Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Drittes Capitel.

Vergleichung der Geisteskräfte des Menschen mit denen der niederen Thiere

Die Verschiedenheit in den geistigen Kräften zwischen dem höchsten Affen und dem niedrigsten Wilden ist ungeheuer. – Gewisse Instincte sind gemeinsam. – Gemüthsbewegungen. – Neugierde. – Nachahmung. – Aufmerksamkeit. – Gedächtnis. – Einbildung. – Verstand. – Progressive Vervollkommnung. – Von Thieren gebrauchte Werkzeuge und Waffen. – Abstraction, Selbstbewußtsein. – Sprache. – Schönheitssinn. – Glaube an Gott, spirituelle Kräfte; Aberglauben.

Wir haben in den ersten beiden Capiteln gesehen, daß der Mensch in seiner körperlichen Bildung deutliche Spuren seiner Abstammung von irgend einer niederen Form darbietet; man könnte aber behaupten, daß sich bei dieser Folgerung irgend ein Irrthum eingeschlichen haben müsse, da der Mensch in seinen Geisteskräften so bedeutend von allen andern Thieren abweicht. Die Verschiedenheit in dieser Hinsicht ist ohne Zweifel enorm, selbst wenn man die Seele eines der niedrigsten Wilden, welcher kein Wort besitzt, eine höhere Zahl als vier auszudrücken, und welcher keine abstracten Bezeichnungen für die gewöhnlichsten Gegenstände oder Affectes. die Belege über diese Punkte bei Sir J. Lubbock, Prehistoric Times p. 354 u. flgde. gebraucht, mit der des höchstorganisierten Affen vergleicht. Ohne Zweifel würde der Unterschied selbst dann immer noch ungeheuer bleiben, wenn einer der höheren Affen soweit veredelt oder civilisiert wäre, wie es ein Hund ist im Vergleiche mit seiner Stammform, dem Wolfe oder Schakal. Die Feuerländer gehören zu den niedersten Barbaren; ich habe mich aber fortwährend darüber verwundern müssen, wie genau die drei an Bord des Beagle befindlichen Feuerländer, welche einige Jahre in England lebten und etwas Englisch sprechen konnten, uns in der ganzen Anlage und den meisten unserer geistigen Fähigkeiten glichen. Wenn kein organisches Wesen außer dem Menschen irgendwelche geistige Fähigkeiten besessen hätte, oder wenn seine Fähigkeiten von einer völlig verschiedenen Natur wären im Vergleich mit denen der niederen Thiere, so würden wir nie im Stande gewesen sein, uns zu überzeugen, daß unsere hohen Fähigkeiten allmählich entwickelt worden sind. Es läßt sich aber deutlich nachweisen, daß kein fundamentaler Unterschied dieser Art besteht. Wir müssen auch zugeben, daß ein viel weiterer Abstand in den geistigen Fähigkeiten zwischen einem der niedrigsten Fische, wie der Pricke oder einem Amphioxus, und dem der höheren Affen besteht, als zwischen dem Affen und dem Menschen: und doch wird diese Lücke durch zahllose Abstufungen ausgefüllt.

Auch in Bezug auf die moralischen Anlagen ist der Unterschied zwischen einem Barbaren, wie dem von dem alten Seefahrer Byron beschriebenen Mann, welcher sein Kind an den Felsen zerschlug, weil es einen Korb mit Seeigeln hatte fallen lassen, und einem Howard oder Clarkson nicht klein, ebensowenig der Unterschied, in Bezug auf den Verstand, zwischen einem Wilden, der keine abstracten Ausdrücke gebraucht, und einem Newton oder Shakespeare. Verschiedenheiten dieser Art zwischen den größten Männern der höchsten Rassen und den niedrigsten Wilden werden durch die feinsten Abstufungen mit einander verbunden. Es ist daher auch möglich, daß sie in einander übergehen und aus einander sich entwickeln können.

Ich beabsichtige in diesem Capitel nun zu zeigen, daß zwischen dem Menschen und den höheren Säugethieren kein fundamentaler Unterschied in Bezug auf ihre geistigen Fähigkeiten besteht. Jeder Abschnitt dieses Gegenstandes hätte sich zu einer besonderen Abhandlung ausdehnen lassen, muß aber hier nur kurz behandelt werden. Da keine Eintheilung der geistigen Fähigkeiten ganz allgemein angenommen worden ist, werde ich meine Bemerkungen in einer meinen Zwecken am meisten dienenden Weise anordnen und werde diejenigen Thatsachen auswählen, welche mich am meisten frappiert haben, in der Hoffnung, daß sie auch auf den Leser ihre Wirkung äußern werden.

In Bezug auf die sehr tief auf der Stufenleiter stehenden Thiere werde ich noch einige weitere Thatsachen in dem Abschnitt über geschlechtliche Zuchtwahl zu geben haben, welche zeigen werden, daß ihre geistigen Fähigkeiten viel bedeutender sind, als man hätte erwarten können. Die Veränderlichheit dieser Fähigkeiten bei Individuen einer und derselben Art ist ein bedeutungsvoller Punkt für uns, und einige wenige Erläuterungen hierüber mögen hier gegeben werden. Es würde aber überflüssig sein, hier auf viele Einzelheiten über diesen Gegenstand einzugehen; denn nach häufigen Erkundigungen habe ich gefunden, daß alle Diejenigen, welche lange Zeit Thiere vieler Arten, mit Einschluß der Vögel, aufmerksam beobachtet haben, der Meinung sind, daß die Individuen in jedem geistigen Charakterzuge bedeutend von einander abweichen. Zu untersuchen, in welcher Weise die geistigen Fähigkeiten zuerst in den niedrigsten Organismen sich entwickelt haben, ist eine ebenso hoffnungslose Untersuchung als die, wie das Leben zuerst entstand. Dies sind Probleme für eine ferne Zukunft, wenn sie überhaupt je von Menschen gelöst werden können.

Da der Mensch dieselben Sinne wie die niederen Thiere besitzt, so müssen seine fundamentalen Anschauungen dieselben sein. Der Mensch hat auch einige wenige Instincte mit den Thieren gemeinsam, wie den der Selbsterhaltung, der geschlechtlichen Liebe, der Liebe der Mutter für ihr Neugeborenes, den Trieb des Letzteren zu saugen u. s. w. Doch hat vielleicht der Mensch etwas weniger Instincte als diejenigen Thiere, welche zunächst in der Stufenreihe auf ihn folgen. Der Orang auf den indischen Inseln und der Schimpanse in Afrika bauen Plattformen, auf denen sie schlafen, und da beide Arten dieselbe Gewohnheit haben, so könnte man schließen, daß dies die Folge eines Instincts sei; wir sind aber nicht sicher, ob es nicht das Resultat des Umstandes ist, daß beide Thiere ähnliche Bedürfnisse und die gleiche Fähigkeit der Überlegung haben. Wir können annehmen, daß diese Affen die vielen giftigen Früchte der Tropen vermeiden, und der Mensch besitzt diese Kenntnisse nicht. Da aber unsere Hausthiere, wenn sie in fremde Länder gebracht und zuerst im Frühjahr hinausgetrieben werden, oft giftige Pflanzen fressen, welche sie später vermeiden, so sind wir nicht sicher, ob die Affen nicht nach ihrer eigenen Erfahrung oder nach der ihrer Eltern lernen, welche Früchte sie zu wählen haben. Indessen ist es gewiß, wie wir sofort sehen werden, daß die Affen eine instinctive Furcht vor Schlangen und wahrscheinlich auch vor anderen gefährlichen Thieren haben.

Die geringe Zahl und vergleichsweise Einfachheit der Instincte bei den höheren Thieren ist merkwürdig contrastierend mit denen der niederen Thiere. Cuvier behauptete, daß Instinct und Intelligenz in umgekehrtem Verhältnis zu einander stehen, und manche Schriftsteller haben gemeint, daß die intellectuellen Fähigkeiten der höheren Thiere sich allmählich aus deren Instincten entwickelt haben. Es hat aber Pouchet in einem interessanten AufsatzeL'instinct chez les Insectes, in: Revue des Deux Mondes. Febr. 1870, p. 690. gezeigt, daß ein derartiges umgekehrtes Verhältnis factisch nicht besteht. Diejenigen Insecten, welche die wunderbarsten Instincte besitzen, sind sicher auch die intelligentesten. Unter den Wirbelthieren besitzen die am wenigsten intelligenten Glieder, nämlich die Fische und Amphibien, keine complexen Instincte; und unter den Säugethieren ist das Thier, welches wegen seiner Instincte merkwürdig ist, nämlich der Biber, sehr intelligent, was Jeder zugeben wird, welcher Morgan's ausgezeichnete Beschreibung dieses ThieresThe American Beaver and his Works. 1868. gelesen hat.

