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Sechstes Kapitel

Im Home Park war ein mächtiger Pavillon errichtet, der mehr als zweitausend Personen aufnehmen konnte und in dem die Einwohnerschaft von Montacute bewirtet werden sollte; um diesen Pavillon herum standen in gleichem Abstand voneinander entfernt verschiedene kleinere Zelte, ein jedes in anderer Farbe und oben mit einer Fahne versehen: diese trug die Namen der umliegenden Dörfer, welche dem Herzog von Bellamont gehörten und deren Bewohner hier heute ebenfalls festlich aufgenommen werden sollten. Es gab keinen einzigen Menschen in Buddleton oder Fuddleton, keinen Yeoman oder Bauern in Montacute-super-Mare oder Montacute-Abbotts, oder Percy Bellamont oder Friars Bellamont, oder in Winch, Finch, Mandeville Stokes oder Mandeville Bois; es gab keinen einzigen Hausbesitzer in Carleton, Ingleton, Kirkby, Dent, Gillamoor, Padmore oder Hutton le Hale, es gab keinen einzigen dicken Förster in den bewaldeten Regionen von Thorp, Hurst Lydgate und Bishopstowe, der nicht genau gewußt hätte, wo jenes herzogliche Ale schäumend und in Strömen fließend zu finden war, das die durstige Sehnsucht seines heimischen Dorfes zu stillen bestimmt war. Und ihre Töchter und Frauen waren ebenfalls geladen. Am Eingange jedes Zeltes wurden sie von den Dienern des Herzogs empfangen, die alle einzutreten baten, ihnen die verschiedenartigsten Erfrischungen anboten oder ihnen ihre Plätze für die kommende Bewirtung anwiesen. Im allgemeinen betrat jedes Dorf einzeln den Park mit seiner Musikkapelle und seiner Fahne voran, doch kamen die Angehörigen mancher Dörfer auch in getrennten Scharen zum Festessen.

Gegen Mittag sah das Ganze wie ein Jahrmarkt, aber ein musterhaft geordneter Jahrmarkt aus. Im Hintergrunde kletterten Männer und Knaben auf geglätteten Stangen oder hielten Sacklaufen ab, während allerlei marktschreierische und spaßhafte Budenbesitzer, Zauberer, Clowns der umstehenden Menge ganze Salven von Gelächter ablockten. Weiter entfernt wurden zwei Kricketspiele zwischen Fuddleton und Buddleton und Winch und Finch abgehalten, denen ebenfalls eine Menge Leute zusahen. Die größte Menschenansammlung aber war an der Schloßterrasse zu finden, denn hier erwartete man den Herzog und die Herzogin, sowie den Helden des Tages mit allen seinen eingeladenen Gästen, die eine kleine Weile dem Volksvergnügen beiwohnen und besonders die beliebten Mohrentänzer sich ansehen wollten, die schon jetzt sich vor einer großen und beifallslustigen Menge sehen ließen. In der Zwischenzeit erschollen Trommeln und Trompeten, Salven und Hurrarufen wild durcheinander, und ein blendender Sonnenschein fiel auf die unzähligen Gläser hellen Ales herab und gab der ganzen Szenerie ein prächtig-strahlendes Aussehen.

»Das ist noch gar nichts, heute abend, da wird erst was los sein«, sagte einer der herzoglichen Diener zu seiner Familie, Vater, Mutter, zwei Schwestern und einem jüngeren Bruder, die ihm mit offenem Munde zuhörten und seine goldverbrämte Livree mit einem Gefühle von ehrfürchtiger Liebe anstarrten. Sie waren von Bellamont Friars herübergekommen, und ihr Sohn hatte den Verwalter gebeten, ihm die Aufsicht über den Pavillon jenes Dorfes zu gestatten, damit er für seine Freunde und Verwandten sorgen könnte. Es gab wohl keine stolzere und glücklichere Familie beim Fest wie diese, die einen so einflußreichen Freund bei Hofe ihr eigen nennen konnte.

