Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Abstraction, allgemeine Ideen, Selbstbewußtsein, geistige Individualität. – Es würde, selbst für Jemand, der viel mehr Kenntnisse besitzt, als ich, außerordentlich schwer sein zu bestimmen, in wie weit Thiere irgend welche Spuren dieser hohen geistigen Fähigkeiten darbieten. Diese Schwierigkeit rührt von der Unmöglichkeit her, zu beurtheilen, was in der Seele eines Thieres vorgeht; ferner verursacht die Thatsache noch eine weitere Schwierigkeit, daß die Schriftsteller in hohem Maße darin auseinander gehen, was für eine Bedeutung sie den oben erwähnten Ausdrücken beilegen. Dürfen wir nach den verschiedenen, vor Kurzem veröffentlichten Aufsätzen urtheilen, so scheint es, als ob der größte Nachdruck auf die vermeintlich vollständige Abwesenheit des Abstractionsvermögens bei Thieren gelegt würde, oder des Vermögens allgemeine Begriffe zu bilden. Wenn aber ein Hund in der Entfernung einen Hund sieht, so ist es oft ganz klar, daß er nur in abstractem Sinne wahrnimmt, daß es ein Hund ist, denn wenn er näher herankommt, so ändert sich sein ganzes Wesen plötzlich, wenn der andre Hund mit ihm befreundet ist. Ein neuerer Schriftsteller bemerkt, daß es in allen derartigen Fällen eine reine Vermuthung sei, wenn man behauptet, daß der psychische Act bei Thieren nicht von wesentlich derselben Natur wie beim Menschen sei. Wenn einer von beiden das, was er mit seinen Sinnen wahrnimmt, auf einen geistigen Begriff bezieht, so thun es auch beide.Mr. Hookham in einem Briefe an Prof. Max Müller in den »Birmingham News«, May, 1873. Wenn ich zu meinem Terrier in einem eifrigen Tone sage (und ich habe den Versuch viele Male gemacht): »such', such', wo ist es?« so nimmt er dies sofort als ein Zeichen, daß irgend etwas aufgestöbert werden müsse, sieht sich zuerst schnell rings um und stürzt sich dann in das nächste Dickicht, um irgend einem Wilde auf die Spur zu kommen; findet er nichts, so sieht er sich nach einem Eichhorn auf einem der nahe stehenden Bäume um. Weisen nun diese Handlungen nicht deutlich darauf hin, daß der Hund in seiner Seele einen allgemeinen Begriff oder eine Idee davon hatte, daß irgend ein Thier zu entdecken und zu jagen sei?

Man kann ganz gern zu geben, daß kein Thier Selbstbewußtsein habe, wenn unter diesem Ausdruck verstanden werden soll, daß es über solche Fragen, wie: woher es komme oder wohin es gehe, oder was das Leben und was der Tod sei, und so fort, nachdenke. Wie können wir aber sicher sein, daß ein alter Hund mit einem ausgezeichneten Gedächtnisse und etwas Einbildungskraft, wie sie sich durch seine Träume zu erkennen giebt, niemals über die Freuden und Leiden Betrachtungen anstellt, welche er früher auf der Jagd hatte? Dies wäre aber eine Form des Selbstbewußtseins. Andererseits hat aber Büchner bemerkt:Vorlesungen über die Darwin'sche Theorie, p. 190. wie wenig kann das abgearbeitete Weib eines verkommenen australischen Wilden, welches kaum irgendwelche abstracte Worte braucht und nicht über vier zählen kann, ein Selbstbewußtsein bethätigen oder über die Natur seiner eigenen Existenz nachdenken! Es wird allgemein zugegeben, daß die höheren Thiere Gedächtnis besitzen, ferner Aufmerksamkeit, Ideenassociation, und selbst etwas Einbildungskraft und Verstand. Wenn diese Fähigkeiten, welche bei verschiedenen Thieren sehr verschieden sind, einer Ausbildung fähig sind, so scheint es nicht besonders unwahrscheinlich zu sein, daß die complicierteren Fähigkeiten, wie die höheren Formen der Abstraction und des Selbstbewußtseins u. s. w. sich aus der Entwicklung und Combination der einfacheren herausgebildet haben. Gegen die hier vertretenen Ansichten ist hervorgehoben worden, daß es unmöglich sei anzugeben, bei welchem Punkte in der aufsteigenden Stufenleiter die Thiere einer Abstraction fähig würden u. s. w.; wer kann denn aber sagen, in welchem Alter dies bei unsern Kindern eintritt? Wir sehen wenigstens, daß derartige Fähigkeiten sich bei Kindern in unmerklichen Abstufungen entwickeln.

