Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Sechstes Capitel.

Über die Verwandtschaften und die Genealogie des Menschen

Stellung des Menschen in der Thierreihe. – Das natürliche System ist genealogisch. – Adaptive Charaktere von geringer Bedeutung. – Verschiedene kleine Punkte der Übereinstimmung zwischen dem Menschen und den Quadrumanen. – Rang des Menschen in dem natürlichen System. – Geburtsstelle und Alter des Menschen. – Fehlen von fossilen Übergangsgliedern. – Niedere Stufen in der Genealogie des Menschen, wie sie sich erstens aus seinen Verwandtschaften und zweitens aus seinem Baue ergeben. – Früher hermaphroditer Zustand der Wirbelthiere. – Schluß.

Selbst wenn zugegeben wird, daß die Verschiedenheit zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten in Bezug auf seine körperliche Bildung so groß ist, wie es einige Naturforscher behaupten, und obgleich wir zugeben müssen, daß die Verschiedenheit zwischen ihnen in Bezug auf die geistigen Kräfte ungeheuer ist, so zeigen doch, wie mir scheint, die in den vorangehenden Capiteln mitgetheilten Thatsachen in der deutlichsten Weise, daß der Mensch von irgend einer niedrigeren Form abstammt, trotzdem daß verbindende Zwischenglieder bis jetzt noch nicht entdeckt worden sind.

Der Mensch bietet zahlreiche unbedeutende und mannichfaltige Abänderungen dar, welche durch dieselben allgemeinen Ursachen herbeigeführt und nach denselben allgemeinen Gesetzen bestimmt und überliefert werden wie bei den niederen Thieren. Der Mensch hat sich in einem so rapiden Verhältnisse vervielfältigt, daß er nothwendig einem Kampfe um's Dasein und in Folge hiervon der natürlichen Zuchtwahl ausgesetzt worden ist. Er hat viele Rassen entstehen lassen, von denen einige so verschieden von einander sind, daß sie oft von Naturforschern als distincte Arten classificiert worden sind. Sein Körper ist nach demselben homologen Plane gebaut wie der anderer Säugethiere. Er durchläuft dieselben Zustände embryonaler Entwicklung. Er behält viele rudimentäre und nutzlose Bildungen bei, welche ohne Zweifel einstmals eine Function verrichteten. Gelegentlich erscheinen Merkmale wieder bei ihm, welche, wie wir allen Grund zu glauben haben, im Besitze seiner früheren Urerzeuger waren. Wäre der Ursprung des Menschen von dem aller übrigen Thiere völlig verschieden gewesen, so wären diese verschiedenen Erscheinungen bloße nichtssagende Täuschungen; eine solche Annahme ist indessen unglaublich. Auf der andern Seite aber sind sie wenigstens in einer großen Ausdehnung verständlich unter der Annahme, daß der Mensch mit anderen Säugethieren von irgend einer unbekannten und niederen Form abstammt.

In Folge des tiefen Eindrucks, welchen die geistigen und seelischen Kräfte des Menschen gemacht haben, haben einige Naturforscher die ganze organische Welt in drei Reiche eingetheilt, das Menschenreich, das Thierreich und das Pflanzenreich, womit sie also dem Menschen ein besonderes Reich einräumen.Isidore Geoffroy Saint-Hilaire giebt einen detaillierten Bericht über die Stellung, welche dem Menschen von verschiedenen Naturforschern in ihren Classificationen eingeräumt worden ist, in seiner Hist. natur. génér. Tom. II. 1859, p. 170-189. Geistige Kräfte können von dem Naturforscher nicht verglichen oder classificiert werden; er kann aber zu zeigen versuchen, wie ich es gethan habe, daß die geistigen Fähigkeiten des Menschen und der niederen Thiere nicht der Art nach, wenn schon ungeheuer dem Grade nach von einander abweichen. Eine Verschiedenheit des Grades, so groß sie auch sein mag, berechtigt uns nicht dazu, den Menschen in ein besonderes Reich zu stellen, wie vielleicht am besten durch eine Vergleichung der geistigen Kräfte zweier Insecten gezeigt wird, nämlich eines Coccus oder Schildlaus und einer Ameise, welche unzweifelhaft zu einer und derselben Classe gehören. Die Verschiedenheit ist hier größer, wenn auch von einer etwas verschiedenen Art, als zwischen dem Menschen und dem höchsten Säugethiere. Der weibliche Coccus befestigt sich, während er jung ist, mit seinem Rüssel an eine Pflanze, saugt deren Saft, aber bewegt sich nicht wieder, wird befruchtet und legt Eier; und dies ist seine ganze Geschichte. Andererseits aber die Gewohnheiten und geistigen Kräfte einer Arbeiterameise zu beschreiben, würde, wie Pierre Huber gezeigt hat, einen ganzen Band füllen. Ich möchte indessen kurz einige wenige Punkte anführen. Ameisen tauschen sicher unter einander Mittheilungen aus und mehrere vereinigen sich zu derselben Arbeit oder zum Spielen. Sie erkennen die Mitglieder ihres Haufens selbst nach monatelanger Abwesenheit wieder und fühlen Sympathie mit einander. Sie errichten große Gebäude, halten sie reinlich, schließen am Abend die Thüren und stellen Wachen aus. Sie bauen Straßen und selbst Tunnels unter Flüssen und temporäre Brücken über dieselben dadurch, daß sie sich an einander hängen. Sie sammeln Nahrung für die ganze Genossenschaft, und wenn ein für das Einbringen zu großer Gegenstand an das Nest gebracht wird, so erweitern sie die Thüre und bauen sie nachher wieder auf. Sie legen Vorräthe von Samenkörnern an, deren Keimung sie verhindern, und welche sie, wenn sie feucht wurden, zum Trocknen an die Luft bringen. Sie halten sich Blattläuse und andere Insecten als Milchkühe. Sie ziehen in regelmäßigen Reihen zum Kampfe aus und opfern ohne Besinnen ihr Leben für das allgemeine Wohl. Sie wandern nach einem vorher gefaßten Plane aus. Sie fangen sich Sclaven. Sie bewegen die Eier ihrer Aphiden ebenso wie ihre eigenen Eier und Cocons nach den wärmeren Theilen des Nests, damit sie schneller zum Auskriechen gelangen; und es ließen sich noch endlose ähnliche Thatsachen anführen.Einige der interessantesten Thatsachen über die Lebensweise der Ameisen, die je veröffentlicht worden sind, hat Mr. Belt gegeben in seinem »Naturalist in Nicaragua«, 1874. s. auch Mr. Moggridge's treffliches Buch »Harvesting Ants« etc. 1873, auch den Artikel »L'Instinct chez les Insectes« von George Pouchet in: Revue des Deux Mondes. Febr. 1870, p. 682. Im Ganzen ist der Unterschied in den geistigen Kräften zwischen einer Ameise und einem Coccus ganz ungeheuer, und doch hat sich Niemand auch nur im Traume einfallen lassen, beide in verschiedene Classen und noch viel weniger in verschiedene Reiche zu stellen. Ohne Zweifel wird dieser Abstand von den zwischenliegenden Graden geistiger Kräfte vieler andern Insecten überbrückt, und dies ist beim Menschen und den höheren Affen nicht der Fall. Wir haben aber allen Grund zu glauben, daß die Unterbrechungen der Reihe einfach das Resultat des Umstands sind, daß viele Formen ausgestorben sind.

