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Neunzehntes Kapitel

Miß Kildare zuckte die Achseln. »Ja,« sprach sie, »ich glaube, ich habe mich verändert. Ich trage meine Haare anders und längere Kleider und so weiter. Aber bei dir kann ich keine große Veränderung wahrnehmen, außer vielleicht winzige Krähenfüßchen an den Augen. Du hast dir nicht einmal einen Schnurrbart stehen lassen, was ich immer so gern gewollt habe.«

»Wenn ich gewußt hätte, daß ich dich treffen würde, hätte ich mir vielleicht das Rasieren geschenkt.«

»Dann wollte ich, du hättest's gewußt. Aber daß du auch gerade hier von allen Orten in der Welt auftauchen mußt. Nun, Pat, nachdem wir uns nun schon wenigstens zwanzigmal versichert haben, wir wären ungeheuer überrascht gewesen, uns wiederzusehen, kannst du mit mir hinaus auf die Veranda gehen und ein bißchen erzählen.«

»Was soll ich dir erzählen, liebes Kind?« fragte er lachend.

Das junge Mädchen ließ sich auf einem kühlen Rohrschaukelstuhle nieder und ergriff einen Palmblattfächer.

»Hunderterlei! Zunächst, was tragen die Leute in der Stadt jetzt?«

»In London? O, Gehröcke, die länger sind als je, Beinkleider mit schmalen Streifen und Angströhren mit ein ganz klein wenig Schwung darin.«

»Ach, ich meinte ja die Damen.«

»Fünfzehn Meter im Rock, aber die schönste moderne Verunstaltung ist Elephantiasis des Biceps – ich meine Schöpsenkeulenärmel. Sie fangen an den Ohren an und reichen bis zum Ellbogen, manchmal auch ein bißchen weiter.«

»Hm,« machte Miß Kildare, »ich hatte ganz schöne Arme, wenn auch nicht ganz so schön, wie Mabel, aber in der letzten Zeit bin ich nicht an Orten gewesen, wo ausgeschnittene Kleider und kurze Aermel getragen wurden. Nebenbei, tanzest du noch?«

»Noch so gern wie früher.«

»Wie wird denn der Walzer jetzt getanzt?«

»Als ob man auf heißen Backsteinen herumhopste, viel anstrengender als früher. Die Leute tanzen sich viel rascher zu Tode.«

»Links herum?«

»Im Norden von England, wo alle Leute gut tanzen, machen sie's wie in Amerika und wechseln ab. In London und im Süden, wo erbärmlich getanzt wird, ist links herum verpönt.«

»Ich glaube, wir werden heute abend hier ein kleines Lämmerhüpfen haben,« sprach Miß Kildare. Ich werde nicht links herum tanzen, und wenn mich meine Tänzer nach dem Grunde fragen, werde ich sagen, daß links herum tanzen aus der Mode sei. Nun sag' mir, was muß man sonst noch thun, wenn man modern sein will?«

»Unanständige Romane lesen, die von Frauenzimmern geschrieben sind, mit denen du nicht in einem Zimmer sitzen würdest, und dann vor Entzücken überströmen. Das ist die allerneueste, sehr beliebte Unterhaltung der heutigen jungen Damen.«

»Pfui, Pat, von so etwas dürftest du gar nicht mit mir sprechen, und es würde mir auch ganz und gar nicht passen.«

»Ja, warum willst du denn anders sein, als du bist, Elsie? Bist du denn nicht mit dir zufrieden? Andre Leute wären es ganz gewiß.«

»Das ist ja Unsinn.«

»Nein,« entgegnete Onslow bestimmt, »ich glaube, es ist eine Thatsache.«

»Wirklich? Das freut mich. Ich dachte schon, meine Betriebsmittel würden außerhalb Floridas nicht genügen. Ich verstehe, ein Boot in jedem Wetter zu steuern, und kann alles reiten, was auf den Namen Pferd hört, und auch leidlich auf amerikanische Art tanzen, aber weiter auch nichts, allenfalls noch sprechen, wenn das mitzählt.«

Onslow lachte. »Du bist wahrhaft erfrischend,« sagte er, »aber warum zählst du mir deine Betriebsmittel, wie du's nennst, auf?«

