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Godolphin wurde mit Enthusiasmus von der Londoner Welt bewillkommt. Seine Anmuth, sein Benehmen, sein Geist, sein guter Ton, und sein Glück bei den Frauen bildeten das Thema jeder Gesellschaft. Verse, die man ihm, oftmals irrthümlicher Weise, zuschrieb, gingen geheimnisvoll von Hand zu Hand, und alle beneideten die schöne Muse, welche ihn dazu begeistert hatte.
Es ist nicht meine Absicht, das ermüdende Echo der Romanschreiber zu wiederholen, welche von der Modewelle schwätzen, und dies das Leben nennen. Diese Seiten sollen durch keine Beschreibung von rosenfarbigen Vorhängen und eleganten Kabinets, durch keine Aufzählung konventioneller Abgeschmacktheiten, die man mit affektirten Kritiken durchspickt und mit dem Namen eines dramatischen Dialogs beehrt, gehoben werden. Ich habe andere und tieferere Zwecke, wenn ich mich herablasse, die Gewohnheiten und Triebfedern des aristokratischen Lebens zu umreißen. Der Leser muß sich mir ganz hingeben; er muß gefaßt seyn, mit mir durch das Heitere und das Ernste zu wandeln, und ohne Widerstand das düstere und zarte Interesse entwirren, welches ich allein diesen Memoiren ertheilen kann; wo nicht, schließe er lieber gleich dieses Buch. Ich verspreche ihm etwas Neues, aber genau erwogen, ist das Neue nicht leichtfertiger, spielender Art.
Aber mitten in diesem Schwindel der Zerstreuung, in welchem Godolphin nach dem Phantome Vergessenheit jagte, seufzte er der Zeit entgegen, die er für seine Abreise bestimmt hatte. Er hörte nichts mehr von Konstanzens jetzigem Leben, desto mehr von ihren früheren Triumphen und Eroberungen. Und fand er wohl je ein Gesicht, und war es auch noch so schön, das nur den Gedanken einer Bewunderung in ihm erwecken konnte, während das Ihrige ihm noch treu aus seiner Erinnerung entgegenblickte. Ich kenne nichts, was eine Gesellschaft mehr in eine Bildergallerie verwandelte, als die Erinnerung an eine verlorne Geliebte. Es gibt nur zwei Heilmittel dafür: Zeit und Einsamkeit. Fremde legen uns eine Neigung zur Empfindsamkeit auf; aber ach! es gibt kein Volk, das deren weniger hätte. Wir streben nur nach Vergnügen, und es gibt in unserer Sprache nicht ein einziges, populäres Werk in Prosa, das die zarteren und sehnsüchtigeren Geheimnisse des Herzens zum Hauptgegenstand hätte. Corinna und Julia ermüden uns, oder wir treiben einen armseligen Spaß mit ihnen.
Eines Abends kurz vor seiner Abreise von England hatte eine unbestimmte, schwankende Hoffnung, die Konstanzen zum Ziele hatte, Godolphin bedeutend über das übliche Ziel in einem Hause festgehalten, deren Wirthin mit Lord Erpingham verwandt war.
– Haben Sie schon gehört, sagte Lady G....., daß mein Cousin Erpingham sich verheirathet.
– