Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Numerisches Verhältnis der beiden Geschlechter. – Ich habe oben bemerkt, daß geschlechtliche Zuchtwahl eine einfache Angelegenheit wäre, wenn die Männchen den Weibchen an Zahl beträchtlich überlegen wären. Ich wurde hierdurch veranlaßt, soweit ich es thun konnte, die proportionalen Zahlen beider Geschlechter bei so vielen Thieren wie nur möglich zu untersuchen; doch sind die Materialien nur dürftig. Ich will hier nur einen kurzen Abriß der Resultate geben und die Einzelheiten für eine anhangsweise Erörterung aufbewahren, um hier den Gang meiner Beweisführung nicht zu unterbrechen. Nur domesticierte Thiere bieten die Gelegenheit dar, die proportionalen Zahlen bei der Geburt festzustellen; es sind aber speciell für diesen Zweck keine Berichte abgefaßt oder Listen etc. geführt worden. Indessen habe ich auf indirectem Wege eine beträchtliche Menge statistischer Angaben gesammelt, aus denen hervorgeht, daß bei den meisten unserer domesticierten Thiere die Geschlechter bei der Geburt nahezu gleich sind. So sind von Rennpferden während einundzwanzig Jahren 25 560 Geburten registriert worden, und die männlichen Geburten standen zu den weiblichen in dem Verhältnisse von 99,7:100. Bei Windspielen ist die Ungleichheit größer als bei irgend einem anderen Thiere, denn während zwölf Jahren verhielten sich unter 6878 Geburten die männlichen Geburten zu den weiblichen wie 110,1:100. Es ist indeß in einem gewissen Grade zweifelhaft, ob man mit Sicherheit schließen darf, daß dieselben proportionalen Zahlen ebenso unter natürlichen Verhältnissen wie im Zustande der Domestication auftreten würden; denn unbedeutende und unbekannte Verschiedenheiten in den Lebensbedingungen afficieren in einer gewissen Ausdehnung das Verhältnis der beiden Geschlechter zu einander. So verhalten sich in Bezug auf den Menschen die männlichen Geburten in England wie 104,5, in Rußland wie 108,9 und bei den Juden in Livland wie 120 zu 100 weiblichen Geburten. Ich werde aber auf diesen merkwürdigen Punkt, den Exceß männlicher Geburten, im Anhange zu diesem Capitel zurückkommen. Am Cap der guten Hoffnung wurden indessen während mehrerer Jahre männliche Kinder europäischer Herkunft im Verhältnis von zwischen 90 und 99 zu 100 weiblichen geboren.
Für unsern gegenwärtigen Zweck haben wir es hier mit dem Verhältnisse der beiden Geschlechter nicht zur Zeit der Geburt, sondern zur Zeit der Reife zu thun, und dies bringt noch ein anderes Element des Zweifels mit sich. Denn es ist eine sicher bestätigte Thatsache, daß bei dem Menschen eine beträchtlich bedeutendere Zahl der männlichen Kinder vor oder während der Geburt und während der ersten wenigen Jahre der Kindheit stirbt als der weiblichen. Dasselbe ist fast sicher mit den männlichen Lämmern der Fall und dasselbe dürfte wahrscheinlich auch für die Männchen einiger andern Thiere gelten. Die Männchen mancher Thiere tödten einander in Kämpfen oder sie treiben einander herum, bis sie bedeutend abgemagert sind. Sie müssen auch, während sie im eifrigen Suchen nach Weibchen umherwandern, oft verschiedenen Gefahren ausgesetzt sein. Bei vielen Arten von Fischen sind die Männchen viel kleiner als die Weibchen und man glaubt, daß sie oft von den letzteren oder von anderen Fischen verschlungen werden. Bei manchen Vögeln scheint es, als ob die Weibchen zeitiger stürben als die Männchen; auch sind sie einer Zerstörung, während sie auf dem Neste sitzen oder während sie sich um ihre Jungen mühen, sehr ausgesetzt. Bei Insecten sind die weiblichen Larven oft größer als die männlichen und dürften in Folge dessen wohl häufiger von anderen Thieren gefressen werden. In manchen Fällen sind die reifen Weibchen weniger lebendig und weniger schnell in ihren Bewegungen als die Männchen und werden daher nicht so gut im Stande sein, den Gefahren zu entrinnen. Bei den Thieren im Naturzustande müssen wir uns daher, um uns über die Verhältnisse der Geschlechter im Reifezustande ein Urtheil zu bilden, auf bloße Schätzung verlassen, und diese ist, vielleicht mit Ausnahme der Fälle, wo die Ungleichheit stark markiert ist, nur wenig zuverlässig. Soweit sich aber ein Urtheil bilden läßt, können wir nichtsdestoweniger aus den im Anhange gegebenen Thatsachen schließen, daß die Männchen einiger weniger Säugethiere, vieler Vögel und einiger Fische und Insecten die Weibchen an Zahl beträchtlich übertreffen.
Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern fluctuiert unbedeutend während aufeinanderfolgender Jahre. So variierte bei Rennpferden für je hundert geborener Weibchen die Zahl der Männchen von 107,1 in dem einen Jahre bis zu 92,6 in einem andern Jahre, und bei Windspielen von 116,3 zu 95,3. Wären aber Zahlen aus einem noch ausgedehnteren Bezirke, als England ist, tabellarisch zusammengestellt worden, so würden wahrscheinlich diese Fluctuationen verschwunden sein, und so wie sie sind, dürften sie kaum genügen, um zur Wirksamkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl im Naturzustande zu führen. Nichtsdestoweniger scheinen bei einigen wenigen wilden Thieren, wie im Anhange gezeigt werden wird, die Proportionen entweder während verschiedener Jahre oder in verschiedenen Örtlichkeiten in einem hinreichend bedeutenden Grade zu schwanken, um zu einer derartigen Wirksamkeit zu führen. Denn man muß beachten, daß irgend ein Vortheil, der während gewisser Jahre oder in gewissen Örtlichkeiten von denjenigen Männchen erlangt wurde, welche im Stande waren, andere Männchen zu besiegen, oder welche für die Weibchen die meiste Anziehungskraft besaßen, wahrscheinlich auf deren Nachkommen überliefert und später nicht wieder eliminiert werden würde. Wenn während der aufeinanderfolgenden Jahre in Folge der gleichen Zahl der Geschlechter jedes Männchen überall im Stande wäre, sich ein Weibchen zu verschaffen, so würden die kräftigeren oder anziehenderen Männchen, welche früher erzeugt wurden, doch immer noch mindestens ebensoviel Wahrscheinlichkeit haben, Nachkommen zu hinterlassen, als die weniger kräftigen und weniger anziehenden.
Polygamie. – Die Gewohnheit der Polygamie führt zu denselben Resultaten, welche aus einer factischen Ungleichheit in der Zahl der Geschlechter sich ergeben würden. Denn wenn jedes Männchen sich zwei oder mehrere Weibchen verschafft, so werden viele Männchen nicht im Stande sein, sich zu paaren; und zuverlässig werden diese letzteren die schwächeren oder weniger anziehenden Individuen sein. Viele Säugethiere und einige wenige Vögel sind polygam; bei Thieren indessen, welche zu den niederen Classen gehören, habe ich keine Zeugnisse hierfür gefunden. Die intellectuellen Kräfte solcher Thiere sind vielleicht nicht hinreichend groß, um sie dazu zu führen, einen Harem von Weibchen um sich zu sammeln und zu bewachen. Daß irgend eine Beziehung zwischen Polygamie und der Entwicklung secundärer Sexualcharaktere existiert, scheint ziemlich sicher zu sein; und dies unterstützt die Ansicht, daß ein numerisches Übergewicht der Männchen der Thätigkeit geschlechtlicher Zuchtwahl ganz außerordentlich günstig sein würde. Nichtsdestoweniger bieten viele Thiere, besonders Vögel, welche ganz streng monogam leben, scharf ausgesprochene secundäre Sexualcharaktere dar, während andrerseits einige wenige Thiere, welche polygam leben, nicht in dieser Weise ausgezeichnet sind.
Wir wollen zuerst schnell die Classe der Säugethiere durchlaufen und uns dann zu den Vögeln wenden. Der Gorilla scheint polygam zu sein, und das Männchen weicht beträchtlich vom Weibchen ab. Dasselbe gilt für einige Paviane, welche in Herden leben, die zweimal so viele erwachsene Weibchen als Männchen enthalten. In Süd-Amerika bietet der Mycetes caraya gut ausgesprochene geschlechtliche Verschiedenheiten in der Färbung, dem Barte und den Stimmorganen dar; und das Männchen lebt meist mit zwei oder drei Weibchen. Das Männchen des Cebus capucinus weicht etwas von dem Weibchen ab und scheint auch polygam zu sein.Über den Gorilla s. Savage und Wyman in: Boston Journ. of Natur. Hist. Vol. V. 1845-47, p. 423. Über Cynocephalus s. Brehm, Illustriertes Thierleben. 2. Aufl. Bd. I. 1876, p. 159. Über Mycetes s. Rengger, Naturgesch. d. Säugethiere von Paraguay. 1830, p. 14, 20. Über Cebus s. Brehm, a. a. O. p. 201. In Bezug auf die meisten anderen Affen ist über diesen Punkt nur wenig bekannt, aber manche Species sind streng monogam. Die Wiederkäuer sind ganz außerordentlich polygam und sie bieten häufiger geschlechtliche Verschiedenheiten dar als vielleicht irgend eine andere Gruppe von Säugethieren, besonders in ihren Waffen, aber gleichfalls in anderen Merkmalen. Die meisten hirschartigen, rinderartigen Thiere und Schafe sind polygam, wie es auch die meisten Antilopen sind, obgleich einige der letzteren monogam leben. Sir Andrew Smith erzählt von den Antilopen in Süd-Afrika und sagt, daß in Herden von ungefähr einem Dutzend selten mehr als ein reifes Männchen sich findet. Die asiatische Antilope Saiga scheint der ausschweifendste Polygamist in der Welt zu sein; denn PallasPallas, Spicilegia zoologica Fascic. XII. 1777, p. 29. Sir Andrew Smith, Illustrations of the Zoology of South Africa. 1849, pl. 29 über den Kobus. Owen giebt in seiner Anatomy of Vertebrates, Vol. III, 1868, p. 633, eine Tabelle, welche unter Anderem auch zeigt, welche Arten von Antilopen in Herden leben. giebt an, daß das Männchen sämmtliche Nebenbuhler forttreibt und eine Herde von ungefähr Hundert um sich sammelt, welche aus Weibchen und Kälbern besteht. Das Weibchen ist hornlos und hat weichere Haare, weicht aber in anderer Weise nicht viel vom Männchen ab. Das wilde Pferd der Falkland-Inseln und der westlichen Staaten von Nord-Amerika ist polygam; mit Ausnahme der bedeutenderen Größe und der Verhältnisse des Körpers weicht aber der Hengst nur wenig von der Stute ab. Der wilde Eber bietet in seinen großen Hauern und einigen anderen Charakteren scharf markierte sexuelle Merkmale dar. In Europa und in Indien führt er mit Ausnahme der Brunstzeit ein einsames Leben, aber um diese Zeit vergesellschaftet er sich in Indien mit mehreren Weibchen, wie Sir W. Elliot annimmt, welcher reiche Erfahrung in der Beobachtung dieses Thieres besitzt. Ob dies auch für den Eber in Europa gilt, ist zweifelhaft, doch wird es von einigen Angaben unterstützt. Der erwachsene männliche indische Elefant bringt, wie der Eber, einen großen Theil seiner Zeit in Einsamkeit hin; aber wenn er sich mit anderen Thieren zusammenthut, so findet man, wie Dr. Campbell angiebt, »selten mehr als ein Männchen mit einer großen Herde von Weibchen«. Die größeren Männchen treiben die kleineren und schwächeren fort oder tödten sie. Das Männchen weicht vom Weibchen durch seine ungeheueren Stoßzähne und bedeutendere Größe, Kraft und Ausdauer ab. Die Verschiedenheit ist in dieser letzteren Beziehung so groß, daß die Männchen, wenn sie gefangen sind, um ein Fünftel höher geschätzt werden als die Weibchen.Dr. Campbell in: Proceed. Zoolog. Soc. 1869, p. 138. s. auch einen interessanten Aufsatz von Lieutenant Johnstone in: Proceed. Asiatic. Soc. of Bengal, May, 1868. Bei anderen pachydermen Thieren weichen die Geschlechter sehr wenig oder gar nicht von einander ab, auch sind sie, soweit es bekannt ist, keine Polygamisten. Von keiner Species aus den Ordnungen der Chiroptern, Edentaten, Nagethiere und Insectenfresser habe ich gehört, daß sie polygam sei, mit Ausnahme der gemeinen Ratte unter den Nagern, von der, wie einige Rattenfänger versichern, die Männchen mit mehreren Weibchen leben. Nichtsdestoweniger weichen die beiden Geschlechter einiger Faulthiere (Edentaten) in dem Charakter und der Farbe gewisser Gruppen von Haaren an den Schultern von einander ab.Dr. Gray in: Annals and Mag. of Nat. Hist. 1871. Vol. VII, p. 302. Auch bieten viele Arten von Fledermäusen (Chiroptern) gut ausgesprochene geschlechtliche Verschiedenheiten dar, hauptsächlich in dem Umstande, daß die Männchen Riech-Drüsen und -Taschen besitzen und von hellerer Färbung sind.s. Dr. Dobson's vortrefflichen Aufsatz in: Proceed. Zool. Soc. 1872, p. 214 In der großen Ordnung der Nager weichen, soweit ich es habe verfolgen können, die Geschlechter nur selten von einander ab, und wenn sie es thun, ist es nur unbedeutend in der Färbung des Pelzes.
Wie ich von Sir Andrew Smith höre, lebt der Löwe in Süd-Afrika zuweilen mit einem einzigen Weibchen, meistens aber mit mehr als einem, und in einem Falle fand man, daß er sogar mit fünf Weibchen lebte, so daß er also polygam ist. Er ist, soweit ich ausfindig machen kann, der einzige Polygamist in der ganzen Gruppe der landbewohnenden Carnivoren und er allein bietet wohlausgesprochene Sexualcharaktere dar. Wenn wir uns indeß zu den See-Carnivoren wenden, so stellt sich der Fall sehr verschieden, wie wir hernach sehen werden. Denn viele Species von Robben bieten außerordentliche sexuelle Verschiedenheiten dar, und sie sind in eminentem Grade polygam. So besitzt der männliche See-Elefant der Südsee nach der Angabe von Péron stets mehrere Weiber, und von dem See-Löwen von Forster sagt man, daß er von zwanzig bis dreißig Weibchen umgeben wird; im Norden begleitet den männlichen See-Bär von Steller selbst eine noch größere Zahl von Weibchen. Es ist eine interessante Thatsache, daß, wie Dr. Gill bemerkt,The Eared Seals, in: American Naturalist. Vol. IV, Jan. 1871. bei den monogamen Arten, »oder denen, welche in kleinen Gesellschaften leben, nur wenig Unterschied in der Größe zwischen den Männchen und Weibchen besteht; bei den socialen Arten oder vielmehr bei solchen, bei denen die Männchen sich Harems halten, sind die Männchen ungeheuer viel größer als die Weibchen«.
Was die Vögel betrifft, so sind viele Species, in denen die Geschlechter bedeutend von einander abweichen, sicher monogam. In Groß-Britannien sehen wir z. B. gut ausgesprochene Verschiedenheiten bei der wilden Ente, welche mit einem einzigen Weibchen sich paart, bei der gemeinen Amsel und beim Gimpel, von dem man sagt, daß er sich für's Leben paart. Dasselbe gilt, wie mir Mr. Wallace mitgetheilt hat, für die Cotingiden von Süd-Amerika und für viele andere Vögel. In mehreren Gruppen bin ich nicht im Stande gewesen ausfindig zu machen, ob die Species polygam oder monogam leben. Lesson sagt, daß die Paradiesvögel, welche wegen ihrer geschlechtlichen Verschiedenheiten so merkwürdig sind, polygam leben; Mr. Wallace zweifelt aber, ob er für diesen Ausspruch hinreichende Belege gehabt hat. Mr. Salvin theilt mir mit, er werde zu der Annahme veranlaßt, daß die Colibris polygam leben. Der männliche Wittwenvogel (Vidua), welcher wegen seiner Schwanzfedern so merkwürdig ist, scheint sicher ein Polygamist zu sein.The Ibis. Vol. III. 1861, p. 133, über den Progne-Wittwenvogel. s. auch über Vidua axillaris ebenda, Vol. II. 1860, p. 211. Über die Polygamie des Auerhahns und der großen Trappe s. L. Lloyd, Game Birds of Sweden. 1867, p. 19 und 182. Montagu und Selby sprechen vom Birkhuhne als einem polygamen, vom Schneehuhne als einem monogamen Vogel. Mr. Jenner Weir und Andere haben mir versichert, daß nicht selten drei Staare ein und dasselbe Nest frequentieren; ob dies aber ein Fall von Polygamie oder Polyandrie ist, ist nicht ermittelt worden.
