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Drittes Kapitel

Die christlichen Klöster sind die hervorragendsten Sehenswürdigkeiten von Jerusalem. Es gibt deren hauptsächlich drei: das lateinische Kloster von Terra Santa, das, der Annahme nach, schon während des letzten Kreuzzuges gegründet und von den christlichen Königen reichlich mit Mitteln ausgestattet wurde, sodann die armenischen und griechischen Klöster. Die Einkünfte dieser sind ebenfalls sehr hoch, stammen aber meist aus den Taschen ihrer zahlreichen Pilger, die jährlich während ihres Aufenthaltes innerhalb der Mauern ihrer Klöster zu wohnen pflegen. Um die große Masse der Besucher unterzubringen, sind sie, wie leicht verständlich, von enormer Ausdehnung. Sie sind in Wirklichkeit außerordentlich eindrucksvolle Gebäude, so groß wie Festungen und beinahe ebenso stark. Mächtige Steinwälle umschließen eine gewaltige Fläche, in deren Mitte sich gewöhnlich eine unregelmäßig angelegte Masse von Gebäuden befindet; Höfe aller Art, Klöster, Gärten, Terrassen, Kirchen, Häuser und sogar Straßen liegen und laufen da wild durcheinander. Mitunter werden in diesen Klöstern während der Osterzeit bis zu fünftausend Pilger untergebracht und gespeist.

Nur nicht in dem Kloster Terra Santa, in dem nur hier und da ein protestantischer Reisender, der sich für einen Pilgersmann ausgibt, der einzige Gast, wie heute unser Tancred, ist. Er lag gerade jetzt in seiner weißgetünchten, reinen, luftigen Zelle auf einer eisernen Bettstelle, welche, mit Ausnahme eines an der Wand hängenden Kruzifixes, das einzige Möbel dieses Zimmers darstellte: denn viele Möbel sind in einem so warmen, anregenden Klima wie dem Palästinas nur vom Übel. Er rauchte gerade aus einer türkischen Pfeife, die quer durch das ganze Zimmer lief, und die sein italienischer Diener Baroni eben zu stopfen im Begriffe stand.

»Ich fange an, mich daran zu gewöhnen und finde die Pfeife gar nicht mehr so unangenehm.«

»Sie werden sie schon noch liebgewinnen, Mylord. Hierzulande ist Rauchen so unentbehrlich wie die Muttermilch – man kann ohne das gar nichts anfangen. Es ist der feinste Tabak von Latakia, der beste in der Welt – ich verstehe etwas davon, denn ich habe sie alle durchgeraucht. Ich bat Signor Besso selber darum, als ich ihm neulich Ihren Kreditbrief überbrachte; sein Diwan ist berühmt.

Bei diesen Worten richtete sich Baroni, der bisher über den Pfeifenkopf gebückt dastand, auf. Es war ein Mann zwischen zweiunddreißig und fünfunddreißig Jahren, unter Mittelgröße, mager und geschmeidig, mit einem langen Barte, einer Adlernase, schönen weißen Zähnen und blitzenden schwarzen Augen. Seine Kleidung war von weißer Farbe, nach Art der Mamelucken, die Hosen von enormer Weite, dazu ein leichtes Jackett, ein weißer um den Leib geschlungener Schal, in dem sein Dolch steckte, ein anderer Schal in derselben Farbe war als Turban um seinen Kopf geschlungen. Sein Temperament war von außergewöhnlicher Lebhaftigkeit, die aber durch eine große Lebenserfahrung in Schach gehalten zu werden schien.

Baroni setzte sich, nachdem er vorher seinen Herrn um Erlaubnis gebeten hatte und die Pfeife gestopft war, mit untergeschlagenen Beinen auf den Fußboden.

»Und wie weit sind sie mit dem Haus?« fragte Tancred.

»Heute werden sie alle einziehen können«, erwiderte Baroni.

»Ich hingegen möchte dieses Kloster nicht verlassen,« sagte Tancred, »denn ich wünsche ungestört zu bleiben.«

»Machen Sie sich keine Sorge, Mylord. Ihre Begleiter amüsieren sich ganz gut. Der Oberst kommt überhaupt nicht aus dem Konsulat heraus; er ißt da jeden Tag und erzählt seine Geschichte von dem Spanischen Krieg und der Bellamont-Kavallerie, ganz als ob er noch an Bord wäre. Herr Bernard ist immer mit dem englischen Bischof zusammen, der nur zu froh ist, einen Zuwachs zu seiner Gemeinde erhalten zu haben, denn diese ist nicht zu zahlreich; sie besteht nur aus seiner eigenen Familie, dem englischen und preußischen Konsul und fünf Juden, die sie – für zwanzig Piaster wöchentlich – zum Protestantismus bekehrt haben – aber ich höre, sie werden streiken und höhere Löhne fordern. Und der Doktor hat vollauf zu tun. Die Frau des Gouverneurs hat ihn zu sich bitten lassen, man hat ihm Zutritt zum Harem gestattet, er hat alle Pulse der Haremsdamen gefühlt, ohne ihre Gesichter gesehen zu haben, und seine Hausapotheke wird, fürchte ich, leer sein, bevor Eure Lordship sie in Anspruch genommen haben.«