Obgleich sich die ersten Spuren der Intelligenz nach Herbert SpencerThe Principles of Psychology. 2. edit. 1870, p. 418-443. durch die Vervielfältigung und Coordination von Reflexwirkungen entwickelt haben, und obschon viele der einfacheren Instincte in Wirkungen dieser Art übergehen und kaum von ihnen unterschieden werden können, wie bei dem Saugen junger Thiere, so scheinen doch die complicierteren Instincte unabhängig von irgend einer Intelligenz entstanden zu sein. Ich möchte aber durchaus nicht leugnen, daß instinctive Thätigkeiten ihren fixierten und nicht angelernten Charakter verlieren und durch andere Thätigkeiten ersetzt werden können, welche mit Hülfe des freien Willens ausgeführt werden. Andererseits werden aber Handlungen des Verstandes, wie z. B. wenn Vögel auf oceanischen Inseln zuerst sich vor Menschen zu fürchten lernen, in Instincte umgewandelt und als solche vererbt, wenn sie mehrere Generationen hindurch ausgeführt worden sind. Man kann dann von diesen Handlungen sagen, daß sie im Charakter verderbt sind, denn sie werden nun nicht mehr durch den Verstand oder nach der Erfahrung ausgeführt. Dagegen scheint die größere Zahl der complicierten Instincte in einer völlig verschiedenen Weise erlangt worden zu sein, nämlich durch die natürliche Zuchtwahl von Variationen einfacher instinctiver Handlungen. Derartige Variationen scheinen aus denselben unbekannten Ursachen, welche hier auf die Organisation des Gehirns wirken, zu entstehen, wie solche unbedeutende Abänderungen oft individuelle Verschiedenheiten in anderen Theilen des Körpers hervorrufen; und in Folge unserer Unwissenheit sagen wir dann häufig, daß diese Variationen spontan auftreten. Ich glaube, wir können auch mit Bezug auf den Ursprung der complicierteren Instincte zu keinem anderen Schlusse gelangen, wenn wir an die wunderbaren Instincte steriler Arbeiterameisen und Bienen uns erinnern, welche keine Nachkommen hinterlassen, denen sie die Wirkungen der Erfahrung und veränderten Lebensweise überliefern könnten.

Obschon ein hoher Grad von Intelligenz mit dem Vorhandensein complicierter Instincte verträglich ist, wie wir bei den eben genannten Insecten und beim Biber gesehen haben, und obgleich Handlungen, welche zuerst willkürlich erlernt wurden, in Folge von Gewohnheit bald mit der Schnelligkeit und Sicherheit einer Reflexthätigkeit ausgeführt werden können, so ist es doch nicht unwahrscheinlich, daß freie Intelligenz und Instinct (welcher eine gewisse vererbte Modification des Gehirns in sich begreift) sich in einer gewissen Ausdehnung in ihrer gegenseitigen Entwicklung stören. Über die Functionen des Gehirns ist nur wenig bekannt; aber wir beobachten, daß in dem Maße, wie die intellectuellen Fähigkeiten höher entwickelt werden, auch die verschiedenen Theile des Gehirns durch die feinst verwobenen Canäle gegenseitigen Austausches mit einander in Verbindung gebracht werden müssen; und als Folge hiervon würde jeder einzelne Theil vermuthlich weniger geschickt werden, besondere Empfindungen oder Associationen in einer bestimmten und vererbten, das ist instinctiven, Weise zu entwickeln. Es scheint selbst eine gewisse Beziehung zwischen einem niedern Intelligenzgrade und einer starken Neigung zur Bildung fixierter, wennschon nicht vererbter Gewohnheiten zu bestehen; wenigstens hat ein scharfsinniger Arzt gegen mich geäußert, daß in geringem Grade schwachsinnige Personen in allem nach Routine und Gewohnheit zu handeln streben, und daß man sie viel glücklicher macht, wenn man sie darin ermuthigt.

Ich hielt es für der Mühe werth, diese Abschweifung hier einzuschalten, weil wir die geistigen Fähigkeiten der höheren Thiere und besonders des Menschen leicht unterschätzen können, wenn wir ihre auf die Erinnerung vergangener Ereignisse, auf Vorsicht, Nachdenken und Einbildungskraft gegründeten Handlungen mit den vollständig ähnlichen Handlungen vergleichen, welche von niederen Thieren instinctiv ausgeführt werden. In diesem letzteren Falle ist die Fähigkeit zur Ausführung solcher Handlungen Schritt für Schritt durch Variabilität der psychischen Organe und natürliche Zuchtwahl erreicht worden, ohne daß eine bewußte Intelligenz von Seiten des Thieres während einer jeden der aufeinanderfolgenden Generationen dazu gekommen wäre. Ohne Zweifel ist viel von der intelligenten Thätigkeit, die der Mensch ausführt, auf Nachahmung und nicht auf Überlegung zu schieben, wie Mr. Wallace bemerkt hat,Contribution to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 212. aber zwischen seinen Handlungen und vielen der von niederen Thieren ausgeführten besteht der große Unterschied, daß der Mensch beim ersten Versuche nicht im Stande ist, z. B. ein steinernes Beil oder ein Boot durch seine Fähigkeit der Nachahmung zu fertigen. Er hat seine Arbeit durch Übung zu erlernen. Ein Biber dagegen kann seinen Damm oder Canal, ein Vogel sein Nest genau so oder nahezu so gut, eine Spinne ihr wunderbares Gewebe vollständig so gutWegen der Belege hierzu s. das äußerst interessante Buch von J. Traherne Moggridge, Harvesting Ants and Trap-door Spiders. 1873, p. 126, 128. das erste Mal, wo sie's versuchen, bauen, wie wenn sie alt und erfahren sind.

Doch kehren wir zu unserem vorliegenden Gegenstande zurück. Die niederen Thiere empfinden offenbar wie der Mensch Freude und Schmerz, Glück und Unglück. Das Glück giebt sich nirgends besser zu erkennen, als bei jungen Thieren, wie bei jungen Hunden, Katzen, Lämmern u. s. w., wenn sie zusammen spielen, wie unsere eigenen Kinder. Selbst Insecten spielen zusammen, wie jener ausgezeichnete Beobachter P. Huber beschrieben hat,Recherches sur les moeurs des Fourmis. 1810, p. 173. welcher sah, wie Ameisen sich jagten und thaten, als wenn sie einander bissen, genau so, als wenn es junge Hunde gewesen wären.

Die Thatsache, daß die niederen Thiere durch dieselben Gemüthsbewegungen betroffen werden wie wir, ist so sicher festgestellt, daß es nicht nöthig ist, den Leser durch viele Einzelheiten zu ermüden. Der Schreck wirkt auf sie in derselben Weise wie auf uns, er macht ihre Muskeln erzittern, ihr Herz schlagen, die Schließmuskeln erschlaffen und das Haar sich aufrichten. Verdacht, das Kind der Gefahr, drückt sich äußerst charakteristisch bei vielen wilden Thieren aus. Es ist, denke ich, unmöglich, die Beschreibung, welche Sir E. Tennent von dem Betragen der weiblichen, als Lockthiere dienenden Elefanten giebt, zu lesen, ohne zu der Überzeugung zu kommen, daß sie den Betrug bewußterweise und absichtlich ausführen und wohl wissen, um was es sich handelt. Muth und Furchtsamkeit sind bei Individuen einer und derselben Species äußerst veränderliche Eigenschaften, wie wir bei unseren Hunden deutlich sehen. Manche Hunde und Pferde sind schlechten Temperaments und werden leicht bös, andere sind guten Temperaments, und diese Eigenschaften werden sicher vererbt. Jedermann weiß, wie leicht Thiere wüthend werden und wie deutlich sie es zeigen. Viele und wahrscheinlich wahre Anekdoten hat man von der lange verschobenen und überlegten Rache verschiedener Thiere veröffentlicht. Der zuverlässige Rengger und BrehmAlle die folgenden Angaben, welche nach der Autorität dieser beiden Naturforscher gemacht sind, sind entnommen aus Rengger, Naturgesch. der Säugethiere von Paraguay, 1830, p. 41-57 und aus Brehm's Thierleben, 2. Aufl. Bd. 1, p. 49-173. geben an, daß die amerikanischen und afrikanischen Affen, welche sie zahm besaßen, sich sicher rächten. Sir Andrew Smith, ein Zoolog, dessen scrupulöse Genauigkeit von vielen Leuten ausdrücklich anerkannt wurde, hat mir die folgende, von ihm selbst persönlich erlebte Geschichte erzählt: Am Cap der guten Hoffnung hatte ein Officier einen bestimmten Pavian häufig geneckt. Als das Thier ihn eines Sonntags zur Parade gehen sieht, gießt es Wasser in ein Loch, macht schnell etwas dicken Schlamm zurecht und spritzt diesen ganz geschickt und zum Amüsement vieler Zuschauer über den Officier, als er vorüberging. Noch lange Zeit nachher freute sich und triumphierte der Pavian, so oft er das Opfer seiner Rache sah.

