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Ägypten

hat auf dieser Welt das Doppelstern-System der herrschenden Herzgeschwister, die zweifache Narzißblüte, am längsten und harmonisch reinsten gelebt. Mythisch schon in Rheas Mutterleib liebt sich das Zwillingspaar: Isis und Osiris. Nach Horas, ihrem Sohn, geistern vierundzwanzigtausend Jahre lang »prädynastische« Dynastien, die geheimnisvollen »Horschemsu«, Folger des Horas, aus dem Abgrund der Tradition herauf; an ihrem oberen Saum steht als überhaupt älteste ägyptische Inschrift, um 5000 v. Chr., der Name einer Königin: Ha, Frau des Horus Ka. Der zweite Frauenname ist Neith-Hetep. Ihn trägt eine Prinzessin von Sais und Königin von Unterägypten. Sie und ihr Gatte Namar von Oberägypten vereinen zuerst die rote und die weiße Krone der beiden Nilländer, ihr Sohn ist Mena. Hier beginnt die erste historische Dynastie des Doppeldiadems, mit ihr die weise Nilregulierung – sie hielt bis in unsere Zeit, erst der weniger weise Staudamm von Assuan hat sie und das Klima ruiniert – Memphis kam ins Blühen, zugleich wurde dem ganzen Volk Religion und Kult gelehrt, der Gebrauch feiner Tisch- und Bettwäsche, wie jede Art anmutiger und luxuriöser Lebenshaltung. »Volk« heißt hier im ganzen gewiß weit weniger als hunderttausend Leute, mehr gab es nicht, mehr braucht es nicht zur Kultur; erst erkrankende Zivilisation wird, und zwar mit bestürzender Regelmäßigkeit, zur Massenaffäre.

Dann ist in dieser ersten Dynastie noch von einer Königin-Mutter Shesh die Rede, uns bekannt durch das Rezept einer Haarwuchspomade, von ihrem Sohn Teta für sie gebraut aus den wirksamen Bestandteilen je eines pulverisierten Esels- und Hundehufs, mit Datteln und Öl verkocht. Noch zu Diodors Zeit, viertausend Jahre später, gehört außer Wäschewaschen und Bettenmachen das Bereiten von Pomaden für Haar- und Körperpflege zum männlichen Pflichtenkreis.

Jener Anfang Ägyptens, die mythische Liebe des göttlichen Zwillingspaares in Rheas Mutterleib, beweist, wie richtig die Psychoanalyse gerade diese erotische Anziehung als ganz nahe der Wurzel gewachsen erkannt hat, wie wenig richtig dagegen ihre Auffassung ist, der Mythos spiegle das im Leben Verbotene als Wunschtraum erfüllt. Nie traf Geschwisterehe in Ägypten irgendein Verbot. Sie war Tausende von Jahren lang bei hoch und nieder das fast philisterhaft Korrekte. Hätte sich hier allerdings der Wunschtraum just auf den Ort der Begattung kapriziert, dann wäre er wohl nur im Mythos erfüllbar gewesen, und die Psychoanalyse bliebe im Recht. Rheas Leib ist aber hier ganz ohne Zweifel zugleich auch uteriner Kosmos, den im mutterrechtlichen Ägypten keiner verläßt. Auch der »lebendige Name« jedes Pharao bleibt vom schützenden Uterus: dem Königsring: der Kartusch, heilig umschlossen, und jeder Herrscher läßt, wie man in anderen Ländern Gedenkmünzen schlägt, bei wichtigen Ereignissen eine neue Serie Skarabäen verbreiten, das mutterrechtliche Reichssymbol, in dem sich alles abspielt. Es ist sehr schade, daß bei Psychoanalytikern ein gewisser Mangel an allgemeiner Bildung nicht gar selten ihrer Mühe Wert vermindert; welcher Segen kann etwa auf einer Analyse Amenophis IV. ruhen, wo es anläßlich seines Familienlebens mit der eleganten Nofretete und ihren sechs kleinen Töchtern heißt: »Leider blieb der heißersehnte Thronerbe aus.« (Karl Abraham, Imago.) In Ägypten gibt es keinen »heißersehnten Thronerben«, weil sich der Thron ausschließlich in weiblicher Linie forterbt.

