Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Drei und zwanzigstes Kapitel.

Saltream. – Saville's Tod.

Dieses Ereignis hätte allerdings eine große Epoche in Godolphins Leben werden können, wenn ihm nicht eine so nahe Gränze gesetzt gewesen wäre. Aber selbst in diesem Fall hätte er, da der Ehrgeiz so lange von seiner Denkweise verworfen worden und seine ruhige, gleichgültige Gemüthsstimmung so wenig zu den heftigen und nächtlichen Kämpfen des Parlaments paßte, schwerlich sich einen hohen, dauernden Ruf in einer Laufbahn erworben, in welcher entweder Hartnäckigkeit oder Enthusiasmus nöthig ist, um nicht den häufigen Kränkungen und Täuschungen zu erliegen, welchen auch der glänzendste Neuling ausgesetzt ist. In diesem Augenblicke wurde jedoch bei Godolphin eine ernste Gedankenfolge rege. Er dachte über sein vergangenes Leben nach und das Resultat befriedigte ihn nicht. Er sah sich von gewaltigen Ereignissen umgeben: sollte er nie Theil an ihnen nehmen? Die Natur hatte Godolphin vielleicht zum Dichter geschaffen, denn, mit Ausnahme der Ruhmsucht, waren alle Eigenschaften eines Dichters in ihm zur Ausbildung gekommen, und sein ganzes Daseyn war in den Schatten einer nicht ausgesprochenen poetischen Stimmung gehüllt. Dies hatte ihn gegen die Geschäftswelt abgestumpft und ihn in das Land der Träume eingeschlossen; dies hatte ihm jene rastlose, unbestimmte Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, den Durst nach dem Idealen eingeflößt; dies hatte ihn schwierig in der Liebe, verdrießlich bei Vergnügungen gemacht; dies war Schuld, daß er in einem Athem nach Allem verlangte und Alles verachtete. Es gibt vielleicht viele solcher Menschen, die mit dem Wesen eines Poeten, nicht das poetische Vermögen haben, ihre Gefühle auszuströmen; welche die Welt der Phantasie durchstreiften, ohne den Zauberstab in dem Dunkel ihres Geistes zu finden, der der Phantasie Form und Leben gegeben haben würde. Aber ach, welche Existenz kann mangelhafter seyn, als die eines Menschen, der die Seele, aber nicht die Geschicklichkeit eines Dichters hat; der das Sehnen und Leiden kennt, aber nicht den Trost und Lohn?

Diese Wolke träumerischen Schwärmens fing jedoch endlich an, sich vor Godolphin zu zertheilen: er gewann eine klare, bestimmte Aussicht auf den großen Lebenszweck und er fühlte, daß er betäubt in der Krise des Lebens stehe.

Konstanze gerieth in beinahe fieberhaftes Entzücken, als sie die Nachricht von Godolphins förmlichen Eintritt in das öffentliche Leben erhielt, welches ihr als die edelste Laufbahn erschien und ihre lebhafte Freude trug dazu bei, in Godolphin die letzten Zweifel darüber zu verscheuchen, ob er auch recht gethan, einen solchen Entschluß zu ergreifen.

London war jetzt leer und langweilig, denn alles war zu den allgemeinen Wahlen geströmt, und auch Konstanze beschloß jetzt, mit Godolphin nach –shire zu gehen und zum Erstenmale nach ihrer Heirath das stattliche Wendover zu besuchen.

An dem Tage vor der Abreise überfiel Godolphin plötzlich eine tiefe, unwillkürliche Schwermuth. Der Tag war ungewöhnlich schön und klar, und der Luft fehlte es dabei nicht an der Frische, welche die Hitze nicht zu drückend macht; es schien, als ob das Wetter den Trübsten aufheitern müsse, aber auf Godolphin machte es nicht den geringsten Eindruck. Er ging träumend durch die Straßen, bis er sich vor dem Hause des Lord Saltream befand. Ich will hinein – dachte Percy – und von meinem originellen Freunde Abschied nehmen. Aber während er noch an der Thüre stand, und der Duft der Blumen von dem Balkon auf ihn herabströmte, kam Lord Saltream plötzlich herunter und streifte an Godolphin vorüber, ohne daß er ihn zu bemerken schien.

– Wohin so schnell, Saltream? – fragte Percy.

Lord Saltream blieb stehen. – Ah, sind Sie es? Kommen Sie zu mir? Treten Sie herein; Sie wollen vermutlich hier essen, wie? Es ist doch noch nicht acht?

– Noch nicht drei – sagte Godolphin lachend.

