Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Natürliche Zuchtwahl in ihrem Einflusse auf civilisierte Nationen. – Ich habe bis jetzt den Fortschritt des Menschen von einem früheren halbmenschlichen Zustand zu dem der jetzt lebenden Wilden betrachtet. Es dürfte aber doch der Mühe werth sein, einige Bemerkungen über die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl auf civilisierte Nationen hier noch hinzuzufügen. Es ist dieser Gegenstand von Mr. W. R. GregFraser's Magazine. Sept. 1868, p. 353. Es scheint dieser Aufsatz viele Personen sehr frappiert zu haben; auch hat er zwei merkwürdige Abhandlungen hervorgerufen, ebenso eine Entgegnung in The Spectator, 3. Oct. und 17. Oct. 1868. Ebenso hat er Erörterungen veranlaßt im Quart. Journal of Science, 1869, p. 152, dann von Mr. Lawson Tait in: The Dublin Quart. Journ. of Medical Science, Febr. 1869, und von E. Ray Lankester in seiner: Comparative Longevity. 1870, p. 128. Ähnliche Ansichten wurden früher schon geäußert in »Australasian« 12. Juli, 1867. Von mehreren dieser Schriftsteller habe ich Ideen entlehnt. recht gut erörtert worden, wie früher schon von Mr. Wallace und Mr. Galton.Wallace, in der Anthropolog. Review, am früher angeführten Orte; Galton, in Macmillan's Magazine, Aug. 1865, p. 318. s. auch sein größeres Werk »Hereditary Genius«. 1870. Die meisten meiner Bemerkungen sind von diesen drei Schriftstellern entnommen. Bei Wilden werden die an Geist und Körper Schwachen bald beseitigt und die, welche leben bleiben, zeigen gewöhnlich einen Zustand kräftiger Gesundheit. Auf der anderen Seite thun wir civilisierte Menschen alles nur Mögliche, um den Proceß dieser Beseitigung aufzuhalten. Wir bauen Zufluchtsstätten für die Schwachsinnigen, für die Krüppel und die Kranken; wir erlassen Armengesetze und unsere Ärzte strengen die größte Geschicklichkeit an, das Leben eines Jeden bis zum letzten Moment noch zu erhalten. Es ist Grund vorhanden, anzunehmen, daß die Impfung Tausende erhalten hat, welche in Folge ihrer schwachen Constitution früher den Pocken erlegen wären. Hierdurch geschieht es, daß auch die schwächeren Glieder der civilisierten Gesellschaft ihre Art fortpflanzen. Niemand, welcher der Zucht domesticierter Thiere seine Aufmerksamkeit gewidmet hat, wird daran zweifeln, daß dies für die Rasse des Menschen im höchsten Grade schädlich sein muß. Es ist überraschend, wie bald ein Mangel an Sorgfalt oder eine unrecht geleitete Sorgfalt zur Degeneration einer domesticierten Rasse führt, aber mit Ausnahme des den Menschen selbst betreffenden Falls ist wohl kaum ein Züchter so unwissend, daß er seine schlechtesten Thiere zur Nachzucht zuließe.

Die Hülfe, welche wir dem Hülflosen zu widmen uns getrieben fühlen, ist hauptsächlich das Resultat des Instincts der Sympathie, welcher ursprünglich als ein Theil der socialen Instincte erlangt, aber später in der oben bezeichneten Art und Weise zarter gemacht und weiter verbreitet wurde. Auch könnten wir unsere Sympathie, wenn sie durch den Verstand hart bedrängt würde, nicht hemmen, ohne den edelsten Theil unserer Natur herabzusetzen. Der Chirurg kann sich abhärten, wenn er eine Operation ausführt, denn er weiß, daß er zum Besten seines Patienten handelt, aber wenn wir absichtlich den Schwachen und Hülflosen vernachlässigen sollten, so könnte es nur geschehen um den Preis einer aus einem vorliegenden überwältigenden Übel herzuleitenden großen Wohlthat. Wir müssen daher die ganz zweifellos schlechte Wirkung des Lebenbleibens und der Vermehrung der Schwachen ertragen; doch scheint wenigstens ein Hindernis für die beständige Wirksamkeit dieses Moments zu existieren, in dem Umstande nämlich, daß die schwächeren und untergeordneteren Glieder der Gesellschaft nicht so häufig wie die Gesunden heirathen; und dies Hemmnis könnte noch ganz außerordentlich verstärkt werden, trotzdem man es mehr hoffen als erwarten kann, wenn die an Körper und Geist Schwachen sich des Heirathens enthielten.

In jedem Lande, in welchem ein großes stehendes Heer gehalten wird, werden die tüchtigsten jungen Leute bei der Conscription genommen oder ausgehoben. Sie sind damit frühzeitigem Tode während eines Krieges ausgesetzt, werden oft zu Lastern verführt und sind verhindert, in der Blüthe ihres Lebens zu heirathen. Es werden andererseits die kleineren und schwächeren Männer von bedenklicher Constitution zu Hause gelassen, folglich haben diese viel mehr Aussicht, heirathen und ihre Art fortpflanzen zu können.Prof. H. Fick giebt (Einfluß der Naturwissenschaft auf das Recht, Juni 1872) mehrere gute Bemerkungen hierüber und über andere derartige Punkte.

