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Dreizehntes Kapitel

»Nun, Freunde,« sprach Kettle, »gilt's, zuzugreifen sonst versinkt der Dampfer unter uns. Sie, Mr. Onslow, werden das Deck ganz für sich haben, natürlich, nachdem Sie Ihre Arbeit im Vorderteil gethan, und es wäre, glaube ich, gut, wenn Sie sich damit beeilten, denn wenn wir noch mehr Golf von Mexico an Bord nehmen, werden die Verdecke platzen, und der Dampfer geht unter wie 'ne bleierne Ente.«

Onslow eilte davon.

»Und jetzt, Meister Sullivan, müssen Sie sich an den Gedanken gewöhnen, daß ich, obgleich immer noch Kapitän dieses Fahrzeuges, als Heizer und Kohlenzieher arbeiten werde. Sie werden erster Maschinist spielen, und ich bin Ihre gesamte Mannschaft. Wir beide werden zusammen mit einer Esel- und sieben Pferdekräften arbeiten. Sind die Pumpen klar?«

»Ja, Herr.«

»Und ist noch Dampf vorhanden?«

»Ja, es ist keiner abgelassen worden.«

»Dann nehmen Sie gefälligst die Beine unter den Arm und lassen Sie uns in Ihren Eisenladen gehen und die Geschichte in Gang bringen.«

»Einen Augenblick, Herr,« entgegnete der Oberheizer. »Ich verstehe hier verschiedenes nicht recht. Befinden wir uns denn nicht in schauderhafter Lebensgefahr? Sind die Leute nicht ausgerissen, weil der Dampfer sinkt?«

»Halten Sie mich für einen von den Dummköpfen in Romanen, die den Untergang ihres Schiffes nicht überleben wollen?« fragte Kettle. »Wenn das meine Ansicht wäre, wäre ich schon achtmal ertrunken, sage ich Ihnen. Nein, Mr. Erster, ein ehrlicher Kampf ist was andres. Da stelle ich meinen Mann und achte mein Leben nicht mehr wert als eine Backpflaume; aber sonst können Sie Gift darauf nehmen, daß ich nicht so 'n Esel bin, es wegzuwerfen.«

»Aber,« fuhr der Oberheizer fort, »wenn diesem verrückten Dampfer der Boden ausgeschlagen ist, was kann es dann nutzen, wenn wir uns noch viel Mühe geben, ihn leer zu pumpen? Dabei ist kein Spaß, und der Golf von Mexico wird länger durch das Loch einlaufen, als unsre Pumpen im Gange bleiben.«

»Seien Sie nicht langweilig,« entgegnete Kettle. »Wer behauptet denn, daß der Boden ausgeschlagen sei? Der Dampfer ist nur ein paar Platten über seinen gewöhnlichen Tiefgang gesunken, und jetzt wollen wir ihn wieder heben. Wenn Sie thun, was ich Ihnen befehle, sollen Sie Goldfüchse genug erhalten, daß Sie die größte Bierreise machen können, die jemals in einer Hafenstadt unternommen worden ist.«

Der große Oberheizer fuhr sich in Würdigung dieser angenehmen Aussicht mit dem Rücken seiner Hand über den Mund.

»Ach, lieber Herr Kapitän,« sprach er bittend, »wollen Sie nicht so gut sein, eine Zahl zu nennen?«

»Na, wir wollen mal sagen, zwei Zehnpfundnoten.«

»Dann bin ich Ihr Mann für jeden Teufelsstreich unter der Sonne! Sehen Sie, lieber Herr Kapitän, Sie sind doch ein guter Mann, was die andern auch sagen mögen.«

Indessen nahm der Dampfer mit jedem Schlingern und Stampfen mehr Wasser über, und Patrick Onslow fürchtete, daß der gefährliche Plan, den er zur Vertreibung der Mannschaft ins Werk gesetzt, ernstere Folgen gehabt habe, als beabsichtigt worden war. Allerdings war das Schiff durch das am Kreuzmast gesetzte Segel an den Wind gebracht worden und rollte infolgedessen nicht mehr mit solcher Heftigkeit, allein das Heck ragte hoch in die wilde Nachtluft, während sich der Bug tief in jede Welle bohrte, die aus dem stürmischen Süden angerollt kam.

Das übergenommene Wasser fand durch das gähnende Loch im untern Deck seinen Weg ins Innere des Schiffes, und außerdem führte das geöffnete Einlaßventil neben dem Kiel weitere Massen in den überschwemmten Raum. Jede größere See, die etwa über das Schiff hereinbrach, konnte ein Ende mit ihm machen und es zu den Schwamm- und Korallenwucherungen hundert Faden tief hinabsenden.