– Nicht drei? Gott steh uns bei! Also so – fuhr der Earl mit einem ihm eigenthümlichen, feierlichen Ausdruck fort – so also handeln wir an unserer großen Zerstörerin! Welcher Mangel an Achtung gegen eine so große Macht! Sie zu vergessen, die uns nicht vergißt; die Zeit zu vernachlässigen, die ewig an uns nagt und zehrt, und unsere Existenz verschlingt. Ist es nicht einfältig, wenn man sagt, die Zeit tödten? Das tödten, was der Mörder von uns Allen ist? Aber was giebt es Neues?

– Nichts, als das unablässige Triumphgeschrei der Reform.

– So gehts; ich bin mein ganzes Leben hindurch ein Stück von einem Liberalen gewesen, und bin jetzt auf einmal von allen meinen damaligen Kollegen überholt worden, die mich sonst schalten, daß ich ein zu großer Whig sey. Ist das nicht seltsam? Es ist wirklich wie beim Kammer-Vermiethen, dem Kinderspiel: die, welche einen Platz gefunden haben, sind ganz zufrieden, und nur ich Armer, der in der Mitte verlassen stehe, denke, es ließe sich wohl besser einrichten. Im Ganzen ist die Reform doch ein wahnsinniges Projekt.

– Sie werden freilich durch die neue Bill kein besseres Haus, keine schönere Bibliothek, kein bequemeres Leben erhalten.

– Gut getroffen; aber geben Sie acht, die Whigs spielen mit einem gefährlichen Messer. – Und darauf ließ sich Saltream in eine lange Erörterung ein, in welcher er zu beweisen suchte, daß Alles bisher ganz gut gegangen sey.

Godolphin lenkte des Earls Aufmerksamkeit auf die fürchterliche Verarmung der großen Volksmasse – und dann – fuhr er fort – lassen Sie uns einmal den Blick auf uns selbst, auf die Lilien wenden, die nicht arbeiten. Sind wir wirklich so glücklich mit unsern alten Auszeichnungen und gesellschaftlichen Absonderungen, daß wir zittern sollten, wenn selbst die wildesten Phantasien der Radikalen verwirklicht würden? Ich für meinen Theil glaube, es geht uns wie den privilegirten Theater-Unternehmern: wir machen einen großen Aufwand, entfalten vielen Glanz, sind reich an Garderobe und Dekorationen, aber innerlich sind wir wurmstichig und das Monopol hat uns zu Grunde gerichtet. Wer von uns fand je ein geeignetes Feld für seine Talente? Wo ist unser moralischer Zweck, unser nützlicher Ehrgeiz? Sind wir nicht durch die Verhältnisse, welche uns einzwängen, zu einem unbefriedigten, krankhaften Leben, zu entnervenden Beschäftigungen, zu entwürdigenden Kleinlichkeiten verurtheilt? Antworten Sie mir darauf, Saltream. Sie sind, mehr als einer, in aristokratischen Auszeichnungen bevorzugt; alles, was das jetzige System Ihnen geben kann, gehört Ihnen – unermeßlicher Reichthum, hohe Stellung, Genie, Witz, Gelehrsamkeit, politischer Ruf, das Vermögen, Alles um sich zu vereinigen, wonach die Menschen am meisten streben. Aber sind Sie glücklich? Ist nicht Sättigung die unvermeidliche Folge einer solchen indolenten Fähigkeit des Genießens? Würde eine Veränderung, selbst in Ihrem glänzenden Geschick so schrecklich seyn? Sind Sie überzeugt, daß ein bescheideneres Loos Ihnen weniger Freude gewähren wird?

Lord Saltream schien von diesen Fragen betroffen; er durchschaute auf der Stelle die Folgerungen, welche man aus seiner Antwort ziehen könne und schwieg einige Augenblicke. Endlich sagte er:

– Bei mir, Godolphin, ist es ein anderer Fall. Mein Körper ist schwächlich. Wenn ich unglücklich bin, so liegt die Schuld an physischen, nicht an moralischen Verhältnissen.

– Aber muß, wenn die Mehrheit von uns dieselbe Antwort gäbe, der moralische Zustand welcher so viele Beweise von Unzufriedenheit, selbst aus physischen Ursachen, an den Tag legt, nicht einigen Verdacht erregen?