Während jede Prinzessin des herrschenden Hauses mit allen königlichen Würden und Titeln geboren wurde, gewann ein Prinz diese erst am Krönungstag, konnte aber nur gekrönt werden als Gatte einer königlichen Schwester. Nur sie trägt das dynastische Totemtier: den Goldhorus, in der Krone, weil das mystische Gottesgnadentum auf ihr ruht. Sie herrscht, er regiert, sie inspiriert, er führt aus, als Häuptling-Bruder der Priesterin-Schwester im Doppelsternsystem der heiligen Herzgeschwister. Pharaonen und englische Rennpferde sind daher die am höchsten ingezüchteten Rassegeschöpfe der Welt und vielleicht die schönsten. Von üblen Folgen nie die Spur.

Der Unterschied zwischen Herrschen und Regieren ist auf Inschriften deutlich formuliert. An der Isissäule steht: »Was ich zum Gesetz erhoben habe, kann niemand auflösen.« An der des Osiris nur: »Kein Ort ist in der Welt, wohin ich nicht gekommen wäre, um meine Wohltaten überall auszuteilen.« Der Name Osiris: hes iri, bedeutet Auge der Isis, ist also ein Teil von ihr, der wache, waltende, überblickende. Jede Königin vertritt die Isis. Auch Kleopatra noch: »Sie zeigte sich dem Volk in Isis' Gewand, Antonius folgte ihrem Thronsessel zu Fuß. Die Schilde der römischen Soldaten trugen Kleopatras Namen, als Herrin ragte sie über ihren Osiris-Gemahl (Antonius) hervor.« Über der Rhamses-Statue wiederum ist zu lesen: »Ich komme zum Vater im Gefolge der Götter, welche er immer in seine Gegenwart zuläßt.« Über jener der Königin: »Siehe, was die Göttin-Gemahlin spricht, die königliche Mutter, die Herrin der Welt.« Sie selbst ist Göttin und Herrin der Welt, er erscheint im Göttergefolge.

In der XVIII. Dynastie mußte sogar der großmächtige Thutmosis I. nach dem Tod seiner Frau abdanken zugunsten eines Backfisches, der Tochter Hatschepsut, wiewohl er zwei Söhne hatte und selbst reinen Blutes war durch seine Mutter Ahmes und zur Urgroßmutter sogar Nefertari hatte, die noch achthundert Jahre lang in eigenen Tempeln mit eigener Priesterschaft Verehrte. Unter Nefertari und ihrem Brudergatten wurden nämlich die Hyksos aus Ägypten vertrieben. Dieser Zuwachs an Ahnenruhm kam aber nicht Thutmosis, dem männlichen Nachkommen, sondern weit mehr Hatschepsut zugute. Ihre Titel sind: »König von Nord und Süd, Sohn der Sonne, Goldhorus, Schenker der Jahre, Göttin der Aufgänge, Herrin der Welt, Dame beider Länder, Beleberin der Herzen, Hauptgattin des Amon, sie die Mächtige.« Jede Prinzessin war auch geborene Gattin eines Gottes: des Gautotems, war ex officio seine Priesterin und bis zum Eintritt der ersten Menses, dem zwölften Jahr etwa, zur Tempelprostitution verpflichtet, denn jeder »Fremde«, der sie im heiligen Bezirk aufsuchte, galt als Vertreter des eröffnenden Gottes und himmlischen Bräutigams. Auch der Pharaobruder war ihr Gatte nur als zeitweilige Inkarnation der Gottheit.

Ägypten hatte Weltgötter und lokale Gaugötter, diese meist uralte Tiertotems, teils weiblich, teils männlich. Der Gaugott der jeweiligen Residenz, Sais, Heliopolis, Memphis, Theben, wurde dann naturgemäß besonders mächtig, in Heliopolis also Râ, jene Sonne, die von der Weltgöttin Neith parthenogenetisch geboren wird. »Was da ist, was da sein wird und was gewesen ist, bin ich, meinen Chiton hat keiner aufgedeckt, die Frucht, die ich gebar, war die Sonne.« Aus der Heliopoliszeit stammt der Ausspruch: »Sonnenblut« für die Pharaonenrasse. Als »Sohn der Sonne« erhebt sich aber auch selbständig das Männliche, inkarniert im Bruder-Gatten, dem Pharao. Unter den großen Dynastien von Theben (Luxor), denen Hatschepsut angehörte, wuchs der dortige Gautotem Amon derart an Bedeutung, daß er den Râ absorbierte und dann Amon-Râ hieß. Nennt sich Hatschepsut Hauptgattin des Amon, so bedeutet das die heilige Vereinigung, den »hieros gamos« mit dem Gaugott der Provinz Theben, der als Totem zugleich ihr Ahne ist. Als Symbol der heiligen Vereinigung von Prinzessinnen mit dem Mondstier Apis wurde ihnen ein einbalsamierter Stierphallus mit ins Grab gegeben.

Hatschepsut war eine jener Fürstinnen, die nicht nur herrschten, sondern auch ihr Recht zu regieren selber ausübten, statt es, wie sonst üblich, dem Brudergatten, hier Thutmosis II., zu übertragen. Als Witwe erlaubte sie ihrem Neffen und Schwiegersohn, Thutmosis III., ebensowenig dreinzureden, so wurde er zum neidischen Feind, ließ nach der Königin Tod deren Kartusch an dem bestaunenswerten Tempel zu Deir-el-Bahari in den thebanischen Bergen, den Sphinxen-Alleen, den Obelisken zu Karnak herausmeißeln und fälschte seinen eigenen Namen als Erbauer hinein. Diese lokale Infamie nützte ihm aber nichts, denn vom Delta bis nach Assuan hinauf, von den libyschen Bergen bis zum Sinai stehen auf Papyri und Denkmalen ihre Taten verzeichnet.

Hatschepsut rüstete auch die Expedition zu den »Weihrauchleitern« des Landes Punt, heute als Somaliküste lokalisiert. Der Tradition nach waren schon Vorfahren der alten Ägypter dorthin gezogen, doch später gerieten Land und Weg wieder Jahrtausende lang fast in Vergessenheit. Die Flotte der Königin kam zwei Jahre nach dem Auslaufen im Triumph zurück, beladen mit Geschenken des Prinzen von Punt; was man einander halt in Afrika so schenkt: natürlich Gold, Elfenbein und Ebenholz, grüne Affen, Sklaven, Giraffen, Windhunde, Leoparden, schließlich waren noch einunddreißig enorme Weihrauchbäume samt Wurzelballen und Erde an Bord, denn sie sollten im Tal von Theben angepflanzt werden. An der Somaliküste hatte die Expedition, als Bestätigung heimatlicher Saga, auch richtig eine hellhäutige Bevölkerung getroffen, den Ägyptern selbst ähnlich, also offenbar Hamiten. Afrika war damals in der Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends eben noch lange nicht so verniggert wie heute.

Zug und Heimkehr sind bezaubernd, wie ein alter Gobelin, auf der Terrassenwand von Deir-el-Bahari zu sehen samt erläuterndem Hieroglyphentext, der, selbst ein Wunderzug dekorativer Symbolbilder, den ersten begleitet. Im prädynastischen Ägypten scheint es dagegen keine Bild-, sondern Linearschrift gegeben zu haben. Die Hieroglyphen, bei aller Stilpracht, waren schrifttechnisch vielleicht ein Rückfall.