Mancher wäre angesichts solcher Gefahr betäubt, hilflos und körperlich unfähig zum unerläßlichen Handeln gewesen, denn es ist etwas ganz anderes, eine verzweifelte That vor den Augen einer Beifall jauchzenden Menge zu vollbringen, als wenn der Teufel der einzige Zuschauer ist, der sie zu würdigen weiß. Kapitän Kettle wäre dazu zum Beispiel nicht fähig gewesen. Onslow aber war der Mann unter einer Million, für den solche Abenteuer das wahre Lebenselement waren. Gelang es ihm, dann war der Nutzen sein, schlug es fehl, dann kam ihm auch der Tod gelegen, und auf jeden Fall blieb ihm die Aufregung des Augenblicks, die nichts ihm rauben konnte.

Das war die Stimmung, worin er seine Gefährten im Kartenhause verließ und an die Stelle eilte, wo die Oeffnung im Vorderdeck mit ihren zerrissenen Rändern der rauschenden See entgegengähnte. Ohne Laterne, ohne sich auch nur einen Augenblick umzusehen, stieg er hinab, und als ihm eine heftige Bewegung des Dampfers einen starken Schwung gab, ließ er seinen Halt fahren und tauchte wie ein Stein in den wassergefüllten Schacht unter der Luke.

Sekunden gingen vorüber, eine Minute, zwei Minuten, und noch immer tauchte er nicht wieder auf. Drei Minuten! Dann erschienen die runden Umrisse von etwas Schwarzem auf der Oberfläche, das willenlos vom schaukelnden Wasser hin- und hergeworfen wurde.

Das dauerte eine ganze Weile, dann wurde das Ding durch eine stärkere Bewegung des Schiffes an eine Stütze geschleudert, wo es hängen blieb, aber das plätschernde Wasser nahm stetig ab, das Einlaßventil im Boden des Dampfers war geschlossen, und seine Dampfpumpen in vollem Gange.

Eine ganze Stunde blieb Onslow an der eisernen Stütze hängen, eine kraftlose, schlaffe Masse von Fleisch und Kleidern, und dann erwachten die Schmerzen des Lebens wieder in ihm mit Zittern und Zusammenschaudern. Schwaches, graues Licht des kommenden Tages schimmerte durch die zackige Oeffnung auf ihn herab, als sich seine zuckenden Lider zuerst hoben, aber noch weitere dreißig Minuten war er ein Ding ohne Denkvermögen, das zwar atmete, sich aber um nichts kümmerte, was der Welt angehörte.

Dann schlug ein saugendes, glucksendes Geräusch aus der Tiefe des Raumes an sein Ohr, und sein müdes Hirn begann zu arbeiten. Mit einer gewaltigen Anstrengung richtete er sich auf, sich immer noch halb unbewußt an den Pfeiler anklammernd, und versuchte sich klar zu machen, wo er sich befinde und was mit ihm vorgegangen sei. Ehe er jedoch aller seiner Sinne wieder mächtig war, hatte er einen Besucher in Gestalt des Oberheizers, der sich am Rande des Loches im Deck auf Hände und Kniee niederließ.

»Sind Sie verletzt?« fragte der neue Ankömmling.

»Ungefähr neunzehntel ertrunken, wenn das mitzählt. Aber ich bin jetzt wieder ziemlich auf dem Damm.«

»Sie sehen aber noch gar nicht so aus,« antwortete der Oberheizer aufrichtig. »Wenn Sie nicht so vom Wetter gebräunt wären, würde Ihr Gesicht jetzt wie ranziger Speck aussehen, wissen Sie, etwas blaugrün. Ich dachte mir, es wäre etwas mit Ihnen nicht in Ordnung, weil ich Sie nicht auf der Brücke sah, deshalb bin ich in den Kartenraum gewischt und habe eine Flasche Whisky beigesteckt, die gerade handgerecht stand für den Fall, wissen Sie. Da, saugen Sie ein bißchen am dünnen Ende.«

Er reichte die Flasche hinab, und Onslow hob sie an die Lippen, wobei seine Zähne so gegen die Mündung klapperten, daß es wie Kastagnetten klang, aber der Trunk brachte ihm die Farbe ins Gesicht zurück und sandte sein träge gewordenes Blut wieder auf dem vorgeschriebenen Wege durch die Adern.

