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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Hamilton Fairfax trat ins Wohnzimmer des vor kurzem gekauften Hauses in Kent und küßte seine junge Frau. Er sah verstimmt aus, und sie machte ihre Bemerkungen darüber.

»Mir ist auch gar nicht heiter zu Sinne, meine kleine Frau, das ist richtig,« sprach er. »Ich bin in Portland gewesen, um deinen herrlichen ehemaligen Vormund zu sprechen, und der Anblick einer so tief gefallenen Größe ist nicht gerade erheiternd.«

»Der arme Mr. Shelf,« sagte Amy Fairfax wehmütig. »Seine vierzehn Jahre wird er wohl verdient haben, aber er thut mir doch furchtbar leid, und ich wünschte von ganzem Herzen, er wäre in der ›Gazelle‹ entkommen.«

»Und hätte dem Gesetz eine Nase gedreht?«

»Ach was, Gesetz! Ich denke an den Menschen, nicht an das, was er gethan hat. Gegen mich ist er immer sehr gütig gewesen.«

»Wenn es nicht sonst noch jemand gegeben hätte, der sich für dich interessierte, mein Schatz, wäre auch dein Vermögen mit dem andern flöten gegangen.«

»Eigenlob ist nicht hübsch, Hamilton. Das alles ist mir vollkommen bekannt, aber die Thatsache bleibt doch bestehen, daß er es nicht genommen hat, und dann wußte er es einzurichten, daß ich an jenem furchtbaren Abend, als der Zusammenbruch kam, nicht im Hause war. Schon das allein sichert ihm ein freundliches Andenken bei mir. Wie geht's ihm denn? Erzähl' doch einmal.«

»Er studiert die Eigenschaften des Kalksteins, macht sich beim Gefängnisgeistlichen lieb Kind und lebt von einer Kost, die ihm ganz neu ist. Er hat mehr als zehn Kilo an Körpergewicht verloren, und sein Sträflingsanzug scheint ihn nicht sehr zu bedrücken. Ueberhaupt ist er nicht so niedergeschlagen, als man erwarten sollte. In Portland hat er seine Stellung, ebenso wie er eine in London hatte. Die kleinen Spitzbuben schauen zu ihm auf und beneiden ihn wegen seiner kühneren Schurkenstreiche, denn sie fühlen natürlich eine gewisse Hochachtung für einen Mann, der mehr Pfunde gestohlen, als sie Heller, und doch keine schwerere Strafe erhalten hat.«

»Du bist bitter, Hamilton.«

»Das weiß ich, liebes Kind, aber ich kann's nicht ändern. Wenn ich an das furchtbare Elend denke, worein er Tausende gestürzt hat, dann habe ich das Gefühl, daß er eine der chinesischen Strafen verdient hätte, die mit körperlichen Foltern verbunden sind. Das hätte ihn klein gemacht. So aber hat er geistige Spannkraft genug, sich philosophisch in sein Los zu finden. Man hat mir gesagt, daß er ein Mustersträfling sei. Er steht früh auf und reinigt seine Zelle, singt beim Gottesdienst laut und inbrünstig mit, arbeitet flott und mit Verständnis in den Steinbrüchen und ist ebenso eifrig dahinterher, seine Marken für gutes Betragen und seinen Schilling wöchentlich ohne Abzüge zu verdienen, wie ehemals in der City hinter einem gewinnbringenden Geschäft. Er unterhält sich damit, den Anstaltsgeistlichen durch eine gut gespielte Zerknirschung hinters Licht zu führen, die Bewunderung seiner Mitsträflinge zu erregen und Pläne auszuhecken, wie er sich die größtmögliche körperliche Erleichterung verschaffen kann. Und er hofft auf ein, wenn auch zurückgezogenes, so doch behagliches Leben nach Beendigung seiner Strafzeit, mit einem Wort, er ist der personifizierte Hohn auf das Gesetz, das ihn verurteilt hat, und ich hatte das Gefühl, als ob ich ihn mit siedendem Oel begießen oder sonst was thun könnte, was ihm wirklich Ursache gäbe, sich selbst zu bemitleiden.«

»Ein wahres Glück,«, entgegnete Amy, »daß verheiratete Leute nicht immer einerlei, Meinung zu sein brauchen, sonst wäre die Ehe, zu langweilig, und dies ist einer der Augenblicke, wo wir der Langeweile entgegen arbeiten, denn ich bin auch nicht im entferntesten mit dir einverstanden. Ich freue mich, daß der Mann, den ich stets gern gehabt habe, seiner schrecklichen Lage die beste Seite abzugewinnen weiß. Er hat mich immer lieb gehabt, mich und George. Nicht viele Leute würden sich, wenn sie im tiefsten Unglück säßen, so viel um einen Hund bekümmern, wie er es gethan hat.«

»Nun, George hat hier ein behagliches Heim gefunden,« entgegnete Fairfax,« aber Shelf hätte sich nicht so anzustellen brauchen; wir hätten den Hund auf eine einfache Bitte hin genommen.«

»Ich habe es ihm hoch angerechnet, daß er sich die Sache so, hat angelegen sein lassen,« versetzte Amy. »Das war wenigstens keine Heuchelei, denn er hatte den Hund lieb, und seine Sorge, was aus ihm werden würde, war echt.«

Der Foxterrier, der auf dem Teppich vor dem Kamin lag, wedelte träge mit seinem Schwanzstummel, als er seinen Namen hörte, und blinzelte schläfrig.