In Hatschepsut und Semiramis fliegen die Schicksale zweier genialer Herrscherinnen, da sie verschiedenen Kulturkreisen angehören, zu Gegensätzen auseinander. Die Asiatin muß sich mit Weibchentricks oder auf damenhaften Schleichwegen hinauflächeln, hinauflieben, hinaufheiraten, hinaufscheiden zu jener Macht, wo sie endlich zeigen kann, was alles in ihr steckt; bei ihren Werken auf lange Sicht braucht es bald wieder Tricks und Schwindel, denn nur als ihr eigener Sohn verkleidet und gekrönt darf sie vollenden, was sie begann, um dann in einem politisch schwachen Augenblick, nach dem Zug gegen Indien, der Heimkehr Napoleons aus Rußland ähnlich, von den Söhnen entthront zu werden. Verwundet, zürnend, taubenhaft, immer aphroditisch betont, verschwebt sie schließlich dem Mythos in die Ur-Aphrodite selbst. Die Ägypterin dagegen, ganz oben hingeboren als Verkörperung einer zugleich weltlichen und spirituellen Macht, von deren Gestrahl es heute keine annähernde Vorstellung mehr gibt, sieht schon als Backfisch den reifen Vater und großen Pharao vor ihrem älteren Gnadentum abdanken. Dann steht dieses Mädchenkind da, ganz kompromißfrei, niemandem verantwortlich, die halbe damals bekannte Welt ihr Besitz und Tatenfeld, ihre junge Spannkraft erwartend, dabei selbst von prachtvoller Rasse, mit Zucht und Richtung im Blut und dem vielleicht Besten am Schicksal: daß alles dies sich bietet inmitten reiner Größe, einer Kultur von langem Atem, schon voll Form, doch voll noch von Impulsen, jedes Ding eine Herrlichkeit in Harmonie mit jedem anderen; alle aber, von den Pyramiden bis zu den Schmuckdöschen, sind sie von lange her und gleichgewachsen mit der eigenen Erbbahn der jungen Königin. Ihr freies, großes, völlig verwirklichtes Dasein lag überdies zur Gänze auf einem steigenden Stück ägyptischer Schicksalsbahn. Das einzige, was vielleicht an dynastischem Bluterleben fehlte, war diese schon beinahe himmelskörperliche Sphärenharmonie der bruder-schwesterlichen Vollwelt, denn ihr Brudergatte war zu unbedeutend und starb lange vor ihr.

Nicht, daß Hatschepsuts Frauendasein deshalb kalt verlaufen wäre. Viel ist auf Denkmälern von ihrem großen Architekten Senmut die Rede, einer der ersten Persönlichkeiten jener Zeit. Er schnitt ihr die Terrassen und Tempel aus dem libyschen Fels, als vielleicht kühnste Landschaftsarchitektur der Welt, errichtete die Karnak-Obelisken, war königlicher Siegelbewahrer und Erzieher der königlichen Kinder. Auf seiner Stele in Assuan steht er vor der Königin und wird von ihr genannt: »Gefährte hochgeliebt, Hüter des Palastes, Hüter des Herzens der Königin, der die Dame beider Länder zu befriedigen vermag und macht, daß alle Dinge sich nach dem Wunsch Ihrer Majestät ereignen.« Offenbar fand niemand etwas an dieser öffentlichen Aufzählung so diskreter Verdienste und Ämter. Wie überhaupt nichts falscher sein könnte, als die Ägypter, weil sie berühmt sind für Basalt, Porphyr, Pylonen und Mumienprunk, am Ende für schwer, kahl, kalt, steif und düster zu halten. Sie waren eine der heitersten Menschenarten, verliebt in Anmut, Blumen und Musik. Gebäude wie Frauen waren das ganze Jahr geschmückt mit frischen Lotosknospen, Weinbecher und Gäste bei Festen bekränzt, alle Räume voll Blumenarrangements in Alabaster- und Goldgefäßen oder solchen aus blauem und grünem Email; Gesang klang aus jedem Haus, hoch und toll ging es bei Phallus-Umzügen her, niemand war arm, niemand in Not. Die reicheren Heime hatten außerordentliche Bett- und Wäschekultur, auch jene langen, graziösen Recamier-Chaiselonguen, überhaupt wenige, niedrige, außerordentlich gut gewählte »Empire«-Möbel, viel besser als die in der Malmaison, und viele Lederkissen, mit Taubenflaum gefüllt. Getragen wurden meist plissierte, fußfreie Röcke aus Leinwand oder durchsichtigem Schleierstoff, dasselbe Material über der Brust gekreuzt, keine oder fließende Ärmel, nie Hüte, aber raffiniert geschnittene Sandalen für die schmalen, feinen, trockengebauten Füße. Trotz so einfach stilisierter, nur reinem Kontur dienender Tracht betrug das Toilettengeld einer Königin doch dreihundertundsechzigtausend Silbertalente jährlich; allerdings wechselten Ägypterinnen den echten Schmuck so oft wie Europäerinnen jetzt den falschen.

Eine Rasse von beispielloser Körperkultur! Was allerdings eine rein zivilisatorische Angelegenheit ist und deshalb gerade jetzt von uns gerne überschätzt zu werden pflegt. Nicht nur waren Haut, Haare, Zähne, Augen, Brauen, Wimpern, Hand- und Fußnägel meisterhaft gepflegt, wurde die Gesamtmuskulatur täglich massiert, friktioniert, geduscht, geölt, die Diät geregelt, auch innere Reinheit verstand sich von selbst. Der Pharao durfte übrigens nur weißes Fleisch essen und lebte beinahe abstinent.