Professor Owen hat die Säugethierreihe mit besonderer Berücksichtigung der Bildung ihres Gehirns in vier Unterclassen eingetheilt. Eine derselben umfaßt den Menschen, in eine andere stellt er die beiden Abtheilungen der Marsupialien und Monotremen, so daß er den Menschen allen übrigen Säugethieren gegenüber als so verschieden hinstellt wie die beiden letzten Gruppen zusammengenommen. Soviel mir bekannt ist, ist diese Ansicht von keinem Naturforscher angenommen worden, welcher der Bildung eines unabhängigen Urtheils fähig ist, und braucht daher hier nicht weiter betrachtet zu werden.

Wir können wohl einsehen, warum eine Classification, welche auf irgend ein einzelnes Organ oder Merkmal – selbst auf ein Organ von einer so wunderbaren Compliciertheit oder von solcher Bedeutung wie das Gehirn – oder auf hohe Entwicklung der geistigen Fähigkeiten sich gründet, sich fast mit Gewißheit als unbefriedigend herausstellen wird. Der Versuch, nach diesem Principe einzutheilen, ist in der That bei den Hymenopteren unter den Insecten angestellt worden. Wurden aber diese nach ihrer Lebensweise oder ihren Instincten classificiert, so erwies sich die Anordnung als durchaus künstlich.Westwood, Modern Classification of Insects. Vol. II. 1840, p. 87. Die Classificationen können natürlich auf irgendwelches Merkmal basiert werden, so auf die Größe, die Farbe oder das Element, welches die Thiere bewohnen. Es haben aber die Naturforscher schon seit langer Zeit die tiefe Überzeugung gehabt, daß es ein natürliches System gebe. Wie jetzt allgemein zugegeben wird, muß dieses System soweit wie nur möglich genealogisch in seiner Anordnung sein, – d. h. die verschiedenen Nachkommen einer und derselben Form müssen in einer Gruppe zusammengehalten werden und zwar getrennt von den verschiedenen Nachkommen einer andern Form. Sind aber die Stammformen mit einander verwandt, so werden es auch deren Nachkommen sein, und die beiden Gruppen zusammen werden dann eine gemeinsame größere Gruppe bilden. Die Größe der Verschiedenheit zwischen den verschiedenen Gruppen, – welche den Betrag der Modificationen, denen eine jede derselben unterlegen ist, bezeichnet, – wird durch derartige Ausdrücke wie Gattungen, Familien, Ordnungen und Classen angegeben. Da wir keine Urkunden über die Descedenzreihen besitzen, so können die Stammbäume nur durch Beobachtung der Ähnlichkeitsgrade zwischen den einzelnen zu classificierenden Wesen entdeckt werden. Zu diesem Zwecke sind zahlreiche einzelne Punkte der Übereinstimmung von viel größerer Bedeutung als der Betrag von Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit in einigen wenigen Punkten. Wenn nachgewiesen würde, daß zwei Sprachen einander in einer Menge von Worten und Constructionsweisen glichen, so würden sie ganz allgemein als aus einer gemeinsamen Quelle stammend anerkannt werden, trotzdem sie in einigen wenigen Punkten oder Constructionsweisen bedeutend von einander abweichen. Aber bei organischen Wesen dürfen die Punkte der Übereinstimmung nicht aus Anpassungen an ähnliche Lebensgewohnheiten bestehen. Es können z. B. zwei Thiere ihren ganzen Körperbau zum Leben im Wasser modificiert haben und werden doch trotzdem in keine irgend nähere Verbindung miteinander im natürlichen Systeme gebracht werden. Wir können hieraus erkennen, woher es kommt, daß Übereinstimmungen in unbedeutenden Bildungen, in nutzlosen und in rudimentären Organen und in Theilen, welche jetzt nicht functionell thätig sind oder sich in einem embryonalen Zustande befinden, für die Classification bei Weitem die zweckdienlichsten sind; denn sie können kaum Folgen von Anpassungen sein, die in einer späteren Zeit etwa eingetreten wären. Sie offenbaren uns daher die alten Descendenzlinien oder die eigentliche Verwandtschaft.

Wir können ferner einsehen, warum ein großer Betrag von Modification an einem und demselben Merkmale uns nicht veranlassen darf, zwei Organismen deshalb weit von einander zu trennen. Ein Theil, welcher bereits von demselben Theile bei anderen verwandten Formen sehr verschieden ist, hat nach der Entwicklungstheorie bereits bedeutend variiert; und solange der Organismus denselben anregenden Bedingungen ausgesetzt ist, würde folglich jener Theil auch noch weiteren Abweichungen derselben Art unterliegen, und diese würden, wenn sie wohlthätig sind, erhalten und dadurch beständig vergrößert werden. In vielen Fällen, wie z. B. bei dem Schnabel eines Vogels oder bei dem Zahne eines Säugethieres, würde die beständige Weiterentwicklung dieses einen Theiles für die Species von keinem Vortheil zur Erlangung ihrer Nahrung oder zu irgend einem anderen Zwecke sein; beim Menschen indessen können wir keine bestimmte Grenze für die fortgesetzte Entwicklung des Gehirns und der geistigen Fähigkeiten sehen, soweit ein Vortheil für die Art dabei in Rede kommt. Bei der Bestimmung der Stellung des Menschen in dem natürlichen oder genealogischen Systeme darf daher die extreme Entwicklung des Gehirns nicht schwerer wiegen als eine Menge von Übereinstimmungen in anderen weniger bedeutungsvollen oder völlig bedeutungslosen Punkten.

