Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Zwanzigstes Capitel.

Secundäre Sexualcharaktere des Menschen (Fortsetzung)

Über die Wirkungen der fortgesetzten Wahl von Frauen nach einem verschiedenen Maßstabe der Schönheit in jeder Rasse. – Über die Ursachen, welche die geschlechtliche Zuchtwahl bei civilisierten und wilden Rassen stören. – Der geschlechtlichen Zuchtwahl günstige Bedingungen in Urzeiten. – Über die Art der Wirkung der geschlechtlichen Zuchtwahl beim Menschengeschlecht. – Über den Umstand, daß die Frauen wilder Stämme in etwas die Fähigkeit haben, sich Gatten zu wählen. – Fehlen des Haars am Körper und Entwicklung des Bartes. – Farbe der Haut. – Zusammenfassung.

Wir haben im letzten Capitel gesehen, daß bei allen barbarischen Rassen Zierathen, Kleidung und äußere Erscheinung in hohem Werthe stehen und daß die Männer über die Schönheit ihrer Frauen nach sehr verschiedenen Maßstäben urtheilen. Wir müssen nun zunächst untersuchen, ob dieses Vorziehen und die darauf folgende Wahl derjenigen Frauen, welche den Männern einer jeden Rasse als die anziehendsten erschienen, während vieler Generationen, entweder den Charakter allein der Frauen oder beider Geschlechter verändert haben. Bei Säugethieren scheint die allgemeine Regel die zu sein, daß Charaktere aller Arten gleichmäßig von den Männchen und Weibchen geerbt werden; wir können daher erwarten, daß beim Menschen alle durch geschlechtliche Zuchtwahl von den Frauen oder von den Männern erlangten Charaktere gewöhnlich den Nachkommen beiderlei Geschlechts werden überliefert werden. Wenn irgend eine Veränderung hierdurch bewirkt worden ist, so ist es beinahe gewiß, daß die verschiedenen Rassen verschieden modificiert sein werden, da jede ihren eigenen Maßstab der Schönheit hat.

Bei Menschen, besonders bei Wilden, stören viele Ursachen die Thätigkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl, soweit der Körperbau in Betracht kommt. Civilisierte Männer werden in hohem Grade durch die geistigen Reize der Frauen angezogen, ebenso durch ihren Wohlstand und besonders durch ihre sociale Stellung; denn die Männer heirathen selten in einen viel tieferen Lebensrang. Die Männer, welche im Gewinnen der schöneren Frauen erfolgreich sind, werden keine größere Wahrscheinlichkeit für sich haben, eine längere Descendenzreihe zu hinterlassen als Männer mit einfacheren Weibern, ausgenommen die wenigen, welche ihr Vermögen nach den Gesetzen der Primogenitur vererben. In Bezug auf die entgegengesetzte Form der Auswahl, nämlich die Wahl anziehender Männer durch die Frauen, wird, obschon bei civilisierten Nationen die Frauen eine freie oder beinahe freie Wahl haben, was bei barbarischen Rassen nicht der Fall ist, doch deren Wahl in hohem Grade durch die sociale Stellung und den Wohlstand der Männer beeinflußt; und der Erfolg der letzteren im Leben hängt zum großen Theile von ihren intellectuellen Kräften und ihrer Energie oder von den Resultaten dieser selben Kräfte bei ihren Vorfahren ab. Es bedarf keiner Entschuldigung, wenn dieser Gegenstand etwas ausführlich behandelt wird; denn wie der Philosoph Schopenhauer bemerkt: »das endliche Ziel aller Liebesintriguen, mögen sie komisch oder tragisch sein, ist wirklich von größerer Bedeutung als alle übrigen Zwecke im menschlichen Leben. Um was sich hier Alles dreht, ist nichts Geringeres als die Beschaffenheit der nächsten Generation. . . . . Es ist nicht das Wohl und Wehe jedes einzelnen Individuums, sondern das der künftigen Menschenrasse, welches hier auf dem Spiele steht«.»Schopenhauer and Darwinism«, in: Journal of Anthropology, Jan. 1871, p. 323.

Es ist indessen Grund vorhanden zu glauben, daß geschlechtliche Zuchtwahl bei gewissen civilisierten oder halbcivilisierten Nationen doch eine Wirkung auf die Modification des Körperbaues einiger ihrer Glieder geäußert hat. Viele Personen sind, und wie mir's scheint, mit Recht, davon überzeugt, daß die Glieder unserer Aristokratie, wobei ich unter diesem Ausdrucke alle wohlhabenden Familien mit umfasse, in welchen Primogenitur seit lange geherrscht hat, – weil sie viele Generationen hindurch aus allen Classen die schöneren Mädchen sich zu ihren Frauen erwählt haben, – dem europäischen Maßstabe von Schönheit zufolge schöner geworden sind als die mittleren Classen; doch sind die mittleren Classen in Bezug auf vollkommene Entwicklung des Körpers unter gleich günstigen Bedingungen. Cook bemerkt, daß die Superiorität in der persönlichen Erscheinung, »welche auf allen übrigen Inseln (des Stillen Oceans) bei den Erees oder Adeligen zu beobachten ist, auf den Sandwich-Inseln allgemein gefunden wird«. Dies mag aber hauptsächlich Folge ihrer besseren Ernährung und Lebensweise sein.

Bei der Beschreibung der Perser sagt der alte Reisende Chardin: »ihr Blut ist jetzt durch häufige Vermischung mit den Georgiern und Circassiern, welche beide Nationen in Bezug auf persönliche Schönheit die ganze Welt übertreffen, im hohen Grade veredelt. Es ist kaum ein Mann von Rang in Persien, welcher nicht von einer georgischen oder circassischen Mutter geboren wäre«. Er fügt hinzu, daß sie ihre Schönheit erben, »indeß nicht von ihren Vorfahren, denn ohne die erwähnte Vermischung würden die Leute von Rang in Persien, welche Nachkommen der Tartaren sind, äußerst häßlich sein«.Diese Citate sind aus Lawrence, Lectures on Physiology etc., 1822, p. 393, entnommen, welcher die Schönheit der höheren Classen in England dem Umstande zuschreibt, daß die Männer lange Zeit hindurch die schöneren Frauen erwählt haben. Das Folgende ist ein noch merkwürdigerer Fall. Die Priesterinnen, welche den Tempel der Venus Erycina in San-Giuliano in Sicilien bedienten, wurden um ihrer Schönheit willen aus ganz Griechenland ausgewählt. Sie waren keine vestalischen Jungfrauen, und Quatrefages,»Anthropologie«, in: Revue des Cours scientifiques. Oct. 1868, p. 721. welcher die vorstehende Thatsache anführt, bemerkt, daß die Frauen von San-Giuliano noch heutigen Tages als die schönsten auf der Insel berühmt sind und von Künstlern als Modelle gesucht werden. Offenbar sind die Beweise in den eben erwähnten Fällen aber zweifelhaft.

Obgleich sich der folgende Fall auf Wilde bezieht, so ist er doch, seiner Merkwürdigkeit wegen, der Erwähnung werth. Mr. Winwood Reade theilt mir mit, daß die Jollofs, ein Negerstamm an der Westküste von Afrika, »wegen ihrer gleichförmig schönen Erscheinung merkwürdig sind«. Einer seiner Freunde fragte einen dieser Leute: »Woher kommt es, daß ein Jeder, dem ich hier begegne, so schön aussieht, nicht bloß Eure Männer, sondern auch Eure Frauen?« Der Jollof antwortete: »Das ist sehr leicht zu erklären: es ist stets unser Gebrauch gewesen, unsere schlecht aussehenden Sclaven auszusuchen und zu verkaufen«. Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß bei allen Wilden weibliche Sclaven als Concubinen dienen. Daß dieser Neger, mag er es mit Recht oder mit Unrecht gethan haben, das schöne Aussehen des Stammes der lange fortgesetzten Beseitigung der häßlichen Frauen zugeschrieben haben sollte, ist nicht so überraschend, als es auf den ersten Blick aussehen dürfte; denn ich habe an einer anderen Stelle gezeigt,Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. II, p. 236. daß Neger die Bedeutung der Zuchtwahl bei der Zucht der domesticierten Thiere vollkommen würdigen, und ich könnte nach Mr. Reade weitere Belege für diesen Punkt anführen.

 
Über die Ursachen, welche die Wirkung geschlechtlicher Zuchtwahl bei Wilden hindern oder hemmen. – Die hauptsächlichsten Ursachen sind: erstens, sogenannte communale Ehen oder allgemeine Vermischung; zweitens die Folgen des weiblichen Kindesmordes; drittens frühe Verlobungen; und endlich die niedrige Schätzung, in welcher die Frauen gehalten werden, nämlich als bloße Sclaven. Diese vier Punkte müssen mit einiger Ausführlichkeit betrachtet werden.