Die hühnerartigen Vögel bieten fast ebenso scharf markierte geschlechtliche Verschiedenheiten dar wie die Paradiesvögel und Colibris, und viele ihrer Arten sind bekanntlich polygam; andere dagegen leben in stricter Monogamie. Welchen Contrast bieten die beiden Geschlechter des polygamen Pfauen oder Fasans und des monogamen Perlhuhns oder Rebhuhns dar! Es ließen sich viele ähnliche Fälle noch anführen, wie in der Gruppe der Waldhühner, bei denen die Männchen des polygamen Auerhuhns und des Birkhuhns bedeutend von den Weibchen abweichen, während die Geschlechter des monogamen Moor- und schottischen Schneehuhns nur sehr wenig von einander verschieden sind. Unter den Laufvögeln bieten, wenn man die trappenartigen ausnimmt, nur wenig Species scharf markierte sexuelle Verschiedenheiten dar, und man sagt, daß die große Trappe (Otis tarda) polygam sei. Unter den Watvögeln weichen nur äußerst wenige Arten sexuell von einander ab; aber der Kampfläufer (Machetes pugnax) bietet eine sehr auffallende Ausnahme dar und Montagu glaubt, daß diese Art polygam sei. Hiernach wird es daher ersichtlich, daß bei Vögeln oft eine nahe Beziehung zwischen Polygamie und der Entwicklung scharf markierter sexueller Verschiedenheiten besteht. Als ich Mr. Bartlett, welcher über Vögel so bedeutende Erfahrung besitzt, im zoologischen Garten frug, ob der männliche Tragopan (einer der Gallinaceen) polygam sei, überraschte mich seine Antwort: »Ich weiß es nicht, ich sollte es aber nach seinen glänzenden Farben wohl meinen«.
Es verdient Beachtung, daß der Instinct der Paarung mit einem einzigen Weibchen im Zustande der Domestication leicht verloren geht. Die wilde Ente ist streng monogam, die domesticierte Ente stark polygam. Mr. W. D. Fox theilt mir mit, daß bei einigen halb gezähmten Wildenten, welche auf einem großen Teiche in seiner Nachbarschaft gehalten wurden, so viele Entriche von den Wildhütern geschossen wurden, daß nur einer für je sieben oder acht Weibchen übrig gelassen wurde, und doch wurden ganz ungewöhnlich große Bruten erzogen. Das Perlhuhn lebt in stricter Monogamie. Mr. Fox findet aber, daß dieser Vogel am besten fortkommt, wenn man auf zwei oder drei Hennen einen Hahn hält. Die Canarienvögel paaren sich im Naturzustande; aber die Züchter in England bringen mit vielem Erfolge nur ein Männchen zu vier oder fünf Weibchen. Ich habe diese Fälle angeführt, da sie es wahrscheinlich machen, daß Arten, die im Naturzustande monogam sind, sehr leicht entweder zeitweise oder beständig polygam werden können.
In Bezug auf die Reptilien und Fische muß bemerkt werden, daß zu wenig von ihrer Lebensweise bekannt ist, um uns in den Stand zu setzen, von ihren Hochzeitsarrangements zu sprechen. Man sagt indeß, daß der Stichling (Gasterosteus) ein Polygamist sei,Noel Humphreys, River Gardens, 1857. und das Männchen weicht während der Brütezeit auffallend vom Weibchen ab.
Fassen wir nun die Mittel zusammen, durch welche, soweit wir es beurtheilen können, die geschlechtliche Zuchtwahl zur Entwicklung secundärer Sexualcharaktere geführt hat. Es ist gezeigt worden, daß die größte Zahl kräftiger Nachkommen durch die Paarung der kräftigsten, der am besten bewaffneten und der, im Kampfe mit anderen, siegreichen Männchen mit den kräftigsten und am besten ernährten Weibchen, welche im Frühjahr zuerst zur Brut bereit sind, erzogen wird. Wenn sich derartige Weibchen die anziehenderen und gleichzeitig auch kräftigeren Männchen auswählen, so werden sie eine größere Zahl von Nachkommen aufbringen als die sich verspätenden Weibchen, welche sich mit den weniger kräftigen und weniger anziehenden Männchen paaren müssen. Dasselbe wird eintreten, wenn die kräftigeren Männchen die mit größerer Anziehungskraft versehenen und zu derselben Zeit gesünderen und kräftigeren Weibchen auswählen; und besonders wird dies gelten, wenn das Männchen das Weibchen vertheidigt und es bei der Beschaffung von Nahrung für die Jungen unterstützt. Der in dieser Weise von den kräftigeren Paaren beim Aufziehen einer größeren Anzahl von Nachkommen erlangte Vortheil hat allem Anscheine nach hingereicht, geschlechtliche Zuchtwahl in Thätigkeit treten zu lassen. Aber ein großes Übergewicht an Zahl seitens der Männchen über die Weibchen würde noch wirksamer sein: – mag das Übergewicht nur gelegentlich und local oder bleibend sein, mag es zur Zeit der Geburt oder später in Folge der bedeutenderen Zerstörung der Weibchen eintreten, oder mag es indirect ein Resultat eines polygamen Lebens sein.
