Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Siebenzehntes Kapitel.

Freude und Verzweiflung.

Es war gegen Abend, als Lucilla vor der Thür erschien, welche zu Godolphins Zimmern führte, und einige Augenblicke davor stehen blieb. Endlich faßte sie Muth. Der Diener, welcher sie einließ, war erstaunt, und außer sich vor Freude, als er Lucilla sah, denn sie war der Abgott Aller, die sie kannten, nur dessen nicht, nach dessen Liebe allein sie strebte.

Sein Herr, sagte er, sey nur auf eine kurze Zeit ausgegangen, aber Tags darauf hätten sie nach Hause reisen wollen. – Lucilla erröthete vor Freude, als sie hörte, daß ihr Brief eine so unerwartet schnelle Wirkung hervorgebracht hatte. Sie ging weiter in Godolphins Zimmer. Man sah die Spuren einer bevorstehenden Abreise; sie setzte sich, und wartete, bange und zitternd, auf ihren Geliebten. Ihre Dienerin, die sie begleitet hatte, und mehr an irdische Bedürfnisse dachte, als an Liebe, verließ sie. Sie konnte nicht lange ruhen; sie ging an der langen, spärlich meublirten Stube, wie man sie in Italien findet, in erwartender Bewegung auf und ab. Zuletzt fiel ihr Blick auf einen offenen Brief, der in einer Ecke des Schreibtisches lag. Sie sah zerstreut darauf hin; plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch einige Worte gefesselt; waren diese Worte, diese Worte der Leidenschaft, an sie gerichtet? Wenn nicht, o Gott, an wen sonst? Sie gab, wie immer, dem Impulse des Augenblicks nach, und las Folgendes:

»Konstanze! Welche Erinnerungen stürmen auf mich ein, indem ich dieses Wort schreibe! Wie viele Jahre ist dieses Wort meinem Herzen ein Talisman gewesen, der nach Willkühr es gelenkt, bewegt hat! Sie sind das erste Weib, das ich wahrhaft geliebt habe. Sie verwarfen mich, und doch konnte ich Sie nicht hassen. Sie wurden das Eigenthum eines Andern, aber meine Liebe wich nicht von Ihnen. Ihre Hand schrieb nach der Zeit unsers Zusammentreffens die Geschichte meines Lebens; meine Gedanken, meine Handlungen, Alles wurde durch Ihren Einfluß bestimmt. Und jetzt, Konstanze, sind Sie frei, und ich liebe Sie heißer, als je! Und Sie, ja Sie würden jetzt mich nicht zurückstoßen. Sie sind weiser geworden, und haben den Werth meines Herzens kennen gelernt. Und doch wird dasselbe Schicksal, das uns bisher geschieden, uns noch ferner scheiden; alle Hindernisse sind verschwunden bis auf Eines, und über das Eine sollen Sie richten.