So lange das Paaren des Menschen oder irgend eines anderen Thieres dem Zufalle überlassen ist, ohne daß von einem der Geschlechter eine Wahl ausgeübt wird, kann offenbar keine geschlechtliche Zuchtwahl vorkommen; und es wird auf die Nachkommen keine Wirkung dadurch hervorgebracht werden, daß gewisse Individuen über andere bei ihrer Bewerbung einen Vortheil haben. Nun wird behauptet, daß heutigen Tages noch Stämme existieren, bei welchen das besteht, was Sir J. Lubbock aus Höflichkeit communale Ehen nennt, d. h. alle Männer und Frauen in dem Stamme sind Ehegatten unter einander. Die Ausschweifung vieler Wilden ist ohne Zweifel erstaunlich groß es scheint mir aber doch, als wären noch weitere Beweise nöthig, ehe wir vollständig annehmen können, daß die vorkommende Vermischung in irgend einem Falle wirklich allgemein ist. Nichtsdestoweniger glauben alle diejenigen, welche den Gegenstand am eingehendsten studiert haben,Sir J. Lubbock, The Origin of Civilization, 1870, Cap. III, besonders p. 60-67. Mr. M'Lennan spricht in seinem äußerst werthvollen Werke über »Primitive Marriage« 1865, p. 163, von der Verbindung der Geschlechter »in den frühesten Zeiten, als locker, vorübergehend und in einem gewissen Grade allgemein«. Mr. M'Lennan und Sir J. Lubbock haben viele Belege über die außerordentliche Ausschweifung der Wilden der Jetztzeit gesammelt. Mr. L. H. Morgan kommt in seiner interessanten Abhandlung über das classificatorische System der Verwandtschaften (Proceed. Amer. Acad. of Sciences. Vol. VII. Febr. 1868, p. 475) zu dem Schlusse, daß Polygamie und alle Formen von Ehen während der Urzeiten unbekannt waren. Nach Sir J. Lubbock's Werk scheint es auch, als ob Bachofen gleichfalls der Ansicht wäre, daß ursprünglich communale Ehen geherrscht haben. und deren Urtheil viel mehr werth ist als das meinige, daß communale Ehen (der Ausdruck wird in verschiedener Weise umgangen) die ursprüngliche und allgemeine Form auf der ganzen Erde war, mit Einschluß der Heirathen zwischen Brüdern und Schwestern. Der verstorbene Sir A. Smith, welcher viel in Süd-Afrika gereist war und die Lebensweise der Wilden dort und andrer Orten gut kannte, drückte gegen mich die entschiedenste Meinung aus, daß keine Rasse existiere, bei welcher die Frau als Eigenthum der Gemeinde betrachtet werde. Ich glaube, daß sein Urtheil in hohem Grade durch die Idee bestimmt wurde, die wir mit dem Ausdruck Ehe verbinden. Im ganzen Verlaufe der folgenden Erörterung werde ich den Ausdruck in demselben Sinn gebrauchen, wie wenn Naturforscher von monogamen Thieren sprechen, worunter sie verstehen, daß das Männchen von einem einzigen Weibchen angenommen wird oder ein einziges Weibchen sich wählt und mit ihm entweder während der Brütezeit oder das ganze Jahr hindurch lebt und dasselbe nach dem Gesetze der Macht in seinem Besitze hält; oder so, wie wir von einer polygamen Species sprechen, worunter wir verstehen, daß das Männchen mit mehreren Weibchen lebt. Diese Art von Ehe ist Alles, was uns hier angeht, da sie für die Arbeit der geschlechtlichen Zuchtwahl genügt. Ich weiß aber, daß mehrere der oben erwähnten Schriftsteller mit dem Ausdruck »Ehe« noch ein anerkanntes, vom Stamm geschütztes Recht verstehen.

Die indirecten Beweise zu Gunsten der Annahme eines früheren Vorherrschens communaler Ehen sind äußerst bündig und beruhen hauptsächlich auf Bezeichnungen der Verwandtschaftsgrade, welche zwischen den Gliedern eines und des nämlichen Stammes angewendet werden und welche einen Zusammenhang nur mit dem Stamme und nicht mit einem der beiden Eltern enthalten. Der Gegenstand ist aber zu weitläufig und compliciert, um hier auch nur einen Auszug davon geben zu können. Ich werde mich daher auf wenige Bemerkungen beschränken. Offenbar ist bei solchen Ehen, oder wo das Band der Ehe ein sehr lockeres ist, die verwandtschaftliche Beziehung des Kindes zu seinem Vater nicht bekannt. Es scheint aber beinahe unglaublich zu sein, daß die Verwandtschaft des Kindes mit seiner Mutter jemals vollständig ignoriert worden sein sollte, besonders da die Frauen bei den meisten wilden Stämmen ihre Kinder eine lange Zeit hindurch stillen. Demzufolge werden in vielen Fällen die Descendenzreihen nur durch die Mutter mit Ausschluß des Vaters zurückverfolgt. Aber in anderen Fällen drücken die zur Verwendung kommenden Bezeichnungen nur einen Zusammenhang mit dem Stamme, selbst mit Ausschluß der Mutter, aus. Es scheint wohl möglich, daß der Zusammenhang zwischen den unter einander verwandten Gliedern eines und desselben barbarischen Stammes, welche allen Arten von Gefahren ausgesetzt sind, wegen der Nothwendigkeit gegenseitigen Schutzes und gegenseitiger Hülfe so viel bedeutungsvoller ist, als der zwischen der Mutter und ihrem Kinde, daß er zu dem alleinigen Gebrauche von Ausdrücken geführt hat, welche die erstgenannten verwandtschaftlichen Beziehungen enthalten; aber Mr. Morgan ist überzeugt, daß diese Ansicht von der Sache durchaus nicht genügend ist.

Die in verschiedenen Theilen der Erde zur Bezeichnung des Verwandtschaftsgrades benutzten Ausdrücke können nach dem eben angeführten Schriftsteller in zwei große Classen eingetheilt werden, die classificatorische und die beschreibende, – die letztere wird von uns angewendet. Es ist nun das classificatorische System, welches sehr nachdrücklich zu der Annahme führt, daß communale und andere äußerst lockere Formen von Ehen ursprünglich allgemein waren. So weit ich aber sehen kann, liegt von diesem Grunde aus keine Nothwendigkeit vor, an eine absolut allgemeine Vermengung zu glauben; und ich freue mich zu sehen, daß dies auch Sir J. Lubbock's Ansicht ist. Männer und Frauen können, wie viele der niederen Thiere, früher feste, wenn auch nur zeitweise Verbindungen für eine jede Geburt eingegangen sein, und in diesem Falle wird nahezu so viel Verwirrung in den Ausdrücken der Verwandtschaftsgrade eingetreten sein, wie in dem Falle einer ganz allgemeinen Vermischung. Soweit geschlechtliche Zuchtwahl in Betracht kommt, ist Alles was verlangt wird, daß eine Wahl ausgeübt wird, ehe sich die Eltern mit einander verbinden, und es ist von geringer Bedeutung, ob die Verbindungen für's ganze Leben oder nur für ein Jahr bestehen.

Außer den von den Bezeichnungen der Verwandtschaftsgrade hergenommenen Belegen weisen noch andere Überlegungen auf das früher verbreitete Vorherrschen communaler Ehen hin. Sir J. Lubbock erklärtAddress to British Association »On the Social and Religious Condition of the Lower Races of Man«, 1870, p. 20. in geistvoller Weise die fremdartige und weitverbreitete Gewohnheit der Exogamie, – d. h. die Form von Heirathen, wo die Männer eines Stammes sich immer Frauen aus einem verschiedenen Stamme nehmen, – durch den Communismus, welcher die ursprüngliche Form der Ehe gewesen ist, so daß ein Mann niemals ein Weib für sich erlangte, wenn er es nicht von einem benachbarten und feindlichen Stamme für sich zur Gefangenen machte; denn dann wird dasselbe natürlich sein eigenes und werthvolles Besitzthum geworden sein. Hierdurch kann der Gebrauch, Frauen zu fangen, entstanden und wegen der dadurch erlangten Ehre kann es schließlich die allgemeine Gewohnheit geworden sein. Wir können hiernach auch, Sir J. Lubbock zufolge, die Nothwendigkeit einsehen, warum für die Heirath als eine »Beeinträchtigung der Rechte des Stammes eine Entschädigung oder Sühne eintreten mußte, da den alten Ideen entsprechend ein Mann kein Recht hatte, das sich selbst anzueignen, was dem ganzen Stamme gehörte«. Sir J. Lubbock theilt ferner eine merkwürdige Menge von Thatsachen mit, welche zeigen, daß in alten Zeiten den Frauen, welche äußerst ausschweifend waren, große Ehre erwiesen wurde; und dies ist, wie er erklärt, zu verstehen, wenn wir annehmen, daß allgemeine Vermischung der ursprüngliche und daher lange in Ansehen stehende Gebrauch des Stammes war.Origin of Civilization. 1870, p. 86. In den verschiedenen oben citierten Werken wird man reichliche Belege über die Verwandtschaft nur mit den Frauen oder allein mit dem Stamme finden.

Obgleich die Art und Weise der Entwicklung des ehelichen Bandes ein dunkler Gegenstand ist, wie wir nach den über mehrere Punkte auseinandergehenden Ansichten der drei Schriftsteller, welche ihn am sorgfältigsten studiert haben, nämlich Mr. Morgan, M'Lennan und Sir J. Lubbock, schließen können, so scheint es doch nach den vorstehenden und mehreren anderen Reihen von Beweisen wahrscheinlich zu sein,C. Staniland Wake sucht (Anthropologia, March, 1874, p. 197) eingehend die von diesen drei Schriftstellern entwickelte Ansicht von dem früheren Vorherrschen einer fast ganz allgemeinen Vermischung zu widerlegen; er glaubt, daß das classificatorische System der Verwandtschaftsbezeichnung anders erklärt werden kann. daß der Gebrauch der Ehe, in irgend welchem strengen Sinne des Wortes, erst allmählich entwickelt worden ist und daß eine beinahe allgemeine Vermischung einmal äußerst verbreitet auf der ganzen Erde war. Nichtsdestoweniger kann ich einmal wegen der Stärke des Gefühls der Eifersucht durch das ganze Thierreich hindurch und dann nach der Analogie der niederen Thiere und noch besonders derjenigen, welche dem Menschen in der Thierreihe am nächsten kommen, doch nicht glauben, daß absolut allgemeine Vermischung in jener vergangenen Periode geherrscht hat, kurz ehe der Mensch seinen jetzigen Rang in der zoologischen Stufenreihe erlangte. Der Mensch ist, wie ich zu zeigen versucht habe, sicher von irgend einem affenähnlichen Wesen abgestammt. Bei den jetzt existierenden Quadrumanen sind, soweit ihre Lebensgewohnheiten bekannt sind, die Männchen einiger Species monogam, leben aber nur während eines Theils des Jahres mit den Weibchen; hierfür scheint der Orang ein Beispiel darzubieten. Mehrere Arten, wie einige der indischen und amerikanischen Affen, sind im strengen Sinne monogam und leben das ganze Jahr hindurch in Gesellschaft ihrer Weiber. Andere sind polygam, wie der Gorilla und mehrere südamerikanische Species, und jede Familie lebt getrennt für sich. Selbst wenn dies eintritt, sind die, einen und denselben District bewohnenden Familien wahrscheinlich in einer gewissen Ausdehnung social: so trifft man beispielsweise den Schimpansen gelegentlich in großen Truppen. Ferner sind andere Species polygam, aber mehrere Männchen, und zwar jedes mit seinen eigenen Weibchen, leben zu einer Truppe vereinigt, wie bei mehreren Species von Pavianen.Brehm (Illustriertes Thierleben. 2. Aufl. Bd. I, p. 159) sagt, Cynocephalus hamadryas lebe in großen Truppen, welche zweimal so viele erwachsene Weibchen als erwachsene Männchen enthalten, s. Rengger, über amerikanische polygame Species, und Owen (Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 746) über amerikanische monogame Arten. Andere Citate könnten noch beigebracht werden. Wir können in der That nach dem, was wir von der Eifersucht aller männlichen Säugethiere wissen, von denen viele mit speciellen Waffen zum Kämpfen mit ihren Nebenbuhlern bewaffnet sind, schließen, daß allgemeine Vermischung der Geschlechter im Naturzustande äußerst unwahrscheinlich ist. Das Paaren mag nicht zeitlebens währen, sondern nur für jede Geburt; wenn indessen die Männchen, welche die stärksten und am besten dazu befähigt sind, ihre Weibchen und jungen Nachkommen zu vertheidigen oder ihnen auf andere Weise zu helfen, die anziehenderen Weibchen sich wählen sollten, so würde das für die Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl genügen.

