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Siebentes Kapitel

Als der kleine, rotbärtige Mann gegangen war und die Thür geräuschvoll hinter sich ins Schloß geworfen hatte, wischte sich Shelf das volle weiße Gesicht mit seinem wohlduftenden Taschentuch.

»Glauben Sie,« fragte er aufgeregt, »glauben Sie, daß wir ihm trauen können?«

»Zunächst muß ich bemerken, daß uns nichts andres übrig bleibt, wir mögen wollen oder nicht. Uebrigens hat er nichts dabei zu gewinnen, wenn er uns verrät.«

»Aber würde er uns verraten, falls unser Plan glückte?«

»Vielleicht wird er dazu keine Gelegenheit haben,« entgegnete Onslow, »denn Sie dürfen nicht vergessen, daß wir eine kaltblütige Seeräuberei im Schilde führen, und dabei sollen, wie man sagt, zahlreiche Verluste an Menschenleben nicht eben zu den Seltenheiten gehören.«

Der Geschäftsmann schauderte zusammen. Durch das Doppelfenster drang das dumpfe Getöse der Londoner Straßen, und dazwischen hörte er in seiner Einbildung das wütende Geheul einer ihn verfluchenden Volksmenge.

Sein Blick fiel auf ein Schriftstück, das auf seinem Schreibtisch lag. Es war die Mitteilung des Bankiers, daß das Guthaben seiner Frau beträchtlich überschritten sei. Er nahm das Papier auf und zerriß es mit den Zähnen, schmetterte mit der geballten Faust auf den Tisch, daß die Tinte hoch emporspritzte, aber mit Worten machte er seinem Grimm nicht Luft. Er sprach wie gewöhnlich in seinem Predigttone und erwähnte nichts von der treibenden Grundursache seines Handelns.

»Wir wollen von diesen unangenehmen Einzelheiten lieber nicht sprechen, wenn es Ihnen recht ist, Mr. Onslow. Ich glaube, mein Herz ist nicht in Ordnung, und man ärgert mich noch krank. Aber was es auch kosten mag, wir müssen diese Unternehmung durchführen. Es ist unbedingt nötig, daß ich in den nächsten Monaten einen großen Coup mache, sonst kann's schief gehen.«

»Marmaduke Rivers & Shelf gehen pleite? Richtig! Ich bin auch mit meinen Mitteln zu Ende, so daß also Geld die treibende Kraft für uns beide zu sein scheint. Aber nun raffen Sie sich auf, Mann, und lassen Sie uns zur Sache kommen. Wie wollen Sie's anfangen, das Gold zusammenzubringen?«

»Ich werde sofort die nötigen Schritte thun,« entgegnete Shelf und drückte auf einen andern Knopf seines Schreibtisches, worauf Fairfax ins Zimmer trat, Onslow etwas kalt zunickte und sich dann Shelf zuwandte.

»Sie wünschen?« fragte er erwartungsvoll.

In knapper, geschäftsmäßiger Weise sprach der Prinzipal über die Silberkrisis in Amerika, sowie die Goldnot in den Südstaaten und entwickelte dann das geplante Unternehmen so, wie es sich dem Uneingeweihten darstellen sollte.

»Die ›Port Edes‹ liegt im Herculanum Dock in Liverpool und steht uns von heute an wieder zur Verfügung. Drahten Sie sofort nach Liverpool und bieten Sie Frachten für Norfolk, Pensacola, Mobile und New Orleans zu geringsten Preisen an. New Orleans ist ihr letzter Bestimmungshafen, und Sie können Verfrachtungen dahin zu fünfzehn Prozent unter dem niedrigsten Satze anbieten. Kapitän Owen Kettle wird das Schiff führen und in vier Tagen absegeln. Wenn Sie Ihre Commis mit diesen Aufträgen abgeschickt haben, begeben Sie sich selbst nach der Bank und schließen für eine halbe Million in Gold ab, lieferbar frei an Bord der Port Edes im Dock. Die Versicherungspolice über das Gold wird bei der Bank hinterlegt, um sie für die Anleihe sicher zu stellen. Ist Ihnen das klar?«

»Vollkommen,« entgegnete Fairfax; »aber ich möchte mir erlauben, Sie auf eins aufmerksam zu machen. New Orleans ist berüchtigt wegen der Diebstähle, die auf seinen Kais vorkommen; um sich dagegen zu versichern, werden Sie eine schwere Prämie zu zahlen haben.«