»Als wir uns vor Jahren trennten, unterwarf ich mich nicht geduldig der brennenden Erinnerung, welche Sie mir hinterließen, ich suchte Ihr Bild zu verdrängen und durch Werben um Andere, Sie zu vergessen. Brauche ich es zu sagen, daß der Anblick Anderer das Andenken an Sie nur noch lebhafter auffrischte? Aber unter der Menge Unwürdiger war eine, die ich, hätte ich Sie früher nicht gesehen, vielleicht eben so warm geliebt haben würde, wie Sie, und in der ersten Wallung des Gefühls, in dem ersten Feuer der Ereignisse glaubte ich, ich liebte sie wirklich so. Sie war eine Waise, ein Kind an Jahren und Weltkenntnis, und ich war, ich bin ihr Alles. Sie ist nicht mein durch die Bande der Kirche, aber ich habe ihr eine eben so bindende, heilige Treue gelobt. Soll ich diesen Eid brechen? Soll ich dies Vertrauen betrügen? Soll ich ein Herz zerreißen, das immer mein gewesen ist, inniger mein, als Ihr an tausend Gaben und Hülfsmitteln so reiches Herz je war, oder je seyn kann? Soll ich, der ich geschworen, sie zu beschützen, ich, der ich ihr bereits Ruf und Freunde geraubt habe, ihr noch den Vater, Bruder, Geliebten, Gatten, die Welt selbst – denn bin ich ihr nicht das Alles? – rauben? Nie! Nie! Ich werde elend seyn für das Leben; ich werde wissen, daß Sie frei sind, daß Sie, o Konstanze, Sie mein seyn könnten! Aber sie soll niemals ahnen, was sie mich gekostet hat! Ich bin schon zu kalt, zu undankbar gegen sie gewesen – ich will es gut machen. Mein Herz wird vielleicht in dem Bestreben brechen, aber es soll ihr vergelten. Sie, Konstanze, können in dem Stolze Ihrer hohen Stellung, Ihres kräftigen Geistes, Ihrer geregelten Tugend, (welche durch die hundert Schranken der Sitte eingehegt ist) Sie können vielleicht nicht begreifen, wie rein, wie hingebend die Seele dieses armen Mädchens ist. Ich kann sie nicht mit Schätzen überhäufen, und dann sie verlassen; – meine Liebe ist der einzige Schatz, den sie kennt. Die Erde hat keinen Trost oder Ersatz für den Verlust meiner Neigung; und selbst an den Himmel denkt sie nicht, außer als an den Ort, wo wir auf ewig verbunden seyn würden. Ich weiß, daß sie jetzt fern von hier, einsam da sitze, und nur an ihn denkt, dessen Seele von Liebe zu einer andern bestürmt wird. Meine Briefe, ihr einziges Glück, sind in der letzten Zeit selten und kalt geworden; ich weiß, daß sie ihr Herz zerfleischt haben: ich denke mir ihre Einsamkeit, ihre Trauer, ihre verlassene Jugend, ihren feurigen Geist, der, nicht durch Bildung bereichert, nur in Einem Gedanken lebt und webt. Ehe Sie dies Schreiben erhalten, werde ich auf dem Wege zu ihr seyn. Nie mehr will ich mich der Versuchung aussetzen, die ich bestanden habe. Ich bin nicht eitel, ich täusche mich nicht; ich glaube nicht, ich spotte Ihrer nicht durch den Glauben, als würden Sie lang oder bitterlich meinen Verlust empfinden. Ich habe Sie mehr geliebt, als Sie mich, und Sie haben unzählige Kanäle für Ihre glänzenden Hoffnungen, Ihren weitstrebenden Ehrgeiz. Sie lieben die Welt und die Welt ist zu Ihren Füßen! Wenn Sie sich meiner erinnern, werden Sie vielleicht denken, Sie hätten Grund zu zürnen. Warum drängte ich mich zu Ihnen, da ein Band mir doch die Hoffnung auf Sie versagte? Warum erlaube ich mir ein Wort, einen Blick, der Ihnen sagte, daß ich Sie noch liebte? Warum vor Allem, wagte ich gestern, als wir allein standen, vom Wasserstrome umgeben, mich zu vergessen, Sie an meine Brust zu reißen, und Sie einer Liebe zu versichern, die nur Hohn wäre, wenn ich sie nicht feierlich wiederholen wollte?