Wenn wir daher im Strome der Zeit weit genug zurückblicken und nach den socialen Gewohnheiten des Menschen, wie er jetzt existiert, schließen, so ist die wahrscheinlichste Ansicht die, daß der Mensch ursprünglich in kleinen Gesellschaften lebte, jeder Mann mit einer Frau oder, wenn er die Macht hatte, mit mehreren, welche er eifersüchtig gegen alle anderen Männer vertheidigte. Oder er mag kein sociales Thier gewesen sein und doch mit mehreren Frauen für sich allein gelebt haben, wie der Gorilla; denn »alle Eingeborenen stimmen darin überein, daß nur ein erwachsenes Männchen in einer Gruppe zu sehen ist. Wächst das junge Männchen heran, so findet ein Kampf um die Herrschaft statt und der Stärkste setzt sich dann, indem er die Anderen getödtet oder fortgetrieben hat, als Oberhaupt der Gesellschaft fest«.Dr. Savage in: Boston Journal of Natur. Hist. Vol. V. 1845-47, p. 423. Die jüngeren Männchen, welche hierdurch ausgestoßen sind und nun umherwandern, werden auch, wenn sie zuletzt beim Finden einer Gattin erfolgreich sind, die zu enge Inzucht innerhalb der Glieder einer und derselben Familie verhüten.

Obgleich Wilde jetzt äußerst ausschweifend sind und obschon communale Ehen früher in hohem Grade geherrscht haben mögen, so besteht doch bei vielen Stämmen irgend eine Form von Ehe, freilich von viel lockerer Natur als bei civilisierten Nationen. Wie eben angeführt wurde, sind die anführenden Männer in jedem Stamm beinahe allgemein der Polygamie ergeben. Nichtsdestoweniger giebt es Stämme, welche beinahe am unteren Ende der ganzen Stufenreihe stehen, welche streng monogam leben. Dies ist der Fall mit den Veddahs von Ceylon. Sie haben der Angabe von Sir J. Lubbock zufolgePrehistoric Times. 1869, p. 124. ein Sprüchwort, »daß nur der Tod Mann und Frau von einander trennen kann«. Ein intelligenter Ceyloneser Häuptling, natürlich ein Polygamist, »war vollständig entsetzt über die complete Barbarei, nur mit einer Frau zu leben und nie von ihr sich zu trennen als im Tode«. Das wäre, sagte er, »gerade wie bei den Wanderoo-Affen«. Ob die Wilden, welche jetzt irgend eine Form von Ehe, entweder polygame oder monogame, eingehen, diesen Gebrauch von Urzeiten her beibehalten haben, oder ob sie auf irgend eine Form von Ehe gekommen sind, nachdem sie einen Zustand völliger allgemeiner Vermischung durchlaufen haben, darüber möchte ich mir auch nicht einmal eine Vermuthung erlauben.

 
Kindesmord. – Dieser Gebrauch ist jetzt auf der ganzen Erde sehr häufig und es ist Grund vorhanden zu glauben, daß er während früherer Zeiten eine noch ausgedehntere Verbreitung hatte.Mr. M'Lennan, Primitive Marriage, 1865. s. besonders über Exogamie und Kindesmord p. 130, 138, 165. Die Barbaren finden es schwierig, sich selbst und ihre Kinder zu erhalten, und da ist es denn ein einfacher Plan, die Kinder zu tödten. In Süd-Amerika zerstörten manche Stämme, wie Azara anführt, so viele Kinder beiderlei Geschlechts, daß sie auf dem Punkte waren auszusterben. Auf den polynesischen Inseln hat man Frauen gekannt, welche von vier oder fünf bis selbst zu zehn ihrer Kinder getödtet haben, und Ellis konnte nicht eine Frau finden, welche nicht wenigstens ein Kind getödtet hatte. Wo nur immer Kindesmord herrscht, wird der Kampf um die Existenz in so weit weniger heftig sein und alle Glieder des Stammes werden eine gleich gute Chance haben, ihre wenigen überlebenden Kinder aufzuziehen. In den meisten Fällen wird eine größere Anzahl weiblicher als männlicher Kinder zerstört, denn offenbar sind die letzteren für den Stamm von größerem Werthe, da sie, wenn sie erwachsen sind, bei der Vertheidigung helfen und sich selbst unterhalten können. Aber die von den Frauen empfundene Mühe beim Aufziehen der Kinder, der damit in Verbindung stehende Verlust ihrer Schönheit, der höhere Werth und das glücklichere Geschick der Frauen, wenn sie wenig an Zahl sind, werden von den Frauen selbst und von verschiedenen Beobachtern als weitere Motive für den Kindesmord angeführt. In Australien, wo das Tödten weiblicher Kinder noch häufig ist, wird das Verhältnis eingeborener Frauen zu Männern auf zwei zu drei geschätzt. In einem Dorfe an der östlichen Grenze von Indien fand Oberst Macculloch nicht ein einziges Mädchen.Gerland (Über das Aussterben der Naturvölker, 1868) hat viele Mittheilungen über Kindesmord gesammelt, s. besonders p. 27, 51, 54. Azara (Voyages etc. Tom. II, p. 94, 116) geht ausführlich in die Motive ein, s. auch M'Lennan, Primitive Marriage, 1865, p. 139, in Bezug auf die Fälle in Indien. In Bezug auf das Verhältnis der Frauen zu den Männern in Australien enthielt die vierte Auflage dieses Werkes die Angabe, Sir G. Grey habe dasselbe auf eins zu drei geschätzt. Grey sagt aber, daß unter 222 Geburten 93 weibliche und 129 männliche, also im Verhältnis von 1 zu 1,3 wären. Diese Thatsache hat daher keinen Bezug auf die Tödtung weiblicher Kinder. (Diese von Mr. George Darwin ermittelte Correctur wurde dem Übersetzer freundlichst durch Mr. Francis Darwin mitgetheilt.)

Wenn in Folge des Tödtens der Mädchen die Frauen eines Stammes an Zahl nur wenig sind, so wird die Gewohnheit, sich Frauen aus benachbarten Stämmen einzufangen, von selbst eintreten. Sir J. Lubbock indessen schreibt, wie wir gesehen haben, diesen Gebrauch zum größten Theile der früheren Existenz communaler Ehen und dem davon abhängenden Umstande zu, daß sich die Männer Frauen aus anderen Stämmen gefangen haben, um sie als ihr alleiniges Besitzthum für sich zu behalten. Es können noch weitere Ursachen hierfür angeführt werden, so, daß die Gesellschaften sehr klein waren, in welchem Falle die heirathsfähigen Frauen häufig gefehlt haben werden. Daß der Gebrauch des Raubens von Frauen während früherer Zeiten in großer Ausdehnung befolgt wurde, und selbst bei den Vorfahren civilisierter Nationen, zeigt sich deutlich durch das Beibehalten vieler merkwürdiger Gebräuche und Ceremonien, von welchen Mr. M'Lennan eine äußerst interessante Beschreibung gegeben hat. Bei unseren eigenen Heirathen scheint der »beste Mann« der hauptsächlichste Gehülfe des Bräutigams beim Acte des Raubes gewesen zu sein. So lange nun die Männer gewohnheitsgemäß ihre Frauen durch Gewalt und List sich verschafften, ist es nicht wahrscheinlich, daß sie sich die anziehenderen Frauen gewählt haben werden; sie werden nur zu froh gewesen sein, überhaupt irgend ein Weib zu fangen. Sobald aber der Gebrauch, sich Frauen von einem verschiedenen Stamme zu verschaffen, durch Tausch bewirkt wurde, wie es jetzt an vielen Orten vorkommt, werden allgemein die anziehenderen Frauen gekauft worden sein. Die unablässige Kreuzung zwischen Stamm und Stamm indessen, welche jeder Form eines solchen Gebrauches nothwendig folgte, wird dahin geführt haben, alle die in einem und demselben Lande wohnenden Völker im Charakter nahezu gleichförmig zu halten, und dies wird die Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl in der Differenzierung der Stämme bedeutend gestört haben.

