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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Als Onslow von Point Sebastian nach der »Port Edes« zurückkehrte, fand er Kapitän Kettle im Kartenraum.

»Holla, Kettle, da bin ich endlich wieder, und eine schauderhafte Zeit liegt hinter mir.«

»Willkommen, Mr. Onslow, ich freue mich wirklich, Sie wiederzusehen. Es war ziemlich langweilig, denn Freund Sullivan ist den ganzen Tag hinter den Vögeln her. Waren Sie nicht sehr erstaunt, daß Sie ohne Boot hier an Bord gelangen konnten?«

»Etwas, aber nicht übermäßig. Nach dem, was ich zwischen Point Sebastian und hier gesehen habe, war ich ziemlich auf alles gefaßt.«

»Die Gelehrten werden wohl neue Geographiebücher über diesen Teil von Florida schreiben müssen. Es war während des Sturmes wahrhaftig, als ob der Boden sich erhöbe und umherliefe. Der Dampfer hat sich nicht bewegt, höchstens ein wenig leewärts gelegt, aus seiner Kielfurche aber hat er sich nicht gerührt. Die Ufer waren jedoch unterwegs. Als sie sich erst von ihrer Vertäuung losgemacht hatten, holten die Bäume an, und große Inseln kamen auf uns losgeschwommen, wie Schiffe. Die Blitze leuchteten unaufhörlich, und ich sah mir die Sache durch die Fenster hier an, denn auf Deck konnte kein Mensch stehen. Ich bin weder ängstlich, noch abergläubisch, Mr. Onslow, aber ich dachte, der letzte Tag wäre gekommen, holte mein Gebetbuch hervor und las die ganze Begräbnislitanei von Anfang bis zu Ende. Nachdem ich damit fertig war, fühlte ich, daß ich alles gethan hatte, was menschenmöglich war.«

»Nun, ich freue mich, daß Sie mit heiler Haut davongekommen sind,« sprach Onslow. »Es war eine fürchterliche Nacht für jeden in dieser Gegend.«

»Mir ist kein Haar gekrümmt worden, Mr. Onslow, ebensowenig dem Oberheizer. Als es anfing, zu blasen, kam er herauf und fragte mich, ob ich ihn nötig hätte, und als ich ›nein‹ gesagt hatte, ging er in seine Koje und hat die ganze Geschichte verschlafen. Die Nigger haben es anders gemacht. Sowie der Dampfer anfing, ein bißchen zu schwanken, bekamen sie es mit der Angst und verkrochen sich in ihren Fischkasten von Schaluppe. Als sich nun die Ufer losrissen und auf uns zukamen, war es mit der Nußschale vorbei, und sie und die Nigger liegen da drüben nach Steuerbord zu begraben, aber wo, weiß ich nicht. Natürlich kann es jetzt, wo der Dampfer ganz auf dem Trockenen liegt und der Fluß zwei Meilen entfernt ist, nichts nützen, daß wir uns mit den Farbentöpfen bemühen und die Namenplatten der Maschinen ändern. Wir haben einen neuen Vorderlukenverschlag zurechtgezimmert und die Maschinen geölt, aber das schien mir alles zu sein, was notwendig war; und seitdem habe ich dem Oberheizer Urlaub gegeben. An dem ist ein Sportsman verdorben, Mr. Onslow. Es gibt keine fliegende, kriechende oder schwimmende Kreatur in diesem Teile von Florida, worauf dieser biedere Irländer nicht meine alte Donnerbüchse abgebrannt, oder die er nicht mit Wurm und Angelhaken zu fangen versucht hätte. Anfangs machte es ihm keinen Spaß, aber als ich ihm sagte, alles, was er schösse, wäre gewildert, da ging er dran und blieb dabei.«

»Ja, ja, das Blut verleugnet sich nicht,« sprach Onslow lachend.

In den Sumpfgewässern von Florida kommt immer viel Schwefel vor, und durch den Wirbelsturm waren diese Ausscheidungen aufgerührt und gelöst worden, so daß ein fast unerträglicher Geruch nach faulen Eiern in der Luft schwebte, der selbst in den Kartenraum drang.