Die Liebe eines Hundes für seinen Herrn ist eine notorische Thatsache; so sagt ein alter Schriftsteller:Citiert von Dr. Lauder Lindsay in seiner: Physiology of Mind in the Lower Animals; Journal of Mental Science, April, 1871, p. 38. »ein Hund ist das einzige Ding in der Welt, das Dich mehr liebt, als sich selbst«.

Man hat von einem Hunde berichtet, der noch im Todeskampfe seinen Herrn geliebkost hat, und Alle haben davon gehört, wie ein Hund, an dem man die Vivisection ausführte, die Hand seines Operateurs leckte. Wenn nicht dieser Mann ein Herz von Stein hatte, so muß er, wenn die Operation nicht durch Erweiterung unserer Erkenntnis völlig gerechtfertigt war, bis zur letzten Stunde seines Lebens Gewissensbisse gefühlt haben.

WhewellBridgewater Treatise, p. 263. hat sehr richtig gefragt: »Wer nur die rührenden Beispiele mütterlicher Liebe liest, die so oft von Frauen aller Nationen und von den Weibchen aller Thiere erzählt worden sind, kann der wohl zweifeln, daß der Beweggrund der Handlung in beiden Fällen derselbe ist?« Wir sehen mütterliche Zuneigung in den unbedeutendsten Zügen sich äußern; so beobachtete Rengger einen amerikanischen Affen (einen Cebus), welcher sorgfältig die Fliegen verscheuchte, die sein Junges peinigten, und Duvaucel sah einen Hylobates, welcher seinen Jungen in einem Flusse die Gesichter wusch. Der Kummer weiblicher Affen um den Verlust ihrer Jungen war so intensiv, daß er ohne Ausnahme den Tod gewisser Arten verursachte, welche Brehm in Nord-Afrika in Gefangenschaft hielt. Verwaiste Affen wurden stets von den anderen Affen, sowohl Männchen als Weibchen, adoptiert und sorgfältig bewacht. Ein weiblicher Pavian hatte ein so weites Herz, daß er nicht bloß junge Affen anderer Arten adoptierte, sondern auch noch junge Hunde und Katzen stahl, welche er beständig mit sich herumführte. Doch ging seine Liebe nicht so weit, mit seinen adoptierten Nachkommen die Nahrung zu theilen, worüber sich Brehm deshalb verwundert, weil seine Affen stets Alles gewissenhaft mit ihren Jungen theilten. Ein adoptiertes Kätzchen kratzte den ebenerwähnten liebevollen Pavian; dieser, welcher sicher einen feinen Verstand besaß, war sehr erstaunt, gekratzt zu werden, untersuchte sofort die Füße des Kätzchens und biß ihm, ohne sich viel zu besinnen, die Krallen ab.Ohne allen Grund bestreitet ein Kritiker (Quarterly Review, July, 1871, p. 72) die Möglichkeit dieses Actes, wie ihn Brehm beschrieben hat, nur um mein Buch zu discreditieren. Ich habe daher den Versuch gemacht und gefunden, daß ich mit meinen eigenen Zähnen die kleinen scharfen Krallen eines beinahe fünf Wochen alten Kätzchens fassen konnte. Im zoologischen Garten hörte ich von einem Wärter, daß ein alter Pavian (C. Chacma) einen Rhesus-Affen adoptiert hatte: als aber ein junger Drill und Mandrill in den Käfig gethan wurden, schien er zu bemerken, daß diese Affen, trotzdem sie verschiedenen Arten angehörten, doch noch näher mit ihm verwandt wären, denn er verstieß sofort den Rhesus und adoptierte jene Beiden. Ich sah dann, daß der Rhesus sehr unzufrieden damit war, in dieser Weise verstoßen zu werden; er neckte und attakierte den jungen Drill und Mandrill, wie ein ungezogenes Kind, so oft er es mit Sicherheit thun konnte, welches Betragen bei dem alten Pavian große Indignation erregte. Nach Brehm vertheidigen auch Affen ihre Herren, wenn diese von irgend Jemand angegriffen werden, ebensogut wie sie Hunde, denen sie zugethan sind, gegen die Angriffe anderer Hunde vertheidigen. Wir berühren aber hiermit den Gegenstand der Sympathie und Treue, auf welchen ich noch zurückkommen werde. Einige von Brehm's Affen amüsierten sich damit, einen gewissen alten Hund, den sie nicht leiden konnten, und ebenso andere Thiere in verschiedenen ingeniösen Weisen zu necken.

Die meisten der complicierteren Gemüthsbewegungen sind den höheren Thieren und uns gemeinsam. Jedermann hat gesehen, wie eifersüchtig ein Hund auf die Liebe seines Herrn ist, wenn diese noch irgend einem anderen Wesen erwiesen wird, und ich habe dieselbe Thatsache bei Affen beobachtet. Dies zeigt, daß die Thiere nicht bloß Liebe fühlen, sondern auch die Sehnsucht haben, geliebt zu werden. Die Thiere haben offenbar Ehrgeiz; sie lieben Anerkennung und Lob, und ein Hund, welcher seinem Herrn einen Korb trägt, zeigt Selbstgefälligkeit und Stolz in hohem Grade. Ich glaube, es kann kein Zweifel sein, daß ein Hund Schamgefühl, und zwar verschieden von Furcht, besitzt, ebenso etwas der Bescheidenheit sehr Ähnliches, wenn er zu oft um Nahrung bettelt. Ein großer Hund verachtet das Knurren eines kleinen Hundes, und dies könnte man Großmuth nennen. Mehrere Beobachter haben angegeben, daß Affen es sicher nicht leiden können, ausgelacht zu werden, und sie erfinden zuweilen eingebildete Beleidigungen. Im zoologischen Garten sah ich einen Pavian, der jedesmal in grenzenlose Wuth gerieth, wenn sein Wärter einen Brief oder ein Buch herausholte und ihm laut vorlas; und diese Wuth war so heftig, daß er bei einer Gelegenheit, bei welcher ich selbst zugegen war, sein eigenes Bein biß, bis das Blut kam. Hunde zeigen auch etwas, was ganz gut ein Sinn für Humor genannt werden kann, verschieden vom bloßen Spielen; wenn irgend etwas, ein Stock oder dergl., einem Hunde hingeworfen wird, trägt er es oft eine kurze Strecke weit fort; dann kommt er wieder, legt den Gegenstand nahe vor sich auf den Boden und wartet bis sein Herr dicht heran kommt, um jenen aufzuheben. Nun ergreift aber der Hund das Ding schnell und läuft im Triumph damit fort, wiederholt dasselbe Stückchen und erfreut sich offenbar des Scherzes.

