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Die Couvade,

von couver = brüten, zu deutsch »Männerkindbett«, ist bei südamerikanischen Indianern als Übergangssymptom zum Vaterrecht mehrfach erwähnt worden. Ganz roh und beiläufig gesprochen, spielt sich dabei ungefähr folgendes ab: wenn die Frau entbindet, legt sich der Mann schluchzend zu Bett, windet sich in scheinbaren Wehen, stöhnt, erhält warme Wickel um den Leib, wird gepflegt, muß tage-, wochen-, manchmal monatelang aufs strengste fasten, gilt bis nach dem ersten Bad für unrein, ganz als wäre er selbst die Wöchnerin.

Dieser Brauch, der je nach Rasse, Zeit, Zone reich ist an scharmanten und erstaunlichen Abarten, war schon den Reiseschriftstellern und Historikern der Antike bekannt. Herodot bezeugt ihn für afrikanische Stämme, Nymphodor für Skythen am Schwarzen Meer, Diodor für Korsika. Strabo für die Keltiberer Spaniens; ihre direkten Nachkommen, die Basken in den Pyrenäen, üben ihn noch heute, und auf der Insel Zypern gab es sogar eine heilige Couvade, die keiner einzelnen Geburt galt, denn alljährlich beim Aphroditefest mußte sich ein schöner Jüngling im offenen Zelt hinlegen und Stimme wie Bewegungen einer kreißenden Frau nachahmen. Aus China berichtet Marco Polo als erster vom »Männerkindbett« unter dem Bergstamm der Miautse, und moderne englische Forscher bestätigen seine Angaben.

Bei dem freundlichen Eifer, mit dem man jetzt alle exotischen Rassen schnell noch photographisch, phonographisch, photometrisch exploitiert, registriert, studiert, ehe sie – ruiniert durch unbekömmliche Zivilisation – endgültig verschwinden, hat es sich so nach und nach herausgestellt, daß nicht so sehr viel weniger Männer in Wehen liegen als Frauen; daß die Couvade von Sibirien bis Südamerika, auf dem Malaiischen Archipel, in Afrika, China, Brasilien, Indien, bei hohen wie niedren Rassen in unzähligen Varianten wenigstens andeutungsweise besteht, oder kürzlich noch bestand.

So scheinbar klar der Sachverhalt, so dunkel sein Sinn. Soviele Gelehrte, soviele Meinungen. Weil Bräuche älter als Logik sind, als uraltes Erbgut noch in unsre Schicht hereinragen, hat eine Frage nach »Gründen« bei jenen, die sie üben, wenig Zweck; echte Bräuche leben und verblassen innerhalb der reinen Zone des natürlichen Gefühls, ohne Verstandliches zu streifen. Abgesehen von ihrem Unvermögen, geben Naturvölker ungern Auskunft über ihr Tun, spüren sofort die Suggestion, das, was gehört werden will, und antworten den unbewußten Wünschen des Fragers gemäß. Ist denn etwa auch heute in Deutschland oder der Schweiz vom Volk zu erfahren, warum in Thüringen ein Manneshemd vor das Fenster der Wochenstube gehängt wird, oder warum im Aargau die Frau beim ersten Ausgang nach der Entbindung die Hose des Mannes anzieht, während sie im Lechtal seinen Hut aufsetzt? An Ort und Stelle weiß niemand mehr, was das soll, der Völkerkundige, mit seinem Vergleichsmaterial aus fünf Erdteilen, erkennt wenigstens sofort, es handle sich hier um Reste echter Couvade, mit ihrem so charakteristischen Rollentausch der Geschlechter, wie immer er ihren Ursprung auch deuten möge, je nachdem er den Akzent auf die eine oder andre der verwickelten Begleitzeremonien legt, denn das Urwunder Leben zieht weite Zauberkreise, Ring um Ring.

So sind eine diätetische und eine pseudomütterliche, eine vorgeburtliche, geburtliche und nachgeburtliche Couvade zu unterscheiden. Der vorgeburtlichen wegen ist bereits »Vater werden«, nicht nur »Vater sein«, für den magischen Menschen schwer.

Fühlt sich die Gattin eines Brahmanen schwanger, so kaut der Gatte keinen Betel, was härter ist als Tabakverzicht für den Raucher, und fastet bis zur Niederkunft. Auf den Philippinen darf der Bräutigam schon eine Woche vor der Hochzeit kein saures Obst mehr essen, sonst bekommt sein künftiges Kind Leibschmerzen, in Borneo wieder nichts verkorken, sonst leidet es an Verstopfung. In China muß sich der Mann vor heftigen Bewegungen ängstlich hüten, sonst ist durch die Erschütterung auch der Fötus im Mutterleib bedroht. Aus gleichem Grund fährt der Jambim-Mann nicht auf den Fischfang: das Meer (großes Fruchtwasser) soll nicht durch Ruderschlag gestört werden. Malaien im Archipel rühren keine scharfen Werkzeuge an, töten kein Tier, meiden jede Handlung, die verletzenden Charakter hat.