Die größere Zahl der Naturforscher, welche die ganze Structur des Menschen mit Einschluß seiner geistigen Fähigkeiten in Betracht gezogen haben, ist Blumenbach und Cuvier gefolgt und hat den Menschen in eine besondere Ordnung unter dem Titel der Zweihänder gebracht und daher auf gleiche Classificationsstufe mit den Ordnungen der Vierhänder, Fleischfresser u. s. w. Neuerdings sind viele unserer besten Naturforscher zu der zuerst von Linné, der so merkwürdig wegen seines Scharfsinns war, ausgesprochenen Ansicht zurückgekehrt und haben den Menschen in eine und dieselbe Ordnung mit den Quadrumanen unter dem Titel der Primaten gebracht. Die Richtigkeit dieser Folgerung wird zugegeben werden, wenn man an erster Stelle die soeben gemachten Bemerkungen über die vergleichsweise geringe Bedeutung der großen Entwicklung des Gehirns beim Menschen für seine Classification im Auge behält und wenn man sich ferner daran erinnert, daß die scharf ausgesprochenen Verschiedenheiten zwischen den Schädeln des Menschen und der Quadrumanen, welche neuerdings von Bischoff, Aeby und Anderen hervorgehoben worden sind, offenbar Folge ihrer verschieden entwickelten Gehirne sind. An zweiter Stelle müssen wir uns aber erinnern, daß fast alle die anderen und bedeutungsvolleren Verschiedenheiten zwischen dem Menschen und den Quadrumanen offenbar ihrer Natur nach adaptiv sind und sich hauptsächlich auf die aufrechte Stellung des Menschen beziehen. Dahin gehört die Bildung seiner Hände, seines Fußes und Beckens, die Krümmung seines Rückgrats und die Stellung seines Kopfes. Die Familie der Robben bietet eine gute Erläuterung für die geringe Bedeutung adaptiver Charaktere in Bezug auf die Classification dar. Diese Thiere weichen von allen anderen Fleischfressern in der Form ihres Körpers und in der Bildung ihrer Gliedmaßen viel mehr ab, als der Mensch von den höheren Affen abweicht; und doch werden in den meisten Systemen, von dem Cuvier's bis zu dem neuesten von Mr. Flower,Proceed. Zoolog. Soc. 1869, p. 4. die Robben als eine bloße Familie in der Ordnung der Carnivoren angesehen. Wäre der Mensch nicht in der Lage gewesen, sich selbst zu classificieren, so würde er niemals auf den Gedanken gekommen sein, eine besondere Ordnung zur Aufnahme seiner selbst zu errichten.

Es würde über die mir gesteckten Grenzen und auch völlig über meine Kenntnisse gehen, die zahllosen Bildungsverhältnisse auch nur namentlich anzuführen, in welchen der Mensch mit den anderen Primaten übereinstimmt. Unser großer Anatom und Philosoph, Professor Huxley, hat diesen Gegenstand ausführlich erörtertZeugnisse für die Stellung des Menschen in der Natur. Übers. p. 79 und an anderen Orten. und ist zu dem Schlusse gekommen, daß der Mensch in allen Theilen seiner Organisation weniger von den höheren Affen abweicht, als diese von den niedrigerem Gliedern derselben Gruppe verschieden sind. Folglich »ist es nicht gerechtfertigt, den Menschen in eine besondere Ordnung zu stellen«.

In einem früheren Theile dieses Bandes habe ich verschiedene Thatsachen angeführt, welche zeigten, wie eng der Mensch in seiner Constitution mit den höheren Säugethieren übereinstimmt, und diese Übereinstimmung muß von der großen Ähnlichkeit unseres Körpers mit dem jener Thiere in der mikroskopischen Structur und chemischen Zusammensetzung abhängen. Ich führte das Beispiel an, daß wir denselben Krankheiten und den Angriffen verwandter Parasiten ausgesetzt sind; ferner unsere gemeinsame Neigung zu denselben Reizmitteln und die ähnlichen durch diese ebenso wie durch verschiedene Arzneimittel hervorgerufenen Wirkungen und andere derartige Thatsachen.

Da geringe und nicht weiter bedeutungsvolle Punkte der Übereinstimmung zwischen dem Menschen und den höheren Affen in den systematischen Werken gewöhnlich nicht erwähnt werden und da dieselben, wenn sie zahlreich sind, deutlich unsere Verwandtschaft aufdecken, will ich einige wenige dieser Punkte speciell anführen. Die relative Stellung der Gesichtszüge ist offenbar beim Menschen und den Quadrumanen dieselbe; und die verschiedenen Gemüthserregungen werden von nahezu ähnlichen Bewegungen der Muskeln und der Haut hauptsächlich oberhalb der Augenbrauen und um den Mund herum ausgedrückt. Einige wenige Gesichtsausdrücke sind in der That fast ganz dieselben, wie das Weinen bei gewissen Affenarten und das lärmende Lachen anderer, wobei die Mundwinkel rückwärts gezogen und die unteren Augenlider gerunzelt werden. Die äußeren Ohren sind merkwürdig gleich. Beim Menschen ist die Nase in viel höherem Maße hervorstehend als bei den meisten Affen; wir können aber den Anfang zur Krümmung einer Adlernase an der Nase des Hoolock-Gibbons sehen; und dies ist bei dem Semnopithecus nasica bis zu einem lächerlichen Extrem geführt.

Das Gesicht vieler Affen ist mit Bärten, Backenbärten oder Schnurrbärten, geziert. Bei manchen Arten von SemnopithecusIsid. Geoffroy Saint-Hilaire, Hist. natur. génér. Tom. II. 1859, p. 217. wächst das Haar auf dem Kopf zu einer bedeutenden Länge und bei den Mützenaffen (Macacus radiatus) strahlt es von einem Punkte auf dem Scheitel aus, mit einer auf der Mitte herablaufenden Scheitelung wie beim Menschen. Es wird gewöhnlich gesagt, daß die Stirn dem Menschen sein edles und intellectuelles Ansehen giebt; aber das dichte Haar auf dem Kopfe des Mützenaffen endet nach unten ganz plötzlich und es folgt ihm hier so kurzes und feines Haar, daß von einer geringen Entfernung aus die Stirn mit Ausnahme der Augenbrauen vollständig nackt erscheint. Man hat irrthümlicher Weise behauptet, daß Augenbrauen bei keinem Affen vorhanden wären. In der eben genannten Species ist der Grad von Nacktheit an der Stirn bei verschiedenen Individuen verschieden, und EschrichtÜber die Richtung der Haare u. s. w. in: Müller's Archiv für Anat. und Physiol. 1837, p. 51. giebt an, daß die Grenze zwischen der behaarten Kopfhaut und der nackten Stirn bei unsern Kindern zuweilen nicht scharf bestimmt ist, so daß wir hier, wie es scheint, einen beiläufigen Fall von Rückschlag auf einen Urerzeuger vor uns haben, bei welchem die Stirn noch nicht völlig nackt geworden war.