Daß Thiere das Bewußtsein ihrer psychischen Individualität bewahren, ist durchaus nicht fraglich. Als meine Stimme eine Reihe alter Associationen in der Seele des obengenannten Hundes wach rief, muß er seine geistige Individualität behalten haben, obschon jedes Atom seines Gehirns wahrscheinlich mehr als einmal während des Verlaufs von fünf Jahren gewechselt hatte. Dieser Hund hätte das vor Kurzem in der Absicht, alle Evolutionisten niederzuschmettern, vorgebrachte Argument beibringen und sagen können: »Ich verbleibe inmitten aller geistigen Stimmungen und aller materiellen Veränderungen derselbe ... Die Lehre, daß die Atome die empfangenen Eindrücke als Erbschaft den andern an ihr Stelle rückenden Atomen überlassen, widerspricht der Äußerung des Bewußtseins und ist daher falsch; es ist dies aber dieselbe Lehre, welche durch die Theorie der Entwicklung nothwendig gemacht wird, und demzufolge ist auch diese Hypothese eine falsche«.The Rev. Dr. J. M'Cann, Anti-Darwinism. 1869, p. 13.

 
Sprache. – Diese Fähigkeit ist mit Recht als einer der Hauptunterschiede zwischen dem Menschen und den niederen Thieren betrachtet worden. Aber der Mensch ist, wie ein äußerst competenter Richter, Erzbischof Whately, bemerkt, »nicht das einzige Thier, welches von einer Sprache Gebrauch machen kann, um das auszudrücken, was in seinem Geiste vorgeht, und welches mehr oder weniger verstehen kann, was in dieser Weise von Anderen ausgedrückt wird«.Citiert in der Anthropological Review. 1864, p. 158. Der Cebus Azarae in Paraguay giebt, wenn er aufgeregt wird, wenigstens sechs verschiedene Laute von sich, welche bei anderen Affen ähnliche Erregungen veranlassen.Rengger Säugethiere von Paraguay. 1830, p. 45. Die Bewegungen des Gesichts und die Gesten von Affen können von uns verstanden werden und sie verstehen zum Theil die unsern, wie Rengger und Andere erklären. Es ist eine noch merkwürdigere Thatsache, daß der Hund seit seiner Domestication in wenigstens vier oder fünf verschiedenen Tönen zu bellen gelernt hat.s. mein Buch »Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication«. 2. Aufl. Bd. I, p. 28. Obgleich das Bellen ihm eine neue Kunst ist, so werden doch ohne Zweifel auch die wilden Arten, von denen der Hund abstammt, ihre Gefühle durch Schreie verschiedener Arten ausgedrückt haben. Bei dem domesticierten Hunde haben wir das Bellen des Eifers, wie auf der Jagd, das des Ärgers ebenso wie das Knurren, das heulende Bellen der Verzweiflung, z. B. wenn sie eingeschlossen sind, das Heulen bei Nacht, das der Freude, wenn sie z. B. mit ihrem Herrn spazieren gehen sollen, und das sehr bestimmte Bellen des Verlangens oder der Bitte, z. B. wenn sie wünschen, daß eine Thüre oder ein Fenster geöffnet werde. Nach Houzeau, der dem Gegenstande besondere Aufmerksamkeit widmete, stößt das Haushuhn mindestens ein Dutzend bezeichnender Laute aus.Facultés Mentales des Animaux. Tom. II. 1872, p. 346-349.