Das Männchen allgemein mehr modificiert als das Weibchen. – Wenn die beiden Geschlechter von einander in der äußeren Erscheinung abweichen, so ist es durch das ganze Thierreich hindurch das Männchen, welches, mit seltenen Ausnahmen, hauptsächlich modificiert worden ist; denn allgemein bleibt das Weibchen den Jungen seiner eigenen Species und ebenso auch anderen erwachsenen Gliedern derselben Gruppe ähnlicher. Die Ursache hiervon scheint darin zu liegen, daß die Männchen beinahe aller Thiere stärkere Leidenschaften haben als die Weibchen. Daher sind es die Männchen, welche mit einander kämpfen und eifrig ihre Reize vor den Weibchen entfalten; und diejenigen, welche siegreich aus solchen Wettstreiten hervorgehen, überliefern ihre Superiorität ihren männlichen Nachkommen. Warum die Männchen ihre Merkmale nicht auf beide Geschlechter vererben, wird hernach betrachtet werden. Daß die Männchen aller Säugethiere begierig die Weibchen verfolgen, ist allgemein bekannt. Dasselbe gilt für die Vögel. Aber viele männliche Vögel verfolgen nicht sowohl die Weibchen, als entfalten auch ihr Gefieder, führen fremdartige Gesten auf und lassen ihren Gesang erschallen in Gegenwart der Weibchen. Bei den wenigen Fischen, welche beobachtet worden sind, scheint das Männchen viel eifriger zu sein als das Weibchen; und dasselbe ist bei Alligatoren und, wie es scheint, auch bei Batrachiern der Fall. Durch die ungeheure Classe der Insecten hindurch herrscht, wie Kirby bemerkt,Kirby and Spence, Introduction to Entomology. Vol. III. 1826, p. 342 »das Gesetz, daß das Männchen das Weibchen aufzusuchen hat«. Wie ich von zwei bedeutenden Autoritäten, Mr. Blackwall und Mr. C. Spence Bate, höre, sind unter den Spinnen und Crustaceen die Männchen lebendiger und in ihrer Lebensweise herumschweifender als die Weibchen. Wenn bei Insecten und Crustaceen die Sinnes- oder Locomotionsorgane in dem einen Geschlechte vorhanden sind, in dem andern dagegen fehlen, oder wenn sie, wie es häufig der Fall ist, in dem einen Geschlechte höher entwickelt sind als in dem andern, so ist es beinahe unabänderlich, soweit ich es nachweisen kann, das Männchen, welches derartige Organe behalten oder dieselben am meisten entwickelt hat, und dies zeigt, daß das Männchen während der Bewerbung der beiden Geschlechter der thätigere Theil ist.Ein parasitisches Insect aus der Ordnung der Hymenopteren bietet (vgl. Westwood, Modern Classific. of Insects. Vol. II, p. 160) eine Ausnahme von dieser Regel dar, da das Männchen rudimentäre Flügel hat und niemals die Zelle, in welcher es geboren wurde, verläßt, während das Weibchen gut entwickelte Flügel besitzt. Audouin glaubt, daß die Weibchen dieser Species von den Männchen befruchtet werden, welche mit ihnen in derselben Zelle geboren werden; es ist aber viel wahrscheinlicher, daß die Weibchen andere Zellen besuchen und dadurch nahe Inzucht vermeiden. Wir werden später einigen wenigen exceptionellen Fällen aus verschiedenen Classen begegnen, wo das Weibchen anstatt des Männchens der aufsuchende und werbende Theil ist.
Das Weibchen ist andererseits mit sehr seltenen Ausnahmen weniger begierig als das Männchen. Wie der berühmte HunterEssays and Observations, edited bei Owen. Vol. I. 1861, p. 174. schon vor langer Zeit bemerkte, verlangt es im Allgemeinen geworben zu werden; es ist spröde, und man kann oft sehen, daß es eine Zeit lang den Versuch macht, dem Männchen zu entrinnen. Jeder, der nur die Lebensweise von Thieren aufmerksam beobachtet hat, wird im Stande sein, sich Beispiele dieser Art in's Gedächtnis zurückzurufen. Nach verschiedenen später mitzutheilenden Thatsachen zu urtheilen und nach den Wirkungen, welche getrost der geschlechtlichen Zuchtwahl zugeschrieben werden können, übt das Weibchen, wenn auch vergleichsweise passiv, allgemein eine gewisse Wahl aus und nimmt ein Männchen im Vorzug vor andern an. Oder wie die Erscheinungen uns zuweilen zu glauben veranlassen dürften: es nimmt nicht dasjenige Männchen, welches ihm das anziehendste war, sondern dasjenige, welches ihm am wenigsten zuwider war. Das Ausüben einer gewissen Wahl von Seiten des Weibchens scheint ein fast so allgemeines Gesetz wie die Begierde des Männchens zu sein.
Wir werden natürlich veranlaßt, zu untersuchen, warum das Männchen in so vielen und so weit von einander verschiedenen Classen gieriger als das Weibchen geworden ist, so daß es das Weibchen aufsucht und den thätigeren Theil bei der ganzen Bewerbung darstellt. Es würde kein Vortheil und sogar etwas Verlust an Kraft sein, wenn beide Geschlechter gegenseitig einander suchen sollten. Warum soll aber fast immer das Männchen der suchende Theil sein? Bei Pflanzen müssen die Eier nach der Befruchtung eine Zeit lang ernährt werden, daher wird der Pollen nothwendig zu den weiblichen Organen hingebracht, er wird auf die Narbe entweder durch die Thätigkeit der Insecten oder des Windes oder durch die eigenen Bewegungen der Staubfäden gebracht. Bei den Algen und anderen Pflanzen geschieht dies sogar durch die locomotive Fähigkeit der Antherozoiden. Bei niedrig organisierten Thieren, welche beständig an einem und demselben Orte befestigt sind und getrennte Geschlechter haben, wird das männliche Element unabänderlich zum Weibchen gebracht, und wir können hiervon auch die Ursache einsehen; denn wenn die Eier selbst sich vor ihrer Befruchtung lösten und keiner späteren Ernährung oder Beschützung bedürften, so könnten sie wegen ihrer relativ bedeutenderen Größe weniger leicht transportiert werden als das männliche Element. Daher sind viele der niederen Thiere in dieser Beziehung den Pflanzen analog.Prof. Sachs (Lehrbuch der Botanik, 1870, p. 633) bemerkt bei der Schilderung der männlichen und weiblichen reproductiven Zellen: »es verhält sich die eine bei der Vereinigung activ, ... die andere erscheint bei der Vereinigung passiv«. Da die Männchen fest angehefteter und im Wasser lebender Thiere dadurch veranlaßt wurden, ihr befruchtendes Element auszustoßen, so ist es natürlich, daß diejenigen ihrer Nachkommen, welche sich in der Stufenleiter erhoben und die Fähigkeit der Ortsbewegung erlangten, dieselbe Gewohnheit beibehielten; sie werden sich den Weibchen so sehr als möglich nähern, um der Gefahr zu entgehen, daß das befruchtende Element während eines langen Weges durch das Wasser verloren geht. Bei einigen wenigen der niederen Thiere sind die Weibchen allein festgeheftet und in diesen Fällen müssen die Männchen der suchende Theil sein. In Bezug auf Formen, deren Urerzeuger ursprünglich freilebend waren, ist es aber schwer zu verstehen, warum unabänderlich die Männchen die Gewohnheit erlangt haben, sich den Weibchen zu nähern, anstatt von ihnen aufgesucht zu werden. In allen Fällen würde es indessen, damit die Männchen erfolgreich Suchende werden, nothwendig sein, daß sie mit starken Leidenschaften begabt würden; die Erlangung solcher Leidenschaften würde eine natürliche Folge davon sein, daß die begierigeren Männchen eine größere Zahl von Nachkommen hinterließen, als die weniger begierigen.
Die größere Begierde des Männchens hat somit indirect zu der viel häufigeren Entwicklung secundärer Sexualcharaktere bei Männchen als beim Weibchen geführt. Aber die Entwicklung solcher Charaktere wird auch, wie ich nach einem langen Studium der domesticierten Thiere schließe, noch dadurch bedeutend unterstützt, daß das Männchen viel häufiger variiert als das Weibchen. Nathusius, welcher eine sehr große Erfahrung hat, ist entschieden derselben Meinung.Vorträge über Viehzucht. 1872, p. 63. Einige gute Belege zu Gunsten dieser Schlußfolgerung kann man durch eine Vergleichung der beiden Geschlechter des Menschen erlangen. Während der Novara-ExpeditionReise der Novara: Anthropologischer Theil. 1867, p. 216, 269. Die Resultate wurden nach den von K. Scherzer und Schwarz angeführten Messungen berechnet von Dr. Weisbach. Über die größere Variabilität der Männchen bei domesticierten Thieren s. mein »Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication«. 2. Aufl. Bd. II, p. 85. wurde eine ungeheure Zahl von Messungen der verschiedenen Körpertheile bei verschiedenen Rassen angestellt; und dabei wurde gefunden, daß die Männer in beinahe allen Fällen eine größere Breite der Variation darboten als die Weiber. Ich werde aber auf diesen Gegenstand in einem späteren Capitel zurückzukommen haben. Mr. J. Wood,Proceedings of the Royal Society. Vol. XVI. July 1868, p. 519, 524. welcher die Abänderungen der Muskeln beim Menschen sorgfältig verfolgt hat, druckt die Schlußfolgerung gesperrt, daß »die größte Zahl von Abnormitäten an einem einzelnen Leichnam bei den Männern gefunden wird«. Er hatte vorher bemerkt, daß »im Ganzen unter hundertundzwei Leichnamen die Varietäten mit überzähligen Bildungen ein halb Mal häufiger bei Männern vorkommen als bei Frauen, was sehr auffallend gegen die größere Häufigkeit von Varietäten mit Fehlen gewisser Theile bei Weibern contrastiert, was vorhin besprochen wurde«. Professor Macalister bemerkt gleichfalls,Proceed. Royal Irish Academy. Vol. X. 1868, p. 123. daß Variationen in den Muskeln »wahrscheinlich bei Männern häufiger sind als bei Weibern« Gewisse Muskeln, welche normal beim Menschen nicht vorhanden sind, finden sich auch häufiger beim männlichen Geschlechte entwickelt als beim weiblichen, obgleich man annimmt, daß Ausnahmen von dieser Regel vorkommen. Dr. Burt WilderMassachusetts Medical Society. Vol. II. No. 3. 1868, p. 9. hat hundertzweiundfünfzig Fälle von der Entwicklung überzähliger Finger in Tabellen gebracht. Von diesen Individuen waren 86 männliche und 39, oder weniger als die Hälfte, weibliche, während die übrigbleibenden siebenundzwanzig in Bezug auf ihr Geschlecht unbekannt waren. Man darf indeß nicht übersehen, daß Frauen häufiger wohl versuchen dürften, eine Mißbildung dieser Art zu verheimlichen, als Männer. Ferner behauptet Dr. L. Meyer, daß die Ohren der Männer in der Form variabler sind als die der Frauen.Virchow's Archiv. 1871, p. 488. Endlich ist die Temperatur beim Manne variabler als bei der Frau.Die Schlußfolgerungen, zu denen neuerdings Dr. Stockton Hough in Bezug auf die Temperatur des Menschen gelangt ist, sind mitgetheilt in: Popul. Science Review, 1. Jan. 1874, p. 97.