Es ist eine bekannte Thatsache, daß die Haare an unsern Armen von oben und unten her am Ellbogen in eine Spitze zusammenzukommen streben. Diese merkwürdige Anordnung, welche der bei den meisten niederen Säugethieren so ungleich ist, findet sich in gleicher Weise beim Gorilla, dem Schimpanse, dem Orang, einigen Arten von Hylobates und selbst einigen wenigen amerikanischen Affen. Aber bei Hylobates agilis ist das Haar am Unterarm abwärts gerichtet, oder nach der gewöhnlichen Weise nach der Hand zu, und bei H. Lar ist es fast aufrecht mit einer nur sehr geringen Neigung nach vorn, so daß in dieser letzteren Art das Haar sich in einem Übergangszustand befindet. Es kann kaum bezweifelt werden, daß bei den meisten Säugethieren die Dichte des Haars und seine Richtung auf dem Rücken dem Zwecke angepaßt ist, den Regen abzuhalten; selbst die querstehenden Haare auf den Vorderbeinen eines Hundes können zu diesem Zwecke dienen, wenn er beim Schlafen sich zusammengerollt hat. Mr. Wallace macht die Bemerkung, daß das Convergieren der Haare nach dem Ellbogen zu an den Armen des Orang (dessen Lebensweise er sorgfältig studiert hat) dazu dient, den Regen abzuhalten, wenn das Thier bei Regenwetter, wie es sein Gebrauch ist, mit gebogenen Armen und mit um einen Zweig oder selbst auf seinem eigenen Kopf zusammengefalteten Händen dasitzt. Der Angabe Livingstone's zufolge sitzt auch der Gorilla »im strömenden Regen mit den Händen über seinem Kopfe« da.Citiert von Reade, The African Sketch Book. Vol. I. 1873, p. 152. Ist die eben gegebene Erklärung, wie es wahrscheinlich der Fall zu sein scheint, correct, so bietet das Haar an unsern Vorderarmen ein merkwürdiges Zeugnis für unsern früheren Zustand dar; denn Niemand kann die Vermuthung hegen, daß es jetzt von irgendwelchem Nutzen ist zur Abhaltung des Regens; es wäre auch bei unserer jetzigen aufrechten Stellung für diesen Zweck entschieden nicht passend gerichtet.

Es würde indessen voreilig sein, dem Principe der Anpassung in Bezug auf die Richtung der Haare beim Menschen oder seinen frühen Urerzeugern zu sehr zu vertrauen; denn es ist unmöglich, die von Eschricht über die Anordnung der Haare am menschlichen Fœtus (und diese ist dieselbe wie beim Erwachsenen) gegebenen Figuren zu betrachten, ohne mit diesem ausgezeichneten Beobachter darin übereinzustimmen, daß noch andere und noch compliciertere Ursachen dazwischen getreten sind. Die Convergenzpunkte scheinen in einer gewissen Beziehung zu denjenigen Punkten beim Embryo zu stehen, welche sich während seiner Entwicklung zuletzt geschlossen haben. Es scheint auch irgendwelche Beziehung zwischen der Anordnung der Haare an den Gliedmaßen und dem Verlaufe der Markarterien zu bestehen.Über das Haar bei Hylobates s. C. L. Martin, Natur. Hist. of Mammals. 1841, p. 415, auch Isid. Geoffroy Saint-Hilaire, über die amerikanischen Affen und andere Arten in: Hist. natur. génér. Tom. II. 1859, p. 212, 243. Eschricht, Über die Richtung der Haare u. s. w. in: Müller's Archiv für Anat. und Physiol. 1837, p. 46, 55, 61. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 619. Wallace, Contributions to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 344.

Man darf nun aber auch nicht etwa annehmen, daß die Ähnlichkeit, in den eben genannten und vielen anderen Punkten, zwischen dem Menschen und gewissen Affen – wie der Besitz einer nackten Stirn, eines wallenden Haarwuchses auf dem Kopfe u. s. w. – sämmtlich nothwendig das Resultat einer ununterbrochenen Vererbung von einem mit diesem Merkmalen versehenen Urerzeuger oder eines später eingetretenen Rückschlags sind. Viele von diesen Übereinstimmungen sind wahrscheinlich eine Folge analoger Abänderungen, welche, wie ich an einem anderen Orte zu zeigen versucht habe,Entstehung der Arten (Übers.). 7. Aufl. p. 179. Das Variiren der Thiere und Pflanzen etc. 2. Aufl. Bd. II, p. 395. daher rühren, daß von gemeinsamen Stammformen ausgehende Organismen eine ähnliche Constitution haben und von ähnlichen, Variabilität hervorrufenden Ursachen beeinflußt worden sind. In Bezug auf die ähnliche Richtung der Haare am Vorderarme des Menschen und gewisser Affen läßt sich, da dieses Merkmal fast allen anthropomorphen Affen gemeinsam zukommt, wohl annehmen, daß es wahrscheinlich auf Vererbung zu beziehen ist; indessen ist dies doch nicht sicher, da auch einige sehr weit abstehende amerikanische Affen in gleicher Weise charakterisiert sind.

Obgleich nun, wie wir jetzt gesehen haben, der Mensch kein begründetes Recht hat, eine besondere Ordnung für sich zu bilden, so könnte er doch vielleicht eine besondere Unterordnung oder Familie beanspruchen. Professor Huxley theilt in seinem neuesten WerkAn Introduction to the Classification of Animals. 1869, p. 99. die Primaten in drei Unterordnungen; die Anthropiden mit allein dem Menschen, die Simiaden, welche die Affen aller Arten umfassen, und die Lemuriden mit den mannichfaltigen Gattungen der Lemuren. Soweit Verschiedenheiten in gewissen wichtigen Theilen des Baues in Betracht kommen, kann der Mensch ohne Zweifel mit Recht den Rang einer Unterordnung beanspruchen, und diese Stellung ist zu niedrig, wenn wir hauptsächlich auf seine geistigen Fähigkeiten blicken. Nichtsdestoweniger scheint es von einem genealogischen Gesichtspunkte aus, als sei dieser Rang zu hoch und als dürfe der Mensch nur eine Familie oder möglicherweise selbst nur eine Unterfamilie bilden. Stellen wir uns vor, es gingen drei Descendenzlinien von einer gemeinsamen Stammform aus, so ist es völlig begreiflich, daß zwei von ihnen nach dem Verlauf langer Zeiten so unbedeutend verändert sein könnten, daß sie noch immer Species einer und derselben Gattung blieben, während die dritte Descendenzlinie so bedeutend modificiert sein könnte, daß sie den Rang einer bestimmten Unterfamilie oder selbst Ordnung verdiente. Aber in diesem Falle ist es fast sicher, daß die dritte Linie noch immer in Folge der Vererbung zahlreiche kleine Punkte der Übereinstimmung mit den andern beiden Linien darbieten würde. Hier würde denn nun die für jetzt unlösliche Schwierigkeit eintreten, wie viel Gewicht wir in unsern Classificationen auf scharf ausgesprochene Verschiedenheiten in einigen wenigen Punkten, d. h. auf die Größe der eingetretenen Modification legen sollen und wie viel auf eine nahe Übereinstimmung in zahlreichen bedeutungslosen Punkten als Andeutung der Descendenzreihe oder der Genealogie. Den wenigen, aber starken Verschiedenheiten großes Gewicht beizulegen, ist der nächstliegende und vielleicht auch der sicherste Weg, obgleich es correcter zu sein scheint, den vielen kleinen Übereinstimmungen große Aufmerksamkeit zu widmen, da sie eine wirkliche natürliche Classification geben.

