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Keltenland

Schon im Astralen beginnt das Frauenreich. Weisheit zwitschernd schlüpfen gekrönte Vogelfeen zwischen den Sphären hin und her, verschließen fürwitzige Zauberer im leuchtenden Grab. Herrinnen aus Mondstoff, wie grünliche Nachtfalter, spannenlang, durchsichtig und wunderschön, schenken dem irdischen Liebling nach einer Liebesnacht noch ein paar Königreiche und ewige Jugend hinzu oder entlassen ihn, nach Willkür, mit Triefaugen und einem weißen Bart, wogegen gar nichts zu machen war. Vor ihnen her fließen schimmernde Energien und spielen mit Weltgesetzen, ihre Anmut lenkt die Umläufe der Sterne, und weil ihr freies Naturwesen sich auch gern den aristokratischen Standesunterschieden der Kultur fügt, so vermengen sich für den verzauberten Mann leichtlich elbische Wesen, Königinnen, Priesterinnen, Göttinnen und freie Frauen.

Wie bei Vaterrecht meist eine männliche Oberwelt sieht, daß »die Töchter der Erde schön sind«, und die üblichen Konsequenzen daraus zieht, so bemerkt im Keltenland eine überirdische Weiblichkeit ihrerseits das gleiche bei den Söhnen der Erde und läßt sich zu ihnen herab. Auf welcher Seite aber die Herablassung besteht, darauf eben kommt es an. Weltstunde ist die Mitternacht. Der männliche Tag wird von zwei weiblichen Nächten umschlossen, nach ihnen wird gezählt. Der Mond ist Herr der Zeit, schenkt Somnambulismus, Orakel bei den Phasen und im Rauschtrank aus klebriger Mistel pflanzliche Seherschaft. Nackt und mit Wuoa bemalt tanzen gallische und britische Priesterinnen in seinem Licht. Irland und Schottland selbst sind Frauensiedlungen, nach Erin und Scota, also Frauen, benannt. Irlands ältestes Dokument, das Buch von Leinster, schildert ausführlich, wie das Matriarchat von hier aus durch die siegreichen Gälen den überwundenen Pikten aufgezwungen wurde. Die irischen und gälischen Heldensippen heißen nach den Müttern, nicht nach den Vätern, und von Erbrecht und Sukzession in weiblicher Linie bei den Kelten berichtet schon Livius. Unabhängige Königinnen als Anführerinnen im Krieg außer Boadicea werden von verschiedenen Historikern bezeugt, ja so sehr galt weibliche Herrschaft als die von vornherein gegebene, daß britische Gefangene, vor Claudius gebracht, weder ihn noch die römischen Insignien beachteten, vielmehr direkt auf den Thron der Agrippina zuhielten, um sich tief vor ihr zu neigen, zur großen Skandalisierung der Römer im allgemeinen und des Tacitus im besonderen.

Bei Briten und Iren blieb die Ehe sogar die Ritterzeit hindurch matrilokal. Die Frau in ihrem Schloß wählt, wen sie will, ähnlich der arabischen großen Dame, »ist keines Mannes Eigentum, verschenkt sich aber großmütig und frei«. So sagt Emer: »Erhebe dich, o wunderbarer Ailill, jegliche Ruhe wird dir, Tapferster! Schling die Hand um meinen Nacken: der Anfang der Liebeslust – wonnig ist ihre Gabe – ist Mann und Weib im gegenseitigen Küssen. Wenn dir dies aber nicht genügt, trefflicher Mann, dann gebe ich dir zur Heilung vom Liebesschmerz, o Geliebter, von meinem Knie bis zu meinem Nabel.« (Zimmer.) Diese rasche, dabei ganz naive Intimität ohne jeden Zynismus kam von der Sitte für junge Mädchen und Damen des Hauses, den fremden Rittern sofort ein warmes Kräuterbad zu bereiten, ihnen darin Gesellschaft zu leisten und sie dann kunstgerecht zu massieren. »Le tastonner doucement.« In der originalirischen Tristansage fällt jene Schwierigkeit ganz dahin, die später bei Gottfried von Straßburg den Beteiligten solches Kopfzerbrechen macht: wie König Marke in der Hochzeitsnacht zu täuschen sei. In Cornwall wäre die Unterschiebung der jungfräulichen Brangäne bei dieser Gelegenheit durchaus nicht nötig gewesen. Marke hätte ja nie erwartet, Iseult noch unberührt zu finden. Echt keltisch ist dagegen des Helden Stellung als Neffe und Erbe. In Mythos, Sage, Geschichte und Literatur spielt, ganz dem Sinn des Mutterrechts gemäß, nie ein Sohn, stets der Schwestersohn die Hauptrolle.

Beim Adel waren beide Geschlechter sportlich trainiert und körperlich tadellos gebildet, vom Volk dagegen behauptet Strabo, die sehr »häuslichen« Männer neigten zur Verfettung und dürften gesetzlich ein bestimmtes Gürtelmaß nicht überschreiten, die Weiber dagegen wirkten größer, schöner und geschmeidiger. Die Frau war auch der werbende Teil. Ein Grieche, Gast auf der Hochzeit einer keltischen Häuptlingstochter, schildert, wie alle jungen Männer der Gegend zum Festbankett geladen sind, ohne daß es einen Verlobten gäbe. Dann erscheint das Mädchen, einen goldenen Becher mit Wein in der Hand, sieht sich die Versammlung sachkundig an und wählt den Bräutigam durch Überreichen ihres Bechers.

Auf den britischen Inseln hielt sich das Matriarchat bis weit in die christliche Zeit hinein, auf dem Festland fiel es schon infolge der viel intensiveren Romanisierung. Doch als Hannibal durch Gallien zog, wurde zwischen ihm und den Bewohnern vereinbart, daß Meinungsdifferenzen über den Umfang des Schadens, den seine Truppen beim Durchzug anrichten würden, und dessen Wiedergutmachung ausschließlich von einem obersten Rat gallischer Frauen geprüft werden sollten. Der Schiedsspruch dieses Matronenkollegiums hatte für beide Parteien inappellabel zu sein. Eine weise Maßregel, denn die edelmetallreichen keltischen Gebiete waren stets zum Plündern verlockend. Cäsar machte der gallische Feldzug zu einem der reichsten Männer seiner Zeit, – so viele Tempelschätze schleppte er weg. Vorher wollten ihn seine Gläubiger nicht einmal über die römische Grenze lassen, es sei denn, Freunde bürgten für seine Privatschulden mit einem Betrag im Wert von etwa zwanzig Millionen Mark. Aus den reichen Muttergesellschaften brachte er dann als Beute leicht das Zehn- und Zwanzigfache heim.


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