

»Nun, es gibt ja heute keinerlei Schwierigkeiten mehr, nach Jerusalem zu gelangen – die größte Schwierigkeit ist die, die schon die Kreuzfahrer kannten, nämlich zu wissen, was man tun soll, wenn man einmal dort ist.«

»Es ist das Land der göttlichen Eingebung,« sagte Tancred und errötete dabei, »und wenn ich einmal dort bin, so werde ich in Demut Gott bitten, daß er mir meinen Lebensweg sicher vorzeichnen möge.«

»Und Sie meinen, daß Ihre innigen Gebete hier in unserem Lande von keinerlei Erfolg begleitet sein würden?«

»Dies ist nicht das Land der Erleuchtung«, sagte Tancred zögernd.

»Aber Sie haben doch Ihre Kirche«, sagte Sidonia.

»Ja, und sie ist göttlichen Ursprunges und sollte eigentlich unter dem unmittelbaren Einflusse des heiligen Geistes stehen«, sagte Tancred und senkte dabei, noch mehr errötend, seine Augen, denn er dachte daran, daß ihn Lord Eskdale vor der Erwähnung jenes interessanten theologischen Themas, das ihn ständig interessierte, gewarnt hatte.

»Also Ihre Kirche läßt Sie anscheinend in diesem Falle im Stich?« fragte sein Gegenüber.

»Ich finde, daß sie keine bestimmten Ansichten mehr hat und daß ihre Maßnahmen sich gegenseitig widersprechen,« erwiderte Tancred. »Ich habe mit einem unserer berühmtesten Geistlichen gesprochen und meine Überzeugung, die ich schon eine Zeitlang hatte, ist nur bestärkt worden.«

»Und welches ist diese Ihre Überzeugung?«

»Daß mir die Erleuchtung von Gott nicht hier in England, sondern nur in Palästina kommen kann.«

»Sie haben ein gewisses Recht, dies zu behaupten, ebenso wie ich auch,« sagte Sidonia. »Ich huldige dem Glauben, daß Gott zu Moses auf dem Berge Horeb sprach und Sie glauben, daß er in der Person Jesu auf dem Calvarienberg gekreuzigt wurde. Beide, Moses wie Christus, waren, wenigstens der Abstammung nach, Kinder aus dem Hause Israel und sprachen hebräisch zu den Hebräern. Die Propheten waren ebenfalls ausschließlich Hebräer, ebenso wie die Apostel. Die untergegangenen Kirchen Asiens wurden von einem geborenen Hebräer gegründet, und die römische Kirche, die sich für unvergänglich hält, und die auf dieser Insel hier Wotan, die Druiden und den olympischen Jupiter besiegt und schließlich die Einwohner zum Glauben Christi und Mosis bekehrt hat – auch diese Kirche, sage ich, wurde durch einen Juden gegründet. Deswegen halte ich Ihre Überzeugung – vielleicht nenne ich es besser Vermutung – durchaus nicht für so phantastisch.«

Tancred hörte die Worte Sidonias mit dem größten Interesse an und fühlte, zu seiner angenehmen Überraschung, jetzt seine Schüchternheit gänzlich schwinden: alle seine gesellschaftliche Zurückhaltung verschwand unter der Wichtigkeit, die dieses Gesprächsthema für ihn hatte. Er war nur zu froh, sein Herz jemand ein wenig ausschütten zu können und angenehm überrascht davon, daß diese Unterhaltung, die sich seiner Erwartung nach nur um Kreditbriefe drehen sollte, einen so interessanten Charakter angenommen hatte.

»Meine Ideen sind demnach doch gar nicht so unverständlich,« sagte Tancred mit lebhafter Bewegung. »Ich bin in einem Lande und in einem Zeitalter geboren, in dem auf der einen Seite der krasseste Unglaube und auf der anderen die reinste Glaubensanarchie herrscht – ich habe niemand gefunden, der mir ein Führer durch dieses Wirrsal sein könnte –, ich habe die feste Überzeugung, daß es ohne einen festen Glauben keine Pflichterfüllung gibt – ist es darum so unvernünftig und so hirnverbrannt, wie die andern es glauben, daß ich dasselbe tue, was sechshundert Jahre vorher ein Ahnherr meines Namens getan hat, daß ich das Schiff besteige und – –«, hier stockte er.

»Das Heilige Grab besuche«, sagte Sidonia.