Um uns in Bezug auf den Menschen ein Urtheil über diesen Punkt zu bilden, müssen wir einen Blick auf die Classification der Simiaden werfen. Diese Familie wird fast von allen Zoologen in die Gruppe der Catarhinen oder Affen der alten Welt und in die Gruppe der Platyrhinen oder Affen der neuen Welt getheilt. Die erstere ist in ihren sämmtlichen Gliedern, wie schon ihr Name ausdrückt, durch die eigentümliche Structur ihrer Nasenlöcher und durch den Besitz von vier falschen Backzähnen in jeder Kinnlade charakterisiert; die letztere, welche zwei sehr verschiedene Untergruppen enthält, umfaßt Formen, welche sämmtlich durch verschieden gebaute Nasenlöcher und durch den Besitz von sechs falschen Backzähnen in jeder Kinnlade charakterisiert sind. Es lassen sich noch einige andere kleinere Verschiedenheiten anführen. Der Mensch gehört nun ohne Frage rücksichtlich seiner Bezahnung, des Baues seiner Nasenlöcher und in einigen anderen Beziehungen zu der Abtheilung der Catarhinen oder der altweltlichen Formen, und den Platyrhinen gleicht er nicht mehr als die Catarhinen in irgend welchen Merkmalen, mit Ausnahme einiger weniger von nicht besonderer Bedeutung und offenbar von einer adaptiven Natur. Es würde daher gegen alle Wahrscheinlichkeit sein, wollte man annehmen, daß irgend eine alte Species der neuweltlichen Gruppe variiert und dadurch ein menschenähnliches Wesen mit allen den distinctiven Merkmalen, welche der altweltlichen Abtheilung eigen sind, hervorgebracht habe, wobei sie gleichzeitig auch ihre sämmtlichen eigenen Unterscheidungsmerkmale verloren haben müßte. Es läßt sich folglich kaum irgend bezweifeln, daß der Mensch ein Zweig des altweltlichen Simiadenstammes ist und daß er von einem genealogischen Gesichtspunkte aus in die Abtheilung der Catarhinen einzuordnen ist.Dies ist so ziemlich dieselbe Classification wie die provisorisch von St. George Mivart angenommene (Philos. Transact. Roy. Soc. 1867, p. 300), welcher nach Abscheidung der Lemuriden die übrigen Primaten in die Hominiden, die Simiaden, den Catarhinen entsprechend, die Cebiden und die Hapaliden theilt, wobei die beiden letzteren Gruppen den Platyrhinen entsprechen. Mr. Mivart ist noch immer derselben Ansicht: s. »Nature«, 1871, p. 481.

Die anthropomorphen Affen, nämlich der Gorilla, Schimpanse, Orang und Hylobates, werden von den meisten Zoologen als eine besondere Untergruppe von den übrigen Affen der alten Welt getrennt. Es ist mir wohl bekannt, daß Gratiolet unter Bezugnahme auf die Bildung des Gehirns das Vorhandensein dieser Untergruppe nicht zugiebt, und sie ist auch ohne Zweifel eine unterbrochene. So ist der Orang, wie Mr. St. George Mivart bemerkt,Transact. Zoolog. Soc. Vol. VI. 1867, p. 214. »eine der eigenthümlichsten und aberrantesten Formen, die sich in der ganzen Ordnung finden läßt«. Die übrigen, nicht anthropomorphen Affen der alten Welt werden ferner von einigen Zoologen in zwei oder drei kleinere Untergruppen getheilt. Die Gattung Semnopithecus mit ihrem eigenthümlich zusammengesetzten Magen bildet den Typus der einen dieser Untergruppen. Es scheint aber aus den wunderbaren Entdeckungen Mr. Gaudry's in Griechenland hervorzugehen, daß dort während der Miocenperiode eine Form existierte, welche Semnopithecus und Macacus verband, und dies erläutert wahrscheinlich die Art und Weise, in welcher die andern und höheren Gruppen einst mit einander zusammenhingen.

Wird zugegeben, daß die anthropomorphen Affen eine natürliche Untergruppe bilden, so kann man auch schließen, daß irgend ein altes Glied dieser anthropomorphen Untergruppe dem Menschen Entstehung gegeben habe. Denn der Mensch stimmt mit ihnen nicht bloß in allen denjenigen Merkmalen überein, welche er mit der ganzen Gruppe der Catarhinen in Gemeinschaft besitzt, sondern auch in anderen eigenthümlichen Charakteren, so in der Abwesenheit eines Schwanzes und der Gesäßschwielen und in der ganzen äußeren Erscheinung. Es ist nicht wahrscheinlich, daß ein Glied einer der anderen niederen Untergruppen durch das Gesetz analoger Abänderungen ein menschenähnliches Geschöpf, welches den höheren anthropomorphen Affen in so vielen Beziehungen gleicht, hätte entstehen lassen können. Ohne Zweifel ist der Mensch im Vergleich mit den meisten seiner Verwandten einem außerordentlichen Betrage von Modification unterlegen, und zwar hauptsächlich in Folge seines bedeutend entwickelten Gehirns und seiner aufrechten Stellung. Nichtsdestoweniger dürfen wir nicht vergessen, daß er nur »eine der verschiedenen exceptionellen Formen der Primaten ist«.St. George Mivart, Philos. Transact. 1867, p. 410.

Jeder Naturforscher, welcher an das Princip der Entwicklung glaubt, wird zugeben, daß die beiden Hauptabtheilungen der Simiaden, nämlich die catarhinen und platyrhinen Affen mit ihren Untergruppen, sämmtlich von einem äußerst weit zurückliegenden alten Urerzeuger ausgegangen sind. Die frühen Nachkommen dieses Urerzeugers werden, ehe sie in irgend einem beträchtlichen Grade von einander abgewichen waren, noch immer eine einzige natürliche Gruppe gebildet haben; aber einige dieser Arten oder dieser beginnenden Gattungen werden bereits angefangen haben, durch ihre divergierenden Merkmale die künftigen Unterscheidungszeichen der beiden Abtheilungen der Catarhinen und Platyrhinen anzudeuten. Es werden daher die Glieder dieser angenommenen alten Gruppe weder in ihrer Bezahnung noch in der Natur ihrer Nasenlöcher so gleichförmig gewesen sein, wie es auf der einen Seite die jetzt lebenden catarhinen, auf der andern die jetzt lebenden platyrhinen Affen sind, sondern sie werden in dieser Beziehung den verwandten Lemuriden geglichen haben, welche in der Form ihrer SchnauzeMurie and St. George Mivart, On the Lemuridae, in: Transact. Zoolog. Soc. Vol. VII. 1869, p. 5. bedeutend und in Bezug auf ihre Bezahnung in einem ganz außerordentlichen Grade von einander abweichen.