»Wenn Leibesfülle ein zuverlässiges Anzeichen ist, dann hat George als Hund dieses Haushalts eine sehr gute Anstellung,« sprach Fairfax. »Er scheint sich ebenso philosophisch in seine neuen Verhältnisse zu finden, wie sein Herr.«

»Ich möchte wissen, was aus Mrs. Shelf geworden sein mag,« sagte die junge Frau träumerisch. »Ob sie noch am Leben ist? Nach Schluß jenes denkwürdigen Balles ist sie noch gesehen worden, am nächsten Tage war sie verschwunden, und niemand scheint seitdem etwas von ihr gehört zu haben. Was mag wohl aus ihr geworden sein?«

»Das ist die zweite Neuigkeit, die ich für dich habe, entgegnete Fairfax. »Die Dame ist nicht nur noch sehr lebendig, sondern spielt ihr altes Spiel mit dem glänzendsten Erfolge in Paraguay weiter. Sie nennt sich jetzt Donna Laura Anaquel (das ist Shelf in spanischem Gewande) und gehört zu den tonangebenden Damen der ersten Gesellschaft von Asuncion. Der regierende Präsident ist Witwer, und der Bischof von Asuncion hat Donna Laura die Scheidung auf Grund böswilliger Verlassung angeboten. Nach allem, was man hört, könnte sie Präsidentin werden, allein sie hat sich geweigert, sich von ihrem ausgezeichneten Theodor scheiden zu lassen. Nach der Art, wie sie's treibt, sollte es mich gar nicht wundern, wenn sie bei der nächsten Wahl oder Revolution zur Diktatorin der Republik gewählt würde. Sie ist wirklich ein wunderbares Frauenzimmer.«

»Sie ist sehr klug und so gerieben, wie Farbe, wenn du das meinst. Aber warum lebt sie in Paraguay? Und womit bestreitet sie ihren Unterhalt? Ein solches Auftreten kostet doch Geld.«

»Natürlich verfügt sie über beträchtliche Mittel, und, wie gewöhnlich, hat sie diese Shelf zu verdanken. Er hat den unvermeidlichen Zusammenbruch zwei volle Jahre vorausgesehen und sich eine Estancia bei Asuncion gekauft. Das Geld der Aktionäre ist meist ebenfalls in verschiedene Banken dieser Stadt gewandert. Mrs. Shelf ist dahinter gekommen und hat sich in dessen Besitz zu setzen gewußt, und da England keine Auslieferungsverträge mit den Raubstaaten da drüben hat, lebt sie herrlich und in Freuden. Die Frau ist für meinen Geschmack etwas zu klug, Amy, aber ich hoffe und erwarte zweierlei von ihr: Entweder steckt sie die Finger zu tief in die Politik und wird erschossen, oder sie macht die Mängel der irdischen Gerechtigkeit gut, indem sie die gestohlenen Ersparnisse durchbringt, so daß der alte Spitzbube nichts mehr findet, wenn er aus Portland entlassen wird.«

»Das ist ein zweiter Punkt,« entgegnete Mrs. Fairfax, »worüber wir in aller Freundschaft verschiedener Ansicht sind. Soviel ich gehört habe, sind die Zustände in Paraguay in vieler Hinsicht verbesserungsfähig, und die Shelfs sind gerade die Leute, Verbesserungen anzubahnen; sie strotzen förmlich vor Thatkraft. Hätte Shelf die Leitung der Finanzen in jenem Lande, so würden sie rasch in die Höhe kommen, und was die Verbesserung der Gesellschaft anlangt, so ist Mrs. Shelf die Frau dazu, sie nach neuen und allermodernsten Gesetzen umzugestalten.«

»Hm, diese Ansichten mögen sehr großmütig sein, Amy,« sprach Fairfax, »aber ich fürchte, sie verraten eine bedenkliche Neigung zur Anarchie.«

»Ich bin den Menschen, die mir persönlich Gutes gethan haben, dankbar, das ist alles. Du bist das anscheinend nicht, sonst würdest du dich vielleicht entsinnen, mein lieber Junge, daß wir uns ohne Mrs. Shelf wahrscheinlich nicht gefunden hätten. Aber vielleicht zürnst du ihr gerade deswegen? Am Ende bist du meiner schon überdrüssig?«

Lachend zog Hamilton Fairfax seiner Frau Antlitz zu dem seinen herab und küßte sie dreimal.

»Wenn du die Sache so drehst, muß ich meinen Zorn auf Mrs. Shelf ein für allemal hinunterschlucken.«



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