Der Mensch häuft Besitzthum an und hinterläßt es seinen Kindern, so daß die Kinder der Reichen in dem Wettlauf nach Erfolg vor denen der Armen einen Vortheil voraus haben, unabhängig von körperlicher oder geistiger Überlegenheit. Andererseits treten die Kinder kurzlebiger Eltern, welche daher im Durchschnitt selbst von schwacher Gesundheit und geringer Lebenskraft sind, ihr Besitzthum früher an, als andre Kinder, heirathen daher wahrscheinlich auch früher und hinterlassen eine größere Zahl von Nachkommen, welche ihre minder gute Constitution erben. Es ist indessen das Erben von Besitz und Eigenthum durchaus kein Übel. Denn ohne die Anhäufung von Capital könnten die Künste keine Fortschritte machen und es ist hauptsächlich durch die Kraft dieser geschehen, daß die civilisierten Rassen sich verbreitet haben und jetzt noch immer ihren Bezirk erweitern, so daß sie die Stelle der niedrigeren Rassen einnehmen. Auch stört die mäßige Anhäufung von Wohlstand den Proceß der Zuchtwahl durchaus nicht. Wenn ein armer Mensch reich wird, so beginnen seine Kinder den Handel oder ein Gewerbe, in welchem es des Kampfes genug giebt, so daß der an Körper und Geist Fähigere am besten fortkommt. Das Vorhandensein einer Menge gut unterrichteter Leute, welche nicht um ihr tägliches Brod zu arbeiten haben, ist in einem Grade bedeutungsvoll, welcher nicht überschätzt werden kann; denn alle intellectuelle Arbeit wird von ihnen verrichtet und von solcher Arbeit hängt der materielle Fortschritt jeglicher Art hauptsächlich ab, um andere und höhere Vortheile gar nicht zu erwähnen. Wird der Wohlstand sehr groß, so verwandelt er ohne Zweifel leicht die Menschen in unnütze Drohnen, aber ihre Zahl ist niemals groß; auch tritt ein Eliminationsprocess in einem gewissen Grade hier ein, da wir täglich sehen, wie reiche Leute närrisch oder verschwenderisch werden und allen ihren Wohlstand vergeuden.

Primogenituren mit Familienfideicommissen sind ein directeres Übel, trotzdem es früher wegen der durch sie ermöglichten Bildung einer vorherrschenden Classe von großem Vortheil gewesen sein mag; denn irgend eine Regierung ist besser als Anarchie. Die meisten ältesten Söhne, mögen sie auch an Körper oder Geist schwach sein, heirathen, während die jüngeren Söhne, so überlegen sie auch in den ebengenannten Beziehungen sein mögen, nicht so allgemein heirathen. Auch können unwürdige älteste Söhne mit Familiengütern ihren Reichthum nicht verschwenden. Aber hier sind, wie in anderen Punkten, die Beziehungen des civilisierten Lebens so compliciert, daß noch andere compensatorische Hemmnisse eingreifen. Die Männer, welche durch Primogenitur reich sind, sind im Stande, Generation nach Generation sich die schöneren und reizvolleren Frauen zu wählen, und diese müssen allgemein an Körper gesund und an Geist lebendig sein. Den schlimmen Folgen einer beständigen Reinhaltung derselben Descendenzreihe ohne irgendwelche Wahl, welches dieselben auch sein mögen, wird stets von Männern von Rang vorgebeugt, welche ihre Macht und ihren Reichthum zu vergrößern wünschen; und dies bewirken sie dadurch, daß sie Erbinnen heirathen. Aber die Töchter von Eltern, welche nur einzige Kinder erzeugt haben, sind für sich schon, wie Mr. GaltonHereditary Genius, 1870, p. 132-140. gezeigt hat, leicht steril. Daher werden beständig Adelsfamilien in der directen Linie aussterben, so daß ihr Reichthum in irgend eine Seitenlinie überfließt, unglücklicherweise wird aber diese Linie nicht durch Superiorität irgend welcher Art bestimmt.

Obgleich hiernach die Civilisation auf viele Weise die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl hemmt, so begünstigt dieselbe offenbar mittelst der verbesserten Nahrung und der Beseitigung von gelegentlichen Nothständen die bessere Entwicklung des Körpers. Dies läßt sich daraus schließen, daß, wo man auch den Vergleich angestellt haben mag, civilisierte Leute immer physisch kräftiger gefunden werden als Wilde.Quatrefages, Revue des Cours scientifiques, 1867-1868, p. 659. Sie scheinen auch gleiche Kraft der Ausdauer zu haben, wie sich in vielen abenteuerlichen Expeditionen herausgestellt hat. Selbst der große Luxus der Reichen kann nur in geringem Grade nachtheilig sein. Denn die wahrscheinliche Lebensdauer unserer Aristokratie ist auf allen Altersstufen und in beiden Geschlechtern sehr unbedeutend geringer als diejenige gesunder Engländer der niederen Classen.s. die fünfte und sechste nach guten Quellen zusammengestellte Columne der Tabelle in E. Ray Lankester's Comparative Longevity. 1870, p. 115.

Wir wollen nun die intellectuellen Fähigkeiten allein betrachten. Wenn wir auf jeder Stufe der Gesellschaft die Glieder in zwei gleiche Massen theilten, von denen die eine diejenigen umfaßte, welche intellectuell höher begabt wären, die andere die ihnen untergeordneteren, so läßt sich kaum zweifeln, daß die erstere in allen Beschäftigungsweisen bessere Erfolge erzielen und eine größere Anzahl von Kindern aufbringen würde. Selbst in den niedrigsten Schichten des Lebens muß Geschick und Fähigkeit von irgendwelchem Vortheil sein, wenn auch, wegen der großen Arbeitstheilung, in vielen Thätigkeitszweigen nur von sehr geringem. Es wird daher bei civilisierten Nationen eine Neigung bestehen, daß die intellectuell Befähigten sowohl der Zahl nach als auch in Bezug auf den Maßstab der Intelligenz zunehmen. Doch möchte ich nicht behaupten, daß die Neigung nicht durch andere Momente mehr als ausgeglichen werden dürfte, wie z. B. durch die Vermehrung der Leichtsinnigen und Sorglosen; aber selbst für diese muß Geschicklichkeit von irgendwelchem Vortheil sein.