– Man wirft mir vor – sagte Saltream leise vor sich hin, ohne auf die letzte Frage zu hören – ich hätte kein Herz. Allerdings sind mir glühende Affekte fremd, aber ich bin auch frühzeitig an Körper und Geist verdorben und abgestumpft worden. Godolphin hat Recht, ich besitze Gelehrsamkeit, Reichthum, Rang; aber dasselbe hat auch Lord Londonberry; und jedes Weib schwört mir für zehn tausend Pfund, daß es mich liebt. Kein Herz! Gut, aber wer hat denn das? Die Welt ist kein lebendes Wesen, es ist ein Uhrwerk, das nicht durch das Strömen des Blutes, sondern durch Mechanismus in Bewegung gehalten wird. Soll ich Godolphin zu Tische einladen und den Weisen mit ihm spielen? Nein, ich will nach Hause gehn und denken. Denken? Ja. – Darauf schien er sich plötzlich zu erinnern, daß Godolphin vor ihm stehe, und er sagte laut: – Wie ist mir denn, ich glaube, Sie sind verheirathet, Godolphin! Richtig. Was rathen Sie mir? Ich denke auch ernstlich daran.

– Sie haben Recht, heirathen Sie.

– Und warum?

– Weil Sie einen Wecker brauchen; ein Amt, das ein Weib gut versteht.

– Adieu, Godolphin. Apropos, ich hoffe, Sie werden doch gegen die Radikalen unterzeichnen?

Godolphin sah ruhig dem sonderbaren, zerstreuten Earl nach. – Ja – dachte er – das Wesen dieses Mannes mahnt uns stärker, als Radclyffes erhabenste Beweisgründe, daß wir das Leben unter eine strenge Kontrolle stellen sollten.

Dem Eindruck, welchen dieses kurze Gespräch auf Godolphin gemacht hatte, folgte am Abend ein noch trüberer. Saville war gefährlich erkrankt und man hatte Godolphin rufen lassen. Er fand den alten Epikuräer am Rande des Grabes, aber in vollem Besitz seiner Geisteskräfte. Das Sterbezimmer war ein Bild seines Lebens: außer Godolphin war kein einziger Freund zugegen. Saville hatte vielleicht ein Dutzend natürlicher Kinder – wo waren sie? Er hatte sie ihrem Geschicke überlassen. Er wußte nichts von ihrem Leben, sie nichts von seinem Tode. In seiner einsamen Selbstsucht sollte er jetzt die kleinliche Seele eines Mannes von gutem Ton aushauchen. Doch muß man Saville die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß, wenn es ihm an der Theilnahme und der Pflege fehlte, welche die Bande der Natur uns verschaffen, er auch ganz und gar nicht nach derselben verlangte. Er wimmerte nicht über sein Hinscheiden: der Champagner war bis auf den letzten Tropfen ausgeleert, und der Tod warf nur, wie ein ächter, fröhlicher Geselle, das leere Glas entzwei.

– Ja, mein Freund – sagte Saville matt, drückte aber noch mit seinen schwachen Fingern Godolphins Hand – das Spiel ist aus, die Lichter erlöschen, und sogleich wird der letzte Gast Abschied nehmen und alles dunkel werden. – Der Arzt näherte sich dem Bette mit einem stärkenden Tranke. Der Sterbende heftete, ehe er ihn nahm, seine Augen auf den Arzt, und so gläsern der Blick schon war, so lag doch immer noch etwas von seiner ehemaligen forschenden Schärfe darin.

– Seien Sie aufrichtig, lieber Herr und sagen Sie mir, wie viele Stunden Sie noch diesen Athem zurückhalten können?

Der Doktor sah Godolphin an.

– Ich verstehe – fuhr Saville fort – Sie wollen nicht heraus damit. Ohne Umstände, lieber Mann, und denken Sie besser von meinen Nerven. Ein Gentleman ist auf alles gefaßt. Nur einen Roturier kann der Tod, oder sonst etwas, überraschen. Wie viele Stunden also habe ich noch zu leben?

– Ich fürchte, nicht viele mehr, vielleicht noch bis zu Tages Anbruch.

– Mein Tag – sagte Saville so trocken, als es sein Keuchen ihm erlaubte – bricht erst um zwölf Uhr an. Gut, gut. Geben Sie mir den Trank. Ich will nicht schlafen, und mich um keine Minute betrügen lassen. So, so! Mir ist schon besser. Adieu, Doktor. Wo ist mein Hund? Er soll zu mir herauf kommen. Komm hier, komm hier, du armer, armer Schelm! Lieg still! Und nun, Godolphin, ein Paar Worte zum Abschiede. Ich habe Dich immer sehr gern gehabt. Du warst mein Zögling und bist gut angeschlagen. Du hast Dich nicht von den gemeinen, bürgerlichen Leidenschaften nach Stellen, Macht und Ehren hinreißen lassen. Du hast Macht über die Macht selbst gehabt; Du hast kein Amt. aber Du hast die Mode. Du hast die größte Partie in England gemacht, denn es war sehr gescheut, Konstanze Vernon nicht zu heirathen, aber noch gescheuter, Lady Erpingham zur Frau zu nehmen. Du selbst an der Spitze der Gesellschaft, Du hast einen vortrefflichen Geschmack und gibst Dein Geld anständig aus. Das Alles muß Dein Gewissen sehr beruhigen und das ist ein wundervoller Trost! Halt Dir immer das Gewissen rein, denn es ist eine Wohltat auf dem Sterbebette, wie es auch in dieser Stunde eine große Wohltat für mich ist. Und ich habe meine Rolle honorig gespielt – wie? Ich habe das Leben genossen, so sehr ein so einfältiges Ding zu genießen ist; ich habe geliebt, gespielt, getrunken, aber ich habe nie meinen Karakter als Gentleman auf das Spiel gesetzt. Dem Himmel sey Dank, ich habe mir keine Vorwürfe deshalb zu machen! Folge meinem Beispiele und Du wirst einen ebenso leichten Tod haben. Ich habe Dir meine Korrespondenz und mein Tagebuch hinterlassen: wenn Du willst, kannst Du es drucken lassen, wo nicht, es verbrennen. Es ist voll unterhaltender Anekdoten, aber Du weißt, ich mache mir nichts aus Ruhm, besonders nach dem Tode. Wie gesagt, Du kannst nach Gutdünken mit meinem literarischen Nachlaß verfahren. Sorge für meinen Hund, es ist ein artiges Geschöpf, und laß mich still beerdigen. Keine Geschmacklosigkeit – kein Prunk – keine Grabinschrift.

Ich bin froh, daß ich vor der verdammten Revolution sterbe, die uns bevorsteht. Ich mag nicht in Gefahr kommen, mit dem ersten besten plebejischen Deputirten trinken zu müssen. Du denkst anders und ich habe nichts dagegen: Toleranz ist der Denkspruch eines Gentlemans. Ich bin der Typus eines Systems: ich sterbe vor dem System; mein Tod ist der Verkünder seines Sturzes.

Nach dieser abgebrochenen Erklärung wendete Saville den Kopf ab: sein Atem wurde schwerer, und er sank in den Schlummer, den er hatte von sich weisen wollen. Das dauerte ungefähr eine Stunde, dann starb er; ohne Kampf glitt er, wie ein Kind, aus dem Schlaf in den Tod hinüber. Sic transit gloria mundi!

Als Godolphin zum Erstenmale die Augen von dem Todten abwendete, fielen sie auf Fanny Millinger, welche in den letzten Tagen viel bei Saville gewesen war, da ihr Geheimnis ihn unterhielt und sie gutmüthig genug war, sich dazu herzugeben. Man hatte auch sie bei der plötzlichen Verschlimmerung Savilles rufen lassen, aber sie hatte zu spielen und konnte erst kommen, als alles schon vorüber war. Schweigend und erschüttert stand sie, Godolphin gegenüber, neben dem Bette. Sie hatte sich nicht einmal Zeit genommen, ihr Theaterkostüm abzulegen, und der falsche Flitter schimmerte vor den Augen ihres ehemaligen sich unmuthig abwendenden Liebhabers. Welche Mahnung an das bis jetzt verbrachte Leben! Welche Satire auf dessen nichtiges Wesen!

Nach einigen Augenblicken kam sie zu Godolphin in das verlassene Wohnzimmer herunter. Sie ergriff seine Hand und Thränen – denn sie weinte leicht – strömten über die Wangen und wuschen die dicke Schminke ab, die nur kaum die Runzeln verbarg, welche die Zeit seit Kurzem in dies Gesicht gegraben, das Godolphin einst so weich und schön gekannt hatte.

– Der arme Saville! – sagte sie schluchzend. – Er ist ohne Schmerzen geschieden. Ach, er hatte das beste Gemüth von der Welt.

Godolphin saß am Schreibtische des Verstorbenen und stützte seine Stirn auf die Hand, welche die Schauspielerin ihm freigelassen hatte.

– Fanny – sagte er nach einer Pause bitter – die Welt ist in der That nur eine Bühne. Sie hat einen vollendeten Schauspieler, obgleich nur für kleine Rollen, verloren.

Die Bemerkung war, obwohl es so schien, nicht unfreundlich gemeint, denn auch er hatte Thränen in den Augen.

– Ach – sagte sie – das Theater hat uns in der That in unserer Jugend manches gelehrt, was die wirkliche Welt uns nicht besser hätte lehren können.

– Das Leben – bemerkte Godolphin etwas später – unterscheidet sich nur dadurch von dem Schauspiel, daß es keinen Plan hat: es ist alles unbestimmt, flüchtig, unzusammenhängend – und der Vorhang fällt, ehe das Geheimnis enthüllt ist.

Das waren die letzten Worte, die Godolphin mit der Schauspielerin gewechselt hat.


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