Die catarhinen und platyrhinen Affen stimmen in einer Menge von Merkmalen mit einander überein, wie sich schon aus dem Umstande ergiebt, daß sie ohne Frage in eine und dieselbe Ordnung gestellt werden. Die vielerlei Charaktere, welche sie in Gemeinschaft besitzen, können kaum von so vielen verschiedenen Species unabhängig erlangt worden sein, es müssen also diese Merkmale vererbt sein. Aber eine alte Form, welche Charaktere besaß, von denen viele den catarhinen und platyrhinen Affen gemeinsam eigen sind, von denen andere in einem intermediären Zustande und einige wenige in einer von den gegenwärtig in beiden Gruppen vorhandenen vielleicht ganz verschiedenen Weise vorhanden waren, würde unzweifelhaft, wenn sie ein Zoolog zu bestimmen hätte, als ein Affe bezeichnet werden. Und da der Mensch von dem genealogischen Standpunkte aus zu dem Stamme der catarhinen oder altweltlichen Formen gehört, so müssen wir schließen, wie sehr sich auch unser Stolz gegen diesen Schluß empören mag, daß unsere früheren Urerzeuger wahrscheinlich in dieser Weise bezeichnet worden wären.Haeckel ist zu demselben Schlusse gekommen, s. Über die Entstehung des Menschengeschlechts in Virchow's Samml. gemeinverst. wissensch. Vorträge. 1868, p. 61. s. auch seine »Natürliche Schöpfungsgeschichte«, in welcher er seine Ansichten über die Genealogie des Menschen im Einzelnen entwickelt. Wir dürfen aber nicht in den Irrthum verfallen, etwa anzunehmen, daß der frühere Urerzeuger des ganzen Stammes der Simiaden, mit Einschluß des Menschen, mit irgend einem jetzt existierenden Affen identisch oder ihm auch nur sehr ähnlich gewesen sei.

 
Über die Geburtsstätte und das Alter des Menschen. – Wir werden natürlich darauf geführt zu untersuchen, wo die Geburtsstätte des Menschen gewesen ist, d. h. auf derjenigen Stufe seiner Descendenzreihe, wo unsere Urerzeuger von dem Stamme der Catarhinen sich abzweigten. Die Thatsache, daß sie zu diesem Stamme gehörten, zeigt ganz entschieden, daß sie die alte Welt bewohnten, aber weder Australien noch irgend eine oceanische Insel, wie wir aus den Gesetzen der geographischen Verbreitung schließen können. In jeder großen Region der Erde sind die dort lebenden Säugethiere nahe mit den ausgestorbenen Arten derselben Region verwandt. Es ist daher wahrscheinlich, daß Afrika früher von jetzt ausgestorbenen Affen bewohnt wurde, welche dem Gorilla und dem Schimpanse nahe verwandt waren; und da diese beiden Species jetzt die nächsten Verwandten des Menschen sind, so ist es noch etwas wahrscheinlicher, daß unsere frühen Urerzeuger auf dem afrikanischen Festlande lebten. Es ist aber ganz unnütz, über diesen Gegenstand Speculationen anzustellen; denn zwei oder drei anthropomorphe Affen, einer fast so groß wie der Mensch, nämlich der DryopithecusDr. C. Forsyth Major, Sur les Singes fossiles trouvés en Italie, in: Soc. Ital. delle Scienz. Natur. Tom. XV. 1872. von Lartet, welcher mit dem Hylobates nahe verwandt war, existierten in Europa während der Miocenperiode, und seit dieser so entfernt liegenden Periode hat die Erde sicher viele große Revolutionen erfahren und es ist auch hinreichende Zeit für Wanderungen im größten Maßstabe vergangen.

Zu der Zeit und an dem Orte, wann und wo dies auch gewesen sein mag, als der Mensch zuerst sein Haarkleid verlor, bewohnte er wahrscheinlich ein warmes Land, und dies würde einer Ernährung von Früchten, von denen er nach Analogie zu urtheilen lebte, günstig gewesen sein. Wir sind weit davon entfernt, wirklich zu wissen, wann der Mensch zuerst von dem Stamme der Catarhinen abzweigte; indeß kann dies schon in einer so entfernten Periode eingetreten sein, wie der eocenen; denn die höheren Affen waren von den niedrigeren Formen der Ordnung bereits zu einer so frühen Zeit wie der oberen miocenen abgezweigt, wie durch die Existenz des Dryopithecus eben bewiesen wird. Wir sind auch vollständig unwissend darüber, in einem wie schnellen Verhältnisse Organismen überhaupt, mögen sie nun hoch oder niedrig in der Stufenleiter stehen, unter günstigen Umständen modificiert werden können; indessen wissen wir, daß einige Organismen eine und dieselbe Form während eines enormen Zeitraums beibehalten haben. Aus dem, was wir im Zustande der Domestication vor sich gehen sehen, erfahren wir, daß innerhalb einer und derselben Periode einige der gleichzeitigen Nachkommen einer und derselben Art gar nicht geändert zu haben brauchen, einige nur wenig und andere wieder bedeutend. So mag es mit dem Menschen der Fall gewesen sein, welcher im Vergleich mit den höheren Affen einen großen Betrag an Modifikationen in gewissen Merkmalen erfahren hat.

Die große Unterbrechung in der organischen Stufenreihe zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten, welche von keiner ausgestorbenen oder lebenden Species überbrückt werden kann, ist oft als ein schwer wiegender Einwurf gegen die Annahme vorgebracht worden, daß der Mensch von einer niederen Form abgestammt ist; für Diejenigen aber, welche durch allgemeine Gründe überzeugt an das allgemeine Princip der Entwicklung glauben, wird dieser Einwurf nicht als ein Einwurf von sehr großem Gewichte erscheinen. Solche Unterbrechungen treten unaufhörlich an allen Punkten der Reihe auf, einige sind weit, sehr scharf ausgeprägt und bestimmt, andere in verschiedenen Graden weniger nach diesen Beziehungen hin, so z. B. zwischen dem Orang und seinen nächsten Verwandten, – zwischen dem Tarsius und den andern Lemuriden, – zwischen dem Elefanten und in einer noch auffallenderen Weise zwischen dem Ornithorhynchus oder der Echidna und allen übrigen Säugethieren. Aber alle diese Unterbrechungen beruhen lediglich auf der Zahl der verwandten Formen, welche ausgestorben sind. In irgend einer künftigen Zeit, welche nach Jahrhunderten gemessen nicht einmal sehr entfernt ist, werden die civilisierten Rassen der Menschheit beinahe mit Bestimmtheit auf der ganzen Erde die wilden Rassen ausgerottet und ersetzt haben. Wie Professor Schaaffhausen bemerkt hat,Anthropological Review. Apr. 1867, p. 236. werden zu derselben Zeit ohne Zweifel auch die anthropomorphen Affen ausgerottet sein. Der Abstand zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten wird dann noch weiter sein; denn er tritt dann zwischen dem Menschen in einem noch civilisierteren Zustande als dem kaukasischen, wie wir hoffen können, und irgend einem so tief in der Reihe stehenden Affen wie einem Pavian auf, statt daß er sich gegenwärtig zwischen dem Neger oder Australier und dem Gorilla findet.