Der beständige Gebrauch der articulierten Sprache indessen ist dem Menschen eigenthümlich; aber er benutzt gemeinsam mit den niederen Thieren unarticulierte Ausrufe in Verbindung mit Gesten und den Bewegungen seiner Gesichtsmuskeln,s. eine Erörterung dieses Gegenstandes in Mr. E. Tylor's sehr interessantem Buche: Researches into the Early History of Mankind. 1865. Cap. 2-4. um seine Gedanken auszudrücken. Dies gilt besonders für die einfacheren und lebendigeren Gefühle, welche aber nur wenig mit unserer höheren Intelligenz in Zusammenhang stehen. Unsere Ausrufe des Schmerzes, der Furcht, der Überraschung, des Ärgers, in Verbindung mit entsprechenden Handlungen, und das Murmeln einer Mutter mit ihrem geliebten Kinde sind ausdrucksvoller als irgend welche Worte. Das, was den Menschen von den niederen Thieren unterscheidet, ist nicht das Verständnis articulierter Laute; denn Hunde verstehen, wie Jedermann weiß, viele Worte und Sätze. In dieser Beziehung stehen sie auf derselben Entwicklungsstufe wie Kinder zwischen zehn und zwölf Monaten, welche auch viele Worte und kurze Sätze verstehen, und doch nicht ein einziges Wort hervorbringen können. Es ist nicht sowohl die bloße Fähigkeit der Articulation, welche den Menschen von anderen Thieren unterscheidet, denn, wie Jedermann weiß, können Papageien und andere Vögel sprechen; auch ist es nicht die bloße Fähigkeit, bestimmte Klänge mit bestimmten Ideen zu verbinden; denn es ist ganz sicher, daß manche Papageien, welchen Sprechen gelehrt worden ist, ohne zu irren Worte mit Dingen, und Personen mit Ereignissen in Verbindung bringen.Ich habe mehrere detaillierte Berichte hierüber erhalten. Admiral Sir J. Sullivan, den ich als einen sorgfältigen Beobachter kenne, versichert mich, daß ein eine lange Zeit in seines Vaters Hause gehaltener afrikanischer Papagei ausnahmslos gewisse Personen des Hausstandes und ebenso Besucher bei ihren Namen nannte. Beim Frühstück sagte er zu Jedermann »Guten Morgen« und zu Allen »Gute Nacht«, wenn sie Abends das Zimmer verließen, ohne je diese Begrüßungen zu verwechseln. Bei Begrüßung von Sir J. Sullivan's Vater pflegte er dem »Guten Morgen« noch einen kurzen Satz hinzuzufügen, den er nach dem Tode des Vaters nicht ein einziges Mal wiederholte. Einen fremden Hund, der durch's offene Fenster in's Zimmer kam, schalt er heftig aus; ebenso zankte er auf einen andern Papagei (er rief »you naughty polly«), der aus seinem Käfig herausgegangen war und auf dem Küchentisch liegende Äpfel aß. s. auch ebenso über Papageien: Houzeau, Facultés Mentales, Tom. II, p. 309. Dr. A. Moschkau erzählt mir, daß er einen Staar gekannt habe, welcher beim Grüßen kommender Personen mit »Guten Morgen« und fortgehender mit »Leb wohl, alter Kerl« sich niemals geirrt habe. Ich könnte noch mehrere solcher Fälle anführen. Von den niederen Thieren weicht der Mensch allein durch seine unendlich größere Fähigkeit, die verschiedenartigsten Laute und Ideen zu associieren, ab; und dies hängt offenbar von der hohen Entwicklung seiner geistigen Fähigkeiten ab.

Wie Horne Tooke, einer der Gründer der edlen Wissenschaft der Philologie, bemerkt, ist die Sprache eine Kunst, wie das Brauen und Backen; es würde aber das Schreiben ein viel entsprechenderes Gleichnis dargestellt haben. Sicher ist die Sprache kein echter Instinct, da eine jede Sprache gelernt werden muß. Sie weicht indessen von allen gewöhnlichen Künsten sehr weit ab, denn der Mensch hat eine instinctive Neigung zu sprechen, wie wir in dem Lallen junger Kinder sehen, während kein Kind eine instinctive Neigung zu brauen, backen oder schreiben hat. Überdies nimmt kein Philolog jetzt an, daß irgend eine Sprache mit Überlegung erfunden worden sei; eine jede hat sich langsam und unbewußt durch viele Stufen entwickelt.s. einige gute Bemerkungen hierüber von Prof. Whitney in seinen: Oriental and Linguistic Studies. 1873, p. 354. Er bemerkt, daß bei der Entwicklung der Sprache der Trieb der Mittheilung zwischen den Menschen die lebendige Kraft ist, welche »sowohl bewußt als unbewußt thätig ist: bewußt, sofern es das zunächst zu erreichende Ziel gilt, unbewußt, sofern es die weitern Folgen der Handlung betrifft«. Die Laute, welche Vögel von sich geben, bieten in mehreren Beziehungen die nächste Analogie mit der Sprache dar, denn alle Glieder derselben Art äußern dieselben instinctiven, zur Bezeichnung ihrer Gemüthsbewegungen dienenden Laute; und alle Arten, welche das Singvermögen besitzen, äußern dieses Vermögen instinctiv. Aber der wirkliche Gesang und selbst die Lockrufe werden von den Eltern oder Pflegeeltern gelernt. Diese Laute sind, wie Daines BarringtonHon. Daines Barrington, in: Philos. Transact. 