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Parthogenese

Was da ist, was da sein wird und was gewesen ist, bin ich. Meinen Chiton hat keiner aufgedeckt. Die Frucht, die ich gebar, war die Sonne.

Inschrift am Tempel der Göttin Neith

 

Was die Protozoen beschlossen haben, kann nicht durch Parlamentsbeschluß annulliert werden.

P. Geddes und Thomson, »The evolution of sex«

 

Am Anfang war die Frau. Der Mann erscheint erstmalig in Sohnesgestalt, als das biologisch Jüngere und Spätere. Von den beiden geheimnisvollen Grundformen, in denen das Lebendige, bald hadernd verschlungen, bald sehnsuchtsvoll entzweit, durch die Zeit stürzend sich aneinander entfaltet, ist das Weibliche älter, mächtiger, urtümlicher, denn weit in die Tierreihe hinein herrscht jungfräuliche Entstehung: Parthenogenesis, und durch Zeiträume, unvergleichlich länger als jene, die seit ihrem Aufhören verstrichen sind. Mehr noch: »Das Urweib im Tierweibchen pflanzt nicht nur sich selbst fort, es hat ganz allein das Männliche hervorgebracht; das Männchen nie irgend etwas ohne das Weib.« Fadenwürmer, Rädertiere, Salzkrebse, Blattläuse, verschiedene Wespen- und Schmetterlingsarten, »sie alle sind jungfräulich gebliebene Mütter«. Parthenogenese reicht bis zu den Krustazeen. »Daphniskrebse bringen von März bis August alle vierzehn Tage elf bis zwölf Sprößlinge hervor, erst dann erzeugen sie Männchen, mit denen sie sich begatten

Somit hat die Frau den Mann erschaffen, nicht umgekehrt. » Sie ist das Gegebene, Er das Gewordene, Sie die Ursache, Er die Wirkung.«

Immer in Gestalt der Mutter ragt sie ihm zuerst entgegen, ragt aus Urwelträumen bis hoch in die persönliche Schicht jedes Einzeldaseins hinein; und sein tiefstes Fühlen trägt keines Vaters Prägung, weil der ja ganz am Grund der Quelle nur ein Bruder war.

Urphänomene sind nicht da, um erklärt, sondern um eingesehen zu werden. Eingesehen und nachwirkend wiedererkannt, nicht nur am Auseinandergefalteten, auch am kühl Abgeblätterten, scheinbar abkunftlos Treibenden noch.

Das Urphänomen: Primat des weiblichen Naturprinzips, während, aus ihm gelöst, das Männliche später erscheint, später zu Selbständigkeit und Schöpfertum heranreift, hat alles Menschenschicksal bald einschränkend, bald entfesselnd in jedem Zeit- und Kulturkreis immer wieder aufs neue aus seinem magischen Abgrund herauf entscheidend bestimmt.

Der Mythos weiß es von je.

»Was da ist, was da sein wird und was gewesen
ist, bin ich. Meinen Chiton hat keiner aufgedeckt,
die Frucht, die ich gebar, war die Sonne«,

stand über dem Tor der ägyptischen Neith. Auf andern Denkmälern heißt sie: »Nut, die Alte, welche die Sonne gebar und die Keime der Götter und Menschen legte.« In alten Texten: »Vater der Väter, Mutter der Mütter, die Seiende nämlich, welche von Anfang an gewesen ist.« Dann wieder: »Die Mutter der Morgensonne, die Schöpferin der Abendsonne, welche gewesen ist, als nichts war, und welche geschaffen hat, was nach ihr war.« Ihr Sinnbild, der unsterbliche Skarabäus, rollt sein Urei als Weltkugel vor sich her, den Ball aus Mist, um ihm geflügelt und verjüngt nach jedem Mondumlauf aufs neue selbst zu entkriechen. Den frühesten Fassungen der Schöpfungsmythen gilt weiblicher Stoff allein als zeugende Kraft. In Babylon hieß dieses Urwesen Thalat, erst als zweite Generation gebiert sie ein Götterpaar: Apsu und Thiamat. Es sind jene »Welteltern« so vieler Kosmogonien, die, unaufhörlich aufeinander ruhend, von den herausdrängenden Kindern später zu Himmel und Erde auseinandergerissen werden. Auch für das frühe Griechenland geht aus der Urvagina, dem »alles merkenden Abgrund«, erst Gaia, die weibliche Erde, hervor. Diese zeugt jungfräulich, ohne Liebesumarmung, Uranos, den Himmel, dann mit ihm, ihrem Sohn, das Titanengeschlecht. Wieder aus dem weiblichen Abgrund Ginnungagab – Vertiefung, Höhle, Spalt sind immer weibliche Symbole – kommt nach altnordischer Überlieferung Ymir, der Brauser, wie bei den Orphikern aus silbernem Weltei, dem »Uterus expositus«, Eros bricht, ältester und ehrwürdigster unter den Göttern. Auch Brahma weilt lange Zeit verborgen im Urei, hervortretend teilt er es dann in Himmel und Erde. Die hethitische Agdistis, androgyn, wie fast alle vorderasiatischen Göttermütter, trägt ein männliches Nebenglied in sich; später aus ihr abgetrennt, wächst es sich zu Attis, dem schönen Jüngling und Sohngeliebten, aus, und noch in den späten Märchen der Steppenvölker erscheint die Frau als beide Eltern zugleich: unsre Mutter, der Held Karakus, wird sie dort genannt.