Ansichten wie den eben vorgetragenen ist oft entgegengehalten worden, daß die ausgezeichnetsten Leute, welche je gelebt haben, keine Nachkommen hinterlassen haben, um ihren großen Intellect zu vererben. Mr. Galton bemerkt:Hereditary Genius. 1870, p. 330. »ich bedaure, nicht im Stande zu sein, die einfache Frage zu lösen, ob und in wie weit Männer und Frauen, welche Wunder des Genies waren, unfruchtbar sind. Ich habe indessen gezeigt, daß hervorragende Männer dies durchaus nicht sind«. Große Gesetzgeber, die Gründer segensreicher Religionen, große Philosophen und wissenschaftliche Entdecker unterstützen den Fortschritt der Menschheit in einem viel höheren Grade durch ihre Werke als durch das Hinterlassen einer zahlreichen Nachkommenschaft. Was die körperliche Structur betrifft, so ist es die Auswahl der unbedeutend besser begabten und die Beseitigung der ebenso unbedeutend weniger gut begabten Individuen und nicht die Erhaltung scharf markierter und seltener Anomalien, welche zur Verbesserung einer Species führt.Entstehung der Arten. 7. Aufl. p. 111. Dasselbe wird auch für die intellectuellen Fähigkeiten der Fall sein. Es werden nämlich auch hier die in irgend etwas fähigeren Menschen auf jeder Stufe der Gesellschaft bessere Erfolge erzielen als die weniger fähigen, und, wenn sie nicht auf andere Weise daran gehindert werden, in Folge dessen stärker an Zahl zunehmen. Hat sich in irgend einer Nation die Höhe des Intellects und die Anzahl intellectueller Leute vermehrt, so können wir nach dem Gesetze der Abweichung vom Mittel, wie Mr. Galton gezeigt hat, erwarten, daß Wunder des Genies etwas häufiger als früher erscheinen werden.

In Bezug auf die moralischen Eigenschaften findet beständig eine gewisse Beseitigung der am schlechtesten Veranlagten statt, selbst bei den civiliertesten Nationen. Übelthäter werden hingerichtet oder auf lange Zeit gefangen gesetzt, so daß sie ihre schlechtesten Eigenschaften nicht in größerer Menge fortpflanzen können. Melancholische und geisteskranke Personen werden in Gewahrsam gehalten oder begehen Selbstmord. Heftige und streitsüchtige Leute finden oft ein blutiges Ende. Ruhelose Leute, welche keine stetige Beschäftigung ergreifen wollen – und dies Überbleibsel der Barbarei ist ein großes Hemmnis für die CivilisationHereditary Genius. 1870, p. 347. – wandern nach neugegründeten Staaten aus, wo sie sich als nützliche Pioniere erweisen. Unmäßigkeit ist in so hohem Grade zerstörend, daß die wahrscheinliche Lebensdauer der Unmäßigen z. B. im Alter von dreißig, nur 13,8 Jahre beträgt, während sie für die Arbeiter auf dem Lande von demselben Alter in England 40,59 beträgt.E. Ray Lankester, Comparative Longevity. 1870, p. 115. Die Tabelle der Unmäßigkeit ist aus Nelson's Vital Statistics. In Bezug auf Ausschweifungen s. Dr. Farr, Influence of Marriage on Mortality: Nat. Assoc. for the Promotion of Social Science. 1858. Lüderliche Frauen haben wenig Kinder und lüderliche Männer heirathen selten; Beide leiden durch die Entwicklung constitutioneller Krankheiten. Bei der Zucht von domesticierten Thieren ist die Beseitigung derjenigen Individuen, welche, wenn sie auch der Zahl nach wenig sind, in irgendwelchem markierten Grade untergeordnet sind, ein durchaus nicht bedeutungsloses Moment in Bezug auf den Erfolg. Dies gilt vorzüglich für die schädlichen Merkmale, welche in Folge von Rückschlag wieder aufzutreten neigen, wie z. B. schwarze Farbe bei Schafen; und auch beim Menschen können einige der schlechtesten Anlagen, welche gelegentlich ohne irgendwelche nachweisbare Ursache in Familien auftreten, vielleicht als Rückschlag auf einen wilden Zustand angesehen werden, von welchem wir durch nicht gar zu viele Generationen getrennt sind. Diese Ansicht scheint in der That durch die gewöhnliche Redensart anerkannt zu werden, daß derartige Leute die »schwarzen Schafe« der Familie seien.

Was einen erhöhten Maßstab der Moralität und eine vermehrte Anzahl ziemlich gut begabter Menschen betrifft, so scheint bei civilisierten Nationen die natürliche Zuchtwahl nur wenig zu bewirken, trotzdem die fundamentalen socialen Instincte ursprünglich hierdurch erlangt worden sind. Ich habe aber, als ich von den niederen Rassen handelte, mich schon hinreichend über die Ursachen verbreitet, welche zum Fortschritt der Moralität führen, nämlich die billigende Zustimmung unserer Mitmenschen, – die Kräftigung unserer Sympathien durch Gewohnheit, – Beispiel und Nachahmung, – Verstand, – Erfahrung und selbst eigenes Interesse, – Unterricht während der Jugend und religiöse Gefühle.