1773, p. 262. s. auch Dureau de la Malle in: Annal. des scienc. natur. 3. Sér. Zool. Tom. X, p. 119. bewiesen hat, »ebensowenig eingeboren wie es die Sprache dem Menschen ist«. Die ersten Versuche zum Singen »lassen sich mit dem unvollkommenen Stammeln bei einem Kinde vergleichen, welches zu lallen beginnt«. Die jungen Männchen üben sich beständig oder, wie der Vogelsteller es ausdrückt, sie probieren zehn oder elf Monate lang. Ihre ersten Versuche lassen kaum eine Spur ihres späteren Gesangs erkennen; wenn sie aber älter werden, kann man ungefähr erkennen, wonach sie streben, und endlich sagt man, sie singen ihren Gesang rund ab. Nestlinge, welche den Gesang einer verschiedenen Art gelernt haben, wie z. B. in Tyrol aufgezogene Canarienvögel, lehren und überliefern ihre neue Sangesweise ihren Nachkommen. Die unbedeutenden natürlichen Verschiedenheiten des Gesangs bei Individuen derselben Species, welche verschiedene Gegenden bewohnen, können ganz passend, wie Barrington bemerkt, mit Provinzialdialecten verglichen werden, und die Sangesweisen verwandter, wenn auch verschiedener Species lassen sich mit den Sprachen verschiedener Menschenrassen vergleichen. Ich habe die vorstehenden Einzelheiten gegeben, um zu zeigen, daß eine instinctive Neigung, eine Kunst sich anzueignen, keine auf den Menschen beschränkte Eigentümlichkeit ist.

Was den Ursprung der articulierten Sprache betrifft, so kann ich, nachdem ich einerseits die äußerst interessanten Werke von Mr. Hensleigh Wedgwood, F. Farrar und Professor Schleicher,On the Origin of Language by H. Wedgwood. 1866. Chapters on Language by the Rev. F. Farrar, 1865. Diese Werke sind äußerst interessant. s. auch »De la Physion. et de la Parole« von Alb. Lemoine. 1865, p. 190. Die Schrift des verstorbenen Aug. Schleicher ist auch von Dr. Bikkers in's Englische übersetzt worden unter dem Titel: Darwinism tested by the science of language. 1869. und die berühmten Vorlesungen von Professor Max Müller auf der anderen Seite gelesen habe, nicht daran zweifeln, daß die Sprache ihren Ursprung der Nachahmung und Modification verschiedener natürlicher Laute, der Stimmen anderer Thiere und der eigenen instinctiven Ausrufe des Menschen unter Beihülfe von Zeichen und Gesten verdankt. Wenn wir die geschlechtliche Zuchtwahl behandeln werden, wird sich zeigen, daß der Urmensch oder vielmehr irgend ein sehr früher Stammvater des Menschen wahrscheinlich seine Stimme, wie es heutigen Tages einer der Gibbon-artigen Affen thut, dazu benutzte, echt musikalische Cadenzen hervorzubringen, d. h. also zum Singen. Nach einer sehr weit verbreiteten Analogie können wir auch schließen, daß dieses Vermögen besonders während der Werbung der beiden Geschlechter ausgeübt sein wird, um verschiedene Gemüthsbewegungen auszudrücken, wie Liebe, Eifersucht, Triumph, und gleichfalls, um als Herausforderung für die Nebenbuhler zu dienen. Die Nachahmung musikalischer Ausrufe durch articulierte Laute mag daher wahrscheinlich Worten zum Ursprung gedient haben, welche verschiedene complexe Erregungen ausdrückten. Da es zu der Frage der Nachahmung in Beziehung steht, verdient die bedeutende Neigung bei unseren nächsten Verwandten, den Affen, bei mikrocephalen IdiotenVogt, Mém. sur les Microcéphales. 1867, p. 169. In Bezug auf Wilde habe ich im Journal of Researches, 1845, p. 206 (Reise eines Naturforschers; übers, von J. V. Carus, p. 236) einige Thatsachen mitgetheilt. und bei den barbarischen Menschenrassen, Alles, was sie nur hören, nachzuahmen, wohl eine Beachtung. Da die Affen sicher vieles von dem verstehen, was von Menschen zu ihnen gesprochen wird, und da sie im Naturzustande Warnungsrufe bei Gefahren ihren Genossens. entscheidende Beweise hierfür in den so oft citierten beiden Werken von Rengger und Brehm. zurufen; da ferner Hühner bestimmte Warnungszeichen bei Gefahren auf dem Boden oder am Himmel wegen der Habichte (beide, ebenso wie ein drittes, werden von Hunden verstanden)Houzeau theilt einen merkwürdigen Bericht seiner Beobachtungen hierüber mit in: Facultés Mentales des Animaux. Tom. II, p. 348. ausstoßen: – dürfte da nicht irgend ein ungewöhnlich gescheidtes, affenähnliches Thier darauf gefallen sein, das Heulen eines Raubthieres nachzuahmen, um dadurch seinen Mitaffen die Natur der zu erwartenden Gefahr anzudeuten? und dies würde ein erster Schritt zur Bildung einer Sprache gewesen sein.