Was das Fehlen fossiler Reste betrifft, welche den Menschen mit seinen affenähnlichen Urerzeugern zu verbinden dienen, so wird Niemand auf diese Thatsache viel Gewicht legen, welcher Sir C. Lyell's ErörterungElements of Geology. 1865, p. 583–585. Das Alter des Menschengeschlechts (Übers.), p. 97. gelesen hat, worin er zeigt, daß in sämmtlichen Classen der Wirbelthierreihe die Entdeckung fossiler Reste ein äußerst langsamer und vom Zufall abhängiger Vorgang gewesen ist. Auch darf man nicht vergessen, daß diejenigen Gegenden, welche am wahrscheinlichsten solche Reste darbieten, die den Menschen mit irgend einem ausgestorbenen affenähnlichen Geschöpfe verbinden, bis jetzt von Geologen noch nicht untersucht sind.

 
Die niederen Stufen in der Genealogie des Menschen. – Wir haben gesehen, daß der Mensch sich als von der Abtheilung der Catarhinen oder altweltlichen Formen der Simiaden abgezweigt darstellt, welche Abzweigung also eintrat, nachdem diese Abtheilung von der der neuweltlichen Formen verschieden geworden war. Wir wollen jetzt versuchen, den noch entfernteren Zügen seiner Genealogie zu folgen, wobei wir an erster Stelle auf die gegenseitigen Verwandtschaften zwischen den verschiedenen Classen und Ordnungen und auch, wenn schon in untergeordneter Weise, auf die Perioden Rücksicht nehmen, in welchen dieselben, soweit bis jetzt ermittelt ist, nach einander auf der Oberfläche der Erde erschienen sind. Die Lemuriden stehen unter und nahe bei den Simiaden, indem sie eine sehr verschiedene Familie der Primaten oder nach Haeckel und Andern selbst eine besondere Ordnung bilden. Diese Gruppe ist in einem ganz außerordentlichen Grade verschiedenartig geworden und auseinandergefallen und umfaßt viele aberrante Formen. Sie hat daher wahrscheinlich viel von dem Aussterben einzelner Formen gelitten. Die meisten der Überbleibsel leben noch auf Inseln, namentlich auf Madagascar und auf den Inseln des malayischen Archipels, wo sie keiner so scharfen Concurrenz ausgesetzt gewesen sind, wie dies auf gut bevölkerten Continenten der Fall gewesen sein würde. Diese Gruppe bietet auch viele gradweise Verschiedenheiten dar, welche, wie Huxley bemerkt,Stellung des Menschen in der Natur, p. 119. »unmerklich von der Krone und Spitze der thierischen Schöpfung zu Geschöpfen herabführen, von denen scheinbar nur ein Schritt zu den niedrigsten, kleinsten und wenigst intelligenten Formen der placentalen Säugethiere ist«. Nach diesen verschiedenen Betrachtungen ist es wahrscheinlich, daß die Simiaden sich ursprünglich aus den Vorfahren der jetzt noch lebenden Lemuriden entwickelt haben und diese wiederum aus Formen, welche in der Reihe der Säugethiere sehr tief standen.

Die Beutelthiere stehen in vielen bedeutungsvollen Merkmalen unterhalb der placentalen Säugethiere. Sie erscheinen in einer früheren geologischen Periode und ihr Verbreitungsbezirk war früher ein viel ausgedehnterer, als sich derselbe jetzt darstellt. Es wird daher allgemein angenommen, daß die Placentalen sich von den Implacentalen oder den Beutelthieren heraus entwickelt haben, indessen nicht etwa von Formen, welche den jetzt existierenden Marsupialien sehr gleichen, sondern von deren früheren Urerzeugern. Die Monotremen sind ganz offenbar mit den Marsupialien verwandt, sie bilden eine dritte und noch niedrigere Abtheilung in der großen Reihe der Säugethiere. Heutigen Tages werden sie nur von dem Ornithorhynchus und der Echidna repräsentiert, und man kann diese beiden Formen ganz getrost als Überbleibsel einer bedeutend größeren Gruppe betrachten, welche in Folge des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände in Australien erhalten worden sind. Die Monotremen sind ganz außerordentlich interessant, da sie in mehreren bedeutungsvollen Punkten ihres Körperbaus nach der Classe der Reptilien hinführen.

Wenn wir den Versuch machen, die Genealogie der Säugethiere und daher auch des Menschen noch weiter abwärts in der Thierreihe zu verfolgen, so kommen wir auf immer dunklere und dunklere Gebiete der Wissenschaft; wie aber ein äußerst fähiger Forscher, Mr. Parker, bemerkt hat, haben wir guten Grund anzunehmen, daß kein echter Vogel oder kein echtes Reptil in die Descendenzreihe eintritt. Wer hier zu erfahren wünscht, was Scharfsinn und Kenntnisse hervorbringen können, mag die Schriften Professor Haeckel's zu Rathe ziehen.Ausgeführte Tabellen sind mitgetheilt in seiner »Generellen Morphologie«, Bd. II, p. CLIII und p. 425, und mit speciellerer Beziehung auf den Menschen in seiner »Natürlichen Schöpfungsgeschichte« 1874. Bei der kritischen Anzeige des letzteren Werkes in The Academy, 1869, p. 42 sagt Prof. Huxley, daß er das Phylum oder die Descendenzlinien der Vertebraten für ausgezeichnet von Haeckel erörtert hält, wenngleich er von ihm in einigen Punkten abweicht. Er drückt auch seine hohe Werthschätzung der allgemeinen Haltung und des Geistes des ganzen Werkes aus. Ich will mich mit einigen allgemeinen Bemerkungen hier begnügen. Jeder Anhänger der Entwicklungstheorie wird zugeben, daß die fünf großen Wirbelthierclassen, nämlich Säugethiere, Vögel, Reptilien, Amphibien und Fische, sämmtlich von einem gemeinsamen Prototype oder von einer Stammform abgestammt sind; denn sie haben sehr viel, besonders während ihrer embryonalen Zustände, gemeinsam. Da die Classe der Fische die am niedrigsten organisierte ist und vor den übrigen auf der Erde erschienen ist. so können wir schließen, daß sämmtliche Glieder des Wirbelthierreichs von irgend einem fischähnlichen Thiere herrühren. Die Annahme, daß von einander so verschiedene Thiere, wie ein Affe, ein Elefant, ein Kolibri, eine Schlange, ein Frosch und ein Fisch u. s. w. sämmtlich von denselben Eltern entsprossen sein könnten, wird Denjenigen ganz monströs erscheinen, welche die neueren Fortschritte der Naturgeschichte nicht mit Aufmerksamkeit verfolgt haben; denn diese Annahme setzt die frühere Existenz von Zwischengliedern voraus, welche alle diese jetzt so völlig ungleichen Formen eng mit einander verbanden.