Die Seltenheit der Frauen, eine Folge des Tödtens weiblicher Kinder, führt auch zu einem anderen Gebrauche, nämlich der Polyandrie, welche in mehreren Theilen der Erde noch in Übung ist und welche früher, wie M'Lennan glaubt, beinahe allgemein herrschte. Diese letztere Folgerung wird aber von Mr. Morgan und Sir J. Lubbock bezweifelt.Primitive Marriage, p. 208. Sir J. Lubbock, Origin of Civilisation, p. 100 s. auch Mr. Morgan, The American Beaver, 1868, über das frühere Herrschen der Polyandrie. Wo nur immer zwei oder mehrere Männer gezwungen sind, eine Frau zu heirathen, so ist es sicher, daß alle Frauen des Stammes verheirathet werden, und es wird dann keine Auswahl der anziehenderen Weiber von Seiten der Männer stattfinden. So beschreibt z. B. Azara, mit welcher Sorgfalt ein Guanaweib um alle möglichen Privilegien handelt, ehe sie irgend einen oder mehrere Männer annimmt; und die Männer verwenden in Folge hiervon auch ungewöhnliche Sorgfalt auf ihre persönliche Erscheinung. So können bei den Todas in Indien, welche Polyandrie ausüben, die Mädchen jeden Mann entweder annehmen oder zurückweisen.Voyages etc. Tom. II, p. 92 – 95. Colonel Marshall, »Amongst the Todas«, p. 212. Ein sehr häßlicher Mann wird in derartigen Fällen vielleicht durchaus nicht dazu kommen, ein Weib zu erlangen, oder er bekommt es erst spät im Leben: und doch werden die schöneren Männer, obschon die erfolgreichsten im Erlangen von Weibern, soweit wir sehen können, nicht mehr Nachkommen hinterlassen, ihre Schönheit zu erben, als die weniger schönen Ehegatten derselben Frauen.

 
Frühe Verlobungen und Sclaverei der Frauen. – Bei vielen Wilden besteht der Gebrauch, die Frauen schon als bloße Kinder zu verloben; und dies wird in einer wirksamen Weise verhüten, daß irgend ein Vorziehen von beiden Seiten in Bezug auf persönliche Erscheinung geltend gemacht werden kann. Es wird aber nicht verhindern, daß die anziehenderen Frauen später von kraftvolleren Männern ihren Ehegatten gestohlen oder mit Gewalt entführt werden; und dies ereignet sich häufig in Australien, Amerika und anderen Theilen der Welt. Diese selben Folgen in Bezug auf geschlechtliche Zuchtwahl werden in einer gewissen Ausdehnung eintreten, wenn die Frauen fast ausschließlich als Sclaven oder Lastthiere geschätzt werden, wie es bei vielen Völkern der Fall ist. Indessen werden die Männer zu allen Zeiten die schönsten Sclavinnen nach ihrem Maßstabe von Schönheit vorziehen.

Wir sehen hiernach, daß verschiedene Gebräuche bei Wilden herrschen, welche die Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl bedeutend stören oder vollständig aufheben können. Auf der anderen Seite sind die Lebensbedingungen, welchen die Wilden ausgesetzt sind, und einige ihrer Lebensgewohnheiten der natürlichen Zuchtwahl günstig; und diese kommt gleichzeitig mit geschlechtlicher Zuchtwahl in's Spiel. Man weiß, daß Wilde sehr heftig von wiederkehrenden Hungersnöthen zu leiden haben; sie vermehren ihre Nahrungsmengen nicht durch künstliche Mittel; sie enthalten sich nur selten der VerheirathungBurchell sagt (Travels in South Africa. Vol. II. 1824, p. 58), daß unter den wilden Nationen von Süd-Afrika weder Männer noch Frauen jemals im Stande des Cölibats ihr Leben hinbringen. Azara macht (Voyages dans l'Amérique mérid. Tom. II. 1809, p. 21) genau dieselbe Bemerkung in Bezug auf die wilden Indianer von Süd-Amerika. und heirathen allgemein jung. In Folge dessen müssen sie gelegentlich harten Kämpfen um die Existenz ausgesetzt sein, und nur die begünstigten Individuen werden leben bleiben.

In einer sehr frühen Zeit, ehe der Mensch seine jetzige Stellung in der Stufenreihe erlangt hatte, werden viele der Verhältnisse, in denen er lebte, verschieden von denen gewesen sein, welche jetzt bei Wilden zu treffen sind. Nach Analogie mit niederen Thieren zu urtheilen, wird er damals entweder mit einem einzigen Weibe oder als Polygamist gelebt haben. Die kraftvollsten und fähigsten Männer werden beim Gewinnen anziehender Frauen den besten Erfolg gehabt haben. Sie werden auch in dem allgemeinen Kampfe um's Dasein und in der Vertheidigung sowohl ihrer Frauen als auch ihrer Nachkommen gegen Feinde aller Arten den besten Erfolg gehabt haben. In dieser frühen Zeit werden die Urerzeuger des Menschen in ihrer Intelligenz noch nicht hinreichend vorgeschritten gewesen sein, um vorwärts auf in der Zukunft möglicherweise eintretende Ereignisse geblickt zu haben; sie werden noch nicht vorausgesehen haben, daß das Aufziehen allen ihrer Kinder, besonders der weiblichen, den Kampf um's Dasein für den Stamm nur noch schwerer machen würde. Sie werden sich mehr durch ihre Instincte und weniger durch ihre Vernunft haben leiten lassen, als es die Wilden heutigen Tages thun. Sie werden in jener Zeit nicht einen der stärksten von allen Instincten, welcher allen niederen Thieren gemein ist, nämlich die Liebe zu ihren jungen Nachkommen, theilweise verloren haben, und in Folge dessen werden sie Mädchentödtung nicht ausgeübt haben. Es wird keine Seltenheit von Frauen dadurch eingetreten sein, und es wird Polyandrie nicht ausgeübt worden sein; denn wohl kaum irgend eine andere Ursache, mit Ausnahme der Seltenheit der Frauen, scheint hinreichend mächtig zu sein, das natürliche und weit verbreitete Gefühl der Eifersucht und den Wunsch eines jeden Mannes, eine Frau für sich zu besitzen, zu überwinden. Polyandrie dürfte eine natürliche Stufe zum Auftreten communaler Ehen oder beinahe allgemeiner Vermischung gewesen sein, obgleich die besten Autoritäten meinen, daß diese letztere der Polyandrie vorausging. Während der Urzeiten werden keine frühen Verlobungen stattgefunden haben; denn diese weisen auf eine Voraussicht der spätern Zeit hin. Auch werden Frauen nicht als bloße Sclaven oder Lastthiere geschätzt worden sein. Wenn den Frauen ebenso wie den Männern gestattet wurde, irgend welche Wahl auszuüben, so werden beide Geschlechter sich ihren Gatten gewählt haben, und zwar nicht um geistige Reize oder großen Besitz oder sociale Stellung, sondern beinahe einzig und allein der äußeren Erscheinung nach. Alle Erwachsenen werden sich verheirathet oder gepaart haben, und sämmtliche Nachkommen, soweit das möglich war, werden aufgezogen worden sein, so daß der Kampf um die Existenz periodisch bis zu einem extremen Grade hart gewesen sein wird. Es werden daher während dieser Urzeit alle Bedingungen für geschlechtliche Zuchtwahl viel günstiger gewesen sein als in einer späteren Periode, wo der Mensch in seinem intellectuellen Vermögen vorgeschritten, aber in seinen Instincten zurückgegangen war. Was für einen Einfluß daher auch geschlechtliche Zuchtwahl in Bezug auf Hervorrufung von Verschiedenheiten zwischen den Rassen des Menschen, ebenso wie zwischen dem Menschen und den höheren Quadrumanen, gehabt haben mag; es wird dieser Einfluß in einer sehr weit zurückliegenden Periode viel mächtiger gewesen sein als heutigen Tages, wennschon er nicht völlig verloren gegangen ist.

 
Über die Art der Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl beim Menschengeschlechte. – Die geschlechtliche Zuchtwahl wird bei den Urmenschen unter den eben angeführten günstigen Bedingungen und bei denjenigen Wilden, welche in der Jetztzeit irgend eine eheliche Verbindung eingehen, wahrscheinlich in der folgenden Art und Weise in Wirksamkeit getreten sein, wobei indeß die mehr oder weniger ausgedehnt befolgten Gewohnheiten der Tödtung weiblicher Neugeborenen, früher Verlobungen u. s. w. diese Wirksamkeit mehr oder weniger gestört haben. Die stärksten und lebenskräftigsten Männer, – diejenigen, welche am besten ihre Familien vertheidigen und für dieselben jagen konnten, welche mit den besten Waffen versehen waren und das größte Besitzthum hatten, wie z. B. eine größere Zahl von Hunden oder anderen Thieren, – werden beim Aufziehen einer durchschnittlich größeren Anzahl von Nachkommen mehr Erfolg gehabt haben als die schwächeren, ärmeren und niederen Glieder der nämlichen Stämme. Es läßt sich auch daran nicht zweifeln, daß solche Männer allgemein im Stande gewesen sein werden, sich die anziehenderen Frauen zu wählen. Heutigen Tages erreichen es die Häuptlinge fast jeden Stammes auf der Erde, mehr als eine Frau zu erlangen. Bis ganz neuerdings war, wie ich von Mr. Mantell höre, beinahe jedes Mädchen auf Neu-Seeland, welches hübsch war oder hübsch zu werden versprach, irgend einem Häuptling »tapu«. Bei den Kaffern haben, wie Mr. C. Hamilton anführt,Anthropological Review, Jan. 1870, p. XVI. »die Häuptlinge allgemein die Auswahl aus den Frauen in einem Umkreise von vielen Meilen und sind äußerst bedacht darauf, ihre Privilegien fest zu halten oder zu bestätigen«. Wir haben gesehen, daß jede Rasse ihren eigenen Geschmack für Schönheit hat, und wir wissen, daß es für den Menschen natürlich ist, jeden charakteristischen Punkt bei seinen domesticierten Thieren, bei seiner Kleidung, seinen Ornamenten und bei seiner persönlichen Erscheinung zu bewundern, sobald sie auch nur ein wenig über den mittleren Maßstab hinaus geführt sind. Wenn nun die verschiedenen vorstehenden Sätze zugegeben werden, und ich kann nicht sehen, daß sie zweifelhaft wären, so würde es ein unerklärlicher Umstand sein, wenn die Auswahl der anziehenderen Frauen durch die kraftvolleren Männer eines jeden Stammes, welcher im Mittel eine größere Zahl von Kindern aufziehen würden, nicht nach dem Verlaufe vieler Generationen in einem gewissen Grade den Charakter des Stammes modificiert haben würde.