»Drei Tage im Monat gebrauchen sie Darmbäder, abführende Mittel und Erbrechen,« berichtet Herodot, und schon aus den ganz frühen Papyri ergibt sich ähnliches. Zu Diodors Zeit war es noch strenger: »Um Krankheiten vorzubeugen, pflegen sie des Körpers mit Klystieren, Fasten und Brechmitteln, manchmal Tag für Tag, zuweilen setzen sie aber auch drei bis vier Tage aus.« Dann sagt er jedoch noch etwas anderes, was von ganzen Generationen unserer Ägyptologen mit ungläubiger Verachtung gestraft wurde, nämlich: »Unter den Bürgern ist der Gatte nach dem Ehevertrag das Eigentum der Frau, und es wird zwischen ihnen festgesetzt, daß der Mann der Frau in allen Dingen gehorchen soll.« Heute, da drei- bis vierhundert Ehekontrakte aus verschiedenen Zeiten vorliegen, ist Diodors Angabe nicht nur bestätigt, sondern weitaus überboten. Er hat hier eher unter- als übertrieben. »Ich beuge mich vor deinen Rechten als Frau,« heißt es in so einem Dokument. »Vom heutigen Tag an werde ich mich nie mit einem Wort deinen Ansprüchen widersetzen. Ich erkenne dich vor allen als meine Gattin an, habe aber selbst nicht das Recht, zu sagen: Du hast meine Gattin zu sein. Nur ich bin dein Mann und Gatte. Du allein hast das Recht, zu gehen. – Vom heutigen Tage an, da ich dein Gatte bin, kann ich mich deinem Wunsch nicht widersetzen, wo immer es dir hinzugehen belieben mag. Ich gebe dir (folgt die Liste der Vermögenswerte). Ich habe keine Gewalt, dir in irgendeine Transaktion dreinzureden. Meine Rechte an jedem Dokument, das von irgendwelchen Personen zu meinen Gunsten aufgesetzt wurde, habe ich dir hiemit zediert. Du hältst mich gebunden, jede solche Zession anzuerkennen. Sollte mir also irgend jemand Gelder einhändigen, die jetzt dir gehören, so habe ich sie an dich ohne Verzögerung und ohne Widerstand abzuliefern und dir weitere zwanzig Maß Silber, einhundert Schekel und noch einmal zwanzig Maß Silber zu zahlen.«

Das mit dem Gehorsam des Mannes gegen die Frau war eine stehende Klausel, sie wurde automatisch jedem Ehevertrag eingefügt. Ja, zum Geier, denkt der Leser hier mit Recht, warum ist denn der Schwachkopf darauf eingegangen? Weil er sich vom Matriarchat befreien wollte. Gerade das Bestreben nach patriarchalischer Nachfolge führte, wie Briffault zeigt, paradoxerweise zur Verschärfung weiblicher Macht, ja zur völligen Versklavung des Mannes; denn wollte er, daß seine Kinder ihn beerbten, mußte er alles zu Lebzeiten der Frau schenken und sich jeder ihrer Bedingungen fügen, weil nur durch die weibliche Linie Besitz weitergeleitet werden konnte; sonst fiel alles, was er erwarb, an die Kinder seiner Schwester. Wo der Mann keine Familie gründen kann, da hat er meist Talent und Zärtlichkeit für sie. Solche Späße erlaubt sich die Natur gerade gern mit ihren bravsten Wesen. Am gescheitesten für den Ägypter, er heiratete gleich die Schwester, dann waren deren allein erbberechtigte Kinder wenigstens seine eigenen. Dies der patriarchale Grund ägyptischer Geschwisterehe in allen Ständen; durch Jahrtausende, sogar bis ins zweite nachchristliche Jahrhundert, machte sie noch die überwiegende Majorität aller geschlossenen Verbindungen aus. Das wäre aber nie möglich gewesen ohne jenen tiefen Herzenshang der »Zwei«. Etwas monoton? Aber wieso denn? Er konnte ja außerdem Sklavinnen haben, sie Männer, denn die Scheidung hing allerdings einseitig vom Willen der Gattin ab, war jedoch, wenn sie zustimmte, Privatsache, die reine Bagatelle, so daß praktisch sukzessive Vielweiberei und Vielmännerei herrschten.