Als nun die Stimme immer weiter und weiter benutzt wurde, werden die Stimmorgane weiter gekräftigt und in Folge des Princips der vererbten Wirkungen des Gebrauchs vervollkommnet worden sein; und dies wird wieder auf das Vermögen des Sprechens zurückgewirkt haben. Aber noch viel bedeutungsvoller ist ohne Zweifel die Beziehung zwischen dem fortgesetzten Gebrauch der Sprache und der Entwicklung des Gehirns gewesen. Die geistigen Fähigkeiten müssen bei irgend einem frühen Vorfahren des Menschen viel höher entwickelt gewesen sein, als bei irgend einem jetzt lebenden Affen, selbst bevor die unvollkommenste Form der Rede hat in Gebrauch kommen können. Wir können aber zuversichtlich annehmen, daß der beständige Gebrauch und die weitere Entwicklung dieses Vermögens dadurch auf die Seele zurückgewirkt haben wird, daß sie dieselbe in den Stand setzte und ermuthigte, lange Gedankenzüge zu durchdenken. Ein langer und complexer Gedankenzug kann ebensowenig ohne die Hülfe von Worten durchgeführt werden, mögen sie gesprochen werden oder stumm bleiben, wie eine genaue Berechnung ohne den Gebrauch von Zahlen oder der Algebra. Es scheint auch, als wenn selbst die gewöhnlichen Gedankenreihen irgend eine Form von Sprache fast erforderten oder durch eine solche erleichtert wurden; denn das taubstumme und blinde Mädchen Laura Bridgman gebrauchte ihre Finger, als man sie beobachtete, während sie träumte.s. Bemerkungen hierüber von Dr. Maudsley, The Physiology and Pathology of Mind. 2. edit. 1868, p. 199. Nichtsdestoweniger kann auch eine lange Reihenfolge von lebendigen und zusammenhängenden Ideen durch die Seele ziehen ohne die Hülfe von irgend einer Form von Sprache, wie wir aus den langen Träumen von Hunden schließen können. Wir haben auch gesehen, daß Thiere im Stande sind, bis zu einem gewissen Grade nachzudenken, und dies offenbar ohne die Hülfe der Sprache. Der innige Zusammenhang zwischen dem Gehirn, wie es jetzt bei uns entwickelt ist, und der Fähigkeit der Sprache zeigt sich deutlich in jenen merkwürdigen Fällen von Gehirnerkrankung, bei denen die Sprache besonders afficiert ist, wie in dem Falle, wo das Vermögen, sich substantiver Wörter zu erinnern, verloren ist, während andere Wörter völlig correct gebraucht werden können, oder wo Substantiva einer gewissen Classe, oder alle Substantiva und Eigennamen mit Ausnahme ihrer Anfangsbuchstaben vergessen sind.Viele merkwürdige Fälle der Art sind mitgetheilt worden. Dr. Bateman on Aphasia, 1870, p. 27, 31, 53, 100 etc. s. auch: Inijuiries concerning the Intellectual Powers von Abercrombie. 1838, p. 150. In der Annahme, daß der fortgesetzte Gebrauch der Stimmorgane und der geistigen Organe zu erblichen Veränderungen in ihrem Bau und ihren Functionen führe, liegt nicht mehr Unwahrscheinliches als in der gleichen Annahme für die Form der Handschrift, welche zum Theil von der Bildung der Hand, zum Theil von der Geistesbeschaffenheit abhängt; und die Form der Handschrift wird sicher vererbt.Über das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. II, p. 6.

Mehrere Schriftsteller, besonders Prof. Max Müller,Lectures on »Mr. Darwin's Philosophy of Language«, 1873. haben neuerdings behauptet, der Gebrauch der Sprache setze das Vermögen voraus, allgemeine Begriffe zu bilden; und daß, da vermeintlich kein Thier dies Vermögen besitze, hierdurch eine unübersteigliche Schranke zwischen ihnen und dem Menschen gezogen sei.Das Urtheil eines so ausgezeichneten Philologen wie Prof. Whitney wird in Bezug auf diesen Punkt viel mehr Gewicht haben, als irgend etwas was ich sagen könnte. Von Bleek's Ansichten sprechend bemerkt er (Oriental and Linguistic Studies, 1873, p. 297): »Weil im Großen und Ganzen die Sprache das nothwendige Hülfsmittel des Gedankens, unentbehrlich zur Entwicklung des Denkvermögens, zur Deutlichkeit und Mannichfaltigkeit und Complexität der Begriffe, zur vollen Herrschaft des Bewußtseins ist, deshalb möchte er mit Unrecht den Gedanken ohne Sprache absolut unmöglich machen, die Fähigkeit mit ihrem Werkzeuge identificierend. Er könnte ebenso vernünftig behaupten wollen, die menschliche Hand könne nicht ohne ein Werkzeug handeln. Von einer solchen Theorie ausgehend kommt er Müller's schlimmsten Paradoxen ziemlich nahe, daß ein Kind (in-fans, nicht sprechend) kein menschliches Wesen ist, und daß Taubstumme nicht eher in den Besitz der Vernunft gelangen, bis sie gelernt haben, ihre Finger zur Nachahmung gesprochener Worte zu benutzen.« Max Müller giebt (Lectures on Mr. Darwin's Philosophy of Language, 1873, dritte Vorlesung) den folgenden Aphorismus in cursivem Druck: »Es giebt keinen Gedanken ohne Worte, ebensowenig wie es Worte ohne Gedanken giebt«. Was für eine merkwürdige Definition muß hier das Wort »Gedanken« erhalten haben! Was die Thiere betrifft, so habe ich bereits zu zeigen versucht, daß sie diese Fähigkeit, wenigstens in einem rohen und beginnenden Grade besitzen. Und was Kinder im Alter von zehn bis elf Monaten und Taubstumme betrifft, so scheint es mir unglaublich, daß sie im Stande sein sollten, gewisse Laute mit gewissen allgemeinen Ideen mit der Schnelligkeit, mit der es geschieht, in Verbindung zu bringen, wenn nicht solche Ideen in ihrer Seele bereits gebildet wären. Dieselbe Bemerkung kann auf die intelligenteren Thiere ausgedehnt werden. So bemerkt Mr. Leslie Stephen:Essays on Free-thinking etc. 1873, p. 82. »Ein Hund bildet einen allgemeinen Begriff von Katze oder Schaf und kennt das entsprechende Wort so gut wie ein Philosoph. Und die Fähigkeit zu verstehen ist ein ebenso guter, wenn auch dem Grade nach niedrigerer Beweis für vocale Intelligenz, wie die Fähigkeit zu sprechen«.

