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Dreizehntes Kapitel

»Es tut mir sehr leid, liebste Mutter, daß ich Dich nicht begleiten kann, aber ich muß mir meine Jacht heute ansehen, und wenn ich von Greenwich wieder zurückkomme, habe ich eine andere Verabredung.«

Lord Montacute war es, der diese Worte an seine Mutter, ungefähr eine Woche nach dem Diner bei Sidonia, richtete.

»Diese fürchterliche Jacht!« dachte die Herzogin bei sich.

Noch vor einem Jahre hätte die Herzogin, falls sie eine Ahnung davon gehabt hätte, Tancreds sogenannte Verabredung für eine ebenso fürchterliche Sache gehalten. Die Idee, daß ihr Sohn täglich eine verheiratete schöne Dame besuchen könnte, hätte sie ängstlich gemacht, ja mit Schrecken erfüllt. Auf den ersten Blick mag es auch dem Leser schwierig erscheinen, die rivalisierenden Reize des »Basilisk« und der Lady Bertie und Bellair miteinander zu versöhnen. Wie konnte Tancred so eifrig die Vorbereitungen zu einer Reise betreiben, die ihn gerade von der Dame entfernen mußte, in deren Gesellschaft er täglich größere Befriedigung empfand? Aber die Erklärung dafür ist, daß Lady Bertie und Bellair die einzige Person war, die für sein Abenteuer ein freundliches Interesse an den Tag legte.

Mit der größten Aufmerksamkeit nahm sie stets den Bericht über den Fortschritt seiner Vorbereitungen entgegen, ja, sie war sogar imstande, Tancred einige ausgezeichnete Ratschläge zu geben, denn Lady Bertie und Bellair war sehr häufig in Cowes gewesen und war in alle Geheimnisse der Jachtklubs eingeweiht. Sie war auf der See wie zu Hause – wenigstens versicherte sie das des öfteren unserem jungen Freunde. Aber dies war nicht der Hauptgrund der Sympathie zwischen den beiden. Nicht an der Reise allein, sondern an dem Reiseziel nahm Lady Bertie und Bellair den innigsten Anteil. Auch ihr Herz war in Jerusalem. Die Heilige Stadt war der Traum auch ihres Lebens; trotz der Zerstreuungen Mayfairs, trotz der Vergnügungen Belgravias hatte ihr ganzes Denken doch immer dem heiligen Zion und dem Tale Josaphat gegolten. Welch eine seltene, süße Übereinstimmung der beiderseitigen Gefühle!

Gemeinschaftlich betrachteten sie Herrn Roberts syrische Zeichnungen, wobei der verliebte Montacute stundenlang an ihrer Seite saß und erstaunt ihren Auseinandersetzungen zuhörte, denn sie schien jeden Ort und die kleinste Kleinigkeit zu kennen. Wenn sie mit heiligem Enthusiasmus sich über die Gegend aussprach, so sah sie aus wie eine wunderschöne Prophetin. Tancred besuchte sie jeden Tag, denn als er das erstemal kam, hatte er seine Abreise als unmittelbar bevorstehend angekündigt und die schöne Dame hatte ihm das Versprechen abgenommen, daß er sie wegen der Kürze der Zeit jeden Tag besuchen wolle. Auf diese Weise, so hatte sie gemeint, könnten sie doch alle Zeichnungen von Roberts miteinander durchgehen, was ihrer späteren Korrespondenz zugute kommen würde, denn Tancred hatte natürlich der einzigen Person auf Erden, die würdig war, seine Briefe zu empfangen, zu schreiben versprochen. Aber, obgleich von ihm getrennt, würde Lady Bertie und Bellair – so versicherte sie ihm – im Geiste stets bei ihm weilen. Einmal schien sie ihm sogar unter einem Seufzer andeuten zu wollen, daß sie unter Umständen mit ihm zusammen die Pilgerfahrt unternehmen würde, denn Lord Bertie, ein großer Sportsmann, wollte gern einmal eine Antilope schießen, er sei überhaupt der monotonen Schlächterei auf englischen Treibjagden müde und trage sich mit dem Wunsche, bei den Schnepfen der griechischen Sümpfe und den Hirschen und wilden Bären der syrischen Wüste sich etwas Abwechslung zu verschaffen.

Der »Basilisk« lag bei Greenwich in der Themse vor Anker. Der Kapitän bat Lord Montacute verschiedentlich um genauere Instruktion, aber dieser träumte von weiblichen Pilgerinnen, die an seiner Seite am Heiligen Grabe knieten, gab nur kurze Antworten und verabschiedete sich bald von seinem Untergebenen, um den Rest des Vormittags in der Brook-Straße zu verbringen.