Vor der Entbindung sind strenge Diätregeln fast überall für beide Elternteile gleichmäßig Vorschrift. Während die Frau aber nach der Geburt sich meistens bald wieder frei bewegen darf, um, von gewissen Speiseverboten abgesehen, wieder halbwegs normal zu leben, beginnt für den Mann die nachgeburtliche Couvade oft in einer, die vorgeburtliche an sadistischer Belästigung weit überragenden Form. Bei den Karaiben von Cayenne muß er sich zu sechsmonatigem Fasten in die Hängematte legen. Wenn er sie dann, nur noch Haut und Knochen, zum erstenmal verläßt, um sich nach Hause zu begeben, bringen ihm die dort versammelten Gäste mit einem Agutizahn blutige Risse bei und reiben Pfeffer in die Wunden. »Er geht dann, wirklich krank, wieder in die Hängematte und ißt bis zum Ende des siebenten Monats weder Vögel noch Fische.«

La Borde erzählt, wie viele Indianerstämme Südamerikas dem jungen Vater, nachdem er lange gefastet, allerhand Entbehrungen durchgemacht, die Hängematte nur nachts verlassen hat, die Haut am ganzen Körper zerfetzen; während sie ihm dann Pfeffer und Tabakjauche in die Wunden reiben, darf er keinen Schmerzenslaut von sich geben, worauf sein edles Blut dem Kinde ins Gesicht gerieben wird, damit es davon ebenso tapfer werde wie er.

Nicht auszudenken, was »Vater sein« gar bei Polygamie für so einen armen, rastlos eingepökelten Mann an Martyrium bedeutet. Bis zum Greisenalter kommt er aus den gepfefferten Wunden und allerhand Marter nicht mehr heraus. Viel dieser Art gehört offensichtlich schon dem großen Bereich sympathetischer und imitativer Magie an, nicht mehr dem eigentlichen Männerkindbett. Darum meint Levy-Brühl, und mit ihm die französische Schule, dieses sei selbst nur Teil einer Gesamtheit von Vorsichtsmaßregeln und »tabus«, die beide Elternteile sich abwechselnd auferlegen. Dem Europäer seien sie nur beim Mann, als besonders ungewohnt, zuerst aufgefallen, daher sei die Couvade als Phänomen für sich betrachtet worden, was unrichtig sei. Die Wesensgemeinschaft, »mystische Partizipation«, das »Blutsband« bei primitiven Rassen wirke derart stark, daß, was der eine tut, der andre zu spüren bekommt. Darum trinkt auch in Brasilien der Bororo ruhig in der Apotheke selbst die Medizin, wenn sein Kind zu Hause krank liegt, und sie wirkt auch so. Thurnwald nimmt sogar an, die eigentliche Couvade, die echte, sei gar kein »als ob«, der Mann empfinde wirklich die Wehen mit, und auch Tylor entscheidet sich dabei wenigstens für »sympathetische Magie«, die ja in Irland je und je als Mittel galt, um Geburtsschmerzen auf den Mann zu übertragen. Es ist dies die viel erörterte »transference of pain« (Frazer). Sie wird als so strenges Geheimnis bei den Kelten gewahrt, daß es noch keinem Forscher gelang, ihren Ritus selbst zu beobachten, nur soviel ist bekannt, daß der Mann seine Zustimmung zum Gelingen geben muß.

Der Engländer Pennant berichtet darüber: »Ich sah den Sprößling aus einem solchen Kindbett, welcher sanft zur Welt kam, ohne seiner Mutter das geringste Unbehagen zu verursachen, während ihr armer Mann vor Schmerzen brüllte in seiner sonderbaren, unnatürlichen Not.«

In Estland gibt die Braut bei der Hochzeit dem jungen Gatten Bier und Rosmarin gemischt zu trinken. Dem Berauschten kriecht sie dann zwischen den Beinen durch, was die Übertragung eines Teiles von den künftigen Geburtsleiden auf ihn bewirken soll, doch nur wenn er während der Zeremonie nicht erwacht; hier fehlt also eine Einwilligung, während sie bei den Kelten Vorbedingung ist. Nach Frazer werden Wehenschmerzen nicht nur auf den Gatten, sondern auch auf andre Männer oder auf eine Holzfigur übertragen. Ploß und anfangs auch Bastian glaubten noch, die Dämonen des Kindbettfiebers sollten durch die Maskerade des Rollentausches irregeführt werden, abgelenkt von der Frau auf den Mann, wo sie dann blamiert dastehen, machtlos und fehl am Ort. Der Meinung Dr. Vaertings, die Couvade sei ein praktischer Überrest von Gynaikokratie, der Mann als Pflegeperson hüte die erste Zeit nach der Geburt das Bett, um das Neugeborene bei sich warm zu halten, steht die Verbreitung dieser Sitte vorwiegend unter dem Äquator entgegen.