»Von Anfang an gegeben, unwandelbar ist nur das Weib; geworden und darum stetem Untergang verfallen der Mann. Auf dem Gebiet des physischen Lebens steht also das männliche Prinzip an zweiter Stelle. Darin hat die Gynaikokratie ihr Vorbild und ihre Begründung. Darin wurzelt auch jene, der Urzeit angehörige Vorstellung von der Verbindung einer unsterblichen Mutter mit einem sterblichen Vater. In einem Aphrodite-Mythos erzählt Plutarch, daß, als Theseus der Göttin am Meeresufer eine Ziege geopfert, sich diese ganz von selbst in einen Bock verwandelt habe, und seit der Zeit werde Aphrodite auf einem Bock reitend dargestellt. Auch hier erscheint das Muttertier als ursprünglich und von Haus aus gegeben. Aus dem Weib entsteht der Mann durch wunderbare Metamorphose der Natur. Aber der Bock ist doch nur Aphrodites Attribut, ihr untergeordnet und zu ihrem Dienst bestimmt. Aber mit Entzücken weilt ihr Auge auf dem Gebilde. Der Mann wird ihr Liebling, der Bock ihr Träger, der Phallus ihr steter Begleiter ... Sie freut sich des Dämons, den sie gezeugt. Doch überragt Kybele als Mutter den Attis, Diana den Virbius, Aphrodite den Phaëton. Das weibliche stoffliche Naturprinzip steht voran, es hat das Männliche, als das Sekundäre, Gewordene, nur in sterblicher Form Vorhandene und ewig Wechselnde, gewissermaßen, wie Demeter die Cista, auf seinen Schoß genommen. Das ist der höchste Ausdruck der Gynaikokratie.« (Bachofen.)

So weit ab vom Mythos wie nur irgend möglich, durch die Statistik nämlich, ist es lange schon bekannt geworden, daß männliche Linien viel rascher aussterben. »Das Männliche ist das wesentlich Sterbliche, das Weibliche grundsätzlich unzerstörbar.«

In Bildern, zuweilen aufwühlend und phantastisch, wie sich sonst nur das Leben in der Tiefsee abspielt, spiegeln frühe Mythen im parthenogenetischen Weltbild biologische Urzustände wieder. Und nicht nur der Glaube an jungfräuliche Entstehung, auch daß sie ein Vorzüglicheres sei, gilt allgemein von je. Wer etwas auf sich hält, wie Erlöser, Heroen, Götter, Ahnherrn, Könige, Weise, legt auf diese Entstehungsart Wert. Buddha und Quetzalcuatl, Huizilopochli und Plato, Montezuma und Dshingis-Khan sind von Jungfrauen geboren. Die Ainos von Japan, die Stämme Zentralasiens, chinesische Philosophen, siamesische Heroen, indianische Helden, tibetanische Propheten, sie alle wollen für reine Muttergeburten gelten und lehnen einen leiblichen Vater ab.

Hierher gehören wohl auch noch allerhand halbreine Konzeptionen, mit leichter symbolischer Nachhilfe. So wird eine mongolische Prinzessin durch ein Nordlicht gravid, eine japanische Göttin durch den Genuß einer Kirsche; Lotosblumen schwängern Fürstinnen von China. Die Shang-Dynastie führt sich auf die Prinzessin Kien-Ti zurück, der ein Schwalbenei in den Mund fiel, und die Mandschu stammen von einem Mädchen und einer roten Frucht ab. Beispiele ohne Ende. Doch verwischt sich hier bereits reine Parthenogenese und geht in unbefleckte Empfängnis, etwas ganz anderes, über. Beiden Vorstellungen gemeinsam ist es nur, daß sie die Entstehung des Lebens nicht notwendig an einen körperlichen Geschlechtsakt binden. Während jedoch bei Parthenogenese das weibliche Prinzip alles allein zustande bringt, bleibt es bei unbefleckter Empfängnis passiv, »empfängt« eben nur, wenn auch nicht durch einen irdischen Mann, so durch einen Gott, durch Immaterielles, auf mystische oder sonst übernatürliche Weise. Darin liegt nicht notwendig betonte Hochachtung des Weiblichen, nur betonte Mißachtung des Sexuellen. So bedeutet der extremen Geistreligion des Christentums die Jungfrau nichts als in Reinheit harrende Schale, zur Hegung des Heilands bereit.

Die Ureinwohner Australiens – es sind die primitivsten, jetzt in voller Auflösung begriffenen Rassen der Erde – kennen überhaupt nur unbefleckte Empfängnis und nichts sonst. Wird doch für Naturvölker die Frau durch alles eher befruchtet als durch den Mann. Als Spencer und Gillen in ihrem berühmten Werk berichteten, daß diese australischen Buschneger, so nahe der Natur, inmitten einer sehr ungenierten Tierwelt, deren Paarungs- und Brutzeiten sie in ihrer regelmäßigen Abfolge immer wieder mit erleben, doch beim Menschen die notwendige Beziehung zwischen Geschlechtsakt und Fortpflanzung nicht kennen wollten, vielmehr unsre Kausalitätsreihe ablehnten, stieß diese Angabe vielfach auf Unglauben. Sie wurde aber bei Überprüfung immer wieder bestätigt.

Diese Urrassen sind, wenigstens in ihrem jetzigen Stadium, primitive Animisten, früher hatten sie eine hoch mythologische Phase, von Ahnengeistern umgeben. Am Boden, um Hölzer und Steine, wogen die unsichtbaren Schwärme, dringen mit Hilfe eines Sonnenstrahls, eines Windhauches, als aufgewirbelter Ahnenstaub auf dutzenderlei Weise in die Frau; tote Kinder werden daher mit Vorliebe an Kreuzwegen begraben, dort haben sie zur Wiederverkörperung bessere Gelegenheit, denn alles ist lauernder Seelen voll. Aus Erdnabeln, Höhlen mit einem Stein darauf, halten sie Lugaus nach leiblichen Müttern, um unversehens in sie zu schlüpfen. Junge Mädchen fliehen diese Orte oder vermummen sich, hinken, auf Stöcke gestützt, an ihnen vorbei, markieren Vergreisung, um verschont zu bleiben. Gleiche Sitte besteht bei den Huronen, Algonkin und einigen westafrikanischen Stämmen.

Der Mann dient höchstens als Eröffner, um dem Geist die Wege zu ebnen; mit der Erschaffung eines neuen Wesens hat er nicht das geringste zu tun, weil ja gar nichts Neues erschaffen wird. Das Ganze bleibt eine reine Wohnungsfrage, zu erledigen zwischen Geist und Frau, bei der sie das Fleischgefäß abgibt, in dessen Saft nie aufhörende Seelen sich nach einem ganz geregelten unterirdischen Kreislauf innerhalb des Totseins, das verschiedene Grade hat, wieder einbetten und zu Körpern austragen lassen. Kinder oder gar Säuglinge, die noch nicht voll gelebt haben, sind überhaupt nicht tief verstorben. Nach ganz flacher Todesbahn gleiten sie wieder nach oben. Ein australisches Weib tötet daher ihr Kleines so einfach, wie ein europäisches zu ihm sagt: »Geh weg, du störst mich jetzt.« Sie weiß, es kommt schon bald von selber wieder.

Keine Hochkultur ohne Reste dieses Animismus. »Durch Platos Erdschlund, dröhnend vor Geburt, steigen die Seelen auf und nieder, vom Leben kommend hinunter und wieder von drunten mit neuem Lebenslose, das sie gelost, herauf.« Da die Mehrzahl der Naturvölker Totemrassen sind, stammen für sie diese Seelen aus dem jeweiligen Totem, der großen Ahnenseele. Mit ihr sind sie nicht nur körperlich, sondern auf tief magische Weise verwandt. Der Totem selbst kann alles mögliche sein: Tier, Stein, Pflanze, Himmelsgegend, Windrichtung, Regen und Regenbogen, Sternschnuppe oder Stern. Den gleichen Totem haben bedeutet nicht nur stärkste äußere Bindung, sondern Gleichheit der Substanz. Etwas so Fundamentales, daß es seine Glieder untrennbar zu einem lebenden Block zusammenschließt und sie für alle Ewigkeit von andern Menschen scheidet. Es erscheint der Beachtung nicht unwert, daß der Ausdruck Totem: »ototeman« – er stammt von den Ojibways und umfaßt gleicherweise das Totemtier wie jedes Mitglied der ganzen Sippe – wörtlich übersetzt »Abstammung in der weiblichen Linie« heißt, und daß auch das Wort »ebussia« bei den Fanti der Goldküste sowohl das totemische Tier als die mütterliche Familie bedeutet. Der weibliche Herdtotem eines großen Mutterclans von Assam dürfte einer der ältesten überhaupt sein.

Animismus und unbefleckte Empfängnis gehören offenbar zusammen, sie kommen in ungezählten Abarten bei den meisten Völkern vor; jene aber, die durch ihre Rassenbeschaffenheit über ihn hinaus zu Mythenschöpfung und Hochkultur gelangt sind, haben an ihren Ursprung vorwiegend die Parthenogenese gesetzt, am kühnsten die Indo-Arier.

 

»Am Anfang war das Wort.« In der Vedischen Naturreligion ist dieses Schöpfungswort, aus dem die geistigen Urbilder aller Dinge, ihre platonischen Ideen, hervorgehen, die Göttin Vâc. Vâc heißt Sprache. Im Gegensatz zu den üblichen »feurigen Zungen«, durch die ein männlicher heiliger Geist sich zu ergießen pflegt, formt und erweckt hier die Muttermundhöhle allein das lebendige Wort, ohne daß eine Zunge als väterlicher Phallus dazu anschlüge. In einer Hymne sagt die Göttin von sich:

»Ich ging mit der Allmacht schwanger, ich wohne in den Wassern der Tiefe, breite mich aus von dort durch alle Geschöpfe und berühre den Himmel mit meiner Krone. Gleich einem Windhauch brause ich durch alle Kreatur, über die Himmel und über die Erde.«

Angefangen von den sublimen Grenzen metaphysischer Spekulation, durch alle Seelenschichten hin, bis zu den Praktiken der Hexen und Schamanen, in allen begabteren Rassen der fünf Erdteile und in allen lebensnahen Zeiten steht unerschütterlich das Axiom vom lebendigen Wort. Wortschöpfung ist gleich Weltschöpfung, Aufruf zur Gestalt, doch Bann und Beschwörung auch, somit der Urgrund der Nekromantik wie der Dichtung.

Das schöpferische Wort besitzen und damit alle Dinge bei ihrem wahren Namen nennen können, heißt auf ihre Urbilder wirken, sie leibhaftig hervor-rufen; es heißt die ungeheuerlichste Zaubermacht ausüben, im Guten wie im Bösen, heißt ein jegliches von innen heraus verwandeln, von der »natura naturans« her, im Gegensatz zur bloßen »natura naturata«.

Ihren rechten Namen nennen, heißt Götter und Dämonen sich untertan machen, heißt Tote herbeiziehen, wieder herein aus freier Aufgelöstheit, und alle Geschöpfe zwingen, ihrer innersten Wesenheit nach zu erscheinen.

»O wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß.« Name ist Substanz. Was keinen Namen hat, existiert auch noch nicht. Daher fragen die Yoruba Westafrikas durch den Priester an, welcher verstorbene Ahne beabsichtige, in dem Neugeborenen zu wohnen, damit es seinen Namen erhalte; erst vermittels des gleichen Namens werden Vorfahre und Nachfahre einander gleich.

Der Christ erhält durch die heilige Handlung der Taufe seinen Namen, Mönche und Nonnen beim Eintritt in den Orden ihren Geistnamen, Liebende auf der ganzen Welt nennen einander neu, und jedem Schriftsteller ist es unangenehm vertraut, daß keine Romanfigur glaubhaft zu leben beginnt, ehe er den einzig rechten Namen für sie nicht etwa er-funden, sondern ge-funden hat. Vorher ist überhaupt nichts mit ihr anzufangen, sie bleibt ödeste Konstruktion, strahlt nicht, wirkt nicht, und triebe sie es noch so wahr.

Spricht die Physik von »Massepunkt«, »Elektronen«, »Quanten«, so ist auch das Beschwörung und Bann. »Vom Namenszauber der Wilden bis zur modernen Naturwissenschaft, welche die Dinge unterwirft, bannt, indem sie Namen, nämlich Fachausdrücke, für sie prägt, hat sich der Form nach nichts geändert.« (Spengler.)

Wer umgekehrt den Namen auslöscht, löscht das Geschöpf mit aus. Bei vielen Naturvölkern besitzt jeder zwei Namen, einen scheinbaren und den wirklichen, von dem, um Mißbrauch zu verhüten, außer der engsten Familie niemand wissen darf, denn würde dieser lebendige Name in sterbliche Materie eingeritzt, etwa in ein Blatt, dann beschworen und unter bestimmten Riten von einem Übelwollenden begraben, so schwände mit der mählig schwindenden Schrift der Träger zugleich dahin. Jeder Indianer glaubt, daß, was dem Namen geschieht, ihm selbst widerfahre. Ist ein Kaffernkind diebisch veranlagt, so wird sein Name wiederholt in den Dampf reinigender Zauberkräuter hineingesprochen; das ahnungslose Kind – es darf von der Prozedur nichts erfahren – gilt dann als restlos von seinem Fehler befreit. Einem irischen Barden wieder mißlang die Totfluchung eines Königs von Ulster, weil sich dessen Name nach keinem bekannten Versmaß richtig skandieren ließ. Metrum ist bannendes Schema, in das erst einmal verspannt, der Name zur magischen Weiterbehandlung parat liegt. Isländische Skalden waren deshalb strengen Gesetzen unterworfen, verfügten sie doch durch die Sprache über jene ungemeine Macht, Urworte und damit neue Verknüpfungsarten im kosmischen Kraftnetz zu bilden. In Sumatra führen die Priesterinnen den Ehrentitel »sihoro« = Wort. Auch die Kabbala nennt ja Magie treiben durch zielgerichtete Worte und Begriffe auf Ideen wirken.

Jenes erste unergründliche Wort aber, das die ewigen Ideen selbst hervorruft, ist in der indo-arischen Naturreligion die Göttin Vâc. Darum auch sie »im tiefsten, allertiefsten Grund umschwebt von Bildern aller Kreatur«.

Als ihm in solchem Sinn das Urwort »Mütter« aufging, sagt Goethe zu Eckermann, habe er sich eines seltsamen Schauders nicht erwehren können.

Die schwarz-weißen Eimütter

Die ältesten, ehrwürdigsten Gottheiten, vor denen alle oberen Götter sich beugen, sind ursprünglich alles Erdmütter, die den Schicksalsfaden der ganzen Welt spinnen und das tiefe Geheimnis in den Mysterien bewahren

C. A. Bernoulli

 

Die Religion ist der Ort, wo ein Volk sich die Definition dessen gibt, was es für das Wahre hält.

Hegel

 

Die weiße Mutter

Wer durch allerhand oberes, heiter-seichtes, aufgeklärt-rühriges Göttergetriebe, durch dieses ganze Symposion von »Rayonchefs« hindurchstößt ins dunkle Reich, trifft bei diesem Schichtenwechsel in tieferem, mächtigerem, beseelterem Zeitkreis auf eine einzige große Göttin, die bis zum Mond reicht. Aus ihr geht die Himmelssippe dann hervor.

Diese Ur-Aphrodite hat viele Namen. Rhea, Neith, Demeter, Ischtar, Shing-Moo, Kybele, Agdistis, Bona Dea, Ana Perennia, Cailleach Bhiarach, Fir Dea, Bu-Anu, Anaitis, Bellona, Astarte, Harmonia, Unakuagsak, Tetevinan sind einige wenige davon.

Die ackerbautreibenden Ureinwohner Indiens, die Dravidas, lallen sie einfach als Ma, Mata = Mutter an oder als schwarze, Finsternis triefende Erde = Homo (humus). Das Infantilwort für Mutterbrust wiederholt sich im Anlaut durch die verschiedensten Sprachen, so daß die Mütter Jesu und Buddhas Maria und Maja heißen. Die Ackerbau hassenden und verachtenden Arier, Semiten, Zentralasiaten, verehren sie als Himmelsei, Weibgestirn – Mond. Aus ihrer verträumten Brust fließt es so silbrig und weich in die nächtlich atmenden Pflanzen, quillt über aus ihnen, wird nicht selten zum heiligen Rauschtrank und Lebenswahn. Auch der indische Soma ist ein Mondwein, im nächtlich uterinen Licht gewachsen, wie der Misteltrank der Kelten. Die »große Mutter« der Eskimo, Sedna oder Unakuagsak, wirkt ebenfalls als kosmische Mondkraft, gleich jener von Neuseeland und Brasilien. »Ebbe und Flut, Wachsen und Schwinden, Auflösung des Fleisches, Gärung und Verwandlung der Weine, Phosphoreszenz, Fäulnis der Hölzer, Eibrut, leichte Geburt treiben unter ihr.«

Als Isis gleitet sie auf himmlischer Barke, der Mondsichel, durch das obere Fruchtwasser, fährt als große Nordgöttin auf den Wagen der Nomaden einher oder in einem Schiff, auf Speichenrädern rollend und von Webern gezogen, sie selbst die große Weberin. Das über Land fahrende Schiff, ein ins Rollen gekommenes, in Bewegung geratenes Ei, herausgehoben aus träumenden Gewässern, dieses Sinnbild begleitet uralten Mutterkult aus babylonischer, indischer, ägyptischer, altnordischer Frühe durch das ganze Mittelalter bis in unseren Karneval hinein. Der Fastnachtskarren ist es, das »Narrenschiff«, umtanzt von orgiastischen Schwärmen. Tacitus sah eine suebische Göttin in Gestalt eines rollenden Schiffes verehrt, und die Göttin Nerthus auf ihrem Schiffswagen, den bunte Gewebe schmückten, milchweiße Kühe zogen, begleiteten sieben deutsche Stämme auf der kultischen Fahrt.

In Irland ist der große Mutterkult ein Hain- und Mondkult. Ihr Rauschtrank, »klebrig wie Libido«, quillt aus der glasigen Mistel, die zu bestimmten Mondphasen mit silberner Sichel von druidischen Priesterinnen oder Priestern in Frauengewändern geschnitten wird. Ihr zu Ehren ist das Jahr bei allen keltischen Stämmen ein Mondjahr und wird nach Nächten, nicht nach Tagen gezählt. Die Dea Syria fällt aus ihrem eignen Mondei vom Himmel in den Euphrat, wird von Fischen ans Land gerollt, von Tauben bebrütet. Die arabische große Mutter heißt Al-Uzza. Ihr Heiligtum, die Kaaba, wurde in vorislamitischen Zeiten in Mekka von Priesterinnen gehütet, sie selbst verehrt in Gestalt eines schwarzen Steines (Mondei).

Die große Mutter von Mexiko heißt als Ahnfrau Tonantzin, als Erdbebenmutter Thalli-Yjolta = »schlagendes Herz der Erde«, als Maismutter Centeotl. Wie die antiken Mysterieneier, wie die Erinnyen, die indische Aphrodite, wie alles Chthonische, der Erdtiefe Verhaftete ist auch sie schwarz-weiß. Oben weiß, vom Mund ab schwarz. In ihrem Tempel wurde sie verehrt unter der Form eines hockenden grünen Riesenfrosches, geschliffen aus einem einzigen, ungeheuren Smaragd, des Totemtieres der Sumpfzeugung. Die Karaiben sagen bei Erdbeben: Die große Mutter tanzt. Immer und überall erscheint sie in doppelter Gestalt, als Erde und Mond; diese bilden ein geschlossenes Bezugssystem vorwiegend weiblicher Natur, bei dem der Mond das seelische, die Erde das stoffliche Teil vertritt. Der Körper ist ja Seelenform. »Im Mond lösen sich die Seelen auf wie die Körper in der Erde.«

Ischtar, die große Mutter von Babylon, ist alles zugleich. Als ruhender Uterus = Erde, um den sich der ganze Kosmos dreht, hat sie den Tierkreis zum Gürtel, ist auch Morgen- und Abendstern, Schöpferin aller Dinge, große Jägerin, Herrin der Schlachten, Himmels- und Erdkönigin, Sternenkönigin, gehörnte Mondgöttin, Mutter der Götter und Menschen, und wurde fast monotheistisch verehrt. Die babylonischen und sumerischen Königinnen galten als Stellvertreterinnen der Ischtar, die babylonischen Könige als Gatten der Himmelskönigin. Ursprünglich sind die großen Lebensmütter alle Mondfrauen; wo der Ackerbau überwiegt, werden sie einschränkend geschaut unter dem Bild der Ernte spendenden »Mutter Erde«. Primär aber sind sie eben das lebendige Schicksal selbst. Ihre Verehrung ist daher nicht ausschließlich weder an den regelmäßig besamten Ackerboden, noch an den mütterlichen Urschlamm gebunden, vielmehr an das weibliche Ei, mit dem alle Mondfrauen verbunden sind. Auch in Erdgestalt tragen sie die Mondinsignien als heilige Jungfrauen auf der Mondsichel, denn Jungfrauen bleiben sie alle, was gattenlos heißt, nicht keusch. Was ihnen als Priester dient, muß weibliche Mimikri treiben. Die Priester der Ischtar, der Dea Syria, der Diana von Ephesus, die Mondpriester Afrikas und Kleinasiens sind Eunuchen, jene der großen Mutter von Mexiko Greise. Religion üben ist auf der Urmutterstufe eben ein ausschließlich weibliches Amt, wie Zauber, Weissagung, Seherschaft, Lenkung der Naturkräfte, Magie. Soll ein Mann daran teilhaben, dann nur nach Ablegung seines eigenen und symbolischer Anlegung des anderen Geschlechts oder in androgyner Gestalt.

Überall ist die große Herrin fertig da, ein von Anfang an Gegebenes. Männliche Gottheiten dagegen haben eine Kindheit, brechen aus ihrem dunkeln Verschluß als Unmündige ans Licht, wie in der niedern Natur die jungen Männchen aus dem erwachsenen Muttertier parthenogenetisch hervorschlüpfen. Die halbe Götterwelt Kleinasiens zeigt diese Bildung: zeitlose Mutter, kindlicher Sohn; am reinsten aber zeigt Kreta sie. Dort hat die minoische Kultur, eine der originellsten und raffiniertesten der Welt, in den 1500 Jahren ihrer Blüte keinen einzigen selbständigen Gott gehabt, nur eine »große Mutter«. Auf manchen Gemmen und Siegelringen aus dem dritten Jahrtausend v. Chr. ist ihr lediglich etwas wie ein zwergisches Nebengeschöpf gesellt – Sohn und Gatte zugleich –, das Ganze nicht unähnlich einer Termitenkönigin und ihrem winzigen Prinzgemahl.