Wir wollen uns nun den intellectuelleren Erregungen und Fähigkeiten zuwenden, welche von großer Bedeutung sind, da sie die Grundlage zur Entwicklung der höheren geistigen Kräfte bilden. Die Thiere freuen sich offenbar der Anregung und leiden unter der Langeweile, wie man bei Hunden, und nach Rengger, bei Affen sehen kann. Alle Thiere empfinden Verwunderung und viele zeigen Neugierde. Von dieser letzteren Eigenschaft haben sie zuweilen zu leiden, so wenn der Jäger Grimassen schneidet und sie dadurch anlockt. Ich habe dies beim Reh selbst gesehen und dasselbe gilt für die behutsamen Gemsen und manche Arten von wilden Enten. Brehm theilt eine merkwürdige Erzählung von der instinctiven Furcht mit, welche seine Affen vor Schlangen zeigten; ihre Neugierde war aber so groß, daß sie sich nicht enthalten konnten, gelegentlich ihre Neugierde in einer äußerst menschlichen Art und Weise zu befriedigen, dadurch, daß sie den Deckel des Kastens, in dem die Schlangen gehalten wurden, aufhoben. Mich frappierte diese Erzählung so, daß ich eine ausgestopfte und zusammengerollte Schlange in das Affenhaus im zoologischen Garten mitnahm, und die dadurch verursachte Aufregung war eines der merkwürdigsten Schauspiele, was ich jemals zu Gesicht bekommen habe. Drei Arten von Cercopithecus waren am meisten beunruhigt, sie flogen in ihrem Käfig herum und stießen scharfe Warnungssrufe aus, welche von den anderen Affen verstanden wurden. Nur wenige junge Affen und ein alter Anubis-Pavian nahmen von der Schlange keine Notiz. Ich legte dann das ausgestopfte Exemplar in einem der größeren Behälter auf den Boden. Nach einiger Zeit hatten sich alle Affen rings um dasselbe in weitem Kreise versammelt und boten, dasselbe anstierend, einen äußerst lächerlichen Anblick dar. Sie wurden äußerst nervös, und als z. B. eine hölzerne Kugel, welche ein ihnen vollständig vertrautes Spielzeug war, zufällig im Stroh, unter dem sie theilweise verhüllt war, bewegt wurde, stoben sie sofort auseinander. Diese Affen benahmen sich sehr verschieden, wenn ein todter Fisch, eine MausIch habe eine kurze Schilderung ihres Benehmens bei dieser Gelegenheit in meinem »Ausdruck der Gemüthsbewegungen« gegeben. 4. Aufl. 1884, p. 125. oder irgend andere neue Gegenstände in ihre Käfige gebracht wurden. Denn obwohl sie zuerst erschreckt waren, näherten sie sich doch bald, nahmen dieselben in die Hände und untersuchten sie. Ich brachte dann eine lebendige Schlange in einem Papiersack, dessen Öffnung lose verschlossen war, in einen der größeren Behälter. Einer der Affen näherte sich sofort, öffnete vorsichtig den Sack ein wenig, guckte hinein und schoß sofort weg. Dann beobachtete ich, was Brehm beschrieben hat; denn einer von den Affen nach dem anderen, mit hocherhobenem und auf die Seite gewandtem Kopf, konnte der Versuchung nicht widerstehen, von Zeit zu Zeit in den aufrechtstehenden Sack und auf den schreckenerregenden Gegenstand, der ruhig auf seinem Boden lag, einen flüchtigen Blick zu werfen. Es möchte fast scheinen, als wenn die Affen irgend eine Vorstellung von zoologischer Verwandtschaft hätten, denn diejenigen, welche Brehm hielt, zeigten eine merkwürdige und doch nicht mißzudeutende instinctive Furcht vor unschuldigen Eidechsen und Fröschen. Auch ist beobachtet worden, daß ein Orang von dem ersten Anblick einer Schildkröte sehr beunruhigt wurde.W. C. L. Martin, Natur. Hist. of Mammalia. 1841, p. 405.

Das Princip der Nachahmung ist beim Menschen sehr stark und besonders, wie ich selbst beobachtet habe, beim Wilden. Bei gewissen krankhaften Zuständen des Gehirns wird diese Neigung zu einem außerordentlichen Grade gesteigert; manche hemiplegische Personen und andere, im Anfangsstadium der entzündlichen Gehirnerweichung sprechen unbewußt jedes gehörte Wort aus ihrer eignen oder einer fremden Sprache nach und ahmen auch jede Geberde oder Handlung nach, die in ihrer Gegenwart ausgeführt wird.Dr. Bateman, on Aphasia; 1870, p. 110. DesorAngeführt von C. Vogt, Mémoires sur les Microcéphales. 1867, p. 168. hat bemerkt, daß kein niederes Thier willkürlich eine vom Menschen verrichtete Handlung nachahmt, bis wir, in der Stufenleiter aufsteigend, zu den Affen kommen, von denen ja sehr bekannt ist, daß sie in lächerlicher Weise nachahmen. Thiere ahmen aber zuweilen ihre Handlungen unter einander nach; so lernten zwei Arten von Wölfen, welche von Hunden aufgezogen worden waren, zu bellen, wie es zuweilen auch der Schakal thut.Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. I, p. 29. Ob dies indessen eine willkürliche Nachahmung genannt werden kann, ist eine andere Frage. Vögel ahmen den Gesang ihrer Eltern und zuweilen den anderer Vögel nach; Papageien sind wegen ihrer Nachahmung jedes, oft von ihnen gehörten Lautes notorisch. Dureau de la MalleAnnales des Sciences natur. 1. Série, Tom. XXII, p. 397. theilt den Fall eines von einer Katze aufgezogenen Hündchens mit, welches die so bekannte Gewohnheit der Katzen nachzuahmen lernte, sich die Füße zu lecken und sich damit das Gesicht und die Ohren zu reinigen; dasselbe hat auch der bekannte Audouin gesehen. Ich habe noch mehrere bestätigende Berichte erhalten; in einem dieser Fälle wurde ein Hund nicht von der Katze aufgesäugt, wohl aber bei einer solchen in Gesellschaft junger Kätzchen aufgezogen; hierdurch hatte er die erwähnte Gewohnheit erlernt, die er während seines ganzen Lebens von dreizehn Jahren ausübte. Dureau de la Malle's Hund lernte auch von den Kätzchen mit einem Balle zu spielen, ihn mit den Vorderpfoten zu rollen und danach zu springen. Einer meiner Correspondenten versichert mir, daß eine Katze in seinem Hause ihre Pfoten in den Hals einer Milchkanne zu stecken pflegte, die eine für ihren Hals zu enge Öffnung hatte. Ein Junges dieser Katze lernte sehr bald denselben Streich ausführen und benutzte dies später stets, so oft sich nur eine Gelegenheit dazu bot.

Man kann wohl sagen, daß die Eltern vieler Thiere im Vertrauen auf das in ihren Jungen thätig werdende Princip der Nachahmung und noch besonders auf ihre instinctiven oder erblichen Anlagen dieselben »erziehen«. Wir sehen dies, wenn eine Katze ihrem Kätzchen eine lebendige Maus bringt; und Dureau de la Malle hat (in dem oben citierten Aufsatze) eine merkwürdige Schilderung seiner Beobachtungen an Habichten gegeben, welche ihre Jungen Geschicklichkeit ebenso wie Beurtheilung der Entfernung lehrten, dadurch, daß sie erst todte Mäuse und Sperlinge durch die Luft fallen, welche die Jungen meist nicht fangen konnten, und dann lebendige Vögel fliegen ließen.

Kaum irgend eine Fähigkeit ist für den intellectuellen Fortschritt des Menschen von größerer Bedeutung, als die Fähigkeit der Aufmerksamkeit. Thiere zeigen diese Fähigkeit offenbar, so wenn eine Katze vor einer Höhle wartet und sich vorbereitet, auf ihre Beute zu springen. Wilde Thiere werden zuweilen hierdurch so befangen, daß man sich ihnen leicht annähern kann. Mr. Bartlett hat mir ein merkwürdiges Beispiel mitgetheilt, wie variabel diese Fähigkeit bei den Affen ist. Ein Mann, welcher Affen abrichtete, pflegte die gewöhnlichen Arten von der zoologischen Gesellschaft zum Preise von 5 Pfund (Sterling) das Stück zu kaufen; er erbot sich aber, die doppelte Summe zu zahlen, wenn ihm erlaubt sei, drei oder vier derselben ein paar Tage lang bei sich zu halten, um einen auszuwählen. Als er gefragt wurde, wie es möglich sei, daß er so bald schon sehe, ob ein besonderer Affe sich als ein guter Schauspieler herausstellen werde, antwortete er, daß alles von ihrer Fähigkeit, aufzumerken, abhänge. Würde die Aufmerksamkeit des Affen, während er mit ihm spräche und ihm irgend etwas erklärte, leicht abgezogen, sei es durch eine Fliege an der Wand oder irgend einen anderen unbedeutenden Gegenstand, so sei der Fall hoffnungslos. Versuche er einen unaufmerksamen Affen durch Strafe zum Agieren zu bringen, so werde er böse. Andererseits meinte er, daß ein Affe, welcher aufmerksam auf ihn merke, immer abgerichtet werden könne.