Wenn bei unseren domesticierten Thieren eine fremde Rasse in ein neues Land eingeführt wird, oder wenn eine eingeborene Rasse lange Zeit und sorgfältig entweder zum Nutzen oder zur Zierde beachtet wird, so findet man nach mehreren Generationen, daß sie, sobald nur die Mittel zur Vergleichung existieren, einen größeren oder geringeren Betrag an Veränderung erlitten hat. Dies ist eine Folge der während einer langen Reihe von Generationen fort geübten unbewußten Zuchtwahl, d. h. der Erhaltung der am meisten gebilligten Individuen, ohne irgend einen Wunsch oder eine Erwartung eines derartigen Resultates von Seiten des Züchters. Wenn ferner zwei sorgfältige Züchter während vieler Jahre Thiere einer und der nämlichen Familie züchten und sie nicht miteinander oder mit einem gemeinsamen Maßstabe vergleichen, so finden sie nach einer Zeit, daß die Thiere zur Überraschung ihrer eigenen Besitzer in einem unbedeutenden Grade verschieden geworden sind.Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 1873. 2. Aufl. Bd. II, p. 140-147. Ein jeder Züchter hat, wie von Nathusius es gut ausdrückt, den Charakter seines eigenen Geistes, seinen eigenen Geschmack und sein Urtheil seinen Thieren aufgedrückt. Welche Ursache könnte man nun anführen, warum ähnliche Resultate nicht der lange fortgesetzten Auswahl der am meisten bewunderten Frauen durch diejenigen Männer eines jeden Stammes folgen sollten, welche im Stande waren, eine größere Zahl von Kindern bis zur Reife zu erziehen? Dies würde unbewußte Zuchtwahl sein, denn es würde eine Wirkung hervorgebracht werden unabhängig von irgend einem Wunsche oder einer Erwartung von Seiten der Männer, welche gewisse Frauen anderen vorziehen.

Wir wollen einmal annehmen, daß die Glieder eines Stammes, bei welchem eine gewisse Form der Ehe im Gebrauche war, sich über einen nicht bewohnten Continent verbreiten; sie werden sich bald in verschiedene Horden theilen, welche durch verschiedene Grenzen und noch wirksamer durch die unaufhörlich zwischen allen barbarischen Nationen eintretenden Kriege von einander getrennt werden. Die Horden werden auf diese Weise unbedeutend verschiedenen Lebensbedingungen und Gewohnheiten ausgesetzt werden und werden früher oder später dazu kommen, in einem geringen Grade von einander abzuweichen. Sobald dies einträte, würde jeder isolierte Stamm für sich selbst einen unbedeutend verschiedenen Maßstab der Schönheit sich bilden,Ein geistreicher Schriftsteller hebt nach einer Vergleichung der Gemälde von Raphael, Rubens und neuen französischen Malern hervor, daß die Idee der Schönheit selbst in Europa nicht absolut dieselbe ist; s. die Lebensbeschreibungen von Haydn und Mozart von Bombet (sonst Mr. Beyle), engl. Übersetzung, p. 278. und dann würde unbewußte Zuchtwahl dadurch in Wirksamkeit treten, daß die kraftvolleren und leitenden Glieder der wilden Stämme gewisse Frauen anderen vorzögen. Hierdurch werden die anfangs sehr unbedeutenden Verschiedenheiten zwischen den Stämmen allmählich und unvermeidlich in einem immer größeren und bedeutenderen Grade verschärft werden.

Bei Thieren im Naturzustande sind viele Charaktere, welche den Männchen eigen sind, wie Größe, Stärke, specielle Waffen, Muth und Kampfsucht durch das Gesetz des Kampfes erlangt worden. Die halbmenschlichen Urerzeuger des Menschen werden, wie ihre Verwandten, die Quadrumanen, beinahe sicher in dieser Weise modificiert worden sein; und da Wilde noch immer um den Besitz ihrer Frauen kämpfen, so wird ein ähnlicher Proceß der Auswahl wahrscheinlich in einem größeren oder geringeren Grade bis auf den heutigen Tag vor sich gegangen sein. Andere, den Männchen der niederen Thiere eigene Charaktere, wie glänzende Farben und verschiedene Ornamente, sind dadurch erlangt worden, daß anziehendere Männchen von den Weibchen vorgezogen worden sind. Es finden sich indessen ausnahmsweise Fälle, in denen die Männchen, statt gewählt worden zu sein, selbst der wählende Theil gewesen sind. Wir erkennen solche Fälle daran, daß die Weibchen in einem höheren Grade verziert worden sind als die Männchen, wobei ihre ornamentalen Charaktere ausschließlich oder hauptsächlich auf ihre weiblichen Nachkommen überliefert worden sind. Ein derartiger Fall ist aus der Ordnung, zu welcher der Mensch gehört, beschrieben worden, nämlich der Rhesus-Affe.

Der Mann ist an Körper und Geist kraftvoller als die Frau, und im wilden Zustande hält er dieselbe in einem viel unterwürfigeren Stande der Knechtschaft, als es das Männchen irgend eines anderen Thieres thut; es ist daher nicht überraschend, daß er das Vermögen der Wahl erlangt hat. Die Frauen sind sich überall des Werthes ihrer Schönheit bewußt, und wenn sie die Mittel haben, finden sie ein größeres Entzücken daran, sich selbst mit allen Arten von Zierathen zu schmücken, als es die Männer thun. Sie erborgen sich Schmuckfedern männlicher Vögel, mit denen die Natur dieses Geschlecht zierte, um die Weibchen zu bezaubern. Da die Frauen seit langer Zeit ihrer Schönheit wegen gewählt worden sind, so ist es nicht überraschend, daß einige der an ihnen nach einander auftretenden Abänderungen ausschließlich auf dasselbe Geschlecht überliefert worden sind, daß folglich auch die Frauen ihre Schönheit in einem etwas höheren Grade ihren weiblichen als ihren männlichen Nachkommen überliefert haben und daher, der allgemeinen Meinung nach, schöner geworden sind als die Männer. Die Frauen überliefern indeß sicher die meisten ihrer Charaktere, mit Einschluß der Schönheit, ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts, so daß das beständige Vorziehen der anziehenderen Frauen durch die Männer einer jeden Rasse je nach ihrem Maßstabe von Geschmack dahin geführt haben wird, alle Individuen beider Geschlechter, die zu der Rasse gehören, in einer und derselben Weise zu modificieren.

Was die andere Form geschlechtlicher Zuchtwahl betrifft (welche bei den niederen Thieren bei weitem die häufigste ist), nämlich wo das Weibchen der auswählende Theil ist und nur diejenigen Männchen annimmt, welche es am meisten anregen oder entzücken, so haben wir Grund zu glauben, daß sie früher auf die Urerzeuger des Menschen gewirkt hat. Der Mann verdankt aller Wahrscheinlichkeit nach seinen Bart und vielleicht einige andere Charaktere der Vererbung von einem alten Urerzeuger, welcher seine Zierathen in dieser Weise erlangte. Es kann aber diese Form von Zuchtwahl gelegentlich auch während späterer Zeiten gewirkt haben; denn bei völlig barbarischen Stämmen sind die Frauen mehr in der Lage, ihre Liebhaber zu wählen, zu verwerfen und zu reizen, oder später ihre Ehemänner zu wechseln, als sich hätte erwarten lassen. Da dies ein Punkt von einiger Bedeutung ist, will ich die Belege, die ich zu sammeln im Stande gewesen bin, im Einzelnen mittheilen.

Hearne beschreibt, wie eine Frau in einem der Stämme des arctischen Amerika wiederholt ihrem Ehemanne davonlief und sich mit dem geliebten Manne verband; und bei den Charruas von Süd-Amerika ist, wie Azara anführt, die Fähigkeit der Scheidung vollkommen frei. Wenn bei den Abiponen ein Mann ein Weib sich wählt, so handelt er mit den Eltern um den Preis. Aber »es kommt häufig vor, daß das Mädchen durch alles Das, was zwischen den Eltern und dem Bräutigam abgemacht worden ist, einen Strich zieht und hartnäckig auch nur die Erwähnung der Heirath verweigert«. Sie läuft häufig davon, verbirgt sich und verspottet damit den Bräutigam. Capitain Musters, welcher unter den Patagoniern lebte, sagt, daß ihre Ehen immer durch Neigung begründet werden; »wenn die Eltern eine Partie gegen den Willen der Tochter abmachen, so verweigert sie dieselbe und wird niemals gezwungen, nachzugeben«. Im Feuerlande erhält ein junger Mann zuerst die Zustimmung der Eltern dadurch, daß er ihnen irgend einen Dienst erweist, und dann versucht er das Mädchen fortzuführen; »will sie aber nicht, so verbirgt sie sich in den Wäldern, bis ihr Bewunderer herzlich müde geworden ist, nach ihr zu lugen, und die Verfolgung aufgiebt; dies kommt aber selten vor«. Auf den Fiji-Inseln ergreift der Mann die Frau, welche er sich zum Weibe wünscht, mit factischer oder vorgegebener Gewalt; aber »wenn sie die Heimstätte ihres Entführers erreicht, so läuft sie, wenn sie die Verbindung nicht billigen sollte, zu irgend einem, der sie schützen kann. Ist sie indessen zufriedengestellt, so ist die Sache sofort abgemacht«. Bei den Kalmucken besteht ein regelmäßiger Wettlauf zwischen der Braut und dem Bräutigam, wobei die erstere einen gehörigen Vorsprung hat; und Clarke »erhielt die Versicherung, es käme kein Fall vor, daß ein Mädchen gefangen würde, wenn sie nicht für den Verfolger etwas eingenommen wäre«. So besteht auch bei den wilden Stämmen des malayischen Archipels ein ähnlicher Wettlauf, und nach Mr. Bourien's Beschreibung scheint es, wie Sir J. Lubbock bemerkt, daß der Preis des »Wettlaufs nicht für den schnellsten und der des Kampfes nicht für den stärksten, sondern für den jungen Mann bestimmt ist, welcher das Glück hatte, der bestimmten Braut zu gefallen«. Ein ähnlicher Gebrauch, mit gleichem Ausgange, herrscht auch bei den Koraks des nordöstlichen Asiens.

Wenden wir uns zu Afrika. Die Kaffern kaufen ihre Frauen, und Mädchen werden von ihren Vätern heftig geschlagen, wenn sie einen auserwählten Ehegatten nicht annehmen wollen; doch geht aus vielen von Mr. Shooter mitgetheilten Thatsachen offenbar hervor, daß sie ziemliche Freiheit der Wahl haben. So hat man erfahren, daß sehr häßliche, wenngleich reiche Männer es nicht erlangt haben, Frauen zu bekommen. Ehe die Mädchen ihre Einstimmung zur Verlobung aussprechen, veranlassen sie den Mann, sich gehörig zu präsentieren, zuerst von vorn und dann von hinten, und »seine Gangart zu zeigen«. Es ist bekannt geworden, daß sie sich einem Mann versprochen haben und doch nicht selten mit einem begünstigten Liebhaber davon gelaufen sind. So sagt auch Mr. Leslie, welcher die Kaffern sehr genau kannte: »es ist ein Irrthum, sich vorzustellen, daß ein Vater seine Tochter in derselben Weise und mit derselben Machtvollkommenheit verkaufe, mit welcher er über eine Kuh disponiert«. Bei den so niedrig stehenden Buschmänninnen von Süd-Afrika »muß der Liebhaber, wenn ein Mädchen zur Mannbarkeit herangewachsen ist, ohne verlobt zu sein, was indessen nicht häufig vorkommt, dessen Zustimmung ebensowohl wie die der Eltern erlangen«.Azara, Voyages etc. Tom. II, p. 23. Dobrizhoffer, An Account of the Abipones. Vol. II. 1822, p. 207. Capt. Musters in: Proceed. R. Geograph. Soc. Vol. XV, p. 47. Williams, Über die Fiji-Insulaner, citiert von Lubbock, Origin of Civilisation. 1870, p. 79. Über die Feuerländer: King and Fitzroy, Voyages of the Adventure and Beagle. Vol. II. 1839, p. 182. Über die Kalmucken citiert von Mr. M'Lennan, Primitive Marriage. 1865, p. 32. Über die Malayen: Lubbock, a. a. O. p. 76. J. Shooter, On the Kafirs of Natal. 1857, p. 52-60; D. Leslie, Kafir Characters and Customs. 1871. p. 4. Über die Buschmänninnen s. Burchell, Travels in South Africa. Vol. II. 1824, p. 59. Über die Koraks s. McKennan, citiert von Wake, in: Anthropologia, Oct. 1873, p. 75. Mr. Winwood Reade stellte meinetwegen Nachforschungen in Bezug auf die Neger von West-Afrika an und theilt mir nun mit, daß »die Frauen wenigstens unter den intelligenteren heidnischen Stämmen keine Schwierigkeit haben, diejenigen Männer zu bekommen, welche sie wünschen, obschon es für unweiblich angesehen wird, einen Mann aufzufordern, sie zu heirathen. Sie sind vollständig fähig, sich zu verlieben, und sind auch zarter, leidenschaftlicher und treuer Anhänglichkeit fähig«. Noch weitere Beispiele könnten angeführt werden.

Wir sehen hieraus, daß bei Wilden die Frauen in keinem so vollständig unterwürfigen Zustande in Bezug auf das Heirathen sich befinden, wie häufig vermuthet worden ist. Sie können die Männer, welche sie vorziehen, anlocken und können zuweilen diejenigen, welche sie nicht leiden mögen, entweder vor oder nach der Heirath verwerfen. Ein Vorliebe seitens der Frauen, welche in irgend einer Richtung stetig wirkt, wird schließlich den Charakter eines Stammes beeinflussen, denn die Weiber werden allgemein nicht bloß die hübscheren Männer, je nach ihrem Maßstabe von Geschmack, sondern diejenigen wählen, welche zu derselben Zeit am besten im Stande sind, sich zu vertheidigen und zu unterhalten. Derartige gut begabte Paare werden im Allgemeinen eine größere Anzahl von Nachkommen aufziehen als die weniger begünstigten. Dasselbe Resultat wird offenbar in einer noch schärfer ausgesprochenen Weise eintreten, wenn auf beiden Seiten eine Auswahl stattfindet, d. h. wenn die anziehenderen und zu derselben Zeit auch kraftvolleren Männer die anziehenderen Weiber vorziehen und umgekehrt auch wieder von diesen vorgezogen werden. Und diese doppelte Form von Auswahl scheint factisch bei der Menschheit, besonders während der früheren Perioden unserer langen Geschichte, eingetreten zu sein.

Wir wollen nun etwas eingehender einige der Charaktere betrachten, welche die verschiedenen Rassen sowohl von einander als von den niederen Thieren unterscheiden, nämlich die mehr oder weniger vollständige Abwesenheit von Haaren am Körper und die Farbe der Haut. Wir brauchen über die bedeutende Verschiedenheit in der Form der Gesichtszüge und des Schädels bei den verschiedenen Rassen nichts zu sagen, da wir bereits im letzten Capitel gesehen haben, wie verschieden in diesen Beziehungen das Maß der Schönheit ist. Diese Charaktere werden daher wahrscheinlich von geschlechtlicher Zuchtwahl beeinflußt worden sein; wir haben indessen kein Mittel, zu beurtheilen, ob dieser Einfluß hauptsächlich von der männlichen oder von der weiblichen Seite ausgegangen ist. Die musikalischen Fähigkeiten des Menschen sind gleichfalls bereits erörtert worden.

 
Fehlen von Haar am Körper und seine Entwicklung an dem Gesichte und dem Kopfe. – Aus dem Vorhandensein des wolligen Haares oder des Lanugo am menschlichen Fœtus und der rudimentären über den Körper zerstreuten Haare während des geschlechtsreifen Alters können wir schließen, daß der Mensch von irgend einem behaarten Thiere abstammt, welches behaart geboren wurde und Zeit seines Lebens so blieb. Der Verlust des Haares ist eine Unbequemlichkeit und wahrscheinlich ein Nachtheil für den Menschen selbst unter einem warmen Klima, denn er ist hierdurch der sengenden Sonne und plötzlichen Erkältungen, besonders während des feuchten Wetters, ausgesetzt. Wie Mr. Wallace bemerkt, sind die Eingeborenen in allen Ländern froh, ihre nackten Rücken und Schultern mit irgend einer leichten Decke schützen zu können. Niemand vermuthet, daß die Nacktheit der Haut irgend einen directen Vortheil für den Menschen darbietet. Es kann also sein Körper seiner Haarbedeckung nicht durch natürliche Zuchtwahl entkleidet worden sein.Wallace, A. R., Contributions to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 346. Mr. Wallace glaubt (p. 350), »daß irgend eine intelligente Kraft die Entwicklung des Menschen geleitet oder bestimmt habe«: und er betrachtet den haarlosen Zustand der Haut als einen unter diesen Gesichtspunkt fallenden Umstand. Mr. T. R. Stebbing erörtert diese Ansicht (Transactions of Devonshire Associat. for Science, 1870) und bemerkt, »daß, wenn Mr. Wallace seinen gewöhnlichen Scharfsinn der Frage von der haarlosen Haut des Menschen zugewendet hätte, er auch die Möglichkeit erkannt haben würde, daß sie wegen ihrer überlegenen Schönheit oder wegen der sich an größere Reinlichkeit knüpfenden Gesundheit ausgewählt worden sei«. Auch haben wir, wie in einem früheren Capitel gezeigt wurde, keine Belege dafür, daß dies eine Folge der directen Einwirkung des Klimas, oder daß es das Resultat einer correlativen Entwicklung sei.

Das Fehlen von Haar am Körper ist in einem gewissen Grade ein secundärer Sexualcharakter, denn in allen Theilen der Welt sind die Frauen weniger behaart als die Männer. Wir können daher vernünftigerweise vermuthen, daß dies ein Charakter ist, welcher durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden ist. Wir wissen, daß die Gesichter mehrerer Species von Affen und große Flächen am hinteren Ende des Körpers bei anderen Species von Haaren entblößt worden sind; und dies können wir getrost geschlechtlicher Zuchtwahl zuschreiben, denn diese Flächen sind nicht bloß lebhaft gefärbt, sondern zuweilen, z. B. beim männlichen Mandrill und beim weiblichen Rhesus, in dem einen Geschlechte viel lebhafter als in dem anderen, besonders zur Brunstzeit. In dem Maße wie die Thiere allmählich das geschlechtsreife Alter erreichen, werden auch die nackten Flächen, wie mir Mr. Bartlett mitgetheilt hat, im Verhältnis zur Größe des ganzen Körpers größer. Das Haar scheint indessen in diesen Fällen nicht der Entblößung wegen entfernt worden zu sein, sondern damit die Farbe der Haut vollständig entfaltet werden konnte. So scheint auch ferner bei vielen Vögeln der Kopf und Hals der Federn durch geschlechtliche Zuchtwahl entkleidet worden zu sein, damit die hell gefärbte Haut besser zur Erscheinung komme.