Ein äußerst bedeutungsvolles Hemmnis für die Zunahme der Zahl von Menschen einer höheren Classe in civilisierten Ländern ist von Mr. Greg und Mr. Galton sehr scharf hervorgehoben worden,Fraser's Magazine, Sept. 1868, p. 353. Macmillan's Magazine, Aug. 1865, p. 318. F. W. Farrar (Fraser's Magaz., Aug. 1870, p. 264) ist verschiedener Ansicht. nämlich die Thatsache, daß die sehr Armen und Leichtsinnigen, welche oft durch Laster heruntergekommen sind, fast unabänderlich früh heirathen, während die Sorgsamen und Mäßigen, welche meist auch in anderer Beziehung tugendhaft sind, spät im Leben heirathen, so daß sie im Stande sind, sich selbst und ihre Kinder mit Leichtigkeit zu erhalten. Diejenigen, welche früh heirathen, erzeugen innerhalb einer gegebenen Zeit nicht bloß eine größere Anzahl von Generationen, sondern sie bringen, wie Dr. Duncan gezeigt hat,On the laws of the Fertility of Women, in: Transact. Roy. Soc Edinburgh. Vol. XXIV, p. 287, dann auch apart erschienen unter dem Titel: »Fecundity, Fertility and Sterility«, 1871. s. auch Galton, Hereditary Genius, p. 352 bis 357, wo sich Beobachtungen zu Gunsten der obigen Ansicht finden. auch viel mehr Kinder hervor. Außerdem sind die Kinder, welche von Müttern während der Blüthe ihres Lebens geboren werden, schwerer und größer und daher wahrscheinlich kräftiger als diejenigen, welche in andern Perioden geboren werden. Hierdurch neigt die Zahl der leichtsinnigen, heruntergekommenen und oft lasterhaften Glieder der Gesellschaft zu einer Zunahme in einem schnelleren Maße als die der vorsichtigen und im Allgemeinen tugendhaften Glieder. Oder, wie Mr. Greg den Fall darstellt: »der sorglose, schmutzige, nicht höher hinaus wollende Irländer vermehrt sich wie die Kaninchen; der frugale, vorausdenkende, sich selbst achtende, ehrgeizige Schotte, welcher streng in seiner Moralität, durchgeistigt in seinem Glauben, gescheidt und discipliniert in seinem Wesen ist, verbringt die besten Jahre seines Lebens im Kampfe und im Stande des Coelibats, heirathet spät und hinterläßt nur wenig Nachkommen. Man nehme ein Land, welches ursprünglich von tausend Sachsen und tausend Celten bevölkert gewesen sei, und nach einem Dutzend Generationen werden 5/6 der Bevölkerung Celten sein, aber 5/6 des Besitzes, der Macht und des Intellects werden dem einen übriggebliebenen Sechstel der Sachsen angehören. In dem ewigen Kampfe um's Dasein wird die untergeordnete und weniger begünstigte Rasse es sein, welche vorherrscht und zwar vorherrscht nicht kraft ihrer guten Eigenschaften, sondern kraft ihrer Fehler.«

Es sind indessen mehrere Hemmnisse gegen diese nach abwärts strebende Bewegung vorhanden. Wir haben gesehen, daß die Unmäßigen einem hohen Sterblichkeitsverhältnis unterliegen und daß die im höchsten Grade Lüderlichen wenig Nachkommen hinterlassen. Die ärmsten Classen häufen sich in Städten an und Dr. Stark hat nach den statistischen Ergebnissen von zehn Jahren für Schottland bewiesen,Tenth Annual Report of Births, Deaths etc. in Scotland, 1867, p. XXIX. daß auf allen Altersstufen das Sterblichkeitsverhältnis in Städten höher ist als in ländlichen Bezirken, »und während der ersten fünf Lebensjahre ist das Mortalitätsverhältnis der Stadt fast genau das doppelte von dem der ländlichen Bezirke«. Da die Angaben sowohl die Reicheren als die Armen umfassen, so würde ohne Zweifel mehr als die doppelte Anzahl von Geburten nöthig sein, um die Zahl der sehr armen Einwohner in Städten im Verhältnis zu denen auf dem Lande in gleicher Höhe zu erhalten. Bei Frauen ist das Verheirathen in einem zu frühen Alter in hohem Grade schädlich; denn in Frankreich hat man gefunden, daß »zweimal soviel verheirathete weibliche Personen im Alter von unter zwanzig Jahren im Jahre starben, als unverheirathete desselben Alters«. Auch die Sterblichkeit von verheiratheten Männern unter zwanzig Jahren ist ganz »excessiv hoch«,Diese Citate sind unserer höchsten Autorität über solche Fragen entnommen, nämlich Dr. Farr in seinem Aufsatz: On the Influence of Marriage on the Mortality of the French People, gelesen vor der Nat. Assoc. for the Promotion of Social Science. 1858. was aber die Ursache hiervon sein mag, scheint zweifelhaft. Sollten endlich diejenigen Männer, welche in kluger Weise das Heirathen aufschieben, bis sie ihre Familien mit Comfort erhalten können, Frauen in der Blüthe des Lebens nehmen, wie sie es ja oft thun, so würde das Verhältnis der Zunahme in den besseren Classen nur unbedeutend verringert werden.