Es ist fast überflüssig, noch zu erwähnen, daß Thiere ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Personen und Orte haben. Mir hat Sir Andrew Smith mitgetheilt, daß ihn ein Pavian am Cap der guten Hoffnung voller Freude nach einer Abwesenheit von neun Monaten wieder erkannt habe. Ich habe einen Hund gehabt, welcher wild und unwirsch gegen alle Fremden war, und habe absichtlich sein Gedächtnis nach einer Abwesenheit von fünf Jahren und zwei Tagen auf die Probe gestellt. Ich ging zu dem Stall, wo er war, und rief ihn an in meiner alten Weise; er zeigte keine Freude, aber folgte mir augenblicklich, kam heraus und gehorchte mir so genau, als wenn ich ihn erst vor einer halben Stunde verlassen hätte. Ein Strom alter Ideenverbindungen, welche fünf Jahre lang geschlummert hatten, war hierdurch in seiner Seele augenblicklich angeregt worden. Selbst Ameisen erkannten, wie P. HuberLes Moeurs des Fourmis. 1810, p. 150. entschieden nachgewiesen hat, ihre Genossen, die demselben Haufen angehörten, nach einer Trennung von vier Monaten wieder. Thiere können sicher durch irgend welche Mittel die Zeitintervalle zwischen wiederkehrenden Ereignissen beurtheilen.

Die Einbildungskraft ist eine der höchsten Prärogativen des Menschen. Durch dieses Vermögen verbindet er unabhängig vom Willen frühere Eindrücke und Ideen und erzeugt damit glänzende und neue Resultate. Jean Paul Friedrich Richter bemerkt:Citiert in Maudsley, Physiology and Pathology of Mind. 1868, p. 19, 220. »ein Dichter, welcher erst überlegen muß, ob er einen seiner Charaktere Ja oder Nein sagen lassen soll – zum Teufel mit ihm. Er ist nur ein seelenloser Körper«. Das Träumen giebt uns die beste Idee von dieser Fähigkeit, wie ebenfalls Jean Paul sagt: »Der Traum ist eine unwillkürliche Kunst der Dichtung.« Der Werth der Producte unserer Einbildungskraft hängt natürlich von der Zahl, Genauigkeit und Klarheit unserer Eindrücke ab, ferner von dem Urtheil und dem Geschmack bei der Auswahl und dem Zurückweisen der unwillkürlich sich darbietenden Combinationen und in einer gewissen Ausdehnung von unserer Fähigkeit, sie willkürlich zu combinieren. Da Hunde, Katzen, Pferde und wahrscheinlich alle höheren Thiere, selbst Vögel, wie nach gewichtigen AutoritätenJerdon, Birds of India. Vol. I. 1862, p. XXI. Houzeau erzählt, daß seine Parakitten und Canarienvögel träumten: Facultés Mentales, Tom. II, p. 136. angeführt wird, lebhafte Träume haben und sich dies durch ihre Bewegungen und ihre Stimme zeigt, so müssen wir auch zugeben, daß sie eine gewisse Einbildungskraft haben. Es muß etwas Specielles dabei sein, was die Hunde veranlaßt, in der Nacht und besonders bei Mondschein in einer so merkwürdigen und melancholischen Weise zu heulen. Es thun dies nicht alle Hunde; nach HouzeauFacultés Mentales des Animaux. 1872. Tom. II, p. 181. sehen sie dabei nicht den Mond an, sondern einen bestimmten Punkt am Horizont. Houzeau glaubt, daß ihre Vorstellungen durch die undeutlichen Umrisse der umgebenden Gegenstände gestört werden, wodurch phantastische Bilder vor ihnen heraufbeschworen werden. Ist dies der Fall, dann könnte man ihre Empfindungen beinahe abergläubisch nennen.

Unter allen Fähigkeiten des menschlichen Geistes steht, wie wohl allgemein zugegeben wird, der Verstand oben an. Es bestreiten nur wohl wenige Personen noch, daß die Thiere eine gewisse Fähigkeit des Nachdenkens haben. Fortwährend kann man sehen, daß Thiere zuwarten, überlegen und sich entschließen. Es ist eine bezeichnende Thatsache, daß, je mehr die Lebensweise irgend eines besonderen Thieres von einem Naturforscher beobachtet wird, dieser ihm desto mehr Verstand zuschreibt und desto weniger die Handlungen nicht angelernten Instincten beilegt.L. H. Morgan's Buch über »The American Beaver« 1868 bietet eine gute Erläuterung dieser Bemerkung dar. Ich kann mich indessen der Ansicht nicht erwehren, daß er die Kraft des Instincts viel zu sehr unterschätzt. In späteren Capiteln werden wir sehen, daß Thiere, welche äußerst niedrig in der Stufenleiter stehen, offenbar einen gewissen Grad von Verstand zeigen. Es ist ohne Zweifel oft schwierig, zwischen den Äußerungen des Verstandes und denen des Instincts zu unterscheiden. So bemerkt Dr. Hayes in seinem Werke über das »offene Polarmeer« wiederholt, daß seine Hunde, statt die Schlitten in einer compacten Masse zu ziehen, auseinandergingen und sich trennten, wenn sie auf dünnes Eis kamen, so daß ihr Gewicht gleichmäßiger vertheilt wurde. Dies war oft das erste Warnungszeichen, welches die Reisenden erhielten, daß das Eis dünn und gefährlich wurde. Handelten nun die Hunde nach der Erfahrung jedes einzelnen Individuums so oder nach dem Beispiele der älteren und gescheidteren Hunde oder nach einer ererbten Gewohnheit, d. h. nach einem Instincte? Dieser Instinct könnte wohl in jener Zeit entstanden sein, als vor langen Jahren Hunde zuerst von den Eingeborenen dazu benutzt wurden, Schlitten zu ziehen, oder es könnten die arctischen Wölfe, die Urväter der Eskimohunde, diesen Instinct erlangt haben, der sie zwang, ihre Beute nicht in einer geschlossenen Masse anzugreifen, wenn sie sich auf dünnem Eise befanden.

Wir können nur nach den Umständen, unter welchen gewisse Handlungen vollzogen werden, beurtheilen, ob sie Folge eines Instinctes oder eine Verstandesäußerung oder nur Folgen einer bloßen Ideenassociation sind: doch steht ja das letztere mit Verstand im engsten Zusammenhange. Einen merkwürdigen Fall hat Prof. MoebiusDie Bewegungen der Thiere etc. 1873, p. 11. von einem Hechte erzählt, welcher durch eine Glasplatte von dem benachbarten, mit Fischen besetzten Aquarium getrennt war und sich bei den Versuchen, die andern Fische zu fangen, oft mit solcher Heftigkeit gegen das Glas anstieß, daß er zuweilen ganz betäubt war. Drei Monate hindurch that er dies beständig; endlich lernte er aber vorsichtig sein und that es nicht mehr. Nun wurde die Glasplatte entfernt; der Hecht griff aber diese besonderen Fische nicht an, obschon er andre, die später eingesetzt waren, verschlang: so stark war die Idee des Stoßes in seinem schwachen Verstande mit den Angriffen auf seine früheren Nachbarn associiert. Wenn ein Wilder, welcher niemals eine große Fensterscheibe gesehen hat, auch nur ein einziges Mal gegen eine solche angerannt wäre, so würde er für eine geraume Zeit nachher einen Stoß mit einem Fensterrahmen associieren, wahrscheinlich aber sehr verschieden vom Hechte, würde er über die Natur des Hindernisses Überlegungen anstellen und unter analogen Umständen vorsichtig sein. Wie wir nun gleich sehen werden, genügt es bei Affen zuweilen, daß sie in Folge einer einmal ausgeführten Handlung einen schmerzhaften oder andern unangenehmen Eindruck erhalten, um sie von einer Wiederholung derselben abzuhalten. Wenn wir diesen Unterschied zwischen dem Affen und dem Hechte einfach dem zuschreiben, daß die Ideenassociation bei dem einen um so viel stärker und dauernder ist als bei dem andern, trotzdem daß der Hecht den so viel schwereren Schaden erlitt, können wir wohl in Bezug auf den Menschen behaupten, daß ein ähnlicher Unterschied den Besitz eines fundamental verschiedenen Geistes bedingt?

