Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Zusammenfassung und Schlußbemerkungen über Insecten. – Blicken wir zurück auf die verschiedenen Ordnungen, so sehen wir, daß die Geschlechter oft in verschiedenen Merkmalen von einander abweichen in einer Weise, deren Bedeutung nicht im mindesten einzusehen ist. Die Geschlechter weichen auch oft in ihren Sinnes- oder Locomotionsorganen von einander ab, so daß die Männchen schnell die Weibchen entdecken oder erreichen können, und noch öfter darin, daß die Männchen verschiedenartige Einrichtungen zum Halten der Weibchen besitzen, wenn sie sie einmal gefunden haben. Aber geschlechtliche Verschiedenheiten dieser Arten gehen uns hier nur in einem untergeordneten Grade an.

In beinahe allen Ordnungen kennt man Arten, deren Männchen, selbst wenn sie schwächlicher und zarter Natur sind, in hohem Grade kampfsüchtig sind, und einige wenige sind mit speciellen Waffen zum Kampfe mit ihren Nebenbuhlern ausgerüstet. Aber das Gesetz des Kampfes herrscht bei Insecten nicht annähernd so weit vor wie bei höheren Thieren. Es ist daher aus diesem Grunde wahrscheinlich, daß die Männchen nur in wenig Fällen größer und stärker geworden sind als die Weibchen. Im Gegentheil sind sie gewöhnlich kleiner, damit sie sich in einer kürzeren Zeit entwickeln können, um in größerer Anzahl beim Ausschlüpfen der Weibchen in Bereitschaft zu sein.

In zwei Familien der Homoptern und dreien der Orthoptern besitzen nur die Männchen lauterzeugende Organe in einem wirksamen Zustande. Dieselben werden während der Brunstzeit unaufhörlich gebraucht, nicht bloß um das Weibchen zu rufen, sondern auch um dieses anzuregen und zu bezaubern im Wettkampfe mit andern Männchen. Niemand, welcher die Wirksamkeit von Zuchtwahl irgend welcher Art zugiebt, wird, nachdem er die obige Erörterung gelesen hat, bestreiten, daß diese musikalischen Instrumente durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. In vier andern Ordnungen sind die Individuen eines Geschlechts oder häufiger noch beider Geschlechter mit Organen zur Hervorbringung verschiedener Laute versehen, welche dem Anscheine nach bloß als Locktöne gebraucht werden. Wenn beide Geschlechter in dieser Weise ausgerüstet sind, werden diejenigen Individuen, welche im Stande sind, das lauteste oder anhaltendste Geräusch zu machen, vor denjenigen Individuen Genossen erhalten, welche weniger lärmend sind, so daß ihre Organe wahrscheinlich durch geschlechtliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Es ist belehrend, über die wunderbare Mannichfaltigkeit der Mittel nachzudenken, durch welche Laute hervorgebracht werden: Einrichtungen, welche entweder die Männchen allein oder beide Geschlechter in nicht weniger als sechs Ordnungen besitzen. Wir lernen daraus, wie wirksam geschlechtliche Zuchtwahl gewesen ist bei der Hervorbringung von Modifikationen, welche sich zuweilen, wie bei den Homoptern, auf bedeutungsvolle Theile der Organisation beziehen.

Nach den im letzten Capitel beigebrachten Gründen ist es wahrscheinlich, daß die großen Hörner der Männchen vieler Lamellicornier und einiger anderer Käfer als Zierathen erlangt worden sind. Wegen der unbedeutenden Größe der Insecten sind wir geneigt, ihre äußere Erscheinung zu unterschätzen. Wenn wir uns aber ein männliches Chalcosoma (Fig. 16) mit seinem poliertem bronzefarbigen Panzer, seinen ungeheuren, complicierten Hörnern zur Größe eines Pferdes oder selbst nur eines Hundes vergrößert vorstellen könnten, so würde es eines der imponierendsten Thiere der Welt sein.