»Das ist noch gar nichts, heute abend, da wird es erst losgehen,« sagte Thomas. »Oben auf dem Schlosse werden die Worte ›Heil, Stern von Bellamont!‹ und dazu eine Krone, zwei Wappen, vier Fahnen, alles in farbigen Lampen und sechs Fuß hohen Buchstaben zu sehen sein. Wenn vom ›Runden Turm‹ ein Böllerschuß ertönt, so werden im Augenblicke hundert Freudenfeuer auf den umgebenden Hügeln ringsherum aufflammen, – und Feuerwerk, sag ich dir, Bob – na, du wirst es ja selber sehen! Bengalische Lichter und große Feuerräder und Raketen und Schwärmer, und man hat mir selbst im Vertrauen erzählt, obwohl ich es nicht weitersagen sollte –«, hier stockte der Erzähler.

»Wir werden es keinem Menschen weitersagen«, meinte der Vater mit ernstem Gesicht.

»Sag' es lieber nicht,« sagte die Mutter hastig, »denn ich bin in einer solchen Aufregung, daß ich für meine Zunge nicht gutsagen kann.«

»Unsinn, Mutter!« sagten seine Schwestern, die ihrer Mutter beständig zu widersprechen gewohnt waren. »Bitte, erzähle uns, Tom.«

»Los, Tom!« sagte der jüngere Bruder.

»Nun denn,« sagte Tom, und seine Stimme sank zu einem vertraulichen Flüstern herab, »wir haben ein großartiges Transparent gemacht. Man erzählt, die Königin selber hat nie etwas Besseres gehabt. In der ersten Viertelstunde werdet ihr es überhaupt nicht sehen können, solch ein mächtiges Feuer und Raketenschwarm wird es vorher geben; aber wenn es dann kommt, so sagen sie, dann wird es wie der Himmel sein, der sich öffnet, der junge Marquis auf einer Wolke, mit seiner Hand auf dem Herzen und in seiner neuen Uniform.«

»Wundervoll!« sagte die Mutter. »Ich kannte ihn schon, bevor er entwöhnt war. Die Herzogin nährte ihn selber, und das zeigt, daß sie ein gutes Herz hat. Man mag sagen, was man will, aber wenn einer andern Milch in den Adern des Kindes fließt, so gehört's, weiß Gott, ebensogut ihr wie unsereinem.«

»Muttermilch macht erst einen richtigen Engländer,« sagte der Vater, »und ich bin sicher, unser junger Marquis wird so einer werden.«

»Ich möchte ihn zu gerne mal sehen«, sagte eine der Töchter.

»Ich auch,« sagte die andere, »und in seiner Uniform! Wie gut er darin aussehen muß!«

»Nun, ich weiß nicht,« sagte die Mutter, »vielleicht werdet ihr mich auslachen: aber mein Thomas in seiner Livree sieht gewiß besser aus, als irgend ein anderer je aussehen kann.«

»Mutter, wie kannst du so ein Zeug sprechen! Wenn's heute abend nur nicht so ein großes Gedränge geben möchte. Wir wollen doch sehen, beizeiten einen guten Platz zu bekommen.«

»Dafür habe ich schon gesorgt,« sagte Thomas mit einem triumphierenden Blicke. »Für die Freunde des Verwalters haben wir einen besonderen Platz reserviert und ihr werdet da ebenfalls hereingelassen werden.«

»Ah!« riefen die Schwestern.