»Nach Veilchen riecht's gerade nicht,« antwortete Kapitän Kettle, als Onslow eine Bemerkung darüber machte, »und jetzt kocht sich in den Sümpfen ein Fieber zusammen. Aber was heißt Fieber anders, als Nachlässigkeit und Unwissenheit. Geht man ihm mit der Wissenschaft zu Leibe, Mr. Onslow, kann's gar nichts machen. Und wenn wir die Wissenschaft nicht hier an Bord haben, konzentriert, auf Flaschen gezogen und etikettiert, unten in unsrer Medizinkiste, dann weiß ich nicht, wo Sie sie finden wollen. Ja, das muß ich sagen, die ›Port Edes‹ hat eine riesig feine Apotheke; ich habe alles durchprobiert, folglich muß ich's wissen. Der Oberheizer macht sie auch durch, und ist jetzt an den Fiebermixturen. Davon ist er so zähe geworden, Mr. Onslow, und das paßt mir sehr gut; denn er und ich wollen ein Kompaniegeschäft anfangen.«

»Was? Ihr wollt euch doch nicht etwa zusammen einen Dampfer kaufen und damit in der Welt umher vagabondieren? Na, dazu wünsche ich euch viel Glück!«

»O nein, da irren Sie sich,« erwiderte der Kapitän, »mit Salzwasser wollen wir nichts mehr zu thun haben. Wir wollen Landwirtschaft treiben.«

»Landwirtschaft? Versteht ihr denn etwas davon?«

»Sie brauchen mich nicht gerade für einen Dummkopf zu halten, Mr. Onslow. Was ich nicht verstehe, kann ich lernen, so gut wie ein andrer, und der Oberheizer auch. Wir werden uns zusammen dreihundert Acker Land überweisen lassen, da oben in Nordwest-Kanada, wo's die Regierung umsonst abgibt, und selbst wenn die erste Ernte fehlschlägt, reichen unsre Ersparnisse für ein oder zwei Jahre aus. Ich habe mich von jeher danach gesehnt, Landwirt zu werden,« schloß er wehmütig.

»Wenn ich könnte, möchte ich Sie überreden, diesen Plan aufzugeben, aber ich weiß, daß jeder Versuch nutzlos wäre, und deshalb will ich das lieber unterlassen,« antwortete Onslow, »und was die Frage anlangt, wann Ihre Verpflichtungen gegen die ›Port Edes‹ zu Ende gehen, so können Sie sagen, in einer halben Stunde. Ich werde das Schiff wenigstens sofort verlassen und habe nicht die Absicht, wiederzukommen.«

Kapitän Kettle riß in sprachlosem Erstaunen den Mund auf.

»Was?« brachte er endlich atemlos hervor.

»Ich habe mich anders besonnen,« antwortete Onslow. »Soweit ich in Betracht komme, kann das Gold bleiben, wo es ist. Ich will nichts damit zu schaffen haben.«

»Hören Sie mal,« entgegnete Kettle aufgeregt, »sind Sie vielleicht während des Cyklons mit einem Geistlichen zusammengetroffen, der Ihnen die Hölle heiß gemacht hat?«

»Ich kann mir schon denken, was Sie damit sagen wollen, aber da sind Sie auf falscher Fährte. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die öffentlich ihre Sünden bereuen, wenn Sie sich in großer Gefahr befinden.«

»Nein,« versetzte Kettle, »das war eine dumme Frage von mir. Aber wenn's kein Geistlicher ist, dann ist's 'ne Schürze, die Sie 'rum gekriegt hat.«

»Oder ich sie.«

»Das ist Hose wie Jacke. Also so hängen die Gurken? Und Sie haben ihr diese Geschichte erzählt, weil Sie es für unrecht hielten, ein Geheimnis vor ihr zu haben, und da hat sie ein, saures Gesicht geschnitten. Na ja, so sind die Weiber! Und die andre Dame, von der Sie mir erzählt haben, die die Schuld an Ihrem wilden Leben trägt, haben Sie die vergessen?«

Onslow nickte.

»Schön, Mr. Onslow, wenn diese Geschichte darauf hinausläuft, das Schiff zu verlassen, bin ich bereit, Anker zu lichten, sowie der Oberheizer von der Jagd zurückkommt. Aber da er noch nicht da ist und wir noch etwas warten müssen, möchte ich gern wissen, was aus den fünfhunderttausend Pfund und dem alten Schiff werden soll. Ich habe beides so lange unter Händen gehabt, daß ich anfange, ein freundschaftliches Interesse dafür zu fühlen: ich war sogar, wie Sie wissen, nicht abgeneigt, den ganzen Plunder zu adoptieren.«

»Das weiß ich, und es gereicht Ihnen zur Ehre, daß Sie es nicht gethan haben.«

»Ach, was die Ehre anlangt, so befinden Sie sich vielleicht auf dem Holzwege. Ich bin ein armer Mann mit einer großen Familie, und Ehre ist ein Luxusartikel, den ich mir nicht leisten kann. Wären die Kerle damals in der Nacht, Sie wissen ja, nicht so frech gewesen, so wären der Dampfer und seine Goldladung niemals bis hierher gelangt. Das ist vorbei, aber ich möchte wissen, wenn Sie nichts dagegen haben, wer das Zeug unter die Finger kriegen soll.«

»Wenn ich's könnte, würde ich es Ihnen sagen, Kettle. Meine Abmachungen mit der Dame, die ich heiraten will, gehen dahin, daß ich selbst nichts von dem unrechten Gut anrühre, allein ich habe ihr gesagt, daß ich mich noch in Shelfs Diensten betrachte und ihn meiner Gewissensbedenken wegen nicht verlassen könne. Deshalb war ich schon im Begriff, seine Hälfte der Bank zu übergeben, die er mir bezeichnet hatte, als eine Zeitung eintraf, die die Nachricht brachte, er wäre aufgeflogen und sitze unter mehreren schweren Anklagen im Gefängnis. Wie es scheint, hat er durchzubrennen versucht, und es wäre ihm auch fast gelungen, allein infolge eines Unfalls, der den Dampfer, worauf er sich befand, befallen hat, ist er der englischen Polizei ins Netz gelaufen.«

»Und da sie ihn einmal haben, werden sie ihn wohl auch längere Zeit festhalten,« meinte Kettle. »Gegen diesen sauberen Herrn muß so viel Belastungsmaterial vorliegen, daß es ihm fast an den Kragen gehen könnte.«

»Freilich,« stimmte Onslow zu, »und wir werden später auch wohl noch mehr davon hören. Aber, um auf den Spitzbubenstreich zurückzukommen, woran wir selbst teilgenommen haben, muß ich sagen, daß Shelf auf den Zusammenbruch vorbereitet gewesen zu sein scheint. Vor drei Tagen erhielt ich einen Brief von ihm, der aber durch die Kabeldepesche der Zeitung, die seinen Sturz und seine Verhaftung meldet, überholt worden ist. In diesem Briefe trug er mir auf, das Zeug nach einem südamerikanischen Hafen zu bringen, wohin er kommen wollte. Das Geld wäre ein hübscher Heckepfennig für ihn gewesen, womit er ein neues Leben außerhalb des Wirkungsbereichs der Auslieferungsverträge hätte anfangen können, allein dieses hübsche Plänchen ist fehlgeschlagen: er sitzt im Loche, und es wird ein warnendes Beispiel an ihm statuiert werden. Mr. Theodor Shelf übt selbst durch seinen Sturz noch einen wunderbar bessernden Einfluß aus. Da also das Gold nicht in seine Hände gelangen würde, selbst wenn ich's nach Südamerika schicken wollte, halte ich mich meiner Verpflichtungen gegen ihn für ledig.«

Kapitän Kettle zerrte unruhig an seinem roten Barte.

»Wenn ihr beide es also nicht nehmt, wer soll denn das Gold bekommen? Ich lasse mich hängen, wenn ich daraus klug werde.«

»Die rechtmäßigen Eigentümer, wer sie auch sein mögen,« erwiderte Onslow. »Im Augenblick habe ich allerdings nicht den leisesten Schimmer, wer sie sind; und wie die Dinge liegen, sind eine halbe Million englischer Sovereigns und ein feiner Dampfer gewissermaßen herrenloses Gut.«