Auch für das hellenische Gefühl bleibt diese »große Mutter« als Rhea die einzige erwachsene Gottheit der Insel, begleitet nur von idäischen Daktylen: Fingerlingen, Däumlingen, kleinen Phalli. Es hängt noch gar kein Mann an ihnen. Vorerst sind sie nur als männliches Prinzip geboren, ohne Persönlichkeit, das nackte, spannenlange Prinzip, sonst nichts. Lange, nachdem oben die Welt voll entfalteter Götter steht, rumort es noch in Form von Gnomen, Erdmännchen, Heldenzwergen, dämonischen Schmieden, beklopft, gedämpft im dunklen Erdschoß hämmernd, am schwelenden Innenfeuer den Stoff. Dort, tief unten, bringen die Daktylen der großen Mutter das Schmieden bei. Sogar die goldne, so gar nicht erdmütterliche Aphrodite droben im linden Licht hat so einen unansehnlichen, verkrüppelten Feuerschmied, den hinkenden Hephaistos, zum unterirdischen Mann, während sie sich oben das vollentwickelte Exemplar Mars zum Geliebten nimmt. Noch heute hämmert ein Schmied in Gretna-Green eilige Paare zusammen; diesem Handwerk bleibt immer ein männlich dämonisches Wesen verhaftet, ein niedrig feuriges Zaubergetue, das eigene Bünde und Kasten bildet. Auch in den Mutterrechtszentren von Afrika mit weiblichen Häuptlingen, weiblichen Kriegern schmiedet nie eine Frau, denn das ist Männerwerk.

Langsam vollendet sich der Machtwandel der Götter. Erst tritt Männliches nur »im Gefolge der großen Mütter« auf, wird später zu Sturm- und Mondherrn, denn wie aus der Erde die Daktylen, so tritt auch aus dem weiblichen Mondstoff ein männlicher Gott hervor. Das alles folgt, erst halb entfaltet, der großen Göttin als wilder, dienender Schwarm. Sogar Dionysos, der »phallische Herr«, Berauscher der Frauen in Frauengewändern und hermaphroditisch gebildet, ist nichts als der Oberste ihres Gefolges, wie die Daktylen die Untersten sind.

Mondgötter bleiben ohne Selbstzweck, von unsublimierter Männlichkeit, nur bestimmt, dem Weiblichen zu dienen. Auch Odin war ursprünglich Mond- und Windgott, in wartender Lufthöhle die stürmische Geißelzelle des Aufruhrs. Das erklärt, warum er – selbst bei Wagner noch – stets in einer Graupelbö daherkommt, während der Naive doch vermeinen sollte, sei einer schon ein Gott, so läge es nahe für ihn, vorerst doch sich selber erfreuliches Wetter zu machen.

Stets und überall wird der »großen Mutter« freiwillig gedient, in Scheu, Rausch, Dankbarkeit, Ehrfurcht, Ekstase, als dem Urquell jeder Kreatur. Aus ihr schäumt Reichtum, Liebe, Glück, Gut; alle orgiastischen Rauschfeste gehen auf Erdfrauen und Ur-Aphroditen zurück, die Mysterien wie der Karneval. Ernste Ordnerin ist sie und Lustprinzip zugleich. Und da sie aus ihrer Fülle ohne Ende jedem ihrer Kinder das Seine spendet, ist sie das Naturrecht und die Gerechtigkeit. Wer aber sie verletzt in irgendeiner Form, verletzt in ihr zugleich sich selbst, frevelt gegen die Schöpfung und muß unweigerlich zugrunde gehen. Demeter, Themis, Dike, Poine, Nemesis, Erinnys, Justitia sind Trägerinnen uralter Erdordnung, nie völlig verdrängt vom späteren männlichen Recht. Fällt auch Osiris als Totenrichter den Spruch, eine Göttin mit niemals irrender Waage wägt ihm die Herzen vor. Männliches jus civile braucht Rechtssuchung und Rechtsfindung, weibliches jus naturale ist selbst das Recht, spendet es aus sich, und gegen dieses Urteil gibt es keine Appellation.

Hundertnamige, Einzige, weiße Mutter, unbegreifliche Geberin, allen gibt sie Nahrung – auch dem Tod.

Die schwarze Mutter

Die Zeit schleppt Tag für Tag durch mich hindurch, reißt ab wie ein Bandwurm, dessen Kopf wo anders in einem andern Opfer wieder Leiden und Glieder zieht.

 

Die große Mutter wird mir zu schlafen geben schwarze Milch.

Paul Claudel

 

»Der Bauch knickt ein, die Darmschlingen treten in seinen Kontur, das letzte Gefühl flüchtet sich in den Nabel, will auch da hinaus, zurück in den Leib der Mutter. Der Weg ist abgeschnitten – grauenhaft, der Weg ist abgeschnitten – der andre ist der Tod!« (H. H. Shann.)

Ja, Futter macht sie für die alles verzehrende Zeit, sonst nichts. Aus holder Geborgenheit, tiefer als Traum, treibt sie die wehrlosen Geburten aus in das »Nicht Umkehrbare«, die Kette aus lauter »nie wieder« »und viel zu grauenhaft, als daß man klage«, denn ein Geborenes sein, es heißt: herausgezerrt werden aus einem kleinen Kind und eingesperrt in einen eklen Alten, fortgeschleift werden an Haaren und Nerven in eine Richtung, ohne Verweilen, ohne Gnade, wo Glück und Dauer einander ausschließen und jeder noch so heiße Sieg in kalter Niederlage – dem sich zum Sterben Niederlegen – endet.

Das bedeutet der großen Mutter schwarz-weißes Gesicht, in Persien und im Iran der schwarz-weiße Mond, das bedeutet der Geier auf dem Haupt der Neith, der niederstößt, das Weltaas zu vertilgen, alles, was da über seine Zeit schon west, damit es nicht zu lange verweile. »Große Mutter« ist nicht nur Aphrodite und Demeter, bona Dea, Fortuna, Abundantia, die Liebe und Nahrung spenden, auch als kinderfressende Mara erscheint sie, als Lamia, scheußliche Kali, fischäugige Durga, schwarze Humus, Hekate, als mit den Todeshündinnen hetzende Diana, die böse Jägerin, wenn sie ihr Jünglingsopfer jagt, pfeilt, zur Strecke bringt, als Empusa, die, ein Angstgespenst, das eine Bein aus Erz, das andre aus Eselsmist, in einer Blutblase einhertreibt. Sie ist das Drachenhaus aller Pubertätsriten, die böse Ahnfrau Hine-nui-te-po Neuseelands; ewig ausspeiender und wieder einsaugender Muttermund.

Doch Mater dolorosa zugleich. Unsterbliche Mutter des sterblichen Sohnes. Von Thrakien bis nach Samarkand, von Indien bis zum Nil ist die Welt voll klagender großer Mütter, mag der tote Sohn Tammuz, Attis, Adonis, Dionysos, Iasion, Ruadan, Christus heißen; alle edlen Harze, Weihrauch, Bernstein gelten für Tränen der Erdgöttinnen um ihr sterbliches Kind. Das von ihr Hervorgebrachte, die Schöpfung, wird meist symbolisiert durch den Baum. In Bengalen wird der »Sohn« in Gestalt eines Opferbäumchens, mit Blumen, Früchten und brennenden Lichtern wie ein Christbaum geschmückt, von Jünglingen in den Fluß getragen, dort tanzt er fort, weggerissen vom Strom, um irgendwo unterzugehen. Attis wieder wird in Gestalt einer veilchenumkränzten Pinie verehrt. Bei den Sumerern vor 6000 Jahren hieß der »wahre Sohn« Damuzi, Wanderer, »guter Hirte«, Sohngeliebter der Ischtar; auch er ertrinkt, von der schwarzen Mutter in die Unterwelt geraubt, während ihr weißes Gesicht oben in Tränen schwimmt. Wo die Söhne später als junge Korngötter erscheinen, folgt dem Tod ein Auferstehungsfest; und erst in viel späterer griechischer Zeit, als das Inzestverbot in Geltung stand, deutete man ihren Untergang in »Strafe« für die Liebe zur Mutter um. Als Anaitis zu Ninive aber reißt diese – Lebens- und Todesmutter zugleich – den Sohn in einer einzigen riesigen Feuerorgie wieder in sich hinein. Jedes Jahr wurde ihr der schönste Jüngling ausgewählt, »eine üppig blühende Gestalt von halb weiblichen Formen, das weiße Antlitz mit Psimythion, Augenbrauen und Wimpern mit Stimmi bemalt, mit goldenen Ketten, Ringen und Ohrgehenken reich geschmückt, in einem hellroten, durchscheinenden Gewand, Becher und Doppelbeil in den Händen – – – von Weibern umgeben, unter purpurnem Baldachin, mit untergeschlagenen Beinen sitzend, so stellt man ihn dem Volk zur Schau«. Nach einem Tag und einer Nacht orgiastischen Aufrausches »wiederum mochte es eine andere Schau geben, wo dieser Herrliche – – – auf einem ungeheuren Rogus aus köstlichen Hölzern, mit golddurchwirkten Teppichen bedeckt und allerlei Räucherwerk und Aromen reich beladen, zu sehen war, der unter dem Geheul einer unermeßlichen Menge und dem Schariwari einer gellenden, betäubenden Musik angesteckt, eine ungeheure Feuersäule zum Himmel wirbelte und mit Rauch und Duft das halbe Ninive überströmte«. (O. K. Müller.)

Das Problem der Unsterblichkeit besteht nun für den Sohn offenbar darin, wie früher durch die »weiße«, so jetzt durch die »schwarze« Mutter hindurchgeboren zu werden; dann ist sie nichts für ihn gewesen als eine dunkelweiche Pforte ewiger Wiederkehr. »Du Erde warst auch diese Nacht beständig.« Die polynesischen Mauimythen in ihren vielen Varianten handeln von nichts anderem als diesem »zweimal durch die Mutter gehen«. (Jung.) Dort ist des Helden mütterliche Feindin die böse Ahnfrau Hine-nui-te-po. Um sie von innen her zu vernichten, kriecht er mutig in sie hinein, mahnt aber vorher »die kleinen Vögel«: seine hilfreichen Wunschgedanken, sie möchten jetzt nur ja nicht lachen, käme er erst glücklich wieder heraus, dann wäre es Zeit, zu jubeln. Doch »die kleinen Vögel« lachen zu früh und zu laut, die »böse Alte« erwacht, schnappt zu – aus ihren Maulecken rechts und links fallen Mauis Beine, die Wiedergeburt mißlingt. In Mystik, Religion, Philosophie, Mythos, Märchen – immer das gleiche Motiv: der schwarz-weißen Mutter doppelter Aspekt. In den Mythen der Eskimo, bei den nordamerikanischen Indianern, in Mexiko, in der Sahara, am Kongo, überall, für alle Rassen ist der Tod durch die Frau in die Welt gekommen; sie alle wissen nicht, wieso, aber sie wissen es aus »Natursichtigkeit«.

Trotzdem: ist sie denn böse, die große Endgültige? Und nicht des Geborenen eigenste Sehnsucht auch? »Die Sehnsucht hin zur heiligen Nacht.« Aus der zermarternden Hatz des immer wachen »Weiter« endlich wegsinken dürfen ins tiefe »Zurück«, in die traumlose Ruhe des Nicht-mehr-Seins. So tauschen für den Abgekämpften, zu Tode Erschöpften »schwarze« und »weiße« Mütter sich wieder wunderlich aus. Die »Gute« war so »böse«, die »Böse« wird so »gut«.

Demetrier hießen die Toten: der Demeter Gehörige, und hockend in der Embryonallage, wurden sie der Erde in den Schoß gelegt; »den Neugebornen gleich, ziehen sie die Schenkel wieder heran an den Bauch und betten sich zurück in den mütterlichen Grund«. Zur Vereinigung mit der großen Erdseele kehren ihre Seelen heim.