»Das weiß ich; schwerer als für die Seegefahr. Die Versicherungsgesellschaften sind mit Recht ängstlich wegen dieser Diebe aus aller Herren Länder; aber im vorliegenden Falle habe ich die Absicht, diese Auslage zu sparen und mich auf andre Art zu versichern. Mr. Onslow reist als mein Vertreter auf der ›Port Edes‹ mit, und ich bin der Ansicht, daß er und der Kapitän im stande sein werden, für die sichere Ablieferung zu sorgen. Die Ankunft des Schiffes in der Mündung des Mississippi wird telegraphisch nach Orleans gemeldet, und unser dortiger Vertreter kann ihr Eintreffen am Kai auf die Viertelstunde berechnen. Er wird sie mit den nötigen Wagen und einer starken Polizeiabteilung erwarten, die Kisten mit dem Golde unverzüglich löschen und in die Bank schaffen lassen. Halten Sie das für ein verständiges Verfahren?«

»Ja,« antwortete Fairfax nachdenklich. »Ich sehe keine ungewöhnliche Gefahr darin. Nur eins: die ›Port Edes‹ ist nur ein Frachtdampfer und nicht berechtigt, Reisende aufzunehmen. Einfach darum, weil er Vertreter der Firma ist, wird, fürchte ich, das Seeamt Mr. Onslow nicht gestatten, mit ihr zu reisen. Indessen diese Schwierigkeit ließe sich wohl unschwer umgehen.«

»O,« fiel Onslow ein, »dann will ich einen Heuervertrag unterschreiben, als ob ich zur Bemannung gehörte, als vierter Offizier, oder Schiffsarzt mit einem Shilling Löhnung für die Reise. Es ist nicht das erste Mal, daß ein Beamter des Seeamts mit einer so anmutigen Lüge hinters Licht geführt wird. In Wirklichkeit fällt ja niemand drauf 'rein, wissen Sie; aber die väterlichen, schafsköpfigen Schiffahrtsgesetze werden so befolgt, und jedermann ist zufriedengestellt.«

Fairfax entfernte sich lachend, und Patrick Onslow richtete ein paar Fragen an den Reeder.

»Nun möchte ich zunächst mal wissen, warum Sie nach Frachten für Norfolk, Pensacola und Mobile gefragt haben. Wenn wir einen dieser Häfen anliefen, wäre es am natürlichsten, das Gold dort zu landen und mit der Eisenbahn nach New Orleans zu befördern. Unterlassen wir das und schleppen es auf dem Seewege weiter, sieht die Geschichte sofort verdächtig aus, und das ist gerade das, was wir aufs sorgfältigste vermeiden müssen.«

»Mein lieber Mr. Onslow; etwas mehr Schlauheit könnten Sie mir doch wohl zutrauen. Die Bedenken gegen das Anlaufen von Zwischenhäfen sind mir ebensowenig entgangen als Ihnen, und ich habe sie nur genannt, um Fairfax Sand in die Augen zu streuen. Erstens ist hundert gegen eins zu wetten, daß wir in dieser Jahreszeit keine Ladung nach irgend einem von diesen Häfen erhalten, und zweitens, wenn uns wirklich Güter angeboten würden, fänden sich fünfzig Vorwände, das Anerbieten abzulehnen. Später, wenn sich der beklagenswerte Unglücksfall ereignet hat, und es werden Nachforschungen angestellt, hilft dies, die Aufmerksamkeit von der Halbinsel Florida abzulenken. Jedem, der etwa geneigt sein sollte, Mißtrauen an den Tag zu legen, können wir sofort entgegnen, daß wir das Gold viel lieber in Virginien gelandet haben würden, wenn unsre andre Ladung uns dahin geführt hätte. Was sagen Sie dazu?«

»Bitte um Verzeihung; das ist umsichtig gehandelt. Allein ich glaube, mein zweiter Einwand ist besser begründet. Warum knausern Sie mit der Versicherung?«

»Um fünfhundert Pfund zu sparen. Wenn man nicht die Absicht hat, über die Mitte des Golfs von Mexiko hinauszugehen, warum da weiter versichern?«

»Fünfhundert Pfund, wo es sich um fünfmalhunderttausend handelt! Ein Strohhalm in einer Wagenladung!«

»Das ist Geschäft, mein lieber Mr. Onslow. Durch Vermeidung von Ausgaben, die es Ihnen gefällt, unbedeutend zu nennen, ist die Firma Marmaduke Rivers & Shelf zu ihrer jetzigen hervorragenden Bedeutung gelangt.«

»Ach, Papperlapapp!« versetzte Onslow, »machen Sie mir doch keinen blauen Dunst vor!«

»Herrrrr!« rief Shelf entrüstet aus.