»Wenn nur alles gut geht,« sagte die Mutter, »es wird uns doch vielleicht ein bißchen zu viel werden bei unserem sonstigen ruhigen Leben.«

»Und wann werden sie auf die Terrasse kommen, Thomas?«

»Sie warten nur auf die Stadtbehörde, den Lordmayor und den Stadtrat von Montacute, die ihnen eine Adresse überreichen werden. Da! Habt ihr's gehört? Das war das Signal! In diesem Augenblicke verlassen sie das Rathaus. In ungefähr dreiviertel Stunden oder einer Stunde werden der Herzog und die Herzogin sowie der junge Marquis und alle Freunde auf die Terrasse kommen. Also paßt auf, geht etwas näher heran und seht zu, daß ihr einen guten Platz bekommt. Ich muß jetzt ein wenig nach den anderen sehen.«

Ungefähr um dieselbe Zeit, als der Signalböllerschuß verkündet hatte, daß die Korporation der Bürger das Rathaus verlassen hatte, klopfte es an die Zimmertüre Lord Eskdales, der gerade einen Brief in seinem Privatzimmer zusiegelte.

»Nun, Harris?« sagte Lord Eskdale, als er seinen Diener bemerkte.

»Seine Durchlaucht haben sich schon mehrmals nach Ihrer Lordschaft erkundigt«, erwiderte Mr. Harris etwas verwirrt.

»Ich werde mich zurzeit bei ihm einstellen«, sagte Lord Eskdale und siegelte ruhig weiter.

»Wenn Sie vielleicht gleich kommen könnten, Mylord«, sagte Mr. Harris.

»Warum?«

»Mr. Leander hat den dringenden Wunsch, Eure Lordschaft zu sprechen.«

»So, Leander?« sagte Lord Eskdale in etwas interessierterem Tone. »Was will er denn?«

»Ich habe ihn nicht gesprochen,« sagte Mr. Harris, »aber Mr. Prevost erzählt mir, daß er sich schwer beleidigt fühlt.«

»Ich hoffe zum Himmel, daß er nicht streiken wird«, sagte Lord Eskdale mit komischer Gebärde.

»Es wird wohl so etwas sein«, sagte Mr. Harris in ernstem Tone.

Lord Eskdale hatte eine große Sympathie für Künstler; er kannte aus Erfahrung jene Empfindlichkeit, die bekanntlich die Begleiterscheinung aller schöpferisch Veranlagten ist, und das Genie fand in ihm immer einen nachsichtigen Richter und Fürsprecher. Er war fest davon überzeugt, daß die Gefühle eines so seltenen und verdienstvollen Mannes wie Leanders möglichst geschont werden müßten. Er fühlte sich persönlich für diesen eminenten Mann verantwortlich, dem vielleicht hier, mitten im Barbarenlande, nicht jene Anerkennung zuteil wurde, deren er so dringend bedurfte. Lord Eskdale ging darum mit dem Bewußtsein einer wichtigen und wahrscheinlich schwierigen Mission sofort in das Souterrain herunter.

Die Küche in Montacute Castle war eine alten Stiles und für Feste in großem Maßstabe gut eingerichtet. Sie war sehr geräumig und mit allen nötigen Utensilien vollkommen ausgestattet. Man baut jetzt die Küchen in großen Häusern anders: meist bedeutend höher, aber an Umfang kleiner, weil man der Meinung ist, daß manches Gericht darunter leidet, wenn der Koch die verschiedenen Ingredienzen von zu weit her zusammenholen muß. Das neue Prinzip mag etwas Wahres enthalten; die alte Praxis hingegen wirkte entschieden malerischer. Die Küche von Montacute sah aus wie die Vorbereitung zur Hochzeit Prinz Riquets mit dem Busch, als die Erde sich öffnete und dem erstaunten Auge sich ein Schauspiel weißgekleideter Köche und zahlloser Öfen und Bratpfannen darbot. Die mächtigen Flammen zweier Feuer wurden durch zwei große Schirme abgeblendet. Wohin man auch sah, bemerkte man reichliches Eßmaterial und schweigende Künstler, die es herrichteten; dabei herrschte eine Geschäftigkeit ohne Geschrei und der magische Einfluß einer alles dirigierenden Meisterhand machte sich unbemerkt fühlbar. Philippon komponierte soeben eine Sauce, Dumoreau machte in einer anderen Ecke des geräumigen Zimmers die Trüffeln zurecht; der Engländer Smith arrangierte soeben seine Kotelettes. Zwischen diesen drei Divisionsgenerälen sprengten beständig die Adjutanten hin und her, kleine, flinke, scharf beobachtende Küchenjungen, von denen vielleicht manch einer beim Anblick der großen Meister um sich herum mit der prophetischen Begabung des Genies sich zurief, wie einst Correggio: »Auch ich werde einst Koch sein!«

