Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Zwölftes Kapitel.

Konstanzens Leben. – Ihr Gefühl für Godolphin. – Ereignisse. – Canning. – Katholische Frage.

Während Godolphin auf solche Art, abwechselnd mit feinerer, aristokratischer Verschwendung sein Leben verbrachte, wurde Konstanze immer mächtiger und der Mittelpunkt und die Seele einer großen politischen Partei. Wenige Frauen in England haben sich je mit größerer Thätigkeit und Geschicklichkeit in die Politik gemischt, als Lady Erpingham. Ihre Freunde waren allerdings nicht im Amte, aber sie sah die Zeit schnell herankommen, wo ihre Meinungen zur Herrschaft gelangen mußten. Sie fing an, das Intrigiren des politischen Ehrgeizes um seiner selbst willen zu lieben; sie wußte, daß sie nichts weiter werden konnte, daß ihr Geschlecht ihr weiter nichts erlaubte; trotzdem hörte sie nicht auf zu arbeiten und zu wirken. Das Verhängnis ihres Vaters trieb sie noch immer an; der Schwur an seinem Sterbebette erschien ihr noch immer wie eine feierliche Mahnung; und die Demüthigungen, welche sie in ihrer frühern Lage empfunden, und die Huldigungen, welche ihr später zu Theil wurden, nährten die Entrüstung ihres stolzen Geistes über die Anmaßungen der großen Welt und ihre Verachtung gegen deren knechtischen Sinn. Das Modesystem, welches sie hauptsächlich eingeführt und das nach ihrer Ansicht einen von Rang und Reichthum unabhängigen Maßstab aufstellen sollte, war durch die Natur seiner Anhänger zu einer gemeinen Frechheit entwürdigt worden, die noch schlimmer war, als die stumpfe Einfalt, welche es ersetzen sollte. Doch tröstete sie noch der Gedanke, daß durch dieses System der Weg zu bessern Veränderungen führte. Die Götzen des Ranges und des Reichthums waren zerbrochen, und sie glaubte, daß über kurz oder lang ein reinerer Dienst eingeführt werden würde. Gewiß waren auch unter dem alten Französischen Regime Frauen genug, die gleich ihr dachten, gewiß aber keine, die wie sie handelte, mit Entschlossenheit und das Ziel immer vor Augen. Welch herrliches, warnendes Bild finden wir in den unterhaltenden Memoiren des Grafen Segur! Wie bewundernswürdig schildert dies angenehme Geschwätz den geistigen Zustand des Französischen Adels! »Er macht sich über die alten Sitten lustig, ist entzückt von Voltaires Philosophie, spielt den Liberalen aus Mode, hüpft munter über Blumen hin, welche seinen Blicken den Abgrund verbergen!« In England gibt es weniger Blumen und der Abgrund wird deshalb weniger furchtbar seyn.

Die getäuschten Hoffnungen nach der Verbindung mit Godolphin, der verachtungsvolle Groll, den sie gegen die Vergnügungen hegte, welche ihn von ihr abzogen, verstärkten noch ihren Widerwillen gegen die Gewohnheiten der Aristokratie und die Thätigkeit ihrer politischen Intrigen. Ihr Geist wurde immer männlicher, ihr dunkles Auge glühte mit einem düsteren Feuer, ihr schöner Mund wurde immer karger mit seinem Lächeln, und die Würde, welche immer auf ihrem Wesen ruhte, wurde herber und gebietender.

Diese Veränderung konnte aber nicht dazu dienen, ihr Godolphin näher zu bringen. Er, der gegen Kälte so empfindlich, so anspruchsvoll war, glaubte, sie liebe ihn nicht mehr, sie bereue die Verbindung, die sie mit ihm eingegangen war. Sein Stolz wendete ihn immer mehr von ihr ab, und er suchte nur desto eifriger die Orte auf, wo alles dem geliebten, bewunderten, glänzenden Godolphin entgegenlachte.