Houzeau erzählt,Facultés Mentales des Animaux. 1872. Tom. II, p. 265. daß beim Übergang über eine weite und dürre Ebene in Texas seine Hunde sehr vom Durst litten und daß sie zwischen dreißig und vierzig mal Vertiefungen hinabjagten, um nach Wasser zu suchen. Diese Vertiefungen waren keine Thäler, auch waren weder Bäume darin, noch zeigten sie irgend eine andre Verschiedenheit der Vegetation; da sie absolut trocken waren, konnte auch kein Geruch nach feuchter Erde dagewesen sein. Die Hunde benahmen sich so, als wüßten sie, daß eine Vertiefung in dem Boden ihnen die beste Chance Wasser zu finden darböte; Houzeau hat dasselbe Benehmen auch bei anderen Thieren beobachtet.

Ich habe es gesehen, – und ich bin überzeugt, Andere auch, – daß wenn irgend ein kleiner Gegenstand vor einem der Elefanten im zoologischen Garten auf den Boden geworfen wird, zu weit für ihn um ihn zu erreichen, er dann mit seinem Rüssel jenseits des Gegenstandes auf den Boden bläst, um durch den, dort von allen Seiten reflectierten Luftstrom den Gegenstand in seinen Bereich treiben zu lassen. Ferner theilte mir ein bekannter Ethnolog, Herr Westropp, mit, daß er in Wien beobachtet habe, wie ein Bär mit seiner Pfote in dicht an seinem Käfig stehendem Wasser eine Strömung zu erregen suchte, um ein Stückchen auf dem Wasser schwimmenden Brodes in seinen Bereich zu bringen. Diese Handlungen des Elefanten und Bären können kaum dem Instinct oder vererbter Gewohnheit zugeschrieben werden, da sie für die Thiere im Naturzustande nur von wenig Nutzen sein würden. Was ist nun der Unterschied zwischen solchen Handlungen, wenn sie ein uncultivierter Mensch ausführt, und wenn sie eines der höheren Thiere verrichtet?

Der Wilde und der Hund haben oft an niedrigen Stellen Wasser gefunden und das Zusammentreffen unter solchen Umständen wurde in ihrem Geiste associiert. Ein cultivierter Mensch würde vielleicht irgend einen allgemeinen Satz über die Sache aufstellen; nach allem aber, was wir von Wilden wissen, ist es äußerst zweifelhaft, ob sie dies thun, und ein Hund thut es sicherlich nicht. Ein Wilder wird aber ebenso wie ein Hund in derselben Weise suchen, aber auch häufig enttäuscht werden, und bei beiden scheint es in gleicher Weise eine Handlung des Verstandes zu sein, mag nun irgend ein allgemeiner Satz über den Gegenstand bewußtermaßen dem Geiste vorgestellt werden oder nicht.Prof. Huxley hat mit wunderbarer Klarheit die geistigen Schritte analysiert, durch welche ein Mensch, ebensogut wie ein Hund, zu einem, dem im Texte gegebenen analogen Schlusse gelangt, s. seinen Artikel: »Mr. Darwin's Critics« in der »Contemporaneus Review, Nov. 1871, p. 462,« und in seinen »Critiques and Essays«, 1873, p. 279. Dasselbe wird auch für den Elefanten und den Bären gelten, welche Strömungen in der Luft oder im Wasser erzeugen. Der Wilde würde sicherlich weder wissen, noch sich darum kümmern, nach welchen Gesetzen die gewünschten Bewegungen hervorgebracht werden; und doch würde die Handlung durch einen rohen Proceß der Überlegung geleitet werden, und zwar so sicher wie es ein Philosoph in der längsten Kette seiner Deductionen wird. Ohne Zweifel würde der Unterschied zwischen ihm und einem der höheren Thiere darin bestehen, daß er viel geringfügigere Umstände und Bedingungen beachten und jeden Zusammenhang zwischen ihnen nach einer viel kürzeren Erfahrung beobachten würde; und dies ist von einer durchgreifenden Bedeutung. Ich hielt ein sorgfältiges Tagebuch über die Handlungen eines meiner Kinder; und als es ungefähr elf Monate war und ehe es noch ein einziges Wort sprechen konnte, wurde ich beständig von der, verglichen mit dem intelligentesten Hunde, den ich je gesehen, so bedeutenderen Schnelligkeit frappiert, mit welcher alle Arten von Gegenständen und Lauten in seinem Geiste associiert wurden. Die höheren Thiere weichen aber in genau derselben Weise in Bezug auf dies Associationsvermögen von den niedriger stehenden, wie z. B. dem Hechte, ab, und ebenso auch in Bezug auf das Ziehen von Schlüssen und auf Beobachtung.

Die nach einer sehr kurzen Erfahrung sich einstellenden Verstandesschlüsse zeigen sich schon gut in der nachfolgend geschilderten Handlungsweise amerikanischer Affen, welche in ihrer Ordnung ziemlich tief stehen. Rengger, ein höchst sorgfältiger Beobachter, giebt an, daß, als er seinen Affen in Paraguay zuerst Eier gab, sie dieselben zerbrachen und daher viel von ihrem Inhalt verloren. Später schlugen sie vorsichtig das eine Ende an einem harten Körper ein und nahmen die Schalenstückchen mit ihren Fingern heraus. Hatten sie sich einmal mit irgend einem scharfen Werkzeuge geschnitten, so wollten sie es nicht wieder berühren oder es nur mit der größten Vorsicht behandeln. Stücke Zuckers wurden ihnen oft in Papier eingewickelt gegeben, und Rengger that zuweilen eine lebendige Wespe in das Papier, so daß sie beim hastigen Entfalten gestochen wurden. War dies aber einmal der Fall gewesen, so hielten sie stets das Päckchen zuerst an ihre Ohren, um irgend eine Bewegung im Innern zu entdecken.Auch Mr. Belt beschreibt in seinem sehr interessanten Buche (The Naturalist in Nicaragua, 1874, p. 119) verschiedene Handlungen eines zahmen Cebus, welche, wie ich glaube, deutlich beweisen, daß dies Thier eine gewisse Überlegungskraft besitzt.

Die folgenden Fälle beziehen sich auf Hunde. Mr. ColquhounThe Moor and the Loch p. 45. Hutchinson, Dog Breaking. 1850, p. 46. schoß zwei wilde Enten flügellahm, welche auf das jenseitige Ufer eines Flusses fielen. Sein Wasserhund versuchte Beide auf einmal herüberzubringen, es gelang ihm aber nicht. Trotzdem man wußte, daß er nie vorher auch nur eine Feder gekrümmt hätte, biß er die eine Ente todt, brachte die andere herüber und ging nun zu dem todten Vogel zurück. Oberst Hutchinson erzählt, daß zwei Rebhühner auf einmal geschossen wurden, das eine wurde getödtet, das andere verwundet. Das Letztere rannte fort und wurde vom Hunde gefangen, welcher auf dem Rückwege beim todten Vogel vorbeikam. »Er blieb stehen, offenbar sehr in Verlegenheit, und nach ein- oder zweimaligem Versuchen, wobei er fand, daß er es nicht mitnehmen konnte, ohne das flügellahm geschossene entwischen zu lassen, überlegte er einen Augenblick, biß dann dieses mit einem kräftigen Ruck absichtlich todt und brachte dann beide Vögel auf einmal. Es war dies das einzige bekannte Beispiel, daß er je mit Absicht irgend welches Wildpret verletzt hätte.« Hier haben wir Verstand, wenn auch nicht durchaus vollkommenen. Denn der Hund hätte den verwundeten Vogel zuerst bringen und dann nach dem todten zurückkehren können, wie es in dem Falle mit den zwei wilden Enten geschah. Ich führe die vorstehenden Fälle an, da für sie die Gewähr zweier unabhängiger Zeugen spricht, weil in beiden Beispielen die Wasserhunde nach Überlegung eine von ihnen ererbte Gewohnheit durchbrachen (die, das apportierte Wild nicht zu tödten), und weil sie zeigen, wie stark die Fähigkeit der Überlegung gewesen sein muß, daß sie eine fixierte Gewohnheit überwand.

