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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Niemand hat Reginald Lossing jemals bezichtigt, daß er Verstand besitze, aber niemand hat auch jemals in Abrede gestellt, daß er ein geradezu fabelhaftes. Glück habe.

Einen bestimmten Beruf oder ein Geschäft hatte er nicht; er war wie die Lilien auf dem Felde, die nicht säen und nicht ernten und doch leben und herrlich gekleidet sind, und diese Lilienthätigkeit brachte ihm ein hübsches Einkommen. Er wettete etwas bei den Rennen, spielte ein wenig in Goldaktien und am grünen Tisch und war im stande, die Ergebnisse gelassen hinzunehmen, wie der Bankhalter beim Roulette, denn alles schien zu seinem Glück auszuschlagen. Wie das kam, wußte kein Mensch, am wenigsten er selbst, und er und alle Welt wunderten sich und prophezeiten, daß sich das Blättchen eines Tages wenden und das Glück ihm plötzlich den Rücken kehren werde.

Und das schien auch wirklich der Fall zu sein, als er sich in die Shelfsche Angelegenheit mischte.

Die erste Nachricht vom vollständigen Verlust der »Port Edes« verursachte bei Lloyds fast eine Panik, und die Versicherer waren eifrig bemüht, ihre Rechte an das Schiff jedem Leichtgläubigen, der diese Nachricht vielleicht für eine Ente hielt, zu jedem vernünftigen Preise abzutreten.

Bei der zu diesem Zwecke veranstalteten Versteigerung herrschte eine große Aufregung, und Lossing, der zufällig anwesend war, wurde vom allgemeinen Spielfieber ergriffen. Er beauftragte einen ihm bekannten Makler, für ihn zu bieten.

»Bis zu welchem Preis darf ich bieten?«

»Bis zu zwei per Mille.«

»Sie wissen doch, daß Sie das zur Zahlung von zehntausendachthundert Pfund Sterling verpflichtet? Denn Schiff und Ladung sind für fünfmalhundertvierzigtausend Pfund Sterling versichert.«

»Dafür bin ich gut,« erwiderte Lossing, und da er den Zuschlag erhielt und eine Stunde später bezahlen mußte, bewies er, daß er nicht zu viel gesagt hatte. Bis aus den heutigen Tag reiben sich viele von Lloyds Angestellten, die bei der Versteigerung gegenwärtig waren, schmunzelnd die Hände, daß sie zehntausendachthundert Pfund Sterling aus der Versicherung für ein gänzlich verlorenes Schiff gerettet haben.

Erst nach geschehener That begann es Lossing aufzudämmern, daß er einen unglaublich dummen Streich gemacht habe, aber er war klug genug, nicht laut zu jammern, und so vergaßen seine Freunde die Geschichte bald. Lossing dagegen vergaß sie nicht, denn seine Bank schrieb ihm, er habe seine Guthaben überschritten, und außerdem liefen verschiedene Wechsel auf ihn, die bezahlt werden mußten. Ganz unauffällig fing er deshalb an, sich nach den Mitteln umzusehen, seinen Lebensunterhalt auf eine sicherere Grundlage zu stellen.

Da er nach Verlauf einiger Monate diesem Ziele nicht merklich näher gekommen war, sah er sich veranlaßt, einem Briefe, den er erhalten hatte und der die »Port Edes« und ihre Ladung betraf, seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Das Schreiben trug keine Unterschrift und kam aus Amerika.