So waren die zwei oder drei Tage schließlich zu zwei oder drei Wochen geworden und Tancred besuchte noch immer täglich, um Abschied zu nehmen, seine teilnahmsvolle Freundin. Es war ja nur zu erklärlich: sie war eben die einzige in London, die ihn verstand, er fühlte es nur zu genau selber heraus, auch ohne daß sie, wie sie es gelegentlich tat, darauf hinwies. Sie hatten dieselben Ideen, sie trugen dieselbe Sehnsucht im Herzen. Mitunter fragte die Dame Tancred mit einem Seufzer, warum sie sich nicht früher kennen gelernt hätten, und dieser tröstete sich mit dem Gedanken, daß es schon ein Glück sei, daß sie sich überhaupt kennen gelernt hätten. Lady Bertie interessierte ihn übrigens noch aus anderen Gründen: sie war nicht allein schön, klug und ideal veranlagt, sie war augenscheinlich auch ein überaus lebhaftes, mit einer künstlerischen Phantasie begabtes Wesen, das in seine Umgebung nur schlecht hineinpaßte. Der Ton des Jahrhunderts war eben zu laut und zu grob für solch eine zartgestimmte und romantische Seele, und ihre ätherische Natur wich scheu vor jenem gemeinen Realismus zurück, der in unseren Tagen sogar in die Boudoirs von Mayfair einzudringen beginnt. Etwas war in dieser Frau, das fühlte Tancred ganz genau heraus, das dem berechnenden, gemeinen, schmutzigen Geiste unserer Mammonherrschaft zu widerstreben schien.

Die Anwesenheit eines solchen Geschöpfes in dieser Welt war doch noch ein Beweis, ein tröstlicher Beweis dafür, daß Schönheit und Idealismus noch immer ihr Vorrecht auszuüben vermochten. Es war nur zu klar, daß sie nicht glücklich war; denn obwohl ihre Augen immer aufleuchteten, wenn sie Tancreds ansichtig wurde, so konnte es einem aufmerksamen Beobachter doch nicht entgehen, daß sie oft merkwürdig gedrückt, ja ängstlich und aufgeregt war und mitunter, zum Beispiel mitten in der Unterhaltung, in Träumereien versank. Und doch hellte sich der Himmel ihrer düsteren Stimmung immer wieder auf und ihr klarer Verstand und ihre glänzende Phantasie gewannen immer wieder die Oberhand. Sie war sicherlich eine hochbegabte Frau.

Wer aber gemeint hätte, daß es häusliches Unglück gewesen wäre, unter dem Lady Bertie und Bellair so gelitten hätte, der wäre im Irrtum gewesen. Lord und Lady Bertie und Bellair waren im Gegenteil die besten Freunde, sie sprach niemals über ihren Gatten, außer in den anerkennendsten Worten; sie waren viel zusammen und hatten anscheinend unbegrenztes Vertrauen zueinander. Zwar war das Herz seiner Lordship nicht in Jerusalem – und Tancred meinte schon, daß diese etwas materielle Gesinnungsart ihres Gatten, seine Teilnahmlosigkeit einem solch interessanten Thema gegenüber, etwas mit den unglücklichen Stimmungen seiner Gattin zu tun haben könnte. Aber dieser Mangel an Gefühlswärme konnte dem sonst braven Manne doch unmöglich schwer zum Vorwurf gemacht werden; denn es war doch etwas zu Ungewöhnliches, daß ein englischer Aristokrat diesen Dingen mit demselben glühenden Interesse, wie Lord Montacute, gegenüberstand; es war auf der anderen Seite ebenso ungewöhnlich, daß eine englische Peereß so aufrichtigen und so lebhaften Anteil daran nahm, wie die schöne Lady Bertie und Bellair. Das Leben eines englischen Peers steht noch heute hauptsächlich unter dem Einflusse arabischer Gesetze und syrischer Sitten; denn am Sonntag spielt er keinen Whist und geht auch nicht ins Parlament, und die Richterfunktionen, die er ausübt, werden vierteljährlich, je nach den heiligen Feiertagen, von ihm festgesetzt, und doch denkt er nur selten noch an jenes Land und jene Rasse, die, unter dem unmittelbaren Einfluß der Gottheit stehend, einst den Grundsatz eines periodischen Ruhetages und dieser heiligen Feste der Menschheit verkündet hat und die durch ihre Taten, ihre Dogmen und ihre heilige Moral das Los einer jeden Nation, ausgenommen ihrer eigenen, gemildert hat.