Die Psychoanalyse wieder legt ihren Vaterkomplex allen Qualen und Speiseverboten zugrunde, also seelische Erschütterungen, gemischt aus Schuldbewußtsein und Vergeltungsangst, Zärtlichkeit und Haß. Ihre ganze Kette von Schlüssen hängt, was die Couvade betrifft, an der bekannten Freudschen Hypothese vom »Vatermord in der Urhorde«, dem gemeinsamen Verzicht der Söhne auf die begehrte Mutter und Einsetzen der Totem-Mahlzeit als Erinnerung an den Vaterfraß, »jenes denkwürdige Ereignis der Menschheitsgeschichte, welches zur Bildung der Religion, der Kunst und der sozialen Organisation führte«.

Das Kind gilt allgemein für den wiederverkörperten Großvater. Der Sohn, jetzt selbst Vater geworden, fühlt also hier die Vergeltung drohen, daß einer kommt, der, herangewachsen, an ihm das gleiche tun wird, was er an seinem Vater getan (auf höherer Stufe mindestens zu tun gewünscht), daher vielfach die Tötung der Erstgeburt. Bei der großen Ambivalenz der Beziehung zum Vater schlagen dann bei späteren Kindern Zärtlichkeit und Reue durch; Haß und frühere Untat werden jetzt wieder überkompensiert durch selbstauferlegte Leiden. Die Speiseverbote sollen sich dann, da das Tier ja als Ersatzopfer gilt, auch auf dieses, den Totem, beziehen. Die eigentliche Couvade, die Geburtsnachahmung, wird von Reik begründet als Annullierung der Geburt des Kindes durch die Mutter, um es aus der inzestuösen Libidofixierung an diese zu lösen. Der Inzestwunsch war ja Grund des Vatermordes gewesen und ist Motiv alles Vaterhasses. Nur die »Rückgängigmachung der inzestuösen Einstellung des Kindes« kann den jungen Vater schützen vor künftiger Gefahr. Diese kann aber nicht radikaler abgewendet werden, als indem die Weibsgeburt annulliert wird. Nicht die Mutter hat das Kind geboren, sondern der Vater, ihm also soll dessen Liebe zufließen, und vor seinen eifersüchtigen Mordgelüsten bleibt er bewahrt.

Daß auch Mädchen geboren werden, ist der Psychoanalyse offenbar entgangen. Ihr ganzer Gedankenweg hat nur für Knabengeburten Sinn, die aber als solche erst nach dem Verlassen des Mutterleibes kenntlich werden. Alle Sühnungen, Leiden, Beschränkungen, Martern der vorgeburtlichen, geburtlichen und anstandshalber auch nachgeburtlichen Couvade, denn über ein Sichdrücken von letzterer bei weiblichen Babies ist nichts bekannt, nimmt demnach der junge Vater stets zu fünfzig Prozent à fond perdu auf sich. Schuld, Sühne, die doppelte Vergeltungsangst wirken ja nur in dem Bezugsystem Vater – Sohn.

Was einen großen Teil der Speiseverbote angeht, die sich immer auf beide Elternteile gleichmäßig erstrecken, so spricht viel für Levy-Brühls Ansicht, es handle sich dabei um imitative Magie; sie betreffen auch gar nicht den Totem im besonderen, dieser darf ja in der Regel außerhalb der Couvade ebensowenig gegessen werden. Sicher imitativ magisch ist etwa die Scheu, Yamwurzeln zu genießen, damit das Kind nicht lang und dünn werde, oder Taroknollen, damit es nicht kurz und dick bleibe, das Meiden von Schweinefleisch, damit es keine borstigen Haare bekomme; auch Fettes und Schweres wird erst wieder als Nahrung gestattet, wenn das Kind selbst anderes als Milch verträgt, ganz unabhängig davon, welchem Totem der Stamm angehört.