»Geehrter Herr!« lautete es. »Wie ich höre, sind Sie der rechtmäßige Eigentümer der ›Port Edes‹ und ihrer Ladung. Das Schiff liegt jetzt in den Everglades von Florida (hier folgte die genaue Ortsangabe nach geographischer Länge und Breite). Die Goldladung ist herausgenommen worden, und Sie werden sie finden, wenn Sie an (nun kam wieder eine genaue, durch eine kleine Karte verständlich gemachte Ortsangabe) graben. Sind Sie ein verständiger Mann und wünschen Sie, das zu genießen, was jetzt Ihr rechtmäßiges Eigentum ist, so werden Sie so wenig als möglich über die Sache reden.«

Gelinde gesagt, war diese Mitteilung geheimnisvoll, aber da Lossing nun einmal ein Narr war, erblickte er nicht so viele Möglichkeiten dahinter, als ein Mann von lebhafterer Einbildung wohl gethan hätte, und da es ihm überdies nicht gelungen war, die vorhin erwähnte ihm zusagende Beschäftigung zu finden, entschloß er sich, sich mit seinen eigenen Augen zu überzeugen, wie die Sache stand. Zu diesem Zwecke reiste er nach dem in frischer Pracht erstandenen Gasthaus von Point Sebastian.

Es war Winter und das Haus überfüllt. Unter den Gästen fand Lossing einen alten Freund, Kent-Williams, der eben wieder mit seinem vierteljährigen Zuschuß von Hause fertig geworden war. Lossing hielt sich eine Woche in Point Sebastian auf und hörte von Kent-Williams, der als sein Gast ebenfalls blieb, mit Interesse von Patrick Onslows Verheiratung, da ihm auch dieser von Cambridge her bekannt war.

»Viel Geld wurde bei der Hochzeit nicht ausgegeben,« sprach Kent-Williams, »aber wir haben die Geschichte doch stillvoll gemacht. Die Trauung fand hier statt, und der alte Van Liew spielte den Brautvater ausgezeichnet, und ich war Brautführer in einem Alpaccarock für zwei Dollars.«

»So?« sprach Lossing, »aber um auf die vorhin erwähnte Angelegenheit zurückzukommen,« und dann fuhr er fort, von einem gewissen Dampfer und einer Goldladung zu sprechen. Kent-Williams nahm die Sache mit großem Interesse auf, denn es schien Geld darin zu stecken, ein Artikel den er aufs innigste wünschte.

Dies war nicht die erste Besprechung, die sie darüber hatten, und auch nicht die letzte, aber am Ende der ersten Woche nach Lossings Ankunft in Point Sebastian war ein bestimmter Plan in ihren Köpfen gereift. Mit einem kleinen Schoner und der notwendigsten Mannschaft machten sie sich auf die Reise, um einen Fluß zu suchen, der aus dem Innern der Everglades kommen sollte, sie und fünf andre, von denen zwei ehemalige Seeleute und einer Maschinist war.

Von ihrem Thun und Treiben während der nächsten sechs Monate berichtet die Sage nichts Bestimmtes, aber es ist bekannt geworden, daß der Schoner zweimal zurückkehrte und Lebensmittel und Grabwerkzeuge holte, wofür in englischem Golde bezahlt wurde, und daß sich ihm jedesmal zwei oder drei Rekruten von verschiedener Hautfarbe anschlossen.

Erst nach sieben Monaten ließen sich die Herren Lossing und Kent-Williams herab, wieder vor den Augen der gebildeten Gesellschaft zu erscheinen, und zwar geschah das an Bord eines Postdampfers, der von einem der Häfen an der Ostküste Südamerikas heimwärts fuhr.

Sie saßen beide auf kühlen Rohrstühlen und beobachteten schweigend, wie die ferne Küste allmählich im Meere versank, wobei sie mit vollkommener Befriedigung brasilianische Cigarren rauchten.

Kent-Williams erhob zuerst seine Stimme.