Nur ein Individuum stand inmitten dieser bewegten Szene in seine eigenen Gedanken versunken unbeschäftigt da. Es war Papa Prevost, der, seine Arme über die Brust gefaltet, sein Küchenmesser im Gürtel, mit vor Erregung zitternder Troddel seiner weißen Kappe, an einen Küchentisch gelehnt dastand. Seine krause Stirn glättete sich aber bedeutend, als Mr. Harris, den er ängstlich erwartete, eintrat und ihn zu einer Audienz mit Lord Eskdale berief. Dieser empfing ihn mit affektiert gleichgültiger Gebärde, die sein eigenes Unbehagen möglichst verbarg, und sagte: »Nun, Prevost? Was ist los? Leute hier unverschämt gewesen?«

Prevost schüttelte seinen Kopf. »Wir waren noch nie in einem Hause, wo man uns aufmerksamer behandelt hätte. Es ist viel schlimmer.«

»Ist etwas mit dem Fisch passiert? Oder was sonst?«

»Leander, Mylord, hat jetzt eine ganze Woche lang die Diners für oben zubereitet,« sagte Papa Prevost feierlich, »Diners, welche, wie ich auf Ehre versichern kann, selbst in der kaiserlichen Küche nicht ihresgleichen hatten – und der Herzog hat nicht ein einziges Wort von sich hören lassen. Gestern beschloß Leander sich selbst zu übertreffen und schickte ein Gericht › escalopes de laitances de carpes à la Bellamont‹ nach oben. Mylord, zeit meines Lebens habe ich nichts Besseres auf den Tisch kommen gesehen. Fragen Sie Philippon, fragen Sie Dumoreau über ihre Ansicht. Sogar der Engländer Smith, der nie den Mund aufmacht, konnte einen Schrei der Begeisterung nicht unterdrücken; selbst die Küchenjungen verloren den Atem, und ich befürchtete, Achille, der meiner Meinung nach einen göttlichen Funken abbekommen hat, würde in Ohnmacht fallen. Als es aufgegessen war, zog sich Leander in sein Zimmer zurück; ich begleitete ihn; er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen! Wollen Sie es mir glauben, Mylord! Kein einziges Wort der Anerkennung! Den ganzen Morgen hat Leander, wie ein Verzweifelter, noch darauf gewartet! Nichts! Absolut gar nichts! Wie kann er erfinderisch tätig sein, wenn er keinen Beifall findet? Wäre ihm ein Wort der Ermunterung zuteil geworden, er würde heute nicht allein seine escalopes à la Bellamont wiederholt haben, sondern etwas noch Größeres haben schaffen können. Es ist unerhört, Mylord! Der verstorbene Lord Monmouth würde noch an demselben Abend Leander zu sich gebeten oder ihm einen anerkennenden Brief geschrieben haben, der als Andenken in der Familie sorgsam aufgehoben worden wäre; M. de Sidonia würde ihm einen silbernen Deckelkrug von seinem Tische zur Belohnung herunter in die Küche gesandt haben. Diese Kleinigkeiten an und für sich bedeuten ja gar nichts, aber sie beweisen einem Mann von Genie, daß man ihn versteht. Wäre Leander in der kaiserlichen Küche oder sogar nur bei dem russischen Zaren gewesen, so hätte man ihn mit einem Orden dekoriert!«

»Wo ist er?« sagte Lord Eskdale.