»Weil ich furchtbar neugierig bin, Pat, wie ich in England, wo ich diesen Herbst hinreise, zurechtkommen werde. Wie du weißt, bin ich zweiundzwanzig Jahre alt, kann thun, was ich will, und das Leben in solch abgelegenen Ecken fängt an, mir zuwider zu werden.«

»Gehst du allein?«

»Nein, ganz so unabhängig bin ich denn doch nicht. Die Van Liews, die Familie, mit der ich hier bin, haben die Absicht, den Winter in London zu verleben, und sie wollen mich mitnehmen.«

»Und später kommst du wieder nach Amerika zurück?«

Miß Kildares Augen folgten den Bewegungen eines bronzegrünen Kolibris, der an den Blüten der die Pfeiler der Veranda bekleidenden Schlingpflanzen naschte.

» Quien sabe?« sprach sie. »Vielleicht lasse ich mich überreden, drüben zu bleiben.«

»Was? Willst du dich verheiraten?«

»Warum nicht, wenn ich einen Antrag bekomme? Zweiundzwanzig ist nicht mehr weit vom Altjungfernalter.«

»Hm,« machte Onslow und setzte seinen Schaukelstuhl in Bewegung.

»Wie?«

»Ich habe nichts gesagt.«

»Doch, du hast ›hm‹ gemacht, Patrick, und das heißt, daß du dir dein Teil denkst.«

»Richtig, das habe ich auch gethan. Ich hatte mir bis dahin noch nicht klar gemacht, daß du jetzt ein vollständig ausgewachsenes Frauenzimmer bist und jeden Tag einem Manne begegnen kannst, der dir hinreichend gut gefällt, den Bund fürs Leben mit ihm zu schließen. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn ich mir meine kleine Freundin als verheiratete Frau vorstelle, Elsie.«

»Ja, Pat, dann mußt du dich rüsten, diesen Schlag hinzunehmen, denn heiraten will ich ganz bestimmt. Aber wer weiß, am Ende besiegst du mich noch in diesem Rennen?«

»Ich?«

»Ja, du! Als Duvernay starb, wurde Mabel Witwe.«

»Das ist die gewöhnliche Folge eines solchen Ereignisses,« entgegnete Onslow.

»Du weißt doch, daß sie ihn gar nicht heiraten wollte.«

»Ja, das hat man mir vor fünf Jahren zu verstehen gegeben. Aber sie hat ihn nichtsdestoweniger geheiratet.«

»Da läutet die Dinerglocke,« sprach Miß Kildare, »ich muß gehen und mich zurecht machen.«

Zur nämlichen Stunde knobelte in demselben Gasthause in Florida ein gewisser Mr. Kent-Williams, ein junger Engländer, mit zwei Freunden um Cognac oder Cocktails und betrachtete denselben Gegenstand, die Verheiratung, von einem andern Gesichtspunkt aus. Er war ein junger Mann, der nach Florida geschickt worden war, um sich dort ein Vermögen durch den Anbau von Orangen zu erwerben. Da er indes bei seiner Ankunft fand, daß das mit beträchtlichen Anstrengungen verbunden war, war er klug genug, sein Hirn nicht mit vergeblichen Versuchen zu quälen, sondern begnügte sich damit, neunzehn Zwanzigstel jedes Vierteljahrs in stiller Zurückgezogenheit in einer Palmettohütte zu wohnen und während des übrigen Zwanzigstels mit dem von Hause erhaltenen Vierteljahrswechsel im Gasthause von Point Sebastian das Leben zu genießen. Die beiden in seiner Gesellschaft befindlichen Herren waren in ganz ähnlicher Lage und erfreuten sich ebenfalls ihres vierteljährlichen Nippens an der Halbcivilisation des Landes.