Nach einer enormen Menge statistischer Angaben, welche im Verlaufe des Jahres 1853 aufgenommen wurden, ist ermittelt worden, daß die unverheiratheten Männer in ganz Frankreich zwischen dem Alter von zwanzig und achtzig Jahren in einem viel größeren Verhältnisse starben als die verheiratheten. So starben z. B. von jedem Tausend unverheiratheter Männer zwischen dem Alter von zwanzig und dreißig Jahren jährlich 11,3, während von den verheiratheten nur 6,5 starben.Dr. Farr, On the Influence of Marriage on the Mortality of the French People, gelesen vor der Nat. Assoc. for the Promotion of Social Science. 1858. Die weiter unten angeführten Angaben sind derselben merkwürdigen Arbeit entnommen. Die Gültigkeit eines ähnlichen Gesetzes wurde während der Jahre 1863 und 1864 in Bezug auf die ganze Bevölkerung in einem Alter von über zwanzig in Schottland nachgewiesen. Es starben z. B. von jedem Tausend unverheiratheter Männer in dem Alter von zwischen zwanzig und dreißig Jahren 14,97 jährlich, während von den verheiratheten nur 7,24 starben, also weniger als die Hälfte.Ich habe das fünfjährige Mittel genommen aus The Tenth Annual Report of Births, Deaths etc. in Scotland. 1867. Das Citat nach Dr. Stark ist aus einem Artikel in den Daily News, 17. Oct. 1868, welcher nach Dr. Farr's Urtheil mit großer Sorgfalt verfaßt ist. Dr. Stark bemerkt hierzu: »Junggesellenthum ist viel zerstörender für das Leben, als es die ungesündesten Handwerke sind, oder als der Aufenthalt in einem ungesunden Hause oder Bezirke es ist, wo niemals auch nur der entfernteste Versuch zu einer gesundheitlichen Verbesserung gemacht worden ist.« Er ist der Ansicht, daß die verringerte Mortalität das directe Resultat »der Verheirathung und der regelmäßigen häuslichen Gewohnheiten ist, welche diesem Zustande eigen sind«. Er nimmt indessen an, daß die unmäßigen, lüderlichen und verbrecherischen Classen, deren Lebensdauer gering ist, für gewöhnlich nicht heirathen, und es muß zugegeben werden, daß Männer mit schwacher Constitution, schlechter Gesundheit oder irgend einer bedeutenden Schwäche an Körper oder Geist oft nicht wünschen werden zu heirathen oder zurückgewiesen werden. Dr. Stark scheint zu dem Schlusse, daß das Verheirathetsein an sich eine hauptsächliche Ursache des verlängerten Lebens ist, dadurch gekommen zu sein, daß er fand, daß bejahrte verheirathete Männer noch immer einen beträchtlichen Vortheil in dieser Beziehung vor den unverheirateten desselben hohen Alters voraus haben. Jedermann werden aber Beispiele bekannt geworden sein, wo Männer von schwacher Gesundheit, welche während ihrer Jugend nicht heiratheten, doch ein hohes Alter erreicht haben, trotzdem sie schwach blieben und daher immer eine wahrscheinlich geringere Lebensdauer und auch weniger Aussicht zu heirathen hatten. Noch ein anderer merkwürdiger Umstand scheint die Folgerung des Dr. Stark zu unterstützen, daß nämlich Wittwen und Wittwer in Frankreich im Vergleich mit den verheiratheten Personen einem sehr ungünstigen Mortalitätsverhältnisse unterliegen; doch schreibt Dr. Farr dies der Armuth und den üblen Gewohnheiten zu, welche der Auflösung der Familie folgen, ebenso wie dem Kummer. Im Ganzen können wir mit Dr. Farr schließen, daß die geringere Mortalität verheiratheter Personen gegenüber derjenigen unverheiratheter, welche ein allgemeines Gesetz zu sein scheint. »hauptsächlich Folge der constanten Beseitigung unvollkommener Formen und der geschickten Auswahl der schönsten Individuen innerhalb jeder der aufeinander folgenden Generationen ist«, wobei die Zuchtwahl sich nur auf den verheiratheten Zustand bezieht und auf alle körperlichen, intellectuellen und moralischen Eigenschaften wirkt.Dr. Duncan bemerkt (Fecundity, Fertility etc., 1871, p. 334) hierüber: »Auf jeder Altersstufe gehen die Gesunden und Schönen von den Unverheiratheten auf die verheirathete Seite über und lassen damit die Reihen der Unverheiratheten voll von Kränklichen und Unglücklichen«. Wir können daher wohl schließen, daß gesunde und gute Menschen, welche aus Klugheit eine Zeit lang unverheirathet bleiben, keinem hohen Mortalitätsverhältnis unterliegen.

Wenn die verschiedenen, in den letzten beiden Absätzen speciell angeführten, und vielleicht noch andere jetzt unbekannte, Hemmnisse es nicht verhindern, daß die leichtsinnigen, lasterhaften und in anderer Weise niedriger stehenden Glieder der Gesellschaft sich in einem schnelleren Verhältnisse vermehren als die bessere Classe der Menschen, so wird die Nation rückschreiten, wie es in der Geschichte der Welt nur zu oft vorgekommen ist. Wir müssen uns daran erinnern, daß Fortschritt keine unabänderliche Regel ist. Es ist äußerst schwer zu sagen, warum die eine civilisierte Nation emporsteigt, machtvoller wird und sich weiter verbreitet als eine andere; oder warum eine und dieselbe Nation zu einer Zeit mehr fortschreitet als zu einer andern. Wir können nur sagen, daß dies von einer Zunahme der factischen Anzahl der Bevölkerung, von der Zahl der Menschen, die mit hohen intellectuellen und moralischen Fähigkeiten begabt sind, ebenso wie von der Höhe dessen abhängt, was bei ihnen für ausgezeichnet gilt. Körperliche Bildung scheint nur geringen Einfluß zu haben, ausgenommen insofern, als körperliche Kraft zu geistiger Kraft führt.

Es ist von mehreren Schriftstellern hervorgehoben worden, daß, weil hohe intellectuelle Kräfte einer Nation vortheilhaft sind, die alten Griechen, welche in Bezug auf den Intellect doch einige Grade höher gestanden haben als irgend eine Rasse, welche je existiert hat,Siehe die geistvolle und originelle Erörterung dieses Gegenstandes von Galton, Hereditary Genius, p. 340-342. in ihrer ganzen Entwicklung noch höher gestiegen, an Zahl noch mehr zugenommen und ganz Europa bevölkert haben müßten, wenn die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl wirklich bestände. Wir sehen hier die stillschweigende Annahme, die so oft in Bezug auf körperliche Bildung gemacht wird, daß ein gewisses angeborenes Streben zu einer beständigen Weiterentwicklung an Geist und Körper vorhanden sei. Aber Entwicklung aller Art hängt von vielen zusammenwirkenden günstigen Umständen ab. Natürliche Zuchtwahl wirkt nur in der Weise eines Versuchs. Individuen und Rassen mögen gewisse unbestreitbare Vortheile erlangt haben und können doch, weil ihnen andere Charaktere fehlen, untergegangen sein. Die Griechen können wegen eines Mangels an Zusammenhalten zwischen den vielen kleinen Staaten, wegen der geringen Größe ihres ganzen Landes rückwärts geschritten sein, eben so wegen der Ausübung der Sclaverei oder wegen ihrer extremen Sinnlichkeit; denn sie unterlagen nicht eher, als bis »sie entnervt und bis in's innerste Mark verderbt waren«.Greg in Fraser's Magazine. Sept. 1868, p. 357. Die westlichen Nationen Europas, welche jetzt so unmeßbar ihre früheren, wilden Urerzeuger überflügelt haben und auf dem Gipfel der Civilisation stehen, verdanken wenig oder gar nichts von ihrer Superiorität der directen Vererbung von den alten Griechen, obwohl sie den schriftlich hinterlassenen Werken dieses wunderbaren Volks viel verdanken.