»Er ist allein auf seinem Zimmer.«

»Ich möchte gerne ein Wort mit ihm sprechen.«

Allein in seinem Zimmer, mit weitgeöffneten Augen in das Feuer starrend, in jenes Element, dem er alle seine Triumphe verdankte, saß jener große Artist, der diese ungenügende Anerkennung gefunden hatte. Er war nicht allein verstimmt, er war buchstäblich gebrochen, und zwar durch Überanstrengung seiner schöpferischen Phantasie und den darauf folgenden Mangel an Erfolg, den seine große Empfindlichkeit ihm noch schlimmer erscheinen ließ. Wie Lord Eskdale eintrat, blickte er auf und als er seines Besuchers ansichtig wurde, stand er sofort auf, verbeugte sich tief und gab einen Seufzer von sich.

»Prevost ist der Meinung, daß wir hier nicht genügend verstanden werden.«

Leander verbeugte sich wiederum und seufzte zum zweiten Male.

»Prevost versteht nicht recht, worum es sich hier handelt,« fuhr Lord Eskdale fort. »Der Grund, warum ich Sie hierher gebeten habe, war nicht der, daß Sie den Beifall meines Vetters und seiner Gäste finden, sondern, daß Sie den Geschmack dieser Herrschaften etwas bilden sollten.«

Das war gewiß eine große, eine erhabene, eine edle Auffassung der Sache. Es warf ein ganz anderes Licht auf Leanders Stellung. Er blickte auf, seine Stirne glättete sich. So hatte er, Leander, wie andere bedeutende Männer, nicht allein Rechte, sondern auch Pflichten; er hatte zwar ein Anrecht auf Ruhm, aber es war außerdem auch seine Pflicht, den öffentlichen Geschmack zu bilden und zu lenken. Das also war der Grund, warum man ihn nach Bellamont Castle engagiert hatte; darin bestand hier seine Aufgabe, daß einigen der größten Persönlichkeiten Englands, die niemals in ihrem Leben ein ordentliches Diner gegessen hätten, endlich einmal eine Gelegenheit geboten würde, wahre Kunst zu genießen. Was könnte das Lob eines Herzogs von Clanronald oder Lord Hampshire oder Lord Hull für jemanden bedeuten, der das Vertrauen eines Lord Monmouth genossen hätte und den Sir Alexander Grant, der erste Kenner Europas, für den einzigen genialen Mann seines Zeitalters erklärt hatte? Er, Leander, irrte weiter in seiner Annahme, daß seine Leistungen spurlos an den Gästen in Bellamont vorübergegangen seien. Ohne daß sie es merkten, hatte er sie doch zum Nachdenken gebracht. Zunächst allerdings hätten sie sich wie Kosaken in einer Gemäldesammlung benommen; aber die Clanronalds, die Hampshires, die Hulls würden nach Hause zurückkehren und eine große Wahrheit gelernt haben, nämlich die, daß es einen Unterschied zwischen Essen und Dinieren gibt. War dies ein so unbedeutender Erfolg für Leander? War es so gar nichts, durch die Kultivierung des Geschmacks jenen Einfluß der Aristokratie zu stärken, die er verehrte und die allein die wahre Kunst zu fördern imstande ist? Wenn irgend etwas eine Aristokratie in unserm alles gleichmachenden Zeitalter retten kann, so ist es eben ein Verständnis des Genies. Sicherlich, es wäre Leander außerdem noch angenehm gewesen, wenn Seine Durchlaucht ihm ein Wort hätten sagen lassen, oder wenn Lord Montacute einen Wunsch ausgesprochen hätte, ihn persönlich zu sprechen. Selbst noch heule hatte er ja lange über ein spezielles Gericht à la Montacute nachgedacht. Der junge Lord stand im Rufe, nicht ohne Talent zu sein; die Gerichte hätten seine Phantasie anregen können; die Huldigung eines Künstlers bleibt gewöhnlich nicht ohne Einfluß auf die Jugend; die Gabe eines Genies hätte sein ganzes Schicksal beeinflussen können. Aber was hatte dies alles schließlich zu bedeuten? Leander hatte hier eine Aufgabe zu erfüllen.