»Und das Heilige Grab besuche,« wiederholte Tancred feierlich, »ja, das ist mein einziger, mein innigster Wunsch.«

»Ja, die Kreuzzüge haben Europa einen ungeheuren Nutzen gebracht,« sagte Sidonia, »sie haben das geistige Band, das Asien immer mit dem Norden verknüpfte, wieder erneuert. Dieses Band scheint heute zerreißen zu wollen, aber es wird, wie immer, das Gegenteil eintreten von dem, was man glaubt: es wird nur um so fester geknüpft werden.«

»Es kann gar nicht anders sein,« sagt Tancred, »ein Land, in dem einst Gott erschienen ist, bleibt für immer vor allen anderen ausgezeichnet. Irgend eine himmlische Eigenschaft muß es sicherlich auf ewig bewahren. Ich werde die Berge, die einst von Engeln besucht wurden, fragen, warum die himmlischen Besucher ihnen heute fern bleiben. Ich werde ein Gebet an den Erlöser richten, der uns einst versprochen ward, ich werde auf derselben Stelle ihn anrufen, an dem das Versprechen einst gegeben ward. Ich habe diesen Erlöser dringend nötig. Vergeblich habe ich in England nach ihm gesucht. Keine Erleuchtung von oben ist mir gekommen – ich kenne auch niemand anderen in England, dem sie gekommen wäre. Darum hat sich in mir die Meinung ausgebildet, daß die Stimme Gottes sich nur im heiligen Lande vernehmen ließe und daß man dorthin wallfahren müsse, aber nicht in Eile und Hast, sondern von ruhigen, frommen Gedanken erfüllt, denn ich habe die feste Überzeugung, daß die Schwierigkeit und Länge der Reise zu deren Erfolge unabänderlich nötig ist.«

Sidonia hatte Tancred mit großer Aufmerksamkeit zugehört. Lord Montacute saß dem Fenster gegenüber, so daß das volle Tageslicht auf seine lebhaften Gesichtszüge fiel. Sidonia entging kein einziger Zug derselben und vor seinem scharfen geistigen Auge tauchte nach und nach das Charakterbild und der Entwicklungsgang seines Besuchers auf. Er erkannte bald, daß dieser junge Mann kein eitler und phantastischer Wirrkopf war, sondern im Gegenteil ein Charakter, in dem Phantasie wie Vernunft gleichmäßig stark entwickelt waren und der diese beiden großen Eigenschaften im höchsten Maße besaß. Er bemerkte, daß er einen Menschen von großer, leidenschaftlicher Güte und dabei von außerordentlicher Kühnheit vor sich hatte. Obgleich Tancred in diesem Augenblicke so wenig Ahnung von der Welt zu haben schien, wie ein Mönch, so sah Sidonia dennoch, daß in ihm jene Gaben schlummerten, mittels derer man die Welt und die Gesellschaft sich zu Füßen zwingen kann. Als Tancred zu sprechen aufgehört hatte, entstand eine Pause von wenigen Sekunden, während der Sidonia in Nachdenken versunken dasaß, dann blickte er plötzlich auf und sagte: »Lord Montacute, ich glaube, Sie wollen ausziehen, um das große asiatische Mysterium zu enträtseln.«

»Sie haben meine innersten Gedanken erraten«, sagte Tancred mit Lebhaftigkeit.

In diesem Augenblick trat derselbe junge Mann, der Tancred hereingebeten hatte, durch die Glastür ins Zimmer und überbrachte Sidonia einen Brief. Lord Montacute begann, sich unsicher zu fühlen, seine Schüchternheit überkam ihn wieder, er bedauerte die unglückliche Unterbrechung des interessanten Gespräches; aber er fühlte gleichzeitig heraus, daß er störte. Er stand auf und wollte sich verabschieden. Sidonia bemerkte es, machte ein Zeichen mit der Hand und sagte, ohne von seinem Briefe aufzusehen: »Ich habe mit Lord Eskdale abgemacht, daß Sie auch dann nicht gehen dürften, wenn irgend eine Sache mich momentan in Anspruch nehmen sollte. Wenn Sie also nichts anderes zu tun haben, so bleiben Sie, bitte, ruhig sitzen.« Tancred setzte sich wieder hin.

»Antworten Sie,« sagte Sidonia zu dem Kommis, »daß meine Briefe zwölf Stunden später als diese Nachrichten abgeschickt sind und daß in der City alles ruhig ist. Überbringen Sie gleichzeitig eine Abschrift des Berliner Briefes dem Finanzministerium. Die letzten Kurse?«

»Konsols schwächer gegen halb drei; alle internationalen Werte niedriger; Aktienmarkt sehr lebhaft.«