Nichtsdestoweniger ist es sicher, daß Thiergruppen existiert haben, oder selbst jetzt noch existieren, welche die verschiedenen großen Wirbelthierclassen mehr oder weniger eng mit einander zu verbinden geeignet waren oder sind. Wir haben gesehen, daß der Ornithorhynchus sich in mehreren Beziehungen den Reptilien nähert; und Professor Huxley hat die merkwürdige Entdeckung gemacht, welche Mr. Cope und Andere bestätigt haben, daß die alten Dinosaurier in vielen wichtigen Beziehungen mitten zwischen gewissen Reptilien und gewissen Vögeln inne stehen; die hier in Rede kommenden Vögel sind die straußartigen Vögel (offenbar selbst die weitverbreiteten Reste einer größeren Gruppe) und der Archaeopteryx, jener merkwürdige Vogel der Secundärzeit, welcher einen langen Schwanz hatte wie eine Eidechse. Ferner bieten nach Professor OwenPalaeontology. 1860, p. 199. die Ichthyosaurier – große Meereidechsen, die mit Ruderfüßen versehen waren – viele Verwandtschaften mit Fischen oder vielmehr, Huxley zufolge, mit Amphibien dar. Diese letztere Classe, welche in ihrer höchsten Abtheilung die Frösche und Kröten enthält, ist offenbar mit den ganoiden Fischen verwandt. Diese letzteren Fische wieder waren während der früheren geologischen Perioden sehr zahlreich und nach einem, wie man sich auszudrücken pflegt, bedeutend verallgemeinerten Plane gebaut, d. h. sie zeigten verschiedenartige Verwandtschaften mit andern Gruppen von Organismen. Der Lepidosiren ist wiederum so nahe mit den Amphibien und Fischen verwandt, daß die Zoologen sich lange gestritten haben, in welche dieser beiden Gruppen er zu stellen sei. Der Lepidosiren und einige wenige ganoide Fische sind dadurch vor völliger Zerstörung gerettet worden, daß sie Flüsse bewohnen, welche schützende Zufluchtshäfen bilden und dieselbe Beziehung zu den großen Wassermassen des Oceans darbieten, wie die Inseln zu den Continenten.

Endlich ist ein einziges Glied der ungeheuer großen und verschiedenartigen Classe der Fische, nämlich das Lanzettfischchen oder Amphioxus, so verschieden von allen übrigen Fischen, daß Haeckel behauptet, es müßte eine besondere Classe im Wirbelthierreiche bilden. Dieser Fisch ist wegen seiner negativen Merkmale merkwürdig; man kann kaum sagen, daß er ein Gehirn, eine Wirbelsäule, ein Herz u. s. w. besitzt, so daß er auch von den älteren Naturforschern unter die Würmer gestellt wurde. Vor vielen Jahren machte Professor Goodsir die Beobachtung, daß das Lanzettfischchen einige Verwandtschaften mit den Ascidien darbietet, welche wirbellose hermaphroditische und beständig fremden Körpern angeheftete marine Geschöpfe sind. Sie erscheinen kaum als Thiere und bestehen aus einem zähen lederartigen Sacke mit zwei kleinen vorspringenden Öffnungen. Sie gehören zu den Molluscoiden Huxley's, einer niedrigen Abtheilung des großen Unterreichs der Mollusken; neuerdings sind sie aber von einigen Zoologen unter die Vermes oder Würmer gestellt worden. Ihre Larven sind der Form nach den Kaulquappen etwas ähnlich,Ich habe die Genugthuung gehabt, auf den Falkland-Inseln im April 1833 und daher mehrere Jahre vor irgend einem andern Naturforscher die locomotiven Larven einer zusammengesetzten Ascidie gesehen zu haben, welche mit Synoicum nahe verwandt, aber, wie es scheint, doch generisch von ihm verschieden war. Der Schwanz war ungefähr fünfmal so lang wie der oblonge Kopf und endete in einem feinen Faden. Er war, wie ich es unter einem einfachen Mikroskop gezeichnet habe, deutlich durch quere opake Scheidewände getheilt, welche, wie ich vermuthe, die großen von Kowalevsky abgebildeten Zellen darstellen. Auf einer früheren Entwicklungsstufe war der Schwanz dicht um den Kopf der Larve gewickelt. und haben das Vermögen frei herumzuschwimmen. KowalevskyMém. de l'Acad. des Sciences de St. Pétersbourg. Tom. X, No. 15, 1866. hat neuerdings beobachtet, daß die Larven der Ascidien den Wirbelthieren verwandt sind und zwar in der Weise ihrer Entwicklung, in der relativen Lage ihres Nervensystems und in dem Besitze eines Gebildes, welches der Chorda dorsalis der Wirbelthiere sehr ähnlich ist. Dies ist von Prof. Kupffer bestätigt worden. Mr. Kowalevsky schreibt mir von Neapel, daß er diese Beobachtungen jetzt noch weiter geführt hat; sollten seine Resultate sicher begründet werden, so würden sie eine Entdeckung von dem größten Werthe darstellen. Dürfen wir uns nun auf Embryologie verlassen, welche sich stets als der sicherste Führer bei der Classification erwiesen hat, so scheint es hiernach, als hätten wir endlich einen Schlüssel zu jener Quelle gefunden, aus welcher die Wirbelthiere herstammen.Bemerken muß ich aber doch, daß einige competente Männer diese Folgerung bestreiten; so z. B. M. Giard in einer Reihe von Aufsätzen in den »Archives de Zoologie Expérimentale«, 1872. Trotzdem sagt aber derselbe Forscher p. 281: »L'organisation de la larva ascidienne en dehors de toute hypothèse et de toute théorie nous montre comment la nature peut produire la disposition fondamentale du type vertébré (l'existence d'une corde dorsale) chez un invertébré par la seule condition vitale de l'adaptation, et cette simple possibilité du passage supprime l'abîme entre les deux sous-règnes, encore bien qu'on ignore par où le passage s'est fait en réalité«. Wir würden darnach zu der Annahme berechtigt sein, daß in einer äußerst frühen Periode eine Gruppe von Thieren existierte, in vielen Beziehungen den Larven unserer jetzt lebenden Ascidien ähnlich, welche in zwei große Zweige auseinanderging; von diesen ging der eine in der Entwicklung zurück und brachte die jetzige Classe der Ascidien hervor, während der andere sich zu der Krone und Spitze des ganzen Thierreichs erhob, dadurch, daß er die Wirbelthiere entstehen ließ.

 


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