»Wenn ich Sie wäre, Leander, würde ich mich recht sehr anstrengen«, sagte Lord Eskdale.

»Oh, Mylord, wenn alle Männer wie Sie wären! Wenn man die Künstler nur zu schätzen verstünde, wenn sie nur mehr verstanden würden, dann würde ein Diner eine Opferspende für Götter und eine Küche ein wahrhaftiges Paradies sein.«

In der Zwischenzeit haben der Mayor und die Stadtverordneten von Montacute in ihrem Ornat und unter Vortritt ihres Zepterträgers das Tor des Schlosses erreicht. Sie gingen in die große Halle, den ältesten Teil des Gebäudes, die ein prächtiges Dach aus spanischem Kastanienholz, einen marmornen Fußboden, gemalte Fensterscheiben und eine breite Freitreppe auf der einen Seite aufzuweisen hat. Sie stiegen diese Treppe hinan, wurden in ein Vorzimmer geführt, in das erste jener geräumigen Gemächer, die einen Ausgang auf die Terrasse haben. Sie ließen den Hauptspeisesaal und die Bibliothek links liegen, durchschritten einen grünen Salon, der seinen Namen von seinen grünseidenen Gardinen hatte, dann den roten Salon, dessen Möbel mit rotem Samt bezogen waren und die beide mit wertvollen Gemälden geschmückt waren, und kamen schließlich in den hauptsächlichen oder Herzoginnensalon, der seinen Namen von der vollständigen Sammlung aller Herzoginnen von Bellamont hatte. Es war ein mächtiges und gut belichtetes Zimmer, die Tapeten in bernsteinfarbigem Satin, die Decken von Zucchero, dessen reiche Farben durch matte Goldleisten in angenehmer Weise gemildert wurden. Die Deputation trat behutsam und mit Zagen auf den prächtigen Axminster Teppich, der in lebhaften Farben und kolossalen Proportionen das Wappen der Bellamonts darstellte, und ihre Mitglieder warfen dabei einen hastigen Blick auf die Porphyr-Malachitvasen und Mosaiktische, die mit wertvollen Geschenken beladen waren.

Von hier wurden sie in das Montacute-Zimmer geführt, das außer manchen anderen Bildern mit dem vielleicht besten Porträt von Lawrence, dem des jetzigen Herzogs, unmittelbar nach seiner Hochzeit, geschmückt war. Der begabte Künstler hatte ihn groß und elegant, mit regelmäßigen Gesichtszügen, freundlichen hellen Augen, einer freien Stirn und im Schmucke reichlichen braunen Haupthaares dargestellt und von ihm so das passende Bild eines edelgesinnten und gutherzigen Kavaliers entworfen. Aus dem Montacute-Zimmer traten sie in den Ballsaal, ein sehr geräumiges, in Weiß und Gold gehaltenes Zimmer mit gewölbter Decke, großen, venezianischen Leuchtern und mächtigen Spiegeln an den Wänden. Dann kam ein anderes Vorzimmer, in dessen Mitte ein Meisterwerk Canovas stand. Dieses Zimmer, an dessen Wänden eine Menge Diener in Livree standen, war das letzte der langen Reihe, die auf die Terrasse gingen. Die nördliche Seite dieses Zimmers bildete ein großes Tor, dessen einzelne Felder mit Waffen und Wappenschilden geschmückt waren.