Dann waren sie wieder allein. »Wann wollen Sie gehen?«

»Voraussichtlich in einer Woche.«

»Allein?«

»Nein, leider wahrscheinlich mit Dienern und vielen Begleitern.«

»Schade. Nun – wenn Sie in Jerusalem sind, werden Sie natürlich das Kloster Terra Santa besuchen. Sie werden dort die Bekanntschaft des spanischen Priors, Alonzo Lara, machen. Er ist ein Vetter von mir, ein › nuevoJene spanischen Juden, die unter der Inquisition statt der Auswanderung die Taufe wählten, wurden » nuevos christianos« genannt. aus dem vierzehnten Jahrhundert. Sehr orthodox – aber die Liebe zum alten Lande und zur alten Sprache haben ihn – wie das so geht – nach Palästina gezogen. Sein Blut ist übrigens nicht mehr rein, sondern durch eine Reihe von Mischehen verändert – was bei uns niemals der Fall war. Wir sind reine Sephardim. Lara kennt Palästina und die umliegenden Provinzen ganz genau. Er ist schon an die fünfundzwanzig Jahre dort und könnte, wenn er zu Hause geblieben wäre, heute Erzbischof von Sevilla sein. Er ist in der neuen wie der alten Lehre wohl bewandert – das ist sehr wichtig, denn diese ergänzen und erklären sich gegenseitig. Eure Bischöfe hier wissen von derlei Dingen nichts. Wie könnten sie es auch? Vor einigen Jahrhunderten noch waren sie tätowierte Wilde. Das ist der Vorteil, den Rom vor euch voraus hat und den ihr nie zu würdigen versteht. Die römische Kirche ist von einem Juden begründet worden und der Zauber dieses Einflusses macht sich noch heute geltend. Zur Theologie braucht es mindestens eine Lehrlingszeit von einigen tausend Jahren – von Rasse und Klima ganz zu schweigen. Die Theologie lernt man nicht so schnell wie Chemie und Mechanik, denn es handelt sich dabei um einen tiefen Gegenstand. Ich werde Ihnen einen Brief an Lara mitgeben. Besuchen Sie ihn häufig: er ist der Mann, der Ihnen nützlich sein könnte. Sie werden noch andere nötig haben, und Sie werden sie auch finden – aber Lara ist derjenige, der Ihnen zunächst der nützlichste sein wird.«

»Es tut mir leid, Sie an Kleinigkeiten zu erinnern,« sagte Tancred zögernd, »aber vielleicht werde ich nicht mehr das Vergnügen haben, Sie noch einmal besuchen zu können. Lord Eskdale sagte mir, ich sollte über meinen Kreditbrief mit Ihnen sprechen.«

»Oh – wir werden vor Ihrer Abreise uns schon noch einmal darüber unterhalten können. Aber Sie haben recht, daß Sie mich daran erinnern. Für Geldangelegenheiten gibt es nur einen Bankier in Syrien, der überall seine Zweigniederlassungen hat, in Aleppo, Damaskus, Beirut und Jerusalem. Er heißt Besso. Vor der Vertreibung der Ägypter beherrschte er Syrien unumschränkt, aber er ist noch heute mächtig, obgleich man in Konstantinopel seinen Einfluß zu untergraben bestrebt war. Ich habe mich aber bei Metternich für ihn verwendet. An ihn werde ich Ihnen einen Einführungsbrief mitgeben, der aber nicht ausschließlich für Geldangelegenheiten gültig sein soll. Ich wünsche nämlich, daß Sie ihn auch sonst kennen lernen möchten. Wenn er in Damaskus ist, lebt er mit großem Aufwand, bescheidener in Jerusalem, wo in dieser Hinsicht nicht viel zu machen ist, aber er bewohnt gerne diese Stadt, da er ein Jude ist. Sie müssen ihn kennen lernen. Ich halte ihn für den körperlich gesündesten und stattlichsten Mann, den ich kenne, und Sie werden sicherlich darin meinem Urteil beipflichten. Sein Vorname ist Adam, und er sieht wahrhaftig so aus, als ob er gerade aus dem Garten Eden, aber vor dem Falle, käme. Aber seine Seele ist ebenso großartig und schön als sein Körper. Sie können sich auf diesen Mann absolut verlassen: er ist treu wie Gold. Sein Diwan ist äußerst angenehm; Sie werden dort immer eine Menge intelligenter Leute finden. Sie müssen natürlich dazu rauchen lernen. Besso kann alles für Sie besorgen – und nehmen Sie ihn ruhig in Anspruch –, denn er tut es nur zu gerne. Außerdem verehrt er mich sehr und küßt das Siegel meiner Briefe mit Inbrunst. Diese beiden Einführungen werden Ihnen Syrien öffnen, ebenso wie jedes andere Land, in das Sie sonst noch gehen wollen. Sie brauchen sich nicht weiter nach anderen umzusehen.«

»Und wie kann ich Ihnen danken?« sagte Tancred und stand auf, »und wie kann ich Ihnen alle meine Dankbarkeit ausdrücken?«

»Haben Sie morgen irgend etwas vor?« sagte Sidonia. »Ich gehe nicht viel aus, aber ich habe mitunter einige Freunde zum Besuch bei mir. Morgen kommen zwei von ihnen zum Diner, die Sie kennen lernen sollten. Wollen Sie kommen?«

»Mit größtem Vergnügen.«

»Das ist recht. Aber nicht hier, bitte, sondern in Carlton Gardens, gegen Sonnenuntergang.« Mit diesen Worten setzte sich Sidonia wieder an den Schreibtisch und fuhr fort, an dem Briefe zu schreiben, den er bei Tancreds Eintritt unterbrochen hatte.


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