»Das Alles werden Sie fragen, und wenn die Antwort Ihnen nicht genügt, wird Ihr Stolz mein Andenken in Groll begraben. Auch das – aber hören Sie mich. Konstanze, als ich in meiner ersten Jugend, zur Zeit, wo das Wachs noch weich, der Baum noch zu biegen war, mein Herz und meine Zukunft zu Ihren Füßen niederlegte; als Sie auf das Gebet einer weltlichen, kalten Ehrfurcht (wählen Sie einen anderen Namen, die Sache bleibt dieselbe), mich zurück in die einsame Wüste des Lebens warfen; als Sie mich zurückwiesen, verließen – glauben Sie, obgleich ich Sie immer noch liebte, in diese Liebe habe sich ein Zorn gemischt? Wir sahen uns wieder – aber welche Jahre einer verschwendeten Existenz, getrübter Hoffnungen, abgestorbener Gefühle, waren seitdem mir vergangen! Und wer hat sie so elend gemacht? Sie! Wundern Sie sich, daß menschlicher Stolz menschliche Rache verlangte? Ja! ich sehnte auch mich nach irgend einem Triumphe – ich begehrte zu erproben, ob ich vergessen sey, ob das Herz, welches mich getroffen, verwundend selbst getroffen worden? War dies nicht natürlich? Fragen Sie sich selbst und tadeln Sie mich, wenn Sie können. Aber nach und nach, als ich immer öfter auf eine Schönheit blickte, auf eine Stimme hörte, die sanfter geworden, als sie früher war; als ich fühlte, daß Sie mir einen Ersatz nicht versagen würden – erlosch auch dieser selbstsüchtige Wunsch nach Rache, und alle Gefühle gingen in der einen, der unwiderstehlichen, unendlichen Liebe unter. Und können Sie mich tadeln, daß ich dann – ein Verräther an mir, wie an Ihnen – neben Ihnen weilte? Daß ich so lange kämpfte, ehe ich mich entschließen konnte, das Opfer zu bringen? Ach, es hat mich viel gekostet, gerecht zu seyn. Können Sie mich tadeln, daß ich während der ganzen Zeit meine Worte und Blicke nicht zu beherrschen vermochte? Ja, daß ich gestern, als ich verzweifelnd in dem Gedanken, daß wir für immer scheiden sollten, neben Ihnen stand – als kein Auge in der Nähe war, als Sie mit himmlischer Besorgnis sich an mich schmiegten – als Ihr Athem meine Wangen berührte – als mein Herz das Klopfen Ihres Herzens fühlte – als meine Hand die Hand berührte, welche mir eine Welt schenken konnte, als mein Arm Sie umschlang – oh, können Sie mich tadeln, können Sie sich wundern, daß ich außer mir gerieth, daß Vorwürfe, Gewissen, alles vergessen wurde, und daß ich nur für den Augenblick, nur für Sie fühlte, lebte! Nein, Sie werden die Schwäche der Natur erkennen und nicht mit Härte über mich richten.

»Und warum wollten Sie mir die Erinnerung dieses kurzen Augenblicks, dieser stürmischen Umarmung mißgönnen? Wie oft werde ich sie mir in das Gedächtnis zurückberufen! Wie oft werde ich, wenn ich die leichten Schritte des Wesens, zu dem ich jetzt zurückkehre, um mich höre, wie oft werde ich mich selbst betrügen und mir einbilden, es seyen die Ihren! Wenn ich ihren Athem fühle, werde ich nicht träumen, er komme von Ihren Lippen? Werde ich bei ihren Liebkosungen nicht denken, Sie flüsterten mir die Versicherung unaussprechlicher Liebe zu! Verzeihen Sie mir, Konstanze, meine ewig angebetete Konstanze, die ich nie wiedersehen werde, vergeben Sie mir diese heißen Worte, diese augenblickliche Schwäche. Leben Sie wohl! Was auch aus mir werde, Ihnen möge Gott seinen reichsten Segen verleihen!

»Noch ein Wort – ich kann diesen Brief noch nicht schließen. Sie erinnern sich, daß Sie mir einst vor Jahren eine Blume geschenkt haben. Ich habe ihre Blätter bis auf diesen Tag bewahrt: aber ich will nicht mehr meine Schwäche nähren, die Sie nur beleidigen und jetzt meiner unwürdig seyn würde. Ich werde Ihnen diese Blätter zurückschicken: sie mögen für mich sprechen, als das Andenken vergangener Tage. Ich muß abbrechen, ich kann nicht mehr; ich muß hinaus und mir Fassung suchen. Und oh! Möge sie, zu der ich morgen eile, deren argwohnloses Herz ich, durch die Versuchung gewarnt, mehr als bisher bewachen, beschützen und trösten will, möge sie nie erfahren, was es mich gekostet hat, sie nicht zu verlassen, nicht zu verrathen.«

Und jedes Wort dieses Briefes las Lucilla! Und welcher Schmerz, welche Verzweiflung, welche Hoffnungslosigkeit überfiel sie bei dem Lesen! Alles was das Leben ihr bot, ihr bieten konnte, jede Ruhe und Freude war für immer verwelkt. Als sie bis zum letzten Worte gekommen war, ließ sie stumm den Kopf sinken und es war ihr, als ob ein Fels auf ihr Herz gestürzt sey und es zu Staub zermalmt habe; hätte der Brief nur Ein unerfreuliches Wort, nur einen verletzenden Gedanken gegen sie enthalten, es wäre ein Trost, obwohl ein armseliger gewesen; aber diese grausame Zärtlichkeit, dieser bittere Edelmuth!