Die Torflügel öffneten sich und der Lordmayor und der Stadtrat von Montacute wurden in eine hundert Fuß lange Galerie geführt, die einen großen Teil der Nordseite des Schlosses einnahm. Die Wandtafeln dieser Galerie enthielten eine Reihe von Gobelins, die die Hauptbegebenheiten des dritten Kreuzzuges darstellten. Ein Montacute war einer der ausgezeichnetsten Teilnehmer jenes großen Abenteuers gewesen und hatte bei der Belagerung von Ascalon Richard Löwenherz das Leben gerettet. In späteren Jahrhunderten hatte einst ein Herzog von Bellamont, der unser Gesandter in Paris war, der dortigen Gobelinfabrik den Auftrag zu einer Reihe dieser Bilder nach den Kartons der berühmtesten Maler der Zeit gegeben. Nach dem Sujet der Bilder wurde diese prächtige Abteilung des Schlosses die »Kreuzfahrer-Galerie« genannt.

Am Ende dieser Galerie standen der Herzog und die Herzogin von Bellamont mit ihrem Sohne. Hinter ihnen ihre Gäste, Verwandte und Nachbarn, dazu der hohe Adel, ehrwürdige Prälaten, Honoratioren und Mitglieder der Grafschaft und die Hauptpächter des Herzogs, von welch letzteren einige stets zu größeren Festen oder besonderen Zeremonien zugezogen wurden. Die Herrschaften nahmen soeben die Glückwunschadressen des Mayors und der Zünfte ihrer alten und getreuen Stadt Montacute in Empfang, jener Stadt, die ihre Väter gebaut und geschmückt, die sie so oft in der alten guten Zeit im Parlament vertreten hatten und für deren Gedeihen sie dabei mit gebührender Energie gesorgt hatten; einer Stadt, in der ihnen jedes einzelne Haus zu eigen gehörte und in der sich kein einzelner Mensch befand, der nicht in eigener Person oder in der seiner Vorfahren die Gnade der vornehmen Herrschaft genossen hatte.

Der Herzog verneigte sich vor der Deputation, zu seiner Linken stand die Herzogin und zu seiner Rechten ein junger Mann über Mittelgröße von ebenmäßiger, eleganter Figur. Sein reichliches, braunes Haar, das in jenen von griechischen Bildhauern verewigten Locken herunterfiel, bedeckte ein wenig die Stirne, die sie aber nur unbedeutend beeinträchtigten. Sein Gesicht war bleich, aber der feuchte Glanz des dunklen, braunen Auges und die Farbe der Lippen bewiesen, daß diese Farbe nicht etwa durch mangelnde Blutzirkulation veranlaßt war. Die Züge waren regelmäßig und neigten zu einer Art Feinheit, die dem ganzen Gesicht vielleicht etwas Überzartes verliehen hätten, wenn nicht der untere Teil des Gesichtes, der einen unbezähmbaren Willen und einen eisernen Entschluß verriet, dagegen Einspruch erhoben hätten.

Obgleich Lord Montacute das erstemal in seinem Leben in der Öffentlichkeit erschien, und zwar in einer solchen, die selbst erfahrenen Weltleuten etwas Verlegenheit hätte bereiten können, so bewegte er sich doch unter aller Augen mit vollkommener Leichtigkeit, und in seiner Haltung lag nichts, was irgend etwas Gezwungenes oder Einstudiertes verraten hätte: jede seiner Bewegungen oder Gesten hatten vielmehr etwas durchaus Angenehmes und Freies an sich. Weder war übergroße Freude, noch Nervosität, die doch in seinem Alter nur zu erklärlich gewesen wären, in seiner Haltung zu bemerken, noch war in seiner Manier irgend etwas, das an Gleichgültigkeit oder Nonchalance erinnert hätte. Er schien die Wichtigkeit der Festlichkeit, die hier gefeiert wurde, vollkommen zu verstehen, ohne aber irgend welche Angelegenheit dieser Art irgendwie zu überschätzen.

 

[Ende des ersten Buches]

 


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