»Was ist vorgefallen, seit ich euch verlassen habe?«

»Hm, ja, sehen Sie, zuerst hatten der Kapitän und ich eine freundliche Besprechung über diese Geschichte, und dann sind wir zu einer kleinen Verständigung finanzieller Natur gelangt, aber ich muß sagen, daß ich meine Bedingungen zu niedrig gestellt habe, wenn ich bedenke, daß es so 'ne Art von Verschwörung ist, woran ich teilnehmen soll. Darauf gingen wir in den Maschinenraum und setzten die Pumpen in Gang, um diese eklige Wassersuppe über Bord zu bringen. Sodann habe ich als erster Maschinist eine unbedeutende Ausbesserung an der Maschine vorgenommen, und nun geht sie wieder wie geschmiert. Aber ach, Mr. Onslow, wenn Sie den Alten sähen! Den kleinen Kerl Kohlen schaufeln und fluchen und stolpern und sich die Finger verbrennen zu sehen, das ist ein Anblick, wobei die Geister von ein paar toten Heizern, die ich gekannt habe, grinsen und tanzen würden.«

Der Oberheizer schien geschwätzig werden zu wollen und hatte augenscheinlich Lust, ein längeres Garn zu spinnen; aber mit seiner zurückkehrenden Kraft wuchs auch Onslows Besorgnis wieder, und er kletterte an Deck, nach neuer Thätigkeit begierig. Seine Kniee schwankten noch, und der Oberheizer mußte ihm den Arm reichen, um ihn nach hinten zu führen. Als er die Treppe hinaufgestiegen war und die Kommandobrücke erreicht hatte, sah er sich einen Augenblick um, warf plötzlich die Arme in die Luft und stürzte vorwärts auf die Planken, als ob ihn eine Kugel getroffen hätte.

Auch der Oberheizer war überrascht, denn aus dem Morgennebel im Süden war ein kleiner Schwertbootschoner aufgetaucht.

Die Blicke des Oberheizers folgten dem kleinen Schiffe, als es unter vollem Focksegel und Klüver an der Seite des Dampfers vorbeitanzte, nicht, weil ihm der Anblick eines kleinen, weiß angestrichenen Schoners neu gewesen wäre, nicht, weil er an die Gefahr dachte, die dem Unternehmen drohte, wenn die »Port Edes« von fremden Augen gesehen wurde, sondern weil der Schoner in diesem, für ein so winziges Fahrzeug entschieden häßlichen Wetter wunderbarerweise von einem hübschen jungen Mädchen gesteuert wurde.

Das Aeußere des jungen Mädchens war so, wie es die Irländer vorzugsweise lieben. Sie hatte kupferrotes Haar, dessen Enden unter einer italienischen Mütze im Winde flatterten, lachende, übermütige Züge, denen derselbe Wind einen warmen, roten Ton verliehen hatte, eine Gestalt von anmutig gerundeten Umrissen und die zierlichsten kleinen Fäustchen in der Welt, die nur jemals Ruderpinne und Steuerreep gehalten haben. Sie war von der Lenkung des Bootes vollständig in Anspruch genommen, aber sie fand doch Zeit, einen Blick nach dem Dampfer zu werfen, und Sullivan beantwortete diesen Blick mit einem Geheul und einem Schwenken seiner fettigen Kappe, womit er seine ungeteilte Bewunderung ausdrücken wollte. Das war der Augenblick, wo Onslow zusammenstürzte. Der Oberheizer wandte seine Augen von dem Schoner ab, hob Onslow auf und brachte die Whiskyflasche noch einmal zur Anwendung.

»Doch mehr ertrunken als ich dachte,« murmelte er, »und wenn er krank wird, sitzen wir in einer schönen Patsche.«

Aber Patrick Onslow hatte nicht infolge seines eben ausgefochtenen Kampfes mit dem Tode das Bewußtsein verloren, sondern es war etwas ganz andres, was ihm einen so schweren Schreck eingejagt hatte.

In dem Mädchen, das den kleinen Schoner steuerte, hatte er die Schwester der Dame erkannt, mit der er einst verlobt gewesen war und die ihn um eines andern willen aufgegeben, der Dame, die ihn zum heimatlosen Wanderer auf Erden gemacht hatte.

Fünf lange, verzweifelte Jahre waren vergangen, seit ihn dieser Schlag getroffen hatte, und die Zeit that ihre Wirkung. Er fing an, sie zu vergessen und sich selbst zu geloben, daß er, wenn die gegenwärtige Unternehmung durchgeführt sei, die Vergangenheit auslöschen und ein andres, reineres Leben führen wolle, und nun zog hier im abgelegensten, unwahrscheinlichsten Winkel von Gottes Erde ihre Schwester wie eine Bühnenerscheinung vor seinem Auge vorüber, ihre Schwester, von der sie sich nie trennte.

Der Schreck traf ihn wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel. Er hatte sie in England, Europa, Australien vermutet, überall, nur nicht hier, und bei seiner augenblicklichen Schwäche war die Ueberraschung zu groß gewesen. Wieder tönte das Brausen des Wassers in seinen Ohren, wieder schwand das Licht aus seinen Augen, und diesmal sank er in völlige Bewußtlosigkeit.



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