Wie stets beim Mutterrecht, erscheint auch in Ägypten die Frau als werbender Teil. In sechzehn unter zwanzig erotischen Gedichten gehen die Avancen von ihr aus. Sie »fensterlt« und meldet den Erfolg: »Ich habe meinen Bruder in seinem Bett gefunden. Mein Herz ist glücklich über die Maßen.« – Auch wo weibliche Lyrik Finanzielles besingt, fehlt es den Damen nicht an klarer Rede. Die Dichterin eines Werbeliedes aus der Zeit Rhamses II. verkündet offenherzig ihrem Freund: »Oh, mein schöner Liebling! Meine Sehnsucht geht dahin, als deine Gattin zugleich die Herrin all deiner Besitztümer zu werden.« Bei Realitäten war das automatisch der Fall. Baute der Mann ein Haus oder erwarb eines, so ging es sofort in den Besitz der Frau über. Verglichen mit einer Dame des »alten«, »mittleren« oder »neuen« Reiches, sind also die gewiß rechtlich bestgestellten Frauen unserer Tage, die Amerikanerinnen im Frauenparadies Amerika, geradezu kläglich dran. Während heutigentags so ein Girl stets nur eine Tranche des männlichen Vermögens aus jeder Ehe mit sich nehmen kann, ließ in Ägypten bereits der erste Verlobte sein ganzes Hab und Gut auf den Namen der Braut überschreiben. Da sich diese dann im Heiratskontrakt das alleinige Recht auf Scheidung vorbehielt, konnte sie den Mann, der selbst während der Ehe im Haus nur als »privilegierter Gast« galt, ohne Angabe von Gründen einfach aus Haus und Besitz weisen, die er ihr eben zugebracht. Der Unterzeichnung des fatalen Kontraktes ging zwar meist eine unverbindliche Probeehe voraus, und führte sie zu nichts, brauchte der Mann nur eine bestimmte Abstandssumme zu bezahlen, da aber auch Schwangerschaftsunterbrechung stets völlig frei geübt wurde, hatte ein Probegatte wohl nicht viel Aussicht auf Vaterschaft, ehe er den Vertrag in gewünschter Form unterschrieben hatte, samt der famosen Gehorsamklausel. Auch dann folgten Kinder dem Stande der Mutter und führten meist ihren Familiennamen allein.

Gerade in Ägypten scheinen die Männer besonders kinderlieb gewesen zu sein, während Mutterrecht auch dort, genau wie anderswo, gar nicht so kuhwarm ist, wie es klingt. Säuglinge wurden sofort zu künstlicher Ernährung und Pflege den Männern übergeben, die sich als »dry nurses« eminent bewährten. »Amme« war ein ausschließlich männliches Ehrenamt bei Hof, eine der höchsten männlichen Würden das Aufziehen der neugeborenen Prinzen und Prinzessinnen. So hieß der Fürst von El Kab unter Amenhotep I. die »Amme« des Prinzen Uadmes; der Gigolo der Königin Chnemtomun die »Amme« der Prinzessin Ranofre. Die Männer besorgten auch das Waschen der Wäsche, das Bereiten des Bettes zur Liebe und der Pomaden für Haar- und Körperkult.

Bei matrilokaler Ehe und mannigfachem Berufsleben der Frau wird es begreiflich, daß sie vielfach den Wohnort bestimmte, darum erklärt auch Rhamses III.: »Der Fuß einer ägyptischen Frau kann wandern, wohin es ihr gefällt, und niemand kann sich ihr widersetzen.« M. Müller hat schon recht, wenn er die Ägypterin vorchristlicher Jahrtausende moderner und kühner fortgeschritten nennt als die modernste Frau der Gegenwart. An Karriere stand ihr, besonders bis zur XII. Dynastie, einfach alles offen. Vor wie nach der Heirat konnte sie Priesterin werden, was nicht Nonne bedeutet, sondern nach Rang und Einkommen etwa Erzbischof oder Kardinal. – Wir kennen in allen Details die Laufbahn eines solchen Girls vor viereinhalb Jahrtausenden, das, aus kleinen Verhältnissen stammend, als Bürofräulein im Geschäft ihres Vaters begann, später in den Verwaltungsdienst trat, bald Statthalter des Fajum wurde und, was merkwürdiger ist, Oberkommandant der westlichen Streitkräfte. Dazu kamen noch Generalgouvernat und Oberbefehl in Kynopolis und an der östlichen Reichsgrenze. Dieses junge Mädchen wurde in relativ kurzer Zeit eine der mächtigsten, angesehensten und reichsten Persönlichkeiten des Landes; ganz aus eigener Kraft.