Noch ein anderer Punkt schürte die scharfe, bittere Stimmung an. Er hatte zum Ankauf einiger berühmten Kunstgegenstände eine bedeutende Summe Geldes erheben wollen, wozu jedoch Lady Erpinghams Einwilligung nothwendig war. Als er dies bei ihr in Anregung brachte, weigerte sie sich zwar nicht, aber sie schwankte doch. Sie schien verlegen, und wie es schien, mißvergnügt. Seine Empfindlichkeit gerieth sogleich in Aufruhr und er berührte die Sache nicht mehr, blieb ihr jedoch innerlich bös wegen ihrer Zurückhaltung. Nichts vergißt der Stolz so schwer, als eine kalte Aufnahme in Geldangelegenheiten. Godolphin hat jedoch später entdeckt, daß er in diesem Falle Konstanze Unrecht gethan hatte.

Bei all dem fühlten Beide mit der Zeit wieder eine Sehnsucht nach einander, und wären sie allein auf einer Insel gewesen, hätten sie Muße und Gelegenheit zu einem offenen Austausch ihrer Gedanken und Gesinnungen gefunden, so würden sie mit Erstaunen erkannt haben, wie sehr sie sich gegenseitig noch liebten, und ihre Neigung würde stärker geworden seyn, als sie je war. Aber wenn in dem bewegten Leben ein Ehepaar einmal eine scheinbare Gleichgültigkeit hat einschleichen lassen, so ist der Stein des Anstoßes schwer wegzuräumen, um so mehr, wenn die Frau so stolz wie Konstanze, der Mann so anspruchsvoll, wie Godolphin ist! Allein da beide ein vortreffliches Temperament hatten und sich daher nie zankten, so lag die Gleichgültigkeit mehr auf der Oberfläche und drang nicht ein. Vor den Augen der Welt waren sie ein einander sehr zugethanes Paar, und ihre Ehe wäre von Rochefoucauld unter die sehr glücklichen gezählt worden.

Währenddes machte, wie Konstanze vorhergesagt hatte, das Land immer neue Fortschritte in der liberalen Meinung. Canning kam jetzt an das Ruder, und die katholische Frage war in Jedermanns Munde. Diese Maßregel bewies – indem die Ansprüche einiger Pairs und Gentlemans, in das Parlament und zu Stellen zu kommen, nicht Aufsehen erregten, als das anwachsende Elend des Volkes und die Übel der Armengesetze – wie wesentlich aristokratisch der Geist der obern Klassen war; und obgleich sie, an und für sich betrachtet, von keiner Bedeutung für das Wohl eines großen Volkes war, so brachte sie doch der Verfolgungssucht um einer Meinung willen den ersten schweren Schlag bei, und in diesem Lichte betrachtete sie auch Konstanze. Hätte den Gesetzgebern nur das Wohl des Volkes am Herzen gelegen, so würde ohne Zweifel eine tüchtige Reform der Criminalgesetze ihre Aufmerksamkeit mehr in Anspruch genommen haben, als das Recht der Katholiken, im Parlament zu sitzen; aber das eine war für die Großen, das andere für die Niedrigen, und die Aristokratie eröffnet immer durch Streitigkeiten unter sich dem Volke die erste Bresche.

Es war glänzende Gesellschaft in Erpingenhaus und die Häupter der Partei waren zugegen, doch auch unter ihnen herrschte Spaltung und einige waren insgeheim für Anschließung an die Verwaltung Cannings, andere hatten es bereits offen gethan und noch andere verharrten in trotziger, eifersüchtiger Opposition. Das Herz Konstanzens war für die Letzteren.

– Bei alle dem, Lady Erpingham – sagte Lord Paul Plympton – ein junger Pair, der eine einfältige Geschichte geschrieben hatte, und dem man daher viel Glück im parlamentarischen Leben verkündete, bei alle dem glaubte ich doch, daß Sie zu streng gegen Canning sind; er hat gewiß sehr liberale Ansichten.

– Hat er je ein Gesetz zum Besten der arbeitenden Klassen durchgehen lassen? Nein, Lord Paul, sein Whiggismus ist den Pairs und sein Torysmus dem Volk zugewendet. Er vertheidigt mit demselben Eifer die katholische Frage und das Blutbad von Manchester.

– Aber Sie müssen doch einen Unterschied zwischen dem rechten Liberalismus, welcher für Bildung und Besitz sorgt, und dem gefährlichen machen, welcher der unwissenden Menge den Zügel schießen läßt.

– Den Ersten hat der Whig – sagte Radclyffe ernst – den anderen der Reformer; nicht wahr? Der Whig denkt an die Besitzenden eines Landes, der Reformer an das Volk, wie?

– Ja! Ich glaube, die Definition ist so übel nicht – antwortete Lord Paul mit wichtiger Miene.

– Wahre Politiker – sagte Herr Benson, ein einflußreiches Mitglied des Unterhauses – müssen sich nach den Umständen richten. Canning ist vielleicht nicht ganz, was wir wünschen, aber er muß doch unterstützt werden. Ich gestehe, daß ich großmüthig seyn werde. Ich kümmere mich nicht um Macht und Stellen, aber Canning ist von Feinden umgeben, welche auch Feinde des Volkes sind, und aus dem Zwecke werde ich ihn unterstützen.

– Brav, Benson! – rief Lord Paul.

– Brav, Benson – wiederholten einige Andere, die nur auf eine Gelegenheit gewartet hatten, um sich auch zu erklären – das heißt schön gehandelt!

– Herrlich!

– Wie ein Mann!

– Bei Gott, die Uneigennützigkeit selbst.

In demselben Augenblick trat der Herzog von Aspindale in den Saal. – Ach, Lady Erpingham, Sie hätten diesen Abend sollen im Oberhause seyn. Wir haben eine Rede gehabt! Canning ist zerschmettert, nieder auf immer!

– Eine Rede? Von wem?

– Von Lord Grey. Es war schrecklich, die Rache eines Lebens zusammengedrängt in eine einzige Stunde: das Ministerium ist erschüttert.

– Hm! – sagte Benson aufstehend – ich muß doch einmal zu Brooke gehen und mich näher erkundigen.

– Ich gehe mit – sagte Lord Paul.

Ein paar Tage später legte Herr Benson eine Petition vor; und spielte dabei in den lebendsten Ausdrücken auf die meisterhafte Rede an, welche ein edler Earl gehalten habe und Lord Paul Plympton sagte: sie sey in der That unvergleichlich.

– Das nenne ich schön gehandelt!

– Herrlich!

– Wie ein Mann!

– Bei Gott, wie die Uneigennützigkeit selbst.

Und Canning starb; sein kühner Geist verließ das in eine Menge kleiner Parteien zertheilte, politische Schlachtfeld. Seit seinem Tode haben die beiden großen Parteien, in welche die Bewerber der Macht getheilt waren, nie wieder ihre frühere Stärke erlangt. Die Schranke, welche seine Politik zu entfernen gesucht hatte, wurde durch seinen Nachfolger, den Herzog von Wellington, noch mehr erschüttert, und hätte nicht die Reformfrage wieder die vereinzelten, zerstreuten Kämpfer auf beiden Seiten um Ein bestimmtes Pannier gesammelt, so würden Whigs und Torys, bei den vielen kleinlichen Zersplitterungen und abweichenden Schattirungen, vielleicht für immer die beiden unterscheidenden Hauptfarben ihrer von einander getrennten Parteien verloren haben.

Canning starb, und mit verdoppelten Kräften wurde jetzt das Rad der politischen Intrigen geschwungen. Der schnelle Wechsel, die kurzen Ministerien, die Muße eines langen Friedens, die Last der Schuld, die Schriften der Philosophen, der Mangel eines großen Geistes unter dem Torys, alles dies brachte schnell, obwohl unmerklich, die Volksstimmung auf, welche, einmal allgemein erweckt, nicht mehr zu beseitigen ist.


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