Die Ursache der größeren allgemeinen Variabilität im männlichen als im weiblichen Geschlecht ist unbekannt, ausgenommen in so weit als secundäre Geschlechtscharaktere außerordentlich variabel und gewöhnlich auf die Männchen beschränkt sind; wie wir sofort sehen werden, ist diese Thatsache bis zu einem gewissen Grade verständlich. Durch die Wirksamkeit der geschlechtlichen und der natürlichen Zuchtwahl sind männliche Thiere in vielen Fällen von ihren Weibchen sehr verschieden geworden; aber die beiden Geschlechter neigen auch, unabhängig von Zuchtwahl, in Folge der Verschiedenheit der Constitution dazu, in etwas verschiedener Weise zu variieren. Das Weibchen hat viele organische Substanz auf die Bildung seiner Eier zu verwenden, während das Männchen bedeutende Kraft aufwendet in den heftigen Kämpfen mit seinen Nebenbuhlern, im Umherwandern beim Aufsuchen des Weibchens, im Anstrengen seiner Stimme, in dem Erguß stark riechender Absonderungen u. s. w.; auch wird dieser Aufwand gewöhnlich auf eine kurze Periode zusammengedrängt. Die bedeutende Kraft des Männchens während der Zeit der Liebe scheint häufig seine Färbung intensiver zu machen, unabhängig von irgend einem auffallenden Unterschiede vom Weibchen.Professor Mantegazza ist geneigt, anzunehmen (Lettera a Carlo Darwin, in: Archivio per l'Anthropologia, 1871, p. 306), daß die bei so vielen männlichen Thieren gewöhnlichen hellen Farben Folge der Gegenwart und Retention von Samenflüssigkeit bei ihnen sind; dies kann aber kaum der Fall sein; denn viele männliche Vögel, z. B. junge Fasanen, werden im Herbste ihres ersten Jahres hell gefärbt. Beim Menschen und dann wieder so niedrig in der Stufenreihe, wie bei den Schmetterlingen, ist die Körpertemperatur beim Männchen höher als beim Weibchen, was den Menschen betrifft, in Verbindung mit einem langsameren Pulse.In Bezug auf den Menschen s. Dr. J. Stockton Hough, dessen Folgerungen in der Popul. Science Review, 1874, p. 97 mitgetheilt sind. s. Girard's Beobachachtungen über Schmetterlinge, angeführt im Zoological Record, 1869, p. 347. Im Großen und Ganzen ist der Aufwand an Substanz und Kraft bei beiden Geschlechtern wahrscheinlich nahezu gleich, wenngleich er auf verschiedene Weise und mit verschiedener Schnelligkeit bewirkt wird.
Es kann in Folge der eben hier angeführten Ursachen kaum ausbleiben, daß die beiden Geschlechter, wenigstens während der Fortpflanzungszeit, etwas verschieden in der Constitution sind; und obgleich sie genau den nämlichen Bedingungen ausgesetzt sein mögen, werden sie in etwas verschiedener Art zu variieren neigen. Wenn derartige Abänderungen von keinem Nutzen für eines der beiden Geschlechter sind, werden sie durch geschlechtliche oder natürliche Zuchtwahl nicht gehäuft und verstärkt werden. Nichtsdestoweniger können sie bleibend werden, wenn die erregende Ursache beständig wirkt; und in einer Übereinstimmung mit einer häufig vorkommenden Form der Vererbung können sie allein auf das Geschlecht überliefert werden, bei welchem sie zuerst auftraten. In diesem Falle gelangen die beiden Geschlechter dazu, permanente, indeß bedeutungslose Verschiedenheiten der Charaktere darzubieten. Mr. Allen zeigt z. B., daß bei einer großen Anzahl von Vögeln, welche die nördlichen und südlichen Vereinigten Staaten bewohnen, die Exemplare aus dem Süden dunkler gefärbt sind, als die aus dem Norden; dies scheint das directe Resultat der Verschiedenheiten zwischen den beiden Gegenden in Bezug auf Temperatur, Licht u. s. f. zu sein. In einigen wenigen Fällen scheinen nun die beiden Geschlechter einer und derselben Species verschieden afficiert worden zu sein: beim Agelaeus phoeniceus ist die Färbung der Männchen im Süden bedeutend intensiver geworden, während es beim Cardinalis virginianus die Weibchen sind, welche so afficiert worden sind. Bei Quiscalus major sind die Weibchen äußerst variabel in der Färbung geworden, während die Männchen nahezu gleichförmig bleiben.J. A. Allen, On the Mammals and Winter Birds of East Florida, in: Bull. Mus. Comp. Zoology, Harvard College. Vol. II, p. 234, 280, 295.
In verschiedenen Classen des Thierreichs kommen einige wenige ausnahmsweise Fälle vor, in welchen das Weibchen statt des Männchens gut ausgesprochene secundäre Sexualcharaktere erlangt hat, wie z. B. glänzendere Farben, bedeutendere Größe, Kraft oder Kampflust. Bei Vögeln findet sich zuweilen eine vollständige Transposition der jedem Geschlechte gewöhnlich eigenen Charaktere; die Weibchen sind in ihren Bewerbungen viel gieriger geworden, die Männchen bleiben vergleichsweise passiv, wählen aber doch, wie es scheint und wie man nach den Resultaten wohl schließen darf, sich die anziehendsten Weibchen aus. Hierdurch sind gewisse weibliche Vögel lebhafter gefärbt oder in anderer Weise auffallender verziert, sowie kräftiger und kampflustiger geworden als die Männchen, und es werden dann auch diese Charaktere nur den weiblichen Nachkommen überliefert.