Doch zeigt sich eine Tendenz, die matriarchale Ordnung abzubauen, durch die ganze soziale Geschichte hin. Das beginnt mit der Abnahme der magischen Funktion. Während sich in den ersten Dynastien Frauennamen in hohen Priesterstellen sehr häufig finden, verschwinden sie nach der XII. Dynastie, mit Ausnahme jener der Prinzessinnen in ihren ex officio bekleideten liturgischen Ämtern. Eine Reihe weiblicher Religionsgenossenschaften mit großen Latifundien und hochdotierten Posten gibt es zu Theben allerdings weit später auch, doch ist ihr Sinn noch völlig rätselhaft. In Wirklichkeit hat Ägypten nie vom Matriarchat gelassen. Als im VIII. vorchristlichen Jahrhundert eine nubische Dynastie ihr Thronrecht auf Grund der Abstammung von einer legitimen Prinzessin durchsetzte, steigerte sich unter dieser Herrschaft das kulturvoll elegante Frauenrecht sogar wieder ins Afrikanisch-Barbarische. Jedem Pharao waren damals zwei große Königinnen zur Regierung beigegeben, von denen die eine zu Hause in Napata, die andere in Theben residierte. Aus dieser Periode stammt der Name Kandake für Königinmutter, wie er später als Symbol der Frauenmacht in den Alexanderromanen eine solche Rolle spielt. In Nubien selbst bestand die Gynaikokratie bis ins Mittelalter hinein. Als unter den Ptolemäern griechische Gesetze in Ägypten eingeführt wurden, blieben sie toter Buchstabe, das Mutterrecht überwand praktisch den ganzen Hellenismus und hielt sich bis zum Islam. Die günstige materielle Position seiner Frauen ist ein Rest alten Matriarchats.

Weibliches Erbrecht brachte allerdings auch Pflichten, so die Versorgung alter Verwandter und die Übernahme der Liturgien: gewisser unbesoldeter Ehrenämter, wie sie an die Familie gebunden waren. Griechenland, in klassischer Zeit schon ganz männerrechtlich, bestaunte spöttisch dieses Frauenreich, »die Weiberknechte am Nil«. Herodot spricht von »verkehrter Welt«; nach ihm, der alles sieht, verrichten die Geschlechter sogar ihre Bedürfnisse umgekehrt, sitzend die Männer, stehend die Frauen. Ihn amüsiert das Fremde, Sophokles entrüstet sich: »Ha, wie sie ganz die Sitten des Ägyptervolkes nachahmen in des Sinnes und des Lebens Art! Dort hält das Volk der Männer sich zu Haus und schafft am Webstuhl, und die Weiber fort und fort besorgen draußen für das Leben den Bedarf.« – Besonders eingehend hat Diodor sich mit Ägypten befaßt, den mutterrechtlichen Charakter der königlichen Familie sehr richtig besprochen und mit seiner Behauptung über die Eheverträge so triumphiert, wie ein Historiker es sich nur wünschen mag. Nicht stimmen kann indessen jene Angabe: »Die Frauen verwalteten alle obrigkeitlichen und öffentlichen Ämter, die Männer besorgten, so wie bei uns die Hausfrauen, das Hauswesen.« Damit stehen die genauen Berichte zu vieler Papyri, die Listen zu vieler hohen Würdenträger und Heerführer und die gesamte Skulptur im Widerspruch. Auch die Armee war überwiegend männlich, die Ärzteschaft gleichfalls. Männer versahen also mindestens in gleicher Weise wie die Frauen obrigkeitliche und öffentliche Ämter, was natürlich nicht ausschließt, daß sie, wie Diodor weiter bemerkt, »dem Willen ihrer Gattinnen gemäß lebten«. Darüber belehrt ein kleiner Papyrus aus der Rhamessidenzeit, also vom Anfang des neuen Reiches. Ein thebanischer Witwer beschwört in diesem interessanten Dokument schlotternd seine verstorbene Frau, als Gespenst doch gnädigst von ihm abzulassen. Schmeichelnd nennt er sie »erhabener Geist«, erinnert an alle Rücksicht, die er ihr zeitlebens erwiesen, wie er sie gewiß nie vernachlässigt, nachdem er die famose Stellung am Hof des Pharao erhalten, vielmehr jeder ihrer Launen sich gefügt, auch keine Audienz bewilligt habe, der sie nicht vorher zugestimmt. »Was immer sie mir brachten, das übergab ich dir«, beteuert er. »Nie habe ich etwas heimlich versteckt oder für mich zurückbehalten.«