Und mit welchem Entzücken, mit welcher Wonne hatte sie noch eben daran gedacht, wie sie in ihres Geliebten Arme stürzen würde! Es schien unglaublich, daß nur wenig Minuten hinreichen konnten, eine ganze Existenz zu vernichten, eine ganze Zukunft, ohne einen Strahl der Hoffnung, zu verdunkeln.

Sie wurde durch den Schall von Schritten in einem andern Zimmer aufgeschreckt; nicht um die Welt hätte sie jetzt Godolphin begegnen mögen. Der Gedanke seiner Rückkehr gab ihr Kraft, sich aufzurichten. Sie steckte den verhängnisvollen Brief in die Brust, schrieb in auffallend festen Zügen ihren Namen auf ein Stück Papier und legte dies an die Stelle des Briefes. Sie glaubte mit Grund, daß dieser einfache Namen alles sagen werde, was sie selbst jetzt nicht aussprechen konnte. Dann stand sie auf, verließ das Zimmer und schlich leise und verstohlen nach der Straße.

Unbekümmert wohin sie ging, eilte sie immer weiter, die Augen auf den Boden geheftet, und das Gesicht im Mantel verbergend. Die Straßen Roms sind nicht so vollgedrängt, wie bei uns, auch herrscht in der durch so viele erhabene Gegenstände geheiligten Stadt nicht die gemeine, zwecklose Neugierde, von der das Englische Publikum heimgesucht ist. Jeder lebt in sich, nicht in seinem Nachbar; die moralische Atmosphäre Roms ist Gleichgültigkeit; Lucilla konnte daher unbeachtet forteilen, bis endlich ihre Knieen zusammenbrachen und sie erschöpft, aber immer noch allen fremd, was um sie her vorging, auf ein Bruchstück antiker Pracht hinstürzte, wie man sie in jeder Straße Roms findet. Der Platz war still und einsam, und lag im Schatten eines Pallastes, der sich dicht daneben erhob. Sie setzte sich und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Plötzlich wurde der Klang einer Guitarre laut; die Straße herauf kam ein kleiner Trupp wandernder Musiker, die dem neuen Italien noch ein poetisches Leben verleihen: die Wirklichkeit ist fort, aber der Geist weilt noch. Sie blieben vor einem kleinen Hause stehen; Lucilla sah auf, und erblickte ein junges Mädchen, das ein Licht, als wohlbekanntes Signal an das Fenster stellte, und dann entschlüpfte. Währenddes stand der Geliebte (der die Musiker begleitet hatte, und von keinem sehr hohen Range schien) unten in bloßem Haupte und in seinem aufgeschlagenen Blicke lag eine Zärtlichkeit, Liebe und Ehrfurcht, welche der armen Lucilla durch den Kontrast die Erinnerung noch bittrer machte. Die Serenade begann. Die Melodie war unaussprechlich sanft und rührend, und die Worte in jene schwimmende Melancholie getaucht, welche von der Zärtlichkeit, wenn nicht von der Leidenschaft der Liebe unzertrennlich ist. Lucilla horchte unwillkürlich hin, und der Zauber verfehlte seine Wirkung nicht. Die herbe Schale ihres Schmerzes schmolz langsam dahin, und als der Gesang zu Ende war, brach sie in Thränen aus, und schluchzte: »Glückliches, glückliches Mädchen! Sie ist geliebt!«

Und hier falle der Vorhang vor Lucilla. Oft, oft sehe ich sie vor mir auf der Straße sitzen, oft sehe ich sie – allein und mit gebrochenem Herzen – in dem Dämmerlichte Roms weinen!


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