Wer kann positiv angeben, warum die spanische Nation, die zu einer Zeit so dominierend war, in dem Wettlaufe der Völker überflügelt worden ist? Das Erwachen der Nationen Europas aus den Jahrhunderten der Dunkelheit ist ein noch verwirrenderes Problem. In dieser frühen Zeit hatten, wie Mr. Galton bemerkt hat, fast alle Männer einer weicheren Natur, die, welche sich einer beschaulichen Betrachtung oder der Cultur des Geistes ergaben, keinen anderen Zufluchtsort als den Busen der Kirche, und diese forderte das Cœlibat;Hereditary Genius. 1870, p. 357-359. F. W. Farrar bringt Gründe für die gegentheilige Ansicht bei (Fraser's Magazine, August 1870, p. 257). Sir Ch. Lyell hat bereits in einer merkwürdigen Stelle (Principles of Geology. Vol II. 1868, p. 489) die Aufmerksamkeit auf den üblen Einfluß der Inquisition gelenkt, indem sie nämlich durch Zuchtwahl den allgemeinen Stand der Intelligenz in Europa herabgedrückt habe. und dieses wieder mußte fast sicher einen verschlechternden Einfluß auf jede der folgenden Generationen ausüben. Während dieser selben Periode wählte die heilige Inquisition mit der äußersten Sorgfalt die freisinnigsten und kühnsten Männer aus, um sie zu verbrennen oder gefangen zu setzen. Allein in Spanien wurden von den besten Leuten – d. h. von denen, welche zweifelten und Fragen aufwarfen, und ohne Zweifel ist ja kein Fortschritt möglich – während dreier Jahrhunderte jährlich eintausend eliminiert. Das Übel, welches die katholische Kirche hierdurch bewirkt hat, ist unberechenbar, wenn es auch in gewisser, vielleicht großer Ausdehnung auf andere Weise ausgeglichen wurde. Nichtsdestoweniger ist Europa in einem Verhältnis ohne Gleichen fortgeschritten.

Der merkwürdige Erfolg der Engländer als Colonisten, gegenüber anderen europäischen Nationen, welche durch einen Vergleich der Fortschritte der Canadier englischen und französischen Ursprungs erläutert wird, ist deren »unerschrockener und ausdauernder Energie« zugeschrieben worden; wer kann aber sagen, wie die Engländer ihre Energie erlangten? Wie es scheint, liegt in der Annahme sehr viel Wahres, daß der wunderbare Fortschritt der Vereinigten Staaten ebenso wie der Charakter des Volkes die Resultate natürlicher Zuchtwahl sind. Die energischeren, rastloseren und muthigeren Menschen aus allen Theilen Europas sind während der letzten zehn oder zwölf Generationen in jenes große Land eingewandert und haben dort den größten Erfolg gehabt.Galton in Macmillan's Magazine, Aug. 1865, p. 325. s. auch »Nature«. Dec. 1869, p. 184: On Darwinism and National Life. Blicken wir auf die fernste Zukunft, so glaube ich nicht, daß die Ansicht des Mr. Zincke übertrieben ist, wenn er sagt:Last Winter in the United States. 1858, p. 29. »alle übrigen Reihen von Begebenheiten – z. B. die, welche als Resultat die geistige Cultur in Griechenland, und die, welche die römische Kaiserzeit hervorgehen ließen – scheinen nur Zweck und Bedeutung zu erhalten, wenn sie im Zusammenhange mit, oder noch eher als Unterstützung für ... den großen Strom anglosächsischer Auswanderung nach dem Westen hin betrachtet werden«. So dunkel das Problem des Fortschritts der Civilisation ist, so können wir wenigstens sehen, daß eine Nation, welche eine lange Zeit hindurch die größte Zahl hoch intellectueller, energischer, tapferer, patriotischer und wohlwollender Männer erzeugte, im Allgemeinen über weniger begünstigte Nationen das Übergewicht erlangen wird.