»Sehen Sie zu, daß es ihnen allen an nichts fehlt.«

»Und was wünschen Ew. Lordschaft heute zu unternehmen?«

»Ich muß nach Gethsemane gehen.«

»Das ist ja ganz nahe – beim Zionstor heraus – über den türkischen Kirchhof – über den Kidron herüber, der heute ganz ausgetrocknet ist, so daß Sie zu Fuß durchkommen – und dann sehen Sie einen kleinen Olivenhain vor sich, der unterhalb des Ölberges gelegen ist – das ist Gethsemane.«

»Sie sprechen gerade, als ob Sie jemand den Weg in London zeigten.«

»Es wäre mir angenehm, London so genau zu kennen wie Jerusalem. Denn Jerusalem ist keine so besonders große Stadt, und ich bin wohl zwanzigmal hier gewesen. Ich war allein im Jahre 1840 und 1841 achtmal hier, zweimal von England und sechsmal von Ägypten aus.«

»Da haben Sie aber viel zu tun gehabt.«

»Ja! Das waren noch Zeiten! Wenn der Pascha im Jahre 1841 auf Sidonias Rat gehört hätte, so wäre aus dieser Stadt etwas geworden –« Hier hielt Baroni plötzlich inne und fragte: »Ist die Pfeife Eurer Lordship noch in Brand?«

»O ja, sie zieht ganz gut. Und wann sind Sie zum ersten Male hierher gekommen, Baroni?«

»Als Herr von Sidonia seine große Reise machte. Ich kam vor achtzehn Jahren in seinem Gefolge von Neapel – genau am Tage von Mariä Verkündigung«, und er bekreuzigte sich.

»Da waren Sie doch noch sehr jung?«

»Ziemlich jung – aber doch alt genug, um eine Pfeife ordentlich anstecken zu können. Wir waren unser sieben, als wir Neapel verließen – alles auserlesene Diener – aber ich war der einzige von ihnen, der mit Herrn von Sidonia in Paraguay war, und das war das Ende unserer Wanderschaft, die beinahe fünf Jahre gedauert hatte.«

»Und was ist aus den anderen geworden?«

»Sie sind krank oder reisemüde geworden – und in beiden Fällen kannte Herr von Sidonia kein Mitleid. Weg mußte man, wo man auch immer war – Geld, soviel man wollte – aber weg! Wenn man in der Mitte der Wüste war – und auch nur aufmuckte über die Anstrengung – dann wurde man auf ein Kamel gepackt, ein Beduinenstamm wurde gemietet, der einen zur nächsten Stadt, Damaskus oder Jerusalem, oder sonst wohin brachte – mit einem Brief an Signor Besso, oder einen anderen Signor, der einem den Lohn auszahlte.«

»Und Sie sind nie krank geworden?«

»Niemals. Ich war jung und war gewöhnt, mich tagelang herumzutreiben – und doch war es mitunter sehr anstrengend – wenig Leute haben fünf Jahre lang solche Arbeit durchgemacht. Aber ich habe meine Augen offen gehabt und viel gelernt.«

»Das scheint mir allerdings der Fall zu sein«, sagte Tancred ruhig.

Kurz darauf ging Tancred in der Begleitung von Baroni zum Zionstore hinaus. Kein menschliches Wesen war, außer den türkischen Schildwachen, jetzt zu sehen. Es war Hochsommer und keine Beschreibung und kein Vergleich mit anderen Klimaten kann einen Begriff von der Hundehitze Jerusalems um diese Jahreszeit geben. Bengalen, Ägypten, selbst Nubien sind nichts, verglichen damit, denn in diesen Ländern gibt es noch Flüsse, Bäume, Schatten und hier und da kühlende Brisen, aber Jerusalem ist um die Mittagszeit eines Hochsommertages herum eine Stadt von Stein in einem Land von Eisen mit einem Himmel von Messing. Der wilde, grelle, blendende Anblick der Landschaft selber hat etwas Fürchterliches. Wir haben alle von dem Manne gehört, der seinen Schatten verloren hat – dies hier ist die Welt, wo kein Mensch und kein Ding mehr einen hat. Alles ist so glitzernd und glühend und klar, daß man an eine chinesische Malerei erinnert wird, aber die ganze Szenerie ist zu großartig und wild, um der Phantasie der mongolischen Rasse entsprungen zu sein.

»Dort,« sagte Baroni und deutete auf eine Gruppe alter Olivenbäume am Fuße des gegenüberliegenden Hügels, und seine Stimme hatte denselben gleichgültigen Ton, als ob er jemandem den Weg nach dem Trafalgar Square zeigte, »dort ist Gethsemane – der Weg rechts herauf führt nach Bethanien.«

»Lassen Sie mich jetzt allein«, sagte Tancred.

Es gibt Augenblicke, in denen wir allein sein müssen, und Tancred hatte mit Willen gerade diese ungewöhnliche Stunde zum Besuch von Gethsemane gewählt, weil er dann sicher war, niemand zu treffen. Er stieg den Abhang des Zionsberges herunter, überschritt den Kedron und betrat den heiligen Hain.


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