Die Färbung der Insecten ist ein complicierter und dunkler Gegenstand. Wenn das Männchen unbedeutend vom Weibchen abweicht und keines der beiden Geschlechter brillant gefärbt ist, so haben wahrscheinlich beide Geschlechter in einer unbedeutend verschiedenen Art und Weise variiert, wobei dann die Abweichungen von jedem Geschlechte auf das gleichnamige vererbt wurden, ohne daß daraus irgend ein Vortheil oder Nachtheil hervorging. Wenn das Männchen brillant gefärbt ist und auffallend vom Weibchen abweicht, wie es bei manchen Libellen und vielen Schmetterlingen der Fall ist, so verdankt es wahrscheinlich seine Farben geschlechtlicher Zuchtwahl, während das Weibchen einen ursprünglichen oder sehr alten Typus der Färbung beibehalten hat, welcher nur unbedeutend durch die früher erörterten Einwirkungen modificiert worden ist. Aber in einigen Fällen ist offenbar das Weibchen dadurch dunkel geworden, daß Abänderungen als directes Schutzmittel auf es allein überliefert worden sind; und es ist beinahe gewiß, daß es zuweilen brillant gefärbt worden ist, um andere, denselben Bezirk bewohnende geschützte Arten nachzuahmen. Wenn die Geschlechter einander ähnlich und beide dunkel gefärbt sind, so sind sie ohne Zweifel in einer Menge von Fällen zum Zwecke des Schutzes gefärbt worden. Dasselbe ist in einigen Beispielen der Fall, wo beide hell gefärbt sind, wodurch sie geschützte Species nachahmen oder umgebenden Gegenständen, wie Blüthen, ähnlich werden, oder ihren Feinden zu erkennen geben, daß sie von einer ungenießbaren Art sind. In anderen Fällen, wo die Geschlechter einander ähnlich und beide brillant gefärbt sind, und besonders wenn die Farben zur Entfaltung entwickelt sind, können wir schließen, daß sie von dem männlichen Geschlechte als Anziehungsmittel erlangt und dann auf das Weibchen übertragen worden sind. Wir werden zu dieser Folgerung noch besonders geführt, sobald derselbe Typus der Färbung durch eine ganze Gruppe hindurch herrscht; und wir finden dann, daß die Männchen einiger Species von den Weibchen in der Färbung sehr abweichen, während beide Geschlechter anderer Species nur wenig verschieden oder völlig gleich sind, wobei dann zwischenliegende Abstufungen diese beiden extremen Zustände mit einander verbinden.

In derselben Art und Weise, wie helle Farben oft theilweise von den Männchen auf die Weibchen übertragen worden sind, ist es auch mit den außerordentlichen Hörnern vieler Lamellicornier und anderer Käfer der Fall gewesen; so sind ferner die lauterzeugenden Organe, welche den Männchen der Homoptern und Orthoptern eigen sind, allgemein in einem rudimentären oder selbst in einem nahezu vollkommenen Zustande auf die Weibchen übertragen worden, allerdings nicht in einem hinreichend vollkommenen Zustande, um von irgend einem Nutzen zu sein. Es ist auch eine interessante und sich auf geschlechtliche Zuchtwahl beziehende Thatsache, daß die Stridulationsorgane gewisser männlicher Orthoptern nicht eher als bis mit der letzten Häutung vollständig entwickelt werden, und daß die Farben gewisser männlicher Libellen nicht eher vollständig entwickelt werden, als nach Verlauf einiger Zeit nach ihrem Ausschlüpfen aus dem Puppenzustande und wenn sie zur Begattung reif sind.

Eine Wirksamkeit geschlechtlicher Zuchtwahl ist nur unter der Voraussetzung denkbar, daß die anziehenderen Individuen von dem anderen Geschlechte vorgezogen werden, und da es bei den Insecten, wenn die Geschlechter von einander abweichen, das Männchen ist, welches mit seltenen Ausnahmen am meisten geziert ist und welches am meisten von dem Typus, zu welchem die Art gehört, abweicht, und da es das Männchen ist, welches begierig das Weibchen aufsucht, so müssen wir annehmen, daß gewöhnlich oder gelegentlich das Weibchen die schöneren Männchen vorzieht, und daß diese hierdurch ihre Schönheit erlangt haben. Daß in den meisten oder sämmtlichen Ordnungen die Weibchen das Vermögen haben, irgend ein besonderes Männchen zu verschmähen, ist nach den vielen eigenthümlichen Vorrichtungen wahrscheinlich, welche die Männchen besitzen, um die Weibchen zu ergreifen, wie große Kinnladen, Haftkissen, Dornen, verlängerte Beine u. s. w.; denn diese Einrichtungen zeigen, daß der Act seine Schwierigkeiten hat, so daß die Betheiligung des Weibchens nothwendig scheinen möchte. Nach dem, was wir von dem Wahrnehmungsvermögen und den Affecten verschiedener Insecten wissen, liegt von vornherein keine Unwahrscheinlichkeit in der Annahme, daß geschlechtliche Zuchtwahl in ziemlicher Ausdehnung in Thätigkeit getreten ist; wir haben aber bis jetzt noch keine directen Belege über diesen Punkt und einige Thatsachen widersprechen der Annahme. Nichtsdestoweniger können wir doch, wenn wir sehen, daß viele Männchen ein und dasselbe Weibchen verfolgen, kaum glauben, daß die Paarung einem blinden Zufalle überlassen wäre, – daß das Weibchen keine Wahl ausübte und von den prächtigen Färbungen oder anderen Zierathen, mit denen das Männchen allein decoriert ist, nicht beeinflußt werden sollte.