»O!« seufzte Kettle, »warum fällt ein solcher Haufe nicht mal einem Manne, wie mir, in den Schoß? Was habe ich verbrochen, daß ich in der Welt umhergestoßen werde und Teerjacken malträtieren muß? Wenn es mir meine Mittel erlaubten, gäbe es zwischen Himmel und Erde keinen liebenswürdigeren Mann als Owen Kettle. Ich hätte eine Farm und ritte auf einem wirklichen Pferde in den Feldern herum und kommandierte die Knechte wie Abraham. Meine bessere Hälfte brauchte kein Logierhaus in Llandudno mehr zu halten. Und was die Krabben sind, na, die schickte ich auf die beste Schule, daß sie den Kopf hochtragen könnten unter ihren Nachbarn. Sehen Sie, so ein Mann bin ich, Mr. Onslow. Lassen Sie mich nur erst die gelben Gamaschen angezogen haben, dann soll's keinen besseren, gottesfürchtigeren und tüchtigeren Landwirt geben. Nur die See und der Mangel an Kleingeld sind Schuld daran, daß ich jemals lange Finger gehabt habe. Ich glaube,« fügte er nachdenklich hinzu, »es wäre für jemand der Mühe wert, mich selbst jetzt noch zum wohlhabenden Manne zu machen, und das wäre für den Jemand auch weit sicherer.«

»Wohl möglich,« antwortete Onslow trocken, »aber ich habe keine Lust, dieser Jemand zu sein. Aus meiner eigenen Tasche könnte ich Ihnen keine Pension zahlen, und davon, daß ich Ihnen gestatte, das versteckte Gold zu berühren, kann gar keine Rede sein. Wenn ich's nicht selbst haben soll, werde ich mein Gewissen vollständig dadurch beruhigen, daß ich es in die Hände der rechtmäßigen Eigentümer bringe.«

»Steckte ich in Ihrer Haut, thäte ich, glaube ich, dasselbe; aber, sehen Sie, ich bin nicht Mr. Onslow, und deshalb wünsche ich, daß die Geschichte anders gefingert würde. Holla! Da kommt Sullivan, und ich bin neugierig, was der dazu sagen wird und ob er sich mit mir verbinden und das freie Land in Kanada erwerben, oder versuchen will, sich fürs Leben unabhängig zu machen, ehe wir diesem Teile der Welt Lebewohl sagen.«

»Ich halte Kanada für wahrscheinlicher,« entgegnete Onslow. »Wir beide könnten ja hier im Kartenhause ein Preisschießen aufeinander veranstalten, bis einer von uns auf dem Rücken läge, aber ich sehe nicht ein, was Ihnen das nützen könnte, denn was auch aus mir wird, an das Gold lasse ich Sie nicht 'ran. Ich bin der einzige Mensch in der Welt, der weiß, wo es liegt, und ich lasse mich lieber totschießen, als daß ich Ihnen den Ort verrate, und wenn Sie sich einbilden, Sie würden es auch ohne mich finden, so versichere ich Ihnen, Sie könnten ebensogut in einem Niggerdorfe nach Ihrem Lieblingsmoskito suchen.«

»Ich gebe zu, Mr. Onslow,« versetzte der Seemann, »daß das offen gesprochen war, aber ich möchte doch hören, was der Oberheizer dazu zu sagen hat. Wir sind jetzt Partner, wissen Sie, und da ist es nicht mehr als recht und billig, daß ich ihn höre, und wenn er Mittel und Wege sieht, der neuen Firma eine solide Grundlage zu geben, bin ich der Mann, ihm zu helfen. Das schulde ich mir selbst, von meiner Alten und den Krabben ganz zu schweigen.«

»Dann gehen Sie hin und besprechen Sie die Sache mit dem Oberheizer,« erwiderte Onslow, »aber ich hoffe, daß Sie schließlich dahin kommen, sie von demselben Gesichtspunkte aus zu betrachten, wie ich, denn ich möchte nicht gern, daß diese Unterhaltung mit einem Preisschießen endete. Ich habe euch beide zu lieb, als daß ich euch vor der Mündung meiner Pistole sterben zu sehen wünschte, und überdies habe ich den dringenden Wunsch, gerade jetzt nicht umgebracht zu werden.«

»Weil eine Dame auf Sie wartet?«

»Ja, weil eine junge Dame auf mich wartet,« antwortete Onslow. »Ein achtbares Leben als verheirateter Mann hat für mich den Reiz der Neuheit, und ich möchte es gern kennen lernen.«

»Ich bin wirklich neugierig, ob Ihnen das beschieden ist,« sprach Kettle nachdenklich. Sodann begab er sich zum Oberheizer, erzählte ihm eingehend, was vorgefallen war, und malte farbenglühende Bilder der ländlichen Freuden, die sich aus fünfhunderttausend Pfund herausschlagen ließen.



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