»Ich sage euch,« sprach Kent-Williams, »diese kleine Kildare ist ein feines Mädchen, und darin bin ich bekanntlich Sachverständiger. Donnerwetter! Drei Sechsen, famoser Wurf! Ich will doch sehen, ob ich das noch mal fertig bringe. Also sie geht nach England, und wenn sie dort keinen Herzog heiratet, mögt ihr mich einen Esel nennen. Ich bin doch neugierig, ob sich Onslow wieder an die Schwester macht. Sieht beinahe so aus, da er hier auftauchte, sowie dieser Duvernay ins Gras gebissen hatte. Ich konnte den Menschen nicht ausstehen, war kein gebildeter Mann und that gewaltig dick mit seinem Geld. Wahrhaftig, noch ein Pasch! Zweiundneunzig stehen. Da, Willie, mein süßer Knabe, nimm den Becher und sieh zu, ob du mich schlagen kannst.«

»Nein,« entgegnete Willie, während er die Würfel in den Becher schaufelte, den er nachdenklich schüttelte, ehe er ihn auf den Schenktisch umstülpte, »ich habe auch nie viel von Duvernay gehalten, entsinne mich nicht, ihn jemals im Klub oder sonst an einem anständigen Orte getroffen zu haben, ehe wir hierher kamen. Aha, seht ihr, drei Vieren, macht zweiunddreißig auf den ersten Wurf. Natürlich, was die Familie anlangt, ist gegen die Kildares gar nichts zu sagen, aber in Hinsicht auf den allmächtigen Dollar ist es schlecht mit ihnen bestellt. Wenn das nicht wäre, mein Gott, dann würde ich mich keinen Augenblick besinnen, mich an die schöne Elsie ranzuschlängeln. Robinson, alter Junge, du bist an der Reihe. Nimm den Becher und raßle: Zweiundneunzig ist noch immer hoch.«

»Wenn ich nur wüßte,« sprach Kent-Williams nachdenklich, »was Onslows Absichten sind. Mabel Duvernay ist eine reizende Frau und hat mindestens fünfhundert Pfund jährlich, aber wenn sich Onslow noch mit ernsten Absichten trägt, möchte ich mich lieber nicht lächerlich machen, denn ich weiß, daß sie ihn noch so gern, wie nur je hat.«

»Holla!« rief Robinson, »ich habe die Geschichte zum Stehen gebracht; also du, Kent-Williams, und ich werfen noch einmal. Hier ist der Würfelbecher. Aber, nebenbei bemerkt, warum fragst du denn nicht einfach Onslow selbst? Du bist ja in Cambridge sehr gut mit ihm bekannt gewesen, und Blödigkeit gehört doch sonst nicht zu deinen Fehlern.«

»Nein, blöde bin ich nicht, mein Junge, und ich habe Onslow früher auch ganz gut gekannt. Er ist ein liebenswürdiger Kerl, solange man ihn nicht gegen den Strich bürstet, aber ihn wegen Mrs. Duvernay ins Kreuzverhör nehmen, möchte ich doch nicht gerade. Er war furchtbar verliebt in die Dame, ehe sie sich verheiratete, und er ist einer von den Leuten mit einem guten Gedächtnis. Siehst du, mein Junge, ich bin zu meiner Zeit in Massen von Weibern verliebt gewesen und sie in mich, aber wenn sie mir den Laufpaß gaben oder ich ihrer überdrüssig wurde, ist mir noch lange nicht das Herz gebrochen. Ich bin einfach ein Haus weiter gegangen, und ich sage euch, das ist ein höllischer Spaß. Unser alter Pat ist aber nicht so. Er ist einer von den Narren, die sich in ein Frauenzimmer verlieben und sie dann Jahre und Jahre nicht vergessen können. Da! Wieder drei Sechsen! Wenn du das schlägst, will ich für den Rest meines natürlichen Lebens von süßen Kartoffeln und Rotfischen leben.«

»Ach!« seufzte Robinson, »fünfhundert Pfund jährlich, zweitausendfünfhundert Dollars! Damit könnte man sich an vielen Orten ganz behaglich durchdrücken. Das ist so recht mein Pech! Nicht einmal einen Pasch! Na, wir wollen den Todeskampf nicht unnötig verlängern; ich werde bestellen. Was wollt ihr haben?«

So tranken sie denn ihre Cocktails und Knickebeine und begaben sich dann in den kahlen, grauen Speisesaal, wo ein glänzend schwarzer Kellner jeden mit einem Glase Thee mit Eis und zwei Dutzend Schüsseln mit Speisen bediente.