Wenn wir annehmen, daß die Weibchen der Homoptern und Orthoptern die von ihren männlichen Genossen hervorgebrachten musikalischen Laute würdigen und daß die verschiedenen Instrumente zu diesem Zwecke durch geschlechtliche Zuchtwahl vervollkommnet worden sind, so liegt in der weiteren Annahme wenig Unwahrscheinliches, daß die Weibchen anderer Insecten Schönheit in der Form und Färbung würdigen und daß in Folge hiervon solche Merkmale von den Männchen zu diesem Zwecke erlangt worden sind. Aber wegen des Umstands, daß die Farbe so variabel und daß dieselbe so oft zum Zwecke des Schutzes modificiert worden ist, ist es schwierig zu entscheiden, wie zahlreich im Verhältnis die Fälle sind, bei welchen geschlechtliche Zuchtwahl in's Spiel gekommen ist. Dies ist ganz besonders schwierig in denjenigen Ordnungen, wie den Orthoptern, Hymenoptern und Coleoptern, bei welchen die beiden Geschlechter selten bedeutend in der Farbe von einander abweichen, denn wir sind hier auf bloße Analogie angewiesen. Was indessen die Coleoptern betrifft, so finden wir, wie vorhin bemerkt wurde, daß in der großen Gruppe der Lamellicornier, welche von einigen Autoritäten an die Spitze der Ordnung gestellt wird und bei welcher wir zuweilen eine gegenseitige Anhänglichkeit zwischen den Geschlechtern beobachten, die Männchen einiger Species in Besitz von Waffen zum geschlechtlichen Kampfe, andere mit wunderbaren Hörnern versehen, viele mit Stridulationsorganen ausgerüstet und andere wieder mit glänzenden, metallischen Farben verziert sind. Es scheint daher hiernach wahrscheinlich, daß alle diese Charaktere auf einem und demselben Wege erlangt worden sind, nämlich durch geschlechtliche Zuchtwahl. Bei den Schmetterlingen haben wir die besten Beweise hierfür, da die Männchen sich oft große Mühe geben, ihre schönen Farben zu entfalten; wir können nicht glauben, daß sie so handeln würden, wenn dies Entfalten bei der Werbung nicht für sie von Nutzen wäre.

Wenn wir von den Vögeln handeln werden, werden wir sehen, daß sie in ihren secundären Sexualcharakteren die größte Analogie mit den Insecten darbieten. So sind viele männliche Vögel in hohem Grade kampflustig und manche sind mit speciellen Waffen zum Kampfe mit ihren Nebenbuhlern ausgerüstet. Sie besitzen Organe, welche während der Brunstzeit zum Hervorbringen vocaler und instrumentaler Musik benutzt werden. Sie sind häufig mit Kämmen, Hörnern, Fleischlappen und Schmuckfedern der mannichfaltigsten Arten geschmückt und mit schönen Farben verziert, Alles offenbar zum Zweck der Entfaltung. Wir werden finden, daß, wie bei den Insecten, in gewissen Gruppen beide Geschlechter gleichmäßig schön und gleichmäßig mit Zierathen versehen sind, welche gewöhnlich auf das männliche Geschlecht beschränkt sind. In andern Gruppen sind beide Geschlechter gleichmäßig einfach gefärbt und ohne besondere Zierden. Endlich sind in einigen wenigen anomalen Fällen die Weibchen schöner als die Männchen. Wir werden oft in einer und derselben Gruppe von Vögeln jede Abstufung von gar keiner Verschiedenheit zwischen den beiden Geschlechtern bis zu einer äußerst großen Verschiedenheit finden. Wir werden sehen, daß, ganz wie die weiblichen Insecten, die weiblichen Vögel oft mehr oder weniger deutliche Spuren oder Rudimente der Merkmale besitzen, welche eigentlich den Männchen gehörten und nur für sie von Nutzen sind. In der That ist die Analogie in allen diesen Beziehungen zwischen den Vögeln und Insecten eine merkwürdig große. Was für eine Erklärung nur immer in der einen Classe anwendbar ist, dieselbe läßt sich wahrscheinlich auch auf die andere anwenden; und die Erklärung liegt, wie wir später noch in weiteren Details zu zeigen versuchen werden, in geschlechtlicher Zuchtwahl.

 


 


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