Ich will mit der Anführung einer Bemerkung Humboldt's schließen:Personal Narrative. Vol. III, p. 106. »Der Maulthiertreiber in Süd-Amerika sagt: ›ich will Ihnen nicht das Maulthier geben, dessen Schritt am leichtesten ist, sondern ›la mas racional, das, welches es sich am besten überlegt‹,« und Humboldt fügt hinzu, »dieser populäre Ausdruck, den lange Erfahrung dictiert, widerspricht der Annahme von belebten Maschinen vielleicht besser, als alle Argumente der speculativen Philosophie«. Nichtsdestoweniger leugnen selbst jetzt noch einige Schriftsteller, daß die höheren Thiere auch nur eine Spur von Verstand haben; sie versuchen, wie es scheint, durch bloße WortklaubereiIch freue mich, zu sehn, daß ein so scharfsinniger Denker wie Leslie Stephen, da, wo er von der vermeintlich unübersteiglichen Schranke zwischen dem Geiste des Menschen und der niedern Thiere spricht (Darwinism and Divinity, Essays on Free-thinking, 1873, p. 80), das Folgende sagt: »In der That scheinen uns die aufgestellten Unterschiede auf keinem besseren Grunde zu ruhen als eine große Zahl anderer metaphysischer Distinctionen, auf der Annahme nämlich, daß, weil man zwei Dingen zwei verschiedene Namen geben kann, sie deshalb auch verschiedener Natur sein müssen. Es ist schwer zu verstehen, wie Jemand, der nur irgend jemals einen Hund gehalten oder einen Elefanten gesehen hat, an dem Vermögen eines Thieres zweifeln kann, die wesentlichen Processe des Nachdenkens auszuüben«. alle die oben angeführten Thatsachen wegzuexplicieren.

Ich glaube, es ist nun gezeigt worden, daß der Mensch und die höheren Thiere, besonders die Primaten, einige wenige Instincte gemeinsam haben. Alle haben dieselben Sinneseindrücke und Empfindungen, ähnliche Leidenschaften, Affecte und Erregungen, selbst die complexeren, wie Eifersucht, Verdacht, Ehrgeiz, Dankbarkeit und Großherzigkeit; sie üben Betrug und rächen sich; sie sind empfindlich für das Lächerliche und haben selbst einen Sinn für Humor. Sie fühlen Verwunderung und Neugierde, sie besitzen dieselben Kräfte der Nachahmung, Aufmerksamkeit, Überlegung, Wahl, Gedächtnis, Einbildung, Ideenassociation, Verstand, wenn auch in sehr verschiedenen Graden. Die Individuen einer und derselben Species zeigen gradweise Verschiedenheit im Intellect von absoluter Schwachsinnigkeit bis zu großer Trefflichkeit. Sie sind auch dem Wahnsinn ausgesetzt, wenn schon sie weit weniger oft daran leiden als der Mensch.s. Madness in Animals, by Dr. W. Lauder Lindsay, in: Journal of Mental Science. July, 1871. Nichtsdestoweniger haben viele Schriftsteller behauptet, daß der Mensch durch seine geistigen Fähigkeiten von allen niederen Thieren durch eine unüberschreitbare Schranke getrennt sei. Ich habe mir früher eine Sammlung von über zwanzig solcher Aphorismen gemacht; sie sind aber beinahe wertlos, da ihre große Zahl und Verschiedenheit die Schwierigkeit, wenn nicht die Unmöglichkeit des Versuches darlegen. Es ist behauptet worden, daß nur der Mensch einer allmählichen Vervollkommnung fähig sei, daß er allein Werkzeuge und Feuer gebrauche, andere Thiere sich angewöhne, Eigenthum besitze, daß kein anderes Thier das Vermögen der Abstraction habe oder allgemeine Ideen besitze, Selbstbewußtsein habe und sich selbst verstehe, daß kein Thier eine Sprache gebrauche, daß nur der Mensch ein Gefühl für Schönheit habe, Launen ausgesetzt sei, das Gefühl der Dankbarkeit, des Geheimnisvollen u. s. w. besitze, daß er an Gott glaube oder mit einem Gewissen ausgerüstet sei. Ich will über die wichtigeren und interessanteren der angegebenen Punkte ein paar Bemerkungen zu geben versuchen.

Erzbischof Sumner behauptete früher,Citiert von Sir Ch. Lyell, das Alter des Menschengeschlechts. Original p. 497.(Der betreffende Abschnitt wurde in der Übersetzung weggelassen.) daß nur der Mensch einer fortschreitenden Veredelung fähig sei. Daß er einer unvergleichlich größeren und schnelleren Veredelung als irgend ein anderes Thier fähig ist, läßt sich nicht bestreiten; dies ist wesentlich eine Folge seines Vermögens zu sprechen und seine erworbene Kenntnis zu überliefern. Was die Thiere betrifft, so wollen wir zunächst das Individuum betrachten. Hier weiß Jeder, der nur irgend eine Erfahrung im Stellen von Fallen besitzt, daß junge Thiere viel leichter gefangen werden können als alte, sie lassen auch Feinde viel leichter sich annähern; und selbst in Bezug auf alte Thiere ist es unmöglich, viele an einer und derselben Stelle und in derselben Art von Fallen zu fangen oder durch dieselbe Art von Giften zu tödten. Und doch ist es unwahrscheinlich, daß Alle von dem Gifte genossen hätten, und unmöglich, daß Alle in der Falle gefangen worden wären. Sie müssen dadurch Vorsicht lernen, daß sie ihre Genossen gefangen oder vergiftet sehen. In Nord-Amerika, wo die pelztragenden Thiere lange Zeit verfolgt worden sind, zeigen sie nach dem einstimmigen Zeugnis aller Beobachter einen fast unglaublichen Grad von Scharfsinn, Vorsicht und List; es ist aber das Fallenstellen dort so lange schon ausgeführt worden, daß hier vielleicht Vererbung mit in's Spiel kommt. Es ist mir von mehreren Seiten mitgetheilt worden, daß, als Telegraphen zuerst angelegt wurden, sich in den betreffenden Gegenden viele Vögel dadurch tödteten, daß sie gegen die Drähte flogen, daß sie aber im Laufe sehr weniger Jahre diese Gefahr vermeiden lernten, wie es scheinen möchte, weil sie sahen, daß ihre Kameraden dadurch umkamen.Wegen weiterer Belege mit Details s. Houzeau, Les Facultés Mentales des Animaux. Tom. II. 1872. p. 147.

Betrachten wir aufeinanderfolgende Generationen oder die Rasse, so ist keinem Zweifel unterworfen, daß Vögel und andere Thiere allmählich Vorsicht in Bezug auf den Menschen oder andere Feinde sowohl erlangen als verlieren.s. in Bezug auf die Vögel oceanischer Inseln meine »Reise eines Naturforschers um die Welt« (übers. von J. V. Carus). 1875, p. 457. »Entstehung der Arten«. 7. Aufl. p. 286. Und diese Vorsicht ist gewiß zum größten Theil eine angeerbte Gewohnheit oder ein Instinct, zum Theil aber das Resultat individueller Erfahrung. Ein guter Beobachter, Leroy,Lettres philos. sur l'Intelligence des Animaux. Nouv. édit. 1802, p. 86. führt an, daß in Districten, wo Füchse sehr viel gejagt werden, die Jungen, wenn sie zuerst ihre Höhlen verlassen, unstreitig viel schlauer sind als die Alten in Districten, wo sie nicht sehr gestört werden.