Da die Frau einen weniger behaarten Körper hat als der Mann, und da dieser Charakter allen Rassen gemeinschaftlich zukommt, so können wir schließen, daß unsere weiblichen halbmenschlichen Urerzeuger wahrscheinlich zuerst theilweise des Haares entkleidet wurden und daß dies zu einer äußerst entfernt zurückliegenden Zeit eintrat, ehe noch die verschiedenen Rassen von einer gemeinsamen Stammform sich abgezweigt hatten. Wie unsere weiblichen Urerzeuger allmählich diesen neuen Charakter der Nacktheit erlangt haben, müssen sie denselben in einem beinahe gleichen Grade ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts während ihrer Kindheit überliefert haben, so daß seine Überlieferung, wie es mit den Zierathen vieler Säugethiere und Vögel der Fall ist, weder durch Alter noch Geschlecht beschränkt worden ist. Darin, daß ein theilweiser Verlust des Haares von den affenähnlichen Urerzeugern des Menschen für ornamental gehalten worden ist, liegt nichts Überraschendes, denn wir haben gesehen, daß bei Thieren aller Arten unzählige fremdartige Charaktere in dieser Weise geschätzt und folglich durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Auch ist es nicht überraschend, daß ein in einem unbedeutenden Grade nachtheiliger Charakter hierdurch erlangt worden ist, denn wir wissen, daß dies bei den Schmuckfedern einiger Vögel und bei den Geweihen mancher Hirsche der Fall ist.

Die Weibchen einiger anthropoider Affen sind, wie in einem früheren Capitel angeführt wurde, an der unteren Fläche des Körpers etwas weniger behaart als die Männchen, und hier haben wir einen Punkt, der wohl als Ausgang für den Proceß der Enthaarung gedient haben kann. In Bezug auf die Vollendung dieses Vorganges durch geschlechtliche Zuchtwahl ist es gut, sich des neuseeländischen Sprüchwortes zu erinnern, daß »es für einen haarigen Mann keine Frau giebt«. Alle, welche Photographien der siamesischen behaarten Familie gesehen haben, werden zugeben, wie lächerlich häßlich das entgegengesetzte Extrem von excessivem Behaartsein ist. Der Kaiser von Siam mußte daher einen Mann bestechen, damit er die erste behaarte Frau in der Familie heirathete, welche dann diesen Charakter ihren jungen Nachkommen beiderlei Geschlechts überlieferte.Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. II. 1873, p. 373.

Manche Rassen sind viel behaarter als andere, besonders auf männlicher Seite. Es darf aber nicht angenommen werden, daß die behaarteren Rassen, z. B. Europäer, einen ursprünglichen Zustand vollständiger beibehalten haben als die nackten, solche wie die Kalmucken oder Amerikaner. Es ist wahrscheinlicher, daß das Behaartsein der ersteren die Folge eines theilweisen Rückschlages ist; denn Charaktere, welche in einer früheren Zeit lange vererbt worden sind, sind immer geneigt, wiederzukehren. Wir haben gesehen, daß Idioten häufig sehr stark behaart sind; auch kehren sie leicht in andern Charakteren auf einen niederen thierischen Typus zurück. Dem Anscheine nach hat ein kaltes Klima zu dieser Art von Rückschlag nicht Veranlassung gegeben, mit Ausnahme vielleicht der Neger, welche während mehrerer Generationen in den Vereinigten Staaten aufgezogen worden sind,Investigations into Military and Anthropological Statistics of American Soldiers by B. A. Gould, 1869, p. 568. – Es wurden sorgfältige Beobachtungen über das Behaartsein von 2129 schwarzen und farbigen Soldaten, während sie sich badeten, angestellt; und unter Bezugnahme auf die veröffentlichte Tabelle »ist es auf den ersten Blick offenbar, daß zwischen den weißen und schwarzen Rassen in dieser Hinsicht, wenn überhaupt irgend ein Unterschied, doch nur ein geringer besteht«. Es ist indessen sicher, daß die Neger in ihrem so viel wärmeren Heimathlande merkwürdig glatte Körper haben. Man muß noch besonders beachten, daß in der obigen Aufzählung reine Schwarze und Mulatten inbegriffen waren, und dies ist ein unglücklicher Umstand, da nach dem Princip, dessen Richtigkeit ich an einer andern Stelle bewiesen habe, gekreuzte Menschenrassen außerordentlich leicht auf den ursprünglich behaarten Zustand ihrer frühen affenähnlichen Urerzeuger zurückschlagen werden. und möglicherweise der Ainos, welche die nördlichen Inseln des japanesischen Archipels bewohnen. Aber die Gesetze der Vererbung sind so complicierter Natur, daß wir selten ihre Wirksamkeit verstehen können. Wenn das stärkere Behaartsein gewisser Rassen wirklich das Resultat von Rückschlag, ungehemmt durch irgend eine Form von Zuchtwahl, ist, so hört die äußerste Variabilität dieses Charakters, selbst innerhalb der Grenzen einer und derselben Rasse, auf, merkwürdig zu sein.Kaum irgend eine der in vorliegendem Werke ausgesprochenen Ansichten hat eine gleich ungünstige Beurtheilung erfahren (s. z. B. Spengel, Die Fortschritte des Darwinismus. 1874, p. 80), als die oben gegebene Erklärung des Verlustes des Haarkleides beim Menschen durch geschlechtliche Zuchtwahl; aber keines der dagegen vorgebrachten Argumente scheint mir ein großes Gewicht zu besitzen, wenn man die Thatsachen berücksichtigt, welche zeigen, daß die Nacktheit der Haut bis zu einem gewissen Grade ein secundärer Sexualcharakter beim Menschen und bei einigen Quadrumanen ist.

In Bezug auf den Bart finden wir, wenn wir uns zu unseren besten Führern, nämlich den Quadrumanen wenden, in beiden Geschlechtern gleichmäßig gut entwickelte Bärte bei vielen Species, aber bei anderen sind solche entweder auf die Männchen beschränkt oder bei diesen stärker entwickelt als bei den Weibchen. Nach dieser Thatsache und nach der merkwürdigen Anordnung, ebenso wie nach den hellen Farben des Haares um die Köpfe vieler Affen ist es in hohem Grade wahrscheinlich, wie früher auseinandergesetzt wurde, daß die Männchen ihre Bärte zuerst durch geschlechtliche Zuchtwahl als Zierathen erhielten und sie dann in den meisten Fällen in gleichem oder nahezu gleichem Grade ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts überlieferten. Wir wissen durch Eschricht,Über die Richtung der Haare am menschlichen Körper, in: Müller's Archiv für Anat. u. Phys. 1837, p. 40. daß beim Menschen sowohl der weibliche als der männliche Foetus am Gesichte mit vielen Haaren versehen ist, besonders rings um den Mund, und dies deutet darauf hin, daß wir von einem Urerzeuger abstammen, dessen beide Geschlechter mit Bärten versehen waren. Es scheint daher auf den ersten Blick wahrscheinlich zu sein, daß der Mann seinen Bart von einer sehr frühen Periode her behalten hat, während die Frau ihren Bart zu der nämlichen Zeit verloren hat, als ihr Körper beinahe vollständig von Haaren entblößt wurde. Selbst die Farbe des Bartes beim Menschen scheint von einem affenähnlichen Urerzeuger geerbt worden zu sein; denn wenn irgend eine Verschiedenheit im Farbentone zwischen dem Haare auf dem Kopfe und dem Barte vorhanden ist, so ist der letztere bei allen Affen und beim Menschen heller gefärbt. Bei denjenigen Quadrumanen, bei welchen die Männchen einen größeren Bart haben als die Weibchen, ist derselbe vollständig nur zur Zeit der Geschlechtsreife entwickelt, genau wie beim Menschen, und es ist wohl möglich, daß nur die späteren Entwicklungsstufen vom Menschen beibehalten worden sind. Der Ansicht, daß der Bart von einer frühen Zeit her beibehalten worden ist, steht die Thatsache entgegen, daß er bei verschiedenen Rassen und selbst innerhalb der Grenzen einer und derselben Rasse sehr variabel ist; dies deutet nämlich darauf hin, daß Rückschlag in Thätigkeit getreten ist; denn lange verloren gewesene Charaktere variieren sehr gern, wenn sie wiedererscheinen.

Wir dürfen auch die Rolle nicht übersehen, welche die geschlechtliche Zuchtwahl während späterer Zeiten gespielt haben kann; denn wir wissen, daß bei Wilden die Männer der bartlosen Rassen sich unendliche Mühe geben, jedes einzelne Haar aus ihrem Gesichte als etwas Widerwärtiges auszureißen, während die Männer der behaarten Rassen den größten Stolz in ihren Bart setzen. Ohne Zweifel theilen die Frauen ganz diese Gefühle, und wenn dies der Fall ist. so kann es kaum anders sein, als daß geschlechtliche Zuchtwahl im Verlaufe der späteren Zeiten eine Wirkung geäußert hat. Es ist auch möglich, daß der lange fortgesetzte Gebrauch, das Haar auszureißen, eine vererbte Wirkung hervorgebracht hat. Dr. Brown-Sequard hat gezeigt, daß, wenn man bei gewissen Thieren eine eigentümliche Operation ausführt, deren Nachkommen afficiert werden. Noch weitere Belege über die Vererbung der Wirkung von Verstümmelungen könnten beigebracht werden; doch hat eine vor Kurzem von Mr. Salvin ermittelte ThatsacheÜber die Schwanzfedern der Motmots, in: Proceed. Zool. Soc. 1873, p. 429. eine noch directere Beziehung zu den vorliegenden Fragen. Er hat nämlich gezeigt, daß bei den Motmots, welche bekanntlich die Gewohnheit haben, die Fahnen der beiden mittleren Schwanzfedern sich abzubeißen, die Fahnen dieser Federn von Natur etwas verkümmert sind. Trotzdem aber wird der Gebrauch, den Bart und die Haare am Körper auszureißen, beim Menschen wahrscheinlich nicht eher entstanden sein, als bis diese Haare durch irgend welche Einflüsse schon etwas reduciert geworden waren.Mr. Sproat hat vermuthungsweise dieselbe Ansicht ausgesprochen (Scenes and Studies of Savage Life. 1868, p. 25). Einige hervorragende Ethnologen, unter Anderen Gosse in Genf, glauben, daß künstliche Modifikationen des Schädels zum Vererben neigen.