»Und wie geht es unserem Tancred?« fragte Lord Eskdale eines Morgens mit einem schlauen Lächeln die Herzogin von Bellamont. »Ich höre, er wird, anstatt nach Jerusalem zu gehen, uns ein Fischdiner geben.«

Die Herzogin von Bellamont hatte die Bekanntschaft Lady Berties gemacht und war, trotzdem sie von den täglichen Besuchen ihres Sohnes gehört hatte, höchlichst von ihr eingenommen. Die stolze, sittenstrenge und in den stärksten Vorurteilen befangene Herzogin von Bellamont beurteilte diese plötzliche, glühende Freundschaft, die ihr Sohn für diese Dame empfand, äußerst milde. Eine Freundin, die mit ihrem Sohne über Jerusalem sprach und ihn auf diese Weise in London festhielt, war unter den obwaltenden Umständen ein wahrer Schatz und für die Herzogin die angenehmste und bewundernswerteste Persönlichkeit ihres ganzen Geschlechts. Ihre Intimität mit Tancred war ihr vollkommen verständlich und auch willkommen, da ihr Sohn durch sie allerlei Auskunft erhielt über das, was er sehen, tun, essen und trinken sollte; da sie ihm Ratschläge gab, wie er das Fieber vermeiden und dem Dolche und Gifte entgehen konnte; wie er dem Gottesdienst der englischen Kirche in Ländern ohne Kirchen beiwohnen und in Sprachen, die er nicht kannte, sich unterhalten könne. Er konnte ja keine bessere Beraterin haben als Lady Bertie, die selber viel gereist und wenigstens bis zur Faubourg St. Honoré gekommen war und, wie Horace Walpole sagte: »Hinter Calais braucht man sich über nichts mehr zu wundern.« Allerdings war Lady Bertie nicht selbst in Jerusalem gewesen, aber sie hatte darüber, ebenso wie über alle anderen Gegenden sehr viel gelesen. Die Herzogin war somit hocherfreut, daß Tancred eine Gefährtin gefunden hatte, die ihn wirklich interessierte. Die Herzogin sah, von ihrem sanguinischen Temperament verführt, die Jacht beinahe schon nur noch als ein amüsantes Spielzeug an und war täglich mehr von der Umsicht und Weltweisheit ihres Vetters überzeugt.

Jawohl, Tancred hatte die Gesellschaft zu einem Fischdiner eingeladen, jawohl, zu einem regulären Diner, bei dem nur Fische auf den Tisch kamen, zu einem Bankett, das beim Hochzeitsfeste von Neptun und Amphitrite am Platze gewesen wäre und bei dem die Nereiden und Najaden und andere scharmante Bewohner des feuchten Elements die Gäste hätten bedienen sollen. Welch ein plötzlicher Umschwung, welch ein Fall von der Höhe! Welch eine Erniedrigung für einen Tancred von Montacute, bei solcher Gelegenheit den Gastgeber spielen zu wollen, er, der, wenn er überhaupt aß, am runden Tische König Arthurs hätte dinieren sollen! Welch ein schmähliches Ende eines erhabenen Wunsches! Welch ein Zusammenbruch eines hoch hinausstrebenden Willens! Alles, was dabei herausgekommen, war ein Fischessen in Greenwich und eine Hotelrechnung!

Alle Welt ist heute philosophisch veranlagt und man wird demgemäß diesen Unglücksfall leicht erklären können. Wir sind ohne Zweifel ein Produkt der Umstände, und wenn diese Umstände die Gestalt einer reizenden Frau annehmen, die sich gerne unsere Jacht in Greenwich ansehen will, so kann man die unabwendbare Folge bald erraten; und diese Folge war eben – eines der gewöhnlichen Fischdiners.

Doch es gibt auch ungewöhnlich nette Fischdiners. Die Gesellschaft kann angenehm sein und das Fischdiner braucht nicht nur eine langweilige Folge unbefriedigender Gerichte, verbunden mit einem kontinuierlichen Tellergeklapper, darzustellen. Der Gäste brauchen nicht zu viel geladen zu sein, und diese wenigen können gut gewählt sein, die Bedienung braucht nicht zu aufdringlich und doch aufmerksam ihres Amtes zu walten; das Wetter kann auch gut sein, denn das ist eine große Sache, und der Gastgeber kann auch bester Laune sein, und das ist die Hauptsache.