»Onslow scheint mit der kleinen Kildare auf sehr vertrautem Fuße zu stehen,« bemerkte Kent-Williams, »aber er kannte sie schon als ganz kleine Krabbe, und sie haben natürlich viel miteinander zu sprechen. Was meinst du, Willie?«

»Wie soll ich das wissen, mein Lieber? Ich bin kein Gedankenleser. Vielleicht erzählt sie ihm von ihrer Schwester.«

»Kellner!« rief Robinson. »Wie können Sie sich denn unterstehen, uns süße Kartoffeln vorzusetzen? Bestellt haben wir sie doch nicht. Nehmen Sie das Zeug weg.«

Der Kellner verschwand grinsend mit den verschmähten Schüsseln, und Robinson begann, ein zähes Beefsteak zu bearbeiten.

»Das Geld ist alle,« brummte er, »und wir müssen morgen zu unsern Palmettopalästen zurückkehren, wo wir dieses Zeug und weiter nichts zu essen haben. Ich glaube, der faule Nigger weiß das und hat die süßen Knollen nur gebracht, um uns zu ärgern. Ich hätte die größte Lust, ihm seinen schwarzen Hals ein bißchen umzudrehen.«

»Echauffiere dich nicht in diesem heißen Wetter,« sprach Kent-Williams. »Wenn du dem Nigger den Hals umdrehst, wird dein Einkommen nicht größer, und das ist doch die einzige Beschäftigung, wofür zu leben sich lohnt.«

»Und deshalb möchtest du Mrs. Duvernay heiraten?«

»Oder eine andre mit einer hübschen Münzsammlung. Vorurteile kenne ich nicht. Gegenwärtig liegen meine Talente während neun Zwanzigsteln des Jahres brach, weil die Natur mich niemals dazu bestimmt hat, als edler Wilder zu glänzen. Folglich bin ich bereit, lieber Junge, mich der ersten Besten an den Hals zu werfen.«

»Ach, rede doch nicht,« erwiderte Robinson, »dann hättest du letzten Winter ja eins von den Mädchen hier heiraten können.«

»Die reisende Engländerin etwa, die die h nicht aussprach? Ja, mein lieber Junge, das habe ich auch wirklich in Erwägung gezogen, aber ich kam doch zum Schlusse, daß ich zu alt wäre, mich noch zu bessern, und das Leben mit einer Frau ohne h selbst beim größten Einkommen auf die Dauer nicht auszuhalten sei. Natürlich war es ein Opfer, und das arme Mädchen hat sich's sehr zu Herzen genommen, aber die Zeit wird wohl auch hier einen heilenden Einfluß ausüben.«

»Vielleicht hat sie es schon überwunden,« meinte Robinson lachend. »Nach dem, was ihr Vater geäußert hat, war er wenigstens schon vor ihrer Abreise ganz mit dem Gedanken ausgesöhnt, dich zu verlieren.«

»Mein zukünftiger Schwiegervater war ein Filz und wußte einen gebildeten Mann nicht zu würdigen. Mabels Papa befindet sich in einer bessern Welt, und das spricht sehr zu ihren Gunsten. Väterlichen Rat habe ich nie vertragen können.«

»Du scheinst deiner Sache bei der Dame sehr gewiß zu sein.«

»Ganz und gar nicht, aber ich muß herausbekommen, wie die Gurken hängen. Und, wahrhaftig, da fällt mir was ein, ein gescheiter Gedanke. Ich werde nach dem Diner zu Onslow gehen und ihm erzählen, ich wolle morgen Mrs. Duvernay besuchen. Dann frage ich ihn, ob er mitkommen wolle, und biete ihm einen Platz in meinem Kanoe an, und ich will mal sehen, wie er das aufnimmt.«

»Dem mag nun sein, wie ihm will,« meinte ein andrer der Freunde, »allzuviel möchte ich auf deinen Erfolg nicht wetten, alter Junge. Nichts in diesem Leben ist gewiß, und Witwen haben manchmal die süße Gewohnheit, hm, einen zappeln zu lassen, bis man's müde wird. Fertig? Na, dann kommt, dann wollen wir wieder was ausknobeln. Ich bin für crême de menthe.«



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