Natürliche Zuchtwahl ist die Folge des Kampfes um's Dasein, und dieser ist die Folge eines rapiden Verhältnisses der Vermehrung. Es ist unmöglich, das Verhältnis, in welchem der Mensch an Zahl zuzunehmen strebt, nicht tief zu bedauern, – ob dies freilich weise ist, ist eine andere Frage; – denn es führt dasselbe bei barbarischen Stämmen zum Kindesmord und vielen anderen Übeln, und bei civilisierten Nationen zu der gräßlichsten Verarmung, zum Cœlibat und zu den späten Heirathen der Klügeren. Da aber der Mensch an denselben physischen Übeln zu leiden hat, wie die niederen Thiere, so hat er kein Recht, eine Immunität diesen Übeln gegenüber, die eine Folge des Kampfes um's Dasein sind, zu erwarten. Wäre er nicht während der Urzeiten der natürlichen Zuchtwahl ausgesetzt gewesen, so würde er zuversichtlich niemals die jetzige hohe Stufe der Menschlichkeit erreicht haben. Wenn wir in vielen Theilen der Erde enorme Strecken des fruchtbarsten Landes, Strecken, welche im Stande sind, zahlreiche glückliche Heimstätten zu tragen, nur von einigen herumwandernden Wilden bewohnt sehen, so möchte man wohl zu der Folgerung veranlaßt werden, daß der Kampf um's Dasein nicht hinreichend heftig gewesen sei, um den Menschen aufwärts auf seine höchste Stufe zu treiben. Nach alle dem, was wir vom Menschen und den niederen Thieren wissen zu urtheilen, hat es stets eine hinreichende Variabilität in den intellectuellen und moralischen Eigenschaften gegeben, um zu einem stetigen Fortschritt durch natürliche Zuchtwahl zu führen. Ohne Zweifel erfordert ein solches Fortschreiten viel günstig zusammenwirkende Umstände, aber es dürfte wohl zu bezweifeln sein, ob die günstigsten dazu hingereicht haben würden, wenn nicht das Verhältnis der Zunahme ein rapides und der in Folge davon auftretende Kampf um's Dasein ein bis zum äußersten Grade heftiger gewesen wäre. Nach dem, was wir z. B. in Theilen von Süd-Amerika sehen, scheint es, als würde ein Volk, welches wohl civilisiert genannt werden kann, wie die spanischen Colonisten, leicht indolent und schreite rückwärts, wenn die Lebensbedingungen gar zu günstig und leicht sind. Bei hoch civilisierten Nationen hängt der beständige Fortschritt in einem untergeordneten Grade von natürlicher Zuchtwahl ab; denn derartige Nationen ersetzen und vertilgen einander nicht so, wie es wilde Stämme thun. Nichtsdestoweniger werden in der Länge der Zeit die intelligenteren Individuen einer und derselben Genossenschaft besseren Erfolg haben, als die untergeordneteren, und werden auch zahlreichere Nachkommen hinterlassen: und dies ist eine Form der natürlichen Zuchtwahl. Die wirksameren Ursachen des Fortschrittes scheinen zu bestehen einmal in einer guten Erziehung während der Jugend, wo das Gehirn Eindrücken leicht zugänglich ist, und dann in einem hohen Maßstab der Vortrefflichkeit, wie er in der Natur der fähigsten und besten Leute ausgeprägt, in den Gesetzen, Gebräuchen und Überlieferungen der Nation verkörpert und von der öffentlichen Meinung aufgenöthigt wird. Man muß indessen im Auge behalten, daß die Macht der öffentlichen Meinung von unserer Anerkennung der Billigung und Mißbilligung Andrer abhängt; und diese Anerkennung gründet sich auf unsere Sympathie, welche, wie kaum bezweifelt werden kann, als eines der wichtigsten Elemente der socialen Instincte ursprünglich durch natürliche Zuchtwahl entwickelt wurde.Ich bin Mr. John Morley wegen mehrerer guter kritischer Bemerkungen über diesen Gegenstand sehr verbunden; s. auch Broca, Les Sélections. Revue d'Anthropologie, 1872.

 
Über die Beweise, daß alle civilisierten Nationen einst Barbaren waren. – Der vorliegende Gegenstand ist in einer so eingehenden und vorzüglichen Weise von Sir J. Lubbock.On the Origin of Civilisation; Proc. Ethnolog. Soc, Nov. 26, 1867. Mr. Tylor, Mr. M'Lennan und Anderen behandelt worden, daß ich hier nur nöthig habe, einen sehr kurzen Auszug ihrer Resultate zu geben. Die früher vom Herzog von ArgyllPrimeval Man, 1869. und noch früher vom Erzbischof Whately zu Gunsten der Annahme, daß der Mensch als ein civilisiertes Wesen auf die Welt gekommen ist, und daß alle Wilden seit jener Zeit einer Entartung unterlegen sind, vorgebrachten Argumente scheinen mir im Vergleich mit den von der anderen Seite vorgebrachten schwach zu sein. Ohne Zweifel sind viele Nationen in ihrer Civilisation zurückgegangen und einige mögen in vollständige Barbarei verfallen sein, trotzdem mir in Bezug auf den letzteren Punkt keine Beweise begegnet sind. Die Feuerländer wurden wahrscheinlich durch andere erobernde Horden gezwungen, sich in ihrem unwirthbaren Lande niederzulassen, und sie können in Folge davon wohl noch etwas weiter entartet sein; es dürfte aber schwer zu beweisen sein, daß sie viel tiefer als die Botokuden gesunken sind, welche die schönsten Theile von Brasilien bewohnen.