Bachofen, der aus seinem riesigen Wissen zahllose Beispiele zur Couvade zusammengestellt hat, hält mit breitem Griffe an der gebärenden Gebärde des Mannes als ihrem Wesentlichen fest. Auch ihm ist diese ein Versuch des Vaters, Anteil an dem Kinde zu gewinnen, natürlich in anderm Sinn, als sie es der Psychoanalyse ist. Er sieht hier ein typisches Symptom für die Übergangsstufe vom Mutter- zum Vaterrecht, und tatsächlich findet es sich fast nur in dieser und nicht bei Männerherrschaft. » Des Vaters Männlichkeit ordnet sich der weiblichen Potenz unter und offenbart sich in Muttereigenschaft.« Der Geburtsakt hat also noch den Vorrang an Wichtigkeit vor dem Zeugungsakt. Dieser allein genügt nicht, erst wenn der Mann durch die Naturwahrheit des Muttertums hindurchgegangen ist, kann er Vater sein. Niemandem vor Bachofen war es eingefallen, einer Betrachtung der Couvade auch die Formen der Adoption einzufügen, die als Abart der Elternschaft unbedingt hierher gehört. So erzeugt sich der Römer in selbstherrlichem Vaterrecht ganz allein auf rein geistigem Wege ein Kind, sogar durch Willensakt noch nach dem Tode, denn er konnte im Testament zum Sohn bestimmen, wen er wollte, ohne ein Weib zu befragen, während an der Grenzscheide zweier Schichten sogar ein derart aufgeklärter Gott wie Zeus nicht einmal seinen unehelichen Sohn Herakles anerkennen darf, ehe nicht eine Göttin die weibliche Tat des Gebärens an ihm vollzogen hat. »Hera bestieg ihr Lager, nahm den Herakles an ihren Leib und ließ ihn dann an ihren Gewändern zur Erde fallen, womit sie eine wirkliche Geburt nachahmte.« Ganz ähnlich geht die Adoptionszeremonie heute noch auf Borneo bei den matriarchalen Dayaken vor sich: Die Adoptivmutter thront in Gegenwart vieler Gäste auf einem hohen Sitz und läßt sich den zu Adoptierenden von rückwärts durch die Beine kriechen.

Auch im mittelalterlichen Europa, in Arabien und in Byzanz, kamen ähnliche Adoptionsbräuche vor. Abt Guibert vermeldet, wie Balduin von Flandern durch den Fürsten von Edessa » nach den Sitten des Volkes«, also mutterrechtlich, an Kindesstatt angenommen wurde: »er ließ ihn nackt innerhalb des leinenen Untergewandes treten, welches wir Hemd nennen, drückte ihn an sich und bekräftigte alles mit einem feierlichen Kuß. Dies tat auch sein Weib«.

Eine ergreifend selbstlose Couvade üben Frauen, wenn sie den »Wehen« ihrer Söhne in den Pubertätsriten mit dem eigenen Körper nachhelfen. Die Reifezeremonie kommt ja einer Wiedergeburt gleich. Durch Fasten, Leiden, Bewußtlosigkeit, Trance muß sich der Knabe selber neu zum Mann gebären, macht die lebensgefährliche Beschneidung durch und monatelanges Ritual unter Führung alter Männer im Busch. In Australien, wo die Frauen, wahrscheinlich nach Zertrümmerung einer alten Vormachtsstellung, kläglich unterdrückt sind, bedeutet das Eingehen des Sohnes in die Männergemeinschaft so viel wie völlige Ablösung von ihr. »Wie Personen in Trauer und Wöchnerinnen zugleich« werden daher die Mütter der Novizen behandelt. Sie enthalten sich genau der gleichen Speisen wie der Sohn, der fern im Busch die Beschneidung erleidet, sonst käme er in Gefahr, salben sich täglich den Körper mit jenem Öl oder Fett, das als Mittel zu seiner Genesung gilt. Im Haar tragen sie ein Alpita: das Schwanzende eines lebhaften Nachttiers, um ihn im Wachbleiben zu unterstützen, weil Enthaltung vom Schlaf zu den Weiheproben gehört. Abgesondert vom Lager des Stammes, leben sie einzeln an einzelnen Feuern; niemand kommt ihnen nahe, niemand spricht sie an. Jeden Morgen vor Tau und Tag singen diese Mütter die vorgeschriebenen Gesänge, »und während sie aufrechtstehend singen, nehmen sie brennende Scheite vom Feuer und schwenken diese in der Richtung, wo sie das Lager der Novizen vermuten. Und wenn ein Novize von einem Tabu, das sich auf die Nahrung bezieht, befreit wird, erscheint gleichzeitig auch seine Mutter davon erlöst«. (Mathews.) Nie vorher war die mystische Verbundenheit so stark als eben in der Zeit, da die Mutter sie selber als letztes Mittel der endgültigen Ablösung zum letztenmal benutzt.

Die väterliche Couvade will Anteil am Kind gewinnen, die mütterliche Couvade gibt den ihren auf.


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