Es ist schwierig, sich darüber ein Urtheil zu bilden, wie sich das Haar auf dem Kopfe zu seiner jetzigen bedeutenden Länge bei vielen Rassen entwickelt hat. EschrichtEschricht, Über die Richtung der Haare am menschlichen Körper, in: Müller's Archiv für Anat. u. Phys. 1837, p. 40. giebt an, daß beim menschlichen Foetus das Haar im Gesicht während des fünften Monats länger ist als das am Kopfe, und dies weist darauf hin, daß unsere halbmenschlichen Urerzeuger nicht mit langen Zöpfen versehen waren, welche folglich eine spätere Acquisition gewesen sein müssen. Dies wird gleichfalls durch die außerordentlichen Verschiedenheiten in der Länge des Haares bei den verschiedenen Rassen angedeutet. Beim Neger bildet das Haar nur eine gekräuselte Matraze, bei uns ist es von bedeutender Länge und bei den amerikanischen Eingeborenen erreicht es nicht selten den Boden. Einige Species von Semnopithecus haben ihren Kopf mit mäßig langem Haar bedeckt, und dies dient wahrscheinlich zur Zierde und wurde durch geschlechtliche Zuchtwahl erreicht. Dieselbe Ansicht kann vielleicht auf das Menschengeschlecht ausgedehnt werden, denn wir wissen, daß lange Zöpfe jetzt sehr bewundert werden, und schon früher bewundert wurden, wie sich aus den Werken beinahe jedes Poeten nachweisen läßt. Der Apostel Paulus sagt: »(ist es nicht) dem Weibe eine Ehre, so sie lange Haare zeugt«. Und wir haben gesehen, daß in Nord-Amerika ein Häuptling lediglich wegen der Länge seines Haares gewählt wurde.

 
Farbe der Haut. – An der besten Art von Beweisen dafür, daß die Farbe der Haut durch geschlechtliche Zuchtwahl modificiert worden ist, fehlt es in Bezug auf das Menschengeschlecht sehr; denn die Geschlechter weichen, wie wir gesehen haben, in dieser Beziehung nicht oder nur unbedeutend von einander ab. Wir wissen indessen aus vielen bereits mitgetheilten Thatsachen, daß die Farbe der Haut von den Menschen aller Rassen als ein äußerst bedeutungsvolles Element bei ihrer Schönheit betrachtet wird, so daß es ein Charakter ist, welcher wahrscheinlich durch Zuchtwahl gern wird modificiert worden sein, wie es in unzähligen Beispielen bei den niederen Thieren eingetreten ist. Es erscheint auf den ersten Blick als eine monströse Annahme, daß die glänzende Schwärze des Negers durch geschlechtliche Zuchtwahl erreicht worden sein soll. Es wird aber diese Ansicht durch verschiedene Analogien unterstützt, und wir wissen, daß Neger ihre eigene Schwärze bewundern. Wenn bei Säugethieren die Geschlechter in der Farbe verschieden sind, so ist das Männchen oft schwarz oder viel dunkler als das Weibchen, und es hängt lediglich von der Form der Vererbung ab, ob diese oder eine andere Färbung auf beide Geschlechter oder nur auf eins allein vererbt werden soll. Die Ähnlichkeit der Pithecia satanas – mit ihrer glänzenden schwarzen Haut, ihren weißen rollenden Augäpfeln und ihrem auf der Höhe gescheitelten Haare – mit einem Neger in Miniatur ist fast lächerlich.

Die Farbe des Gesichtes ist bei den verschiedenen Arten von Affen viel mehr verschieden als bei den Rassen des Menschen, und wir haben einigen Grund zu der Annahme, daß die rothen, blauen, orangenen, beinahe weißen und schwarzen Farbentöne ihrer Haut, selbst wenn sie beiden Geschlechtern gemeinsam zukommen, ebenso wie die glänzenden Farben ihres Pelzes und die ornamentalen Haarbüschel um ihren Kopf herum, sämmtlich durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Da die Reihenfolge der Entwicklung der einzelnen Merkmale während des Wachsthums im Allgemeinen die Reihenfolge andeutet, in welcher die Merkmale einer Art während der früheren Generationen entwickelt und modificiert wurden, und da die neugeborenen Kinder der verschiedensten Rassen nicht nahezu so bedeutend in der Farbe von einander verschieden sind wie die Erwachsenen, obschon ihre Körper vollständig der Haare entbehren, so erhalten wir hierdurch eine leise Hindeutung darauf, daß die Farben der verschiedenen Rassen später als die Entfernung des Haars erlangt wurden, was, wie früher angeführt wurde, in einer sehr frühen Periode eingetreten sein muß.

 
Zusammenfassung. – Wir können schließen, daß die bedeutendere Größe, Kraft, der größere Muth und die stärkere Kampflust und Energie des Mannes im Vergleiche mit der Frau während der Urzeiten erlangt und später hauptsächlich durch die Kämpfe rivalisierender Männer um den Besitz der Weiber verstärkt worden sind. Die größere intellectuelle Kraft und das stärkere Erfindungsvermögen beim Manne ist wahrscheinlich eine Folge natürlicher Zuchtwahl in Verbindung mit den vererbten Wirkungen der Gewohnheit; denn die fähigsten Männer werden beim Vertheidigen und bei dem Sorgen für sich selbst, für ihre Weiber und ihre Nachkommen den besten Erfolg gehabt haben. Soweit es die äußerst verwickelte Natur des Gegenstandes uns gestattet zu urtheilen, scheint es, als hätten unsere männlichen affenähnlichen Urerzeuger ihre Bärte als Zierathen erlangt, um das andere Geschlecht zu bezaubern oder zu reizen, und sie dann nur ihren männlichen Nachkommen überliefert. Die Weibchen wurden allem Anscheine nach zuerst in gleicher Weise zur geschlechtlichen Zierde der Haardecke entkleidet; sie überlieferten aber diesen Charakter beinahe gleichmäßig beiden Geschlechtern. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß die Weibchen auch in anderen Beziehungen zu demselben Zwecke und durch dieselben Mittel modificiert wurden, so daß die Frauen angenehmere Stimmen erhalten haben und schöner geworden sind als die Männer.

Es verdient besondere Beachtung, daß beim Menschengeschlechte die Bedingungen für die Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl während einer sehr frühen Periode, wo der Mensch gerade eben den Rang der Menschlichkeit erreicht hatte, in vielen Beziehungen viel günstiger waren, als während späterer Zeiten. Denn er wird damals, wie wir getrost schließen können, mehr durch seine instinctiven Leidenschaften und weniger durch Vorsicht oder Vernunft geleitet worden sein. Er wird damals eifersüchtig sein Weib oder seine Weiber gehütet haben. Er wird damals weder Kindesmord ausgeübt haben, noch wird er seine Frauen lediglich als nützliche Sclaven geschätzt haben, noch wird er sie während früher Kindheit verlobt haben. Wir können daher schließen, daß die Rassen des Menschen, soweit geschlechtliche Zuchtwahl in Betracht kommt, zum hauptsächlichsten Theile während einer sehr entfernt liegenden Epoche differenziert wurden; und diese Schlußfolgerung wirft auf die merkwürdige Thatsache Licht, daß in der allerältesten Periode, von welcher wir jetzt überhaupt irgend einen Bericht erhalten haben, die Rassen des Menschen bereits nahezu oder vollständig so weit von einander verschieden geworden waren, als sie heutigen Tages sind.

Die hier über die Rolle, welche geschlechtliche Zuchtwahl in der Geschichte des Menschen gespielt hat, vorgebrachten Ansichten ermangeln der wissenschaftlichen Praecision. Wer die Wirksamkeit dieser Kräfte bei niederen Thieren nicht zugiebt, wird wahrscheinlich Alles, was ich in den letzten Capiteln über den Menschen geschrieben habe, nicht weiter beachten. Wir können nicht positiv sagen, daß dieser Charakter, aber nicht jener, hierdurch modificiert worden ist. Es ist indessen gezeigt worden, daß die Rassen des Menschen von einander und von ihren nächsten Verwandten unter den niederen Thieren in gewissen Charakteren abweichen, welche für sie in den gewöhnlichen Lebensgewohnheiten von keinem Nutzen sind und von denen es äußerst wahrscheinlich ist, daß sie durch geschlechtliche Zuchtwahl modificiert worden sind. Wir haben gesehen, daß bei den niedrigsten Wilden die Völker eines jeden Stammes ihre eigenen charakteristischen Eigenschaften bewundern, – die Form des Kopfes und Gesichtes, die viereckige Gestalt der Wangenknochen, das Hervorragen oder das Eingedrücktsein der Nase, die Farbe der Haut, die Länge des Haares am Kopfe, das Fehlen von Haaren am Gesichte und Körper, oder das Vorhandensein eines großen Bartes und Derartiges mehr. Es kann daher nicht gefehlt haben, daß diese und andere solche Punkte langsam und allmählich übertrieben worden sind dadurch, daß die kraftvolleren und fähigeren Männer in jedem Stamme, welche die größte Zahl von Nachkommen aufzuziehen ermöglicht haben, viele Generationen hindurch sich zu ihren Frauen die am schärfsten charakterisierten und daher am meisten anziehenden Weiber gewählt haben. Ich für meinen Theil komme zu dem Schlusse, daß von allen den Ursachen, welche zu den Verschiedenheiten in der äußeren Erscheinung zwischen den Rassen des Menschen und den niederen Thieren geführt haben, die geschlechtliche Zuchtwahl bei weitem die wirksamste gewesen ist.

 


 


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