Die große Weberin

Alle Muttergottheiten spinnen und weben. In verborgener Werkstatt verwachsen sie Adern, Fasern und Nervenstränge zum Wundergeflecht des lebendigen Leibes. Aus ihnen kommt alles, was ist: aus Entstehen und Vergehen, den »rhythmisch auftauchenden und wieder verschwindenden Fäden«, wirken sie die Wandeltapisserie der Welt. Maja, die Dea Syria, die von Sais weben sie zum Schleier der Illusion, Harmonia zum bestirnten Himmel, und Arachne verspinnt alle Liebesverschlingungen der Götter und Menschen in ihr Netz.

Wenn die dunkle Wirkerin ihr Gewebe auch verkündet, wird sie dreigestaltet in die Zeit projiziert, als Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft; Nornen, Parzen, Moiren nennt man sie dann. Charitinnen, wenn sie nur Holdes, Erinnyen, wenn sie nur Übles weben. Ilithia, die Geburtshelferin, wird auch »gute Weberin« genannt, und Weber ziehen den Wagen der wandernden Nordgöttin in Schiffsgestalt. Alles Verknoten, Verschlingen, Verflechten, Verspinnen gehört der weiblichen Naturseite an, doch auch die Umgarnung mit dem Zaubergewirk, dem giftigen Nessushemd, auch die Wiederauflösung des Geflochtenen ist ihr Werk. Bei Nacht muß sie zertrennen, was sie bei Tag gewirkt, »damit ewige Frische dem Gespinst erhalten bleibe, die nur möglich wird durch ewigen Tod«. Gewandweberei war bei allen Kulturvölkern und ist noch heute bei Primitiven eine kultische Handlung, ein von Frauen gehütetes Geheimnis und besonderen Priesterinnen anvertraut, jedenfalls weibliche Erfindung und eine Art Organprojektion, denn die Kteis, der weibliche Kamm, gleicht dem Webekamm, dessen Zähne die einzelnen Fäden trennen. Dieser Kamm ist überall Gegenstand religiöser Verehrung und Ursymbol der Frau. So tragen ihn persische und türkische Gebetsteppiche auf der »Ostseite«, wo die guten Wünsche stehen, eingewebt als Ornament; so viele Frauen der Geber des Teppichs dem Empfänger wünscht, so viele Kämme wiederholt das Muster.

Zur Weberei der Erdmütter in Beziehung steht überhaupt jedes Geflochtene, Siegerhemden wie Totenhemden. Schwarz-weiße Binden umwickeln den Verstorbenen als Nabelschnüre ins Jenseits, auf daß der Schicksalsfaden nicht abreiße und etwas da sei, was die große Weberin ergreifen und weiterspinnen könne. Und wer in die Eleusinischen Mysterien der Demeter eingeweiht war, trug wiederum den heiligen Faden um Hand und Fußgelenk, sichtbares Zeichen jener Unsterblichkeit, die ihm dort durch Schauung zuteil geworden war. Immer sind der Frau auch die geheimen Künste der Verknüpfung zugehörig, wie sie fast jedes Volk als imitative Magie gegen Krankheit und jegliche Unbill in irgendeiner Form noch heute übt. (Am häufigsten gegen Warzen.) Die Wirkung liegt im Schürzen und Aufhalten des rinnenden Fadens; das Schicksal wird eben an bedenklichen Stellen in der Zeit abgeschnürt, gestaut, gewendet, zu- oder weggedreht. Sogar der rationale Zivilisationsmensch von heute trägt, ohne es zu wissen, noch als Tänie, Amulett, Schutzknoten gegen Halsübel: die Krawatte, denn das war ursprünglich ihr Sinn. Übrigens hängt auch für die moderne Graphologie gerade alles, was Schlinge an den Buchstaben ist, mit dem Geschlechtlich-Schicksalhaften am Charakter zusammen; an diesen Knüpfungsstellen zeigt sich eben, wie der Schreiber im tiefsten, allertiefsten Grund mit der großen Weberin steht.

Aus weiblicher Tiefe kommt alles Wissen um das Geschick, von den Oberen kennt es keiner; wer es erfragen will, muß hinunter zu ihr, hierauf gründet sich das »Mysterienprinzipat der Frau«. »Zeusmysterien« hat es nie gegeben, von den weiblichen Eleusinien aber schrieb Adesius dem Kaiser Julian: Wenn du einst an den Mysterien teilnimmst, so wirst du dich schämen, überhaupt nur als Mensch geboren zu sein. Und in einem Pindarschen Fragment heißt es von ihnen:

»Glückselig, wer jene Kommunion
unter der Erde geschaut hat.
Er weiß um das Ende des Lebens,
er weiß um den gottgegebenen Anfang.«

Überall, wo die Erde sich weiblich zum Kamm spaltet, brechen Orakel hervor. Aus ihm wachsen dann in Athen, Delphi, Sparta, Dodona die jungen Tempel der oberen profanen Götter heraus. Auch der Areopag stand über der »heiligen Schlucht« der Erinnyen; wer freigesprochen wurde, opferte dort den »Ehrwürdigen«, denn sie klagen ihn an, sie geben ihn frei. Sogar Delphi, die Hochburg des männlichen Geistgottes, ist um den uralten Nabelstein der Erdmutter Gäa errichtet. Im Nabel selbst, einem Kuppelgewölbe inmitten des Apollotempels, liegt Gäas Sohn, der Erdgeist Python, begraben, und über die Dämpfe des weiblichen Abgrunds, die Kteis, gebeugt, weissagt Pythia: eine Frau. Dieses Orakel im Haus des Sonnengottes war, wie ein delphischer Priester dem Plutarch mitteilte, nur bei Nacht und Mondschein inspiriert. Auch die Moiren hatten hier ihren Schrein, hießen »die Drei«. Ananke aber wird »Herrin der Götter und Menschen« genannt.


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