Die Gesellschaft, die den »Basilisk« besuchte, war nicht allein die angenehmste der Saison, sie war die angenehmste, die man überhaupt in dieser oder irgend einer anderen Saison je mitgemacht hatte. Darüber war, als man zurückkam, nur eine Stimme. Herr Vasavour, der ebenfalls dabei gewesen, ging später noch zu allen möglichen anderen Gesellschaften, zu der einer Ministersgattin in Carlton-Terrace, dann zu einer oppositionellen in Whitehall, dann zu einer literarischen Soiree in Westminster und schließlich zu ein paar Bällen in Portman- und Belgravia-Square, und erzählte allen Leuten, daß keine dieser Gesellschaften der ersten gleichkäme, einer Gesellschaft, zu deren Gelingen er übrigens durch seinen Humor und seine Unterhaltungsgabe nicht am wenigsten beigetragen hatte. Der Herzog gab der Meinung Ausdruck, daß er über seines Sohnes Jachtliebhaberei sehr erfreut sei, da es ihm gesundheitlich so gut zu bekommen schien und sprach im übrigen von den Absichten und Plänen seines Sohnes mit einer Ruhe, als ob das Land Palästina gar nicht mehr in der Welt existierte. Die sanguinische Herzogin träumte sogar von Cowes-Regatten und war fest entschlossen, allen Liebhabereien ihres Sohnes freien Lauf zu lassen, vorausgesetzt, daß er zu Hause blieb, woran sie jetzt kaum mehr zweifelte.

»Unser Vetter ist doch ein kluger Mann,« sagte sie zu ihrem Gatten, als sie zusammen nach Hause zurückkehrten. »Wie unrecht hatte der Bischof doch, unsern Tancred einen Schwärmer zu nennen. Ich bin jetzt ganz deiner Meinung, George, ein Weltmann ist doch der beste Ratgeber.«

»Schade, daß Herr von Sidonia nicht gekommen ist,« sagte Lady Bertie und Bellair, während sie träumerisch auf den mondscheinbeleuchteten Fluß schaute. Ihre Stimme hatte dabei einen etwas melancholischen Klang.

»Auch ich wünschte, er wäre gekommen, besonders, da Sie es wünschen,« sagte Tancred. »Aber er geht so wenig aus. Es war beinahe unverschämt von mir, ihn hierher zu bitten, aber ich tat es auf Ihren Wunsch.«

»Ich werde ihn, scheint es, niemals kennen lernen«, sagte Lady Bertie und Bellair, nicht ohne etwas Betrübnis an den Tag zu legen.

»Er scheint Sie zu interessieren«, sagte Tancred etwas pikiert.

»Ich hatte so vielerlei mit ihm zu besprechen«, sagte die Dame.

»Ich habe mein Bestes bei ihm versucht; ich habe ihm sogar erzählt, Sie würden auch hier sein. Hätte er vielleicht gewußt, daß sie ihm soviel zu erzählen hätten, so wäre er am Ende doch noch gekommen.«

»Sehr viel! O ja! Sie wissen, er ist viel gereist, er ist überall gewesen, er ist auch in Jerusalem gewesen.«

»Der glückliche Mann!« murmelte Tancred halb zu sich selber, »wäre ich auch erst da!«

»Wären wir auch erst da«, sagte Lady Bertie mit süßer, melodiöser Stimme und sah Tancred dabei mit ihren schönen schwarzen Augen dringend an.

Sein Herz erbebte, beinahe hätte er einige unbedachte Worte gesagt, aber sie erstarben ihm glücklicherweise auf den Lippen. Er hatte nur zwei Gedanken in diesem Augenblicke: der eine war der an den sofortigen Aufbruch nach Palästina, der andere war die Überzeugung, daß das Leben ohne diese mitfühlende Freundin hier für ihn völlig unerträglich sein würde. Was sollte er tun? In seinen langen Träumereien, in denen er so manchen Gedanken ausgeheckt, von denen er einzelne sogar noch niemand mitgeteilt hatte, hatte Tancred ein jedes Hindernis, das sich seiner Lieblingsidee entgegenstellen konnte, vorausgesehen und überwunden, aber eins hatte er anscheinend gänzlich außer acht gelassen, den Einfluß der Frauen. Warum war er immer noch hier? Warum war er nicht schon weg? Warum war er noch nicht abgereist? Der Gedanke war ihm äußerst peinlich; er erschien ihm sogar direkt entehrend. Er, das Wesen, das davon geträumt hatte, mit den himmlischen Mächten im Heiligen Lande selber sich zu beraten, stand jetzt an dem mondbeleuchteten Schmutzufer der barbarischen Themse, an einem Flusse, den weder ein Engel, noch ein Prophet je besucht hatte! Vor ihm lag, im Mondschein wenigstens etwas verklärt, die Hundeinsel. Die Hundeinsel – anstatt Cypern! O Schande, Schande!

Man meldete, daß die Wagen bereitstünden, und Lady Bertie und Bellair bat um Tancreds Arm.


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