»Nun, wenn Sie es denn durchaus hören wollen, so scheint mir die hervorragende Bedeutung ziemlich wackelig zu sein, und mit Ihrer erbärmlichen Knauserei thun Sie Ihr Möglichstes, sie vollends zum Kippen zu bringen. Gerade auf solche Kleinigkeiten kommt's an. Stellen Sie sich nur vor, was nach, hm, nach dem Ereignis geschehen wird. Es wird eine Untersuchung angestellt, die alles bis zu den Stauhölzern in Betracht zieht. Glauben Sie nicht, daß dieser Punkt sofort aufgegriffen wird? Das Zeug ist bis New Orleans zum vollen Werte versichert, aber nicht mehr für den Kai und die Straßen der Stadt, die wegen der dort so häufig vorkommenden Räubereien berüchtigt sind. Werden die Leute nicht augenblicklich denken, daß es von vornherein gar nicht in der Absicht lag, das Gold so weit kommen zu lassen?«

»Nein,« entgegnete Shelf unwirsch, »das sehe ich gar nicht ein.«

»Dann ist meine Ansicht der Ihrigen ganz entgegengesetzt,« erwiderte Onslow. »Und da ich der eigentliche thätige Leiter dieser Unternehmung bin und die erste und ernsteste Gefahr laufe, so habe ich gar keine Lust, mir meinen Rückzug unnötig erschweren zu lassen. Ich bestehe darauf, daß Sie Fairfax zurückrufen und ihm andre Anweisungen geben. Die weitere Versicherung muß bezahlt werden.«

»Dann bezahlen Sie sie gefälligst selbst!« rief Shelf ärgerlich aus.

»Das ist nicht abgemacht worden. Die Ausgaben, die zur Ausführung gehören, sind Ihr Beitrag zum gemeinschaftlichen Geschäft, und außerdem könnte ich so viel Geld gar nicht auftreiben, selbst wenn ich wollte. Ich hab's einfach nicht.«

»Das glaube ich Ihnen, Mr. Onslow, aber ich muß um die gleiche Höflichkeit bitten, wenn ich Ihnen versichere, daß, falls ich heute selbst einen so unbedeutenden Betrag wie fünfhundert Pfund aufnehmen wollte, morgen der Bankerott über mich hereinbräche.«

»Puh! So faul steht's mit Ihnen?«

»Ich habe einen unerbittlichen Blutsauger an mir hängen, der den Nutzen, den mir dieses Geschäft abwerfen soll, aufsaugen wird wie ein großer Schwamm. Es ist ein häuslicher Blutsauger, gegen den es keinen Widerstand gibt.«

»Sie armer Teufel!« sagte Onslow mit einem Anflug von Teilnahme. »Ich glaube, Sie zu verstehen, und es macht Ihre schmutzige Farbe etwas reinlicher. Sie sind nicht ganz schwarz, und wenn ich roh und grob gegen Sie war, weil ich Sie für einen aalglatten Schuft hielt, der nur für sich selbst spielte, so bitte ich hiermit um Entschuldigung. Ich denke, wir werden nun besser miteinander fertig werden. Aber, um auf den Bankerott zurückzukommen: das wird einen schönen Kladderadatsch geben, wenn Sie pleite machen, ehe unsre Reise nach Florida ihren Nutzen abgeworfen hat, und es könnte sich die Untersuchung dadurch sehr eklig für uns verschlimmern.«

»Ich werde mich hoffentlich auf den Beinen halten, Mr. Onslow. Für das, was Sie eben gesagt haben, bin ich Ihnen dankbar, denn ich gestehe ganz offen, Ihre frühere Sprechweise hat mir wehe gethan.«

»Was ich sage, ist auch meist mein Ernst,« entgegnete Onslow; »und wenn ich mit meinem Spießgesellen spreche, mische ich Religion und Verbrechen nicht gern durcheinander. Wir verstehen uns jetzt ja auch besser. Heute nachmittag werde ich Kettle aufsuchen und dann nach Liverpool fahren, um die Geschichte dort in Ordnung zu bringen. Zunächst ist es nötig, eine entsprechende Waffenausrüstung an Bord zu schmuggeln, und es sind noch andre nichtsnutzige Vorbereitungen zu treffen. Wenn man Seeräuberei plant, darf man die Sache nicht leicht nehmen, gerade wie bei einem Mord.«

»Lieber Himmel!« rief Shelf. »Reden Sie doch nicht von so was Gräßlichem.«

»Ich spreche davon,« antwortete Onslow düster, »weil ich es für richtig halte, daß Sie sich über das, was wahrscheinlich geschehen wird, vollkommen klar sind. Wenn sich's vermeiden läßt, möchte ich meine Finger lieber nicht rot färben; da ich aber meinen Hals aufs Spiel setze, denke ich natürlich nicht daran, vor einer Blutthat Halt zu machen, wenn sie den vollen Erfolg sichern kann. Geben Sie sich darüber keiner Täuschung hin, Mr. Theodor Shelf, daß Sie bereits thätiger Mitschuldiger bei einer Seeräuberei sind, und wenn's auch noch zum Morde kommt, so werden Sie ebenso schuldig sein, wie der Schlimmste, obgleich Sie hier in Ihrem behaglichen Londoner Comptoir sitzen, während andre, rauhere Männer im Golf von Mexiko oder in einem Mangrovesumpf von Florida Messer und Pistole handhaben.«



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