»Damit wären wir also fertig,« sprach er. »Ich habe das Gefühl, als ob ich zehn Jahre älter geworden wäre, aber es ist vollbracht, und wir haben bekommen, was wir haben wollten.«

»Ja, es ist vollbracht, dank meinem bewährten Glück,« entgegnete Lossing. »Ich bin so froh, als ein Mensch nur sein kann, aber, offen gestanden, ich kann noch immer nicht über meine Ueberraschung hinauskommen, daß mir das in den Schoß gefallen ist. Denke nur mal! Erstens: ein Dampfer – mein Dampfer – den ich sozusagen im Spiel gewonnen habe und der für verloren gilt, taucht wieder auf, macht sich auf die Beine, reist über Land und pflanzt sich mitten im dichten Walde auf, als ob er wachsen wollte wie ein Baum. Nach gut verbürgten Nachrichten hat ihn seine Besatzung im Golf von Mexiko im Stiche gelassen, aber ein Unbekannter kommt her, streicht einen der Schlote mit einer andern Farbe an, läßt aber den andern, wie er war; schraubt neue Namenplatten aus alle Maschinenteile, läßt aber auf den Rettungsbojen die Bezeichnung ›Port Edes von London‹ stehen. Sodann stiegt das Gold, das seine Ladung bildete, zwei Meilen weiter landeinwärts und kriecht zwanzig Fuß in die Erde hinein, ohne die Mangrovewurzeln zu beschädigen. Ein Mensch, der das erklären kann, ist ein Hexenmeister und müßte verbrannt werden.«

»Auf mich hat den tiefsten Eindruck gemacht, daß die ganze Geschichte so schäbig und verdächtig aussieht,« entgegnete Kent-Williams nachdenklich. »Ich glaube, mein lieber Junge, wir haben sehr weise gehandelt, daß wir deinen seligen Dampfer mit einer funkelnagelneuen Garnitur Namen an einen Spanier verkauft haben, der zwar einen niedrigen Preis gezahlt, aber keine Fragen gestellt hat. Es war unsrerseits vollkommen rechtlich gehandelt, denn der Dampfer und seine Ladung waren dein rechtmäßiges Eigentum, aber es sollte mich gar nicht wundern, wenn wir dadurch, daß wir die Sache geheim halten, jemand anderm eine Masse Unannehmlichkeiten ersparen.«

»Höchst wahrscheinlich,« erwiderte Lossing; »aber ich möchte wissen, wem? Weißt du, mein Alter, ich gäbe ein paar Tausend darum, wenn ich wüßte, wie die ganze Niederträchtigkeit veranstaltet worden ist. Es scheint mir beinahe, als hätte Pat Onslow die Hände dabei im Spiel gehabt.«

»Meinst du, daß, wenn Pat Onslow eine halbe Million, wovon niemand etwas wüßte, in den Fingern gehabt, er diese Finger nicht zugeklappt und die halbe Million zu seiner eigenen gemacht hätte? Nein, mein Gutester, damit hast du kein Glück. Außerdem machte Onslow der kleinen Kildare den Hof und hatte weder Gedanken, noch Zeit für was andres. – Ach ja!«

»Nun, was hat den das zu bedeuten?«

Was?«

»Dein Geseufze!«

»Habe ich geseufzt? Ja, ja, ich dachte an die Schwester der kleinen Kildare, Mrs. Duvernay, in die Onslow auch mal verschossen war. Sie ist ein sehr hübsches Weib!«

»Das hast du mir schon einmal gesagt.«

»Ich weiß. Unter uns, Lossing, ich bin eines Abends hingegangen und habe ihr einen Antrag gemacht, und – aber ganz im Vertrauen – sie hat mir wahrhaftig einen Korb gegeben. Allein ich werde es noch einmal versuchen. Ehrlich gestanden, war es mir damals mehr um ihre fünfhundert Pfund jährlich zu thun, aber jetzt, wo ich, dank deiner Freundschaft, in einer besseren Lage bin, sieht es nicht mehr so übel aus, und ich liebe sie wirklich mehr als ich dachte. Sie ist ein wunderbar reizendes Weib!«

»Warum hat sie denn diesen Kaffer Duvernay geheiratet?« fragte Lossing.

»Ja, weißt du,« erwiderte Kent-Williams, »das ist mehr, als ich dir sagen kann.«

 

Ende.

 


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