Man könnte vermuthen, daß in einigen Fällen ein doppelter Vorgang der Zuchtwahl stattgefunden habe, daß nämlich die Männchen die anziehenderen Weibchen und die letzteren die anziehenderen Männchen sich ausgewählt haben. Doch würde dieser Proceß, wenn er auch zur Modifikation beider Geschlechter führen könnte, doch nicht das eine Geschlecht vom anderen verschieden machen, wenn nicht geradezu ihr Geschmack für das Schöne ein verschiedener wäre. Dies ist indeß für alle Thiere, mit Ausnahme des Menschen, eine zu unwahrscheinliche Annahme, als daß sie der Betrachtung werth wäre. Es giebt jedoch viele Thiere, bei denen die Geschlechter einander ähnlich sind und bei denen beide mit denselben Ornamenten ausgerüstet sind, welche der Thätigkeit der geschlechtlichen Zuchtwahl zuzuschreiben uns wohl die Analogie veranlassen könnte. In solchen Fällen dürfte mit größerer Wahrscheinlichkeit vermuthet werden, daß ein doppelter oder wechselseitiger Proceß geschlechtlicher Zuchtwahl eingetreten war. Die stärkeren und früher reifen Weibchen würden die anziehenderen und kräftigeren Männchen gewählt, und die letzteren alle Weibchen mit Ausnahme der anziehenderen zurückgewiesen haben. Nach dem aber, was wir von der Lebensweise der Thiere wissen, ist diese Ansicht kaum wahrscheinlich, da das Männchen allgemein begierig ist, sich mit irgend einem Weibchen zu paaren. Es ist wahrscheinlicher, daß die, beiden Geschlechtern gemeinsam zukommenden Zierden von einem Geschlechte, und zwar im Allgemeinen dem männlichen, erlangt und dann den Nachkommen beider Geschlechter überliefert wurden. Wenn allerdings während einer langdauernden Periode die Männchen irgend einer Species bedeutend die Weibchen an Zahl überträfen und dann während einer gleichfalls lange andauernden Periode unter verschiedenen Lebensbedingungen das Umgekehrte einträte, so könnte leicht ein doppelter, aber nicht gleichzeitiger Proceß der geschlechtlichen Zuchtwahl in Thätigkeit treten, durch welchen die beiden Geschlechter sehr von einander verschieden gemacht werden könnten.
Wir werden später sehen, daß viele Thiere existieren, bei denen weder das eine noch das andere Geschlecht brillant gefärbt oder mit speciellen Zierathen versehen ist, und bei denen doch die Individuen beider Geschlechter oder nur des einen wahrscheinlich durch geschlechtliche Zuchtwahl einfache Farben, wie weiß oder schwarz, erlangt haben. Die Abwesenheit glänzender Farben oder anderer Zierathen kann das Resultat davon sein, daß Abänderungen der richtigen Art niemals vorgekommen sind oder daß die Thiere selbst einfache Farben, wie schlichtes Schwarz oder Weiß, vorgezogen haben. Düstere Farben sind oft durch natürliche Zuchtwahl zum Zweck des Schutzes erlangt worden, und die Entwicklung auffallender Farben durch geschlechtliche Zuchtwahl scheint durch die damit verbundene Gefahr zuweilen gehemmt worden zu sein. In andern Fällen aber dürften die Männchen wahrscheinlich lange Zeit hindurch mit einander um den Besitz der Weibchen gekämpft haben; und doch wird keine Wirkung erreicht worden sein, wenn nicht von den erfolgreicheren Männchen eine größere Zahl von Nachkommen zur weiteren Vererbung ihrer Superiorität hinterlassen worden ist, als von den weniger erfolgreichen Männchen; und dies hängt, wie früher gezeigt wurde, von verschiedenen complicierten Zufälligkeiten ab.
Geschlechtliche Zuchtwahl wirkt in einer weniger rigorosen Weise als natürliche Zuchtwahl. Die letztere erreicht ihre Wirkungen durch das Leben oder den Tod, auf allen Altersstufen, der mehr oder weniger erfolgreichen Individuen. In der That folgt zwar der Tod auch nicht selten dem Streite rivalisierender Männchen. Aber allgemein gelingt es nur dem weniger erfolgreichen Männchen nicht, sich ein Weibchen zu verschaffen, oder dasselbe erlangt später in der Jahreszeit ein übriggebliebenes und weniger kräftiges Weibchen, oder erlangt, wenn die Art polygam ist, weniger Weibchen, so daß es weniger oder minder kräftige oder gar keine Nachkommen hinterläßt. Was die Structurverhältnisse betrifft, welche durch gewöhnliche oder natürliche Zuchtwahl erlangt werden, so findet sich in den meisten Fällen, solange die Lebensbedingungen dieselben bleiben, eine Grenze, bis zu welcher die vorteilhaften Modificationen in Bezug auf gewisse specielle Zwecke sich steigern können. Was aber die Structurverhältnisse betrifft, welche dazu führen, das eine Männchen über das andere siegreich zu machen, sei es im directen Kampfe oder im Gewinnen des Weibchens durch allerhand Reize, so findet sich für den Betrag vortheilhafter Modificationen keine bestimmte Grenze, so daß die Arbeit der geschlechtlichen Zuchtwahl so lange fortgehen wird, als die gehörigen Abänderungen auftreten. Dieser Umstand kann zum Theil den häufigen und außerordentlichen Betrag von Variabilität erklären, welchen die secundären Geschlechtscharaktere darbieten. Nichtsdestoweniger wird aber die natürliche Zuchtwahl immer entscheiden, daß die siegreichen Männchen keine Charaktere solcher Art erlangen, wenn dieselben für sie in irgend hohem Grade schädlich sein würden, sei es daß zu viel Lebenskraft auf dieselben verwendet würde, oder daß die Thiere dadurch irgend großen Gefahren ausgesetzt würden. Es ist indeß die Entwicklung gewisser solcher Bildungen – z. B. des Geweihes bei manchen Hirscharten – bis zu einem wunderbaren Extreme geführt worden und in manchen Fällen bis zu einem Extreme, welches, soweit die allgemeinen Lebensbedingungen in Betracht kommen, für das Männchen von einem unbedeutenden Nachtheile sein muß. Aus dieser Thatsache lernen wir, daß die Vortheile, welche die begünstigten Männchen aus dem Siege über andere Männchen im Kampfe oder in der Bewerbung erlangt haben, wodurch sie auch in den Stand gesetzt wurden, eine zahlreichere Nachkommenschaft zu hinterlassen, auf die Länge bedeutender gewesen sind als diejenigen, welche aus einer vielleicht etwas vollkommeneren Anpassung an die äußeren Lebensbedingungen resultieren. Wir werden ferner sehen, und dies hätte sich niemals voraus erkennen lassen, daß das Vermögen, das Weibchen durch Reize zu fesseln, in einigen wenigen Fällen von größerer Bedeutung gewesen ist als das Vermögen andere Männchen im Kampf zu besiegen.