Mag sich auch ein weibliches Gespenst ab und zu eklig benommen haben – tot sein verdirbt eben die Laune –, lebende Frauen, deren Abbilder so beispiellos hochbeinig, lieblich und geduldig kultiviert über Kilometer von Reliefs dahinstehen, scheinen ihre Macht nicht über arg mißbraucht zu haben. »Wenn ich dich als Gatten entlasse,« erklärt eine junge Dame großmütig in ihrem Ehekontrakt, »indem ich dich hassen oder einen anderen mehr lieben gelernt habe als dich, so gebe ich dir die Hälfte deiner Mitgift zurück, außerdem einen Teil von allem und jedem, was ich mit dir erwerben werde, solange du mit mir verheiratet bist.«

Nur in Theben waren sie toll aufs Geld. Nicht nur das ganze Vermögen und alle künftigen Erbschaften des Gatten brachten sie bei der Eheschließung an sich, sondern in Form von jährlichen Apanagen auch, was dieser später sich verdienen mochte, so daß mancher Mann, um nach der Scheidung vor dem Verhungern geschützt zu sein, seinerseits im Kontrakt es sich für den äußersten Fall ausbedang, bis zum Tode der Frau ernährt und dann anständig begraben zu werden. Toilettengelder erhielt er ja überhaupt von ihr. »Die ihren Mann kleidet«, war die früheste Bedeutung des ägyptischen Wortes: Frau.

Warum in Geschichtswerken von alledem recht wenig steht, höchstens ab und zu etwas von »auffallend freier Stellung des Weibes«? Gerade die meistgelesenen stammen noch vom Anfang des Jahrhunderts, als vieles noch nicht entziffert, Entziffertes aber bei damals einseitig männerrechtlicher Betrachtung als »unglaubwürdig« oder »Ausnahme«, am liebsten als »Entartung«, abgelehnt wurde. So ein Privatdozent, in seinem Universitätsnest von Jugend an, also ums Jahr 1880, gewohnt, daß seine Frau ihn jede Woche um das Wirtschaftsgeld ersuchte, verschloß den Sinn vor derart fremder Welt. Er nannte das: »kritische Sichtung des historischen Materials«. Bei ähnlichem Anlaß sagt Shaws Cäsar mild: »Verzeiht ihm, er hält eben die Vorurteile seiner kleinen Inselsippe für die Gesetze der Natur.« Wären die ägyptischen Männer nun eine trübe Brut gewesen, so hätte das Vorzüglichere ihrer Position die Frau weder beglückt, noch sich für sie gelohnt. Doch diese Eliterasse, groß, schlank, männlich, kultiviert, begehrenswert über die Maßen, nahm es, man wage herzhaft die Vermutung, mit jeder Professorenrasse auf.

Von ihrer Weisheit noch ein letztes Wort. In dem vielleicht ältesten Buch der Welt, den Maximen des Ptah-Hotep, eines Philosophen aus dem Jahre 3200 v. Chr., sagt der prächtige Mensch: »Wenn du weise bist, so behalte dein Heim, liebe deine Frau und streite nicht mit ihr. Ernähre sie, schmücke sie, salbe sie. Liebkose sie und erfülle alle ihre Wünsche, solange du lebst, denn sie ist dein Gut, das großen Gewinn bringt. Hab acht auf das, was ihr Begehr ist und das, wonach der Sinn ihr steht. Denn auf solche Weise bringst du sie dahin, es weiter mit dir zu halten. Opponierst du ihr aber, so wird es dein Ruin sein.«


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