Die Zeugnisse für die Annahme, daß alle civilisierten Nationen die Nachkommen von Barbaren sind, bestehen auf der einen Seite aus deutlichen Spuren ihres früheren niedrigen Zustandes, wie noch immer existierenden Gebräuchen, Glaubensansichten, ihrer Sprache u. s. w., auf der andern Seite aus Beweisen, daß Wilde unabhängig und selbständig im Stande sind, einige wenige Schritte in der Civilisationsstufe sich zu erheben und auch wirklich sich erhoben haben. Der thatsächliche Beweis für den ersten Punkt ist im äußersten Grade merkwürdig, kann aber hier nicht gegeben werden: ich beziehe mich auf solche Fälle, wie z. B. die Kunst des Zählens, welche, wie Mr. Tylor an den an einigen Orten noch immer gebrauchten Worten nachgewiesen hat, ihren Ursprung in dem Zählen der Finger, zuerst der einen Hand, dann der anderen und endlich auch der Zehen gehabt hat. Wir haben Spuren hiervon in unserem eigenen Decimalsystem und in den römischen Zahlzeichen, wo wir, nachdem die Ziffer V erreicht ist (von der man annimmt, daß sie eine zusammengezogene Abbildung der menschlichen Hand darstelle), zu den Zahlen VI u. s. w. übergehen, bei denen ohne Zweifel die andere Hand gebraucht wurde; – so ferner wenn die Engländer »von three score and ten sprechen, wo sie im Vigesimalsystem zählen, wobei jedes score als ideelle Einheit aufgefaßt für zwanzig steht – für ›ein Mann‹ wie es ein Mexikaner oder Caraibe ausdrücken würde.Royal Institution of Great Britain. March 15. 1867; s. auch Researches into the Early History of Mankind. 1865.« Den Ansichten einer großen und an Anhängern beständig zunehmenden Philologenschule zufolge trägt jede Sprache Merkzeichen ihrer langsamen und allmählichen Entwicklung an sich. Dasselbe ist der Fall mit der Kunst zu schreiben, da die Buchstaben Rudimente bildlicher Darstellungen sind. Es ist kaum möglich, Mr. M'Lennan's WerkPrimitive Marriage, 1865; s. auch einen offenbar von demselben Verfasser herrührenden ausgezeichneten Artikel in der North British Review; July, 1869. Auch L. H. Morgan, A Conjectural Solution of the Origin of the Class. System of Relationship, in: Proceed. American Acad. of Sciences, Vol. VII. Febr. 1868. Prof. Schaaffhausen erwähnt (Anthropolog. Review, Oct. 1869, p. 373) »die Spuren von Menschenopfern im Homer und im alten Testament«. zu lesen, ohne zuzugeben, daß fast alle civilisierten Nationen noch immer gewisse Spuren derartiger roher Gewohnheiten, wie des zwangweisen Gefangennehmens der Weiber, beibehalten. Welche Nation des Alterthums, fragt derselbe Schriftsteller, kann angeführt werden, welche ursprünglich monogam gewesen wäre? Die ursprüngliche Idee der Gerechtigkeit, wie sie sich durch das Gesetz des Kampfes und anderer Gebräuche zeigt, deren Spuren noch jetzt übrig sind, war gleichfalls äußerst roh. Viele noch jetzt existierende abergläubische Züge sind die Überbleibsel früherer falscher religiöser Glaubensansichten. Die höchste Form der Religion – die großartige Idee eines Gottes, welcher die Sünde haßt und die Gerechtigkeit liebt – war während der Urzeit unbekannt.

Wenden wir uns jetzt zu der anderen Form von Beweisen: Sir J. Lubbock hat nachgewiesen, daß einige Wilde neuerdings in einigen ihrer einfacheren Kunstfertigkeiten fortgeschritten sind. Nach dem äußerst merkwürdigen Berichte, welchen er von den Waffen, Werkzeugen und Künsten giebt, welche von Wilden in verschiedenen Theilen der Welt gebraucht oder geübt werden, läßt sich nicht daran zweifeln, daß dies fast alles unabhängige Entdeckungen gewesen sind, vielleicht mit Ausnahme der Kunst, Feuer zu machen.Sir J. Lubbock, Prehistoric Times. 2. edit, 1869. Cap. XV und XVI, an mehreren Stellen, s. auch das ausgezeichnete 9. Capitel in Tylor's Early History of Mankind, 2. edit. 1870. Der australische Bumerang ist ein gutes Beispiel einer solchen unabhängigen Entdeckung. Als man zuerst die Bewohner von Tahiti besuchte, waren sie in vielen Beziehungen gegen die Einwohner der meisten anderen polynesischen Inseln vorgeschritten. Für die Annahme, daß die hohe Cultur der eingeborenen Peruaner und Mexikaner aus irgend einer fremden Quelle geflossen sei, lassen sich keine triftigen Gründe anführen;Dr. Ferd. Müller hat einige gute Bemerkungen hierüber gemacht in der »Reise der Novara«. Anthrop. Theil. Abtheil. III. 1868, p. 127. viele eingeborene Pflanzen wurden dort cultiviert und einige wenige eingeborene Thiere domesticiert. Wir müssen im Auge behalten, daß eine wandernde Bootsmannschaft aus irgend einem halb civilisierten Lande, wenn sie an die Küsten von Amerika angetrieben worden wäre, nach dem geringen Einflusse der meisten Missionäre zu urtheilen, keine ausgesprochene Wirkung auf die Eingeborenen geäußert haben würde, wenn diese nicht bereits in einem gewissen Grade fortgeschritten gewesen wären. Werfen wir unsern Blick auf eine äußerst entfernt zurückliegende Zeit in der Geschichte der Welt, so finden wir, um Sir J. Lubbock's bekannte Ausdrücke zu gebrauchen, eine palaeolithische und eine neolithische Periode: und Niemand wird behaupten, daß die Kunst, rohe Feuersteinwerkzeuge zu polieren, eine erborgte gewesen sei. In allen Theilen von Europa, und zwar im Osten bis nach Griechenland, dann in Palästina, Indien, Japan, Neu-Seeland und Afrika, mit Einschluß Egyptens, sind Feuersteinwerkzeuge in großer Menge entdeckt worden, und von ihrem Gebrauche hat sich bei den jetzigen Einwohnern auch nicht einmal eine Tradition erhalten. Wir haben auch indirecte Belege dafür, daß solche Werkzeuge früher von den Chinesen und alten Juden gebraucht wurden. Es besteht daher wohl kaum ein Zweifel darüber, daß die Bewohner dieser zahlreichen Länder, welche nahezu die ganze civilisierte Welt umfassen, einstmals in einem barbarischen Zustande sich befanden. Zu glauben, daß der Mensch vom Ursprung an civilisiert gewesen und dann in so vielen Gegenden einer Entartung unterlegen sei, hieße eine sehr erbärmliche Ansicht von der menschlichen Natur hegen. Allem Anscheine nach ist es eine richtigere und wohlthuendere Ansicht, daß Fortschritt viel allgemeiner gewesen ist als Rückschritt, daß der Mensch, wenn auch mit langsamen und unterbrochenen Schritten, sich von einem niedrigeren Zustande zu dem höchsten jetzt in Kenntnissen, Moral und Religion von ihm erlangten erhoben hat.

 


 


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