Warum die jetzt für die Sprache benutzten Organe ursprünglich schon zu diesem Zweck vervollkommnet sein sollten, und zwar eher als irgend andere Organe, ist nicht schwer einzusehen. Ameisen haben ein ziemlich beträchtliches Vermögen, sich mit Hülfe ihrer Antennen unter einander verständlich zu machen, wie Huber gezeigt hat, welcher ein ganzes Capitel der Sprache der Ameisen widmet. Wir könnten auch unsere Finger als passende Hülfsmittel benutzt haben, denn eine hierin geübte Person kann einem Tauben jedes Wort einer in einer öffentlichen Versammlung schnell gehaltenen Rede auf diese Weise mittheilen; der Verlust unserer Hände würde aber bei einem solchen Gebrauche eine sehr bedenkliche Störung gewesen sein. Da alle höheren Säugethiere Stimmorgane besitzen, welche nach demselben allgemeinen Plan wie die unseren gebaut sind und welche als Mittel der Mittheilung benutzt werden, so war es offenbar wahrscheinlich, daß, wenn das Vermögen der Mittheilung weiter entwickelt werden sollte, diese selben Organe noch weiter entwickelt werden würden; und dies ist durch Zuhülfenahme der benachbarten und gut angepaßten Theile bewirkt worden, nämlich der Zunge und der Lippen.s. einige gute Bemerkungen hierüber in Maudsley, The Physiology and Pathology of Mind. 1868, p. 199. Die Thatsache, daß die höheren Affen ihre Stimmorgane nicht zur Sprache benutzen, erklärt sich ohne Zweifel dadurch, daß ihre Intelligenz nicht hinreichend entwickelt worden ist. Der Umstand, daß sie dieselben Organe besitzen, welche bei lange fortgesetzter Übung zur Sprache hätten benutzt werden können, obschon sie sie nicht in dieser Weise benutzen, ist dem Falle parallel, daß viele Vögel, welche Singorgane besitzen, trotzdem doch niemals singen. So haben die Nachtigall und die Krähe ähnlich gebaute Stimmorgane; die Erstere benutzt dieselben zu mannichfaltigem Gesange, die Letztere nur zum Krächzen.Macgillivray, Hist. of British Birds. Vol. II. 1839, p. 29. Ein ausgezeichneter Beobachter, Mr. Blackwall, bemerkt, daß die Elster leichter einzelne Worte und selbst ganze Sätze aussprechen lernt, als beinahe irgend ein anderer britischer Vogel; doch fügt er hinzu, daß er nach langer und aufmerksamer Beobachtung ihrer Natur und Art nie erfahren habe, daß sie im Naturzustande irgend eine ungewöhnliche Fähigkeit im Nachahmen gezeigt habe. Researches in Zoology. 1834, p. 158. Wenn man fragt, warum der Intellect der Affen nicht in demselben Grade entwickelt ist wie der des Menschen, so kann die Antwort nur die Bezeichnung allgemeiner Ursachen enthalten. Bedenkt man unsere Unwissenheit in Bezug auf die aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen, welche jedes Wesen durchlaufen hat, so ist es unverständig, irgend eine bestimmtere Antwort zu erwarten.

Die Bildung verschiedener Sprachen und verschiedener Species und die Beweise, daß beide durch einen stufenweise fortschreitenden Gang entwickelt worden sind, beruhen auf in merkwürdiger Weise gleichen Grundlagen.s. den sehr interessanten Parallelismus zwischen der Entwicklung der Sprachen und Arten, den Sir Ch. Lyell giebt: Das Alter des Menschengeschlechts. Übers. Cap. 23, p. 395. Wir können aber den Ursprung vieler Wörter weiter zurück verfolgen, als den Ursprung der Arten, denn wir können wahrnehmen, wie sie factisch aus der Nachahmung verschiedener Laute entstanden sind. In verschiedenen Sprachen finden wir auffallende Homologien, welche Folgen der Gemeinsamkeit der Abstammung sind, und Analogien, welche Folgen eines ähnlichen Bildungsprocesses sind. Die Art und Weise, in welcher gewisse Buchstaben oder Laute abändern, wenn andere abändern, erinnert sehr an Correlation des Wachsthums; wir finden in beiden Fällen Verdoppelung von Theilen, die Wirkung lange fortgesetzten Gebrauchs u. s. w. Das häufige Vorkommen von Rudimenten sowohl bei Sprachen als bei Species ist noch merkwürdiger. Der Buchstabe m in dem englischen Worte »am« bedeutete »ich«, so daß in dem Ausdruck I am ein überflüssiges und nutzloses Rudiment beibehalten worden ist. Auch beim Schreiben von Wörtern werden oft Buchstaben als Rudimente älterer Formen der Aussprache beibehalten. Sprachen können wie organische Wesen in Gruppen classificiert werden, die anderen Gruppen untergeordnet sind, und man kann sie entweder natürlich nach ihrer Abstammung oder künstlich nach anderen Charakteren classificieren. Herrschende Sprachen und Dialecte verbreiten sich weit und führen allmählich zur Ausrottung anderer Sprachen. Ist eine Sprache einmal ausgestorben, so erscheint sie, wie Sir. C. Lyell bemerkt, gleich einer Species niemals wieder. Ein und dieselbe Sprache hat nie zwei Geburtsstätten. Verschiedene Sprachen können sich kreuzen oder mit einander verschmelzen.s. Bemerkungen hierüber in einem interessanten Aufsatz von F. W. Farrar, betitelt: Philology and Darwinism, in: »Nature«, March 24th. 1870, p. 528. Wir sehen in jeder Sprache Variabilität, und neue Wörter tauchen beständig auf; da es aber für das Erinnerungsvermögen eine Grenze giebt, so sterben einzelne Wörter, wie ganze Sprachen allmählich ganz aus. Max Müller»Nature«, Jan. 6th. 1870, p. 257. hat sehr richtig bemerkt: »in jeder Sprache findet beständig ein Kampf um's Dasein zwischen den Wörtern und grammatischen Formen statt: die besseren, kürzeren, leichteren Formen erlangen beständig die Oberhand, und sie verdanken ihren Erfolg ihrer eigenen inhärenten Kraft«. Diesen wichtigeren Ursachen des Überlebens gewisser Wörter läßt sich auch noch die bloße Neuheit und Mode hinzufügen; denn in dem Geiste aller Menschen besteht eine starke Vorliebe für unbedeutende Veränderungen in allen Dingen. Das Überleben oder die Beibehaltung gewisser begünstigter Wörter in dem Kampfe um's Dasein ist natürliche Zuchtwahl.

Die vollkommen regelmäßige und wunderbar complexe Construction der Sprachen vieler barbarischer Nationen ist oft als ein Beweis entweder des göttlichen Ursprungs dieser Sprachen, oder des hohen Culturzustandes und der früheren Civilisation ihrer Begründer vorgebracht worden. So schreibt Friedrich von Schlegel: »wir beobachten häufig bei den Sprachen, welche auf der niedrigsten Stufe intellectueller Cultur zu stehen scheinen, einen sehr hohen und ausgebildeten Grad in der Kunst ihrer grammatischen Structur. Dies ist besonders der Fall bei dem Baskischen und Lappländischen und bei vielen der amerikanischen Sprachen«.Citiert von C. S. Wake, Chapters on Man. 1868, p. 101. Es ist aber zuverlässig ein Irrthum, von irgend einer Sprache als einer Kunst zu sprechen, in dem Sinne, als sei sie mit Mühe und Methode ausgearbeitet worden. Die Philologen geben jetzt zu, daß Conjugationen, Declinationen u. s. f. ursprünglich als verschiedene Wörter existierten, die später mit einander vereinigt wurden; und da solche Wörter die augenfälligsten Beziehungen zwischen Objecten und Personen ausdrückten, so ist nicht zu verwundern, daß sie von Menschen der meisten Rassen während der frühesten Zeit benutzt worden sind. Was die Vervollkommnung betrifft, so wird die folgende Erläuterung am besten zeigen, wie leicht man irren kann: Ein Crinoide besteht zuweilen aus nicht weniger als 150 000 Schalenstückchen,Buckland, Bridgewater Treatise, p. 411. welche alle vollständig symmetrisch in strahlenförmigen Linien angeordnet sind; aber ein Naturforscher hält ein Thier dieser Art nicht für vollkommener als ein seitlich symmetrisches mit vergleichsweise wenigen Theilen, von denen keine einander gleichen mit Ausnahme der auf den entgegengesetzten Seiten des Körpers befindlichen. Er betrachtet mit Recht die Differenzierung und Specialisierung der Organe als den Prüfstein der Vervollkommnung. So sollte man, was die Sprachen betrifft, die am meisten symmetrischen und compliciertesten nicht über die unregelmäßigen, abgekürzten und verbastardierten Sprachen stellen, welche ausdrucksvolle Worte und zweckmäßige Formen der Construction von verschiedenen erobernden oder eroberten oder einwandernden Rassen sich angeeignet haben.

Aus diesen wenigen und unvollständigen Betrachtungen schließe ich, daß die äußerst complicierte und regelmäßige Construction vieler barbarischer Sprachen kein Beweis dafür ist, daß sie ihren Ursprung einem besonderen SchöpfungsacteEinige treffende Bemerkungen über die Vereinfachung der Sprachen s. bei Sir J. Lubbock, Origin of Civilisation. 1870, p. 278. verdanken. Auch bietet, wie wir gesehen haben, die Fähigkeit articulierter Sprache an sich kein unübersteigliches Hindernis für den Glauben dar, daß der Mensch sich aus irgendwelcher niederen Form entwickelt hat.


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