Unsere domesticierten Hunde stammen von Wölfen und Schakalss. die Belege hierfür im 1. Capitel des 1. Bds. von »Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication«. ab, und trotzdem sie nicht an Verschlagenheit gewonnen und an Bedachtsamkeit und ängstlicher Vorsicht verloren haben mögen, so haben sie doch in gewissen moralischen Eigenschaften, wie Zuneigung, Zuverlässigkeit, Temperament und wahrscheinlich in allgemeiner Intelligenz Fortschritte gemacht. Die gemeine Ratte hat mehrere andere Species durch ganz Europa, in Theilen von Nord-Amerika, in Neu-Seeland und neuerdings in Formosa ebenso wie auf dem Festlande von China besiegt und zurückgetrieben. Mr. Swinhoe,Proceed. Zool. Soc. 1864, p. 186. welcher die beiden letzteren Fälle mittheilt, schreibt den Sieg der gemeinen Ratte über die größere Mus coninga ihrer überlegenen Schlauheit zu; und diese letztere Eigenschaft läßt sich wohl der beständigen Anstrengung aller ihrer Fähigkeiten zuschreiben, die sie der Verfolgung und Zerstörung durch den Menschen entgegengesetzt, ebenso wie dem Umstande, daß fast alle weniger schlauen oder schwachköpfigeren Ratten mit Erfolg vom Menschen vertilgt worden sind. Es ist indessen möglich, daß der Erfolg der gemeinen Ratte davon abhängt, daß sie schon zu der Zeit größere Schlauheit als die verwandten Arten besessen hat, in der sie noch nicht mit dem Menschen vergesellschaftet ward. Ohne Bezugnahme auf irgendwelche directen Beweise behaupten zu wollen, daß kein Thier im Verlaufe der Zeit in Bezug auf den Intellect oder andere geistige Fähigkeiten fortgeschritten sei, heißt die Frage von der Entwicklung der Arten überhaupt verneinen. Wir werden später sehen, daß nach Lartet jetzt lebende und zu mehreren Ordnungen gehörende Säugethiere größere Gehirne haben, als ihre alten tertiären Prototypen.

Es ist oft gesagt worden, daß kein Thier irgend ein Werkzeug gebrauche. Der Schimpanse knackt aber im Naturzustande eine wilde Frucht, ungefähr einer Walnuß ähnlich, mit einem Steine.Savage and Wyman, in Boston Journal of Nat. Hist. Vol. IV. 1843-44, p. 383. RenggerSäugethiere von Paraguay. 1830, p. 51-56. lehrte sehr leicht einen amerikanischen Affen auf diese Weise harte Palmnüsse zu öffnen und später gebrauchte dieser dann auf eigenen Antrieb Steine, um andere Arten von Nüssen ebenso wie Kästen zu öffnen. Er entfernte auch die weiche Rinde einer Frucht, welche einen unangenehmen Geschmack hatte. Einem andern Affen wurde gelehrt, den Deckel einer großen Kiste mit einem Stocke zu öffnen, und später brauchte er den Stock als Hebel, um schwere Körper zu bewegen; und ich habe selbst gesehen, wie ein junger Orang einen Stock in einen Spalt steckte, seine Hände an das andere Ende brachte und ihn in der richtigen Weise als Hebel benutzte. Es ist bekannt, daß die zahmen Elefanten in Indien sich Zweige abbrechen, um die Fliegen abzuwehren; dasselbe Manœuvre ist bei einem wilden Elefanten beobachtet worden.The Indian Field, 4. March, 1871. Ich habe einen jungen weiblichen Orang gesehen, der sich, wenn er glaubte, er solle geschlagen werden, mit einer Decke oder mit Stroh zudeckte und schützte. In diesen verschiedenen Fällen werden Steine und Stöcke als Werkzeuge gebraucht; sie werden aber gleicherweise als Waffen benutzt. BrehmThierleben. 2. Aufl. Bd. I, p. 163, 166. führt nach der Autorität des bekannten Reisenden Schimper an, daß, wenn in Abyssinien die zu der einen Art (C. Gelada) gehörenden Paviane truppenweise von den Bergen herabsteigen, um die Felder zu plündern, sie zuweilen Truppen einer anderen Species (C. Hamadryas) begegnen, und dann beginnt ein Kampf. Die Geladas rollen große Steine herab, welchen die Hamadryas auszuweichen suchen, und dann gehen beide Species mit großem Lärm wüthend auf einander los. Als Brehm den Herzog von Coburg-Gotha begleitete, stand er einem Angriff mit Feuerwaffen auf einen Trupp von Pavianen an dem Passe von Mensa in Abyssinien bei. Die Paviane wälzten ihrerseits so viele Steine, einige so groß wie ein Menschenkopf, den Berg herab, daß die Angreifer sich schnell zurückziehen mußten, und der Paß war thatsächlich eine Zeit lang für die Karawane verschlossen. Es verdient Beachtung, daß diese Paviane hier in Übereinstimmung handelten. Mr. WallaceThe Malay Archipelago. Vol. I. 1869, p. 87. sah bei drei Gelegenheiten weibliche Orangs in Begleitung ihrer Jungen »Zweige und die großen dornigen Früchte der Durianbäume mit allen Zeichen der Wuth abbrechen und einen solchen Schauer von Geschossen herabwerfen, daß es ihnen gelang, zu verhindern, daß er sich dem Baume zu sehr näherte«. Wie ich wiederholt gesehen habe, wirft ein Schimpanse jedes Ding, was ihm in die Hand kommt, nach seinem Beleidiger; und der oben erwähnte Pavian bereitete zu diesem Zwecke Schlamm.

Im zoologischen Garten gebrauchte ein Affe, welcher schwache Zähne hatte, einen Stein, um sich Nüsse zu öffnen; und mir versicherten die Wärter, daß das Thier, wenn es den Stein gebraucht habe, ihn im Stroh verberge und keinen anderen Affen ihn berühren lasse. Hier haben wir die Idee des Eigenthums: doch ist diese Idee jedem Hunde, der einen Knochen hat, und den meisten oder allen Vögeln in Bezug auf ihre Nester eigen.

Der Herzog von ArgyllPrimeval Man, p. 145, 147. bemerkt, daß das Formen eines Werkzeugs zu einem speciellen Zwecke dem Menschen absolut eigenthümlich sei, und er hält dies für einen unermeßlichen Abstand zwischen ihm und den Thieren. Es liegt ohne Zweifel ein sehr bedeutender Unterschied hierin, aber mir scheint in Sir J. Lubbock's VermuthungPrehistoric Times. 1865, p. 473 flgde. viel Wahres zu liegen, daß, als die Urmenschen zuerst Feuersteine zu irgend welchem Zwecke benutzten, sie sie zufällig zerschlagen und dann die scharfen Bruchstücke benutzt haben werden. Von diesem Punkte aus bedurfte es dann nur eines kleinen Schrittes, um die Feuersteine absichtlich zu zerbrechen, und keines sehr großen Schrittes, um sie roh zu formen. Indessen dürfte der letztere Fortschritt sehr langer Zeit bedurft haben, wenn wir nach dem ungeheuren Zeitintervalle urtheilen, welcher verging, ehe der Mensch der neueren Steinperiode begann, seine Werkzeuge zu schleifen und zu polieren. Beim Zerbrechen der Feuersteine werden, wie Sir J. Lubbock gleichfalls bemerkt, Funken hervorgesprungen sein und beim Schleifen derselben wird sich Wärme entwickelt haben: »hierdurch können die beiden gewöhnlichen Methoden, Feuer zu erhalten, entstanden sein«. Die Natur des Feuers wird in den vielen vulkanischen Gegenden, wo Lava gelegentlich durch Wälder fließt, bekannt geworden sein. Die anthropomorphen Affen bauen sich, wahrscheinlich durch Instinct geleitet, flache temporäre Hütten auf Bäumen. Wie aber viele Instincte in großem Maße vom Verstande controlliert werden, so können auch die einfacheren, wie der, sich solche flache Nester zu bauen, leicht in einen willkürlichen, bewußten Act übergehen. Es ist bekannt, daß der Orang sich zur Nachtzeit mit den Blättern des Pandanus zudeckt, und Brehm führt an, daß sich einer seiner Paviane gegen die Sonnenwärme dadurch schützte, daß er eine Strohmatte über den Kopf warf. In diesen letzteren Handlungen haben wir wahrscheinlich die ersten Schritte zu einigen der einfacheren Künste zu erblicken, nämlich zu einer rohen Architectur und Kleidung, wie sie unter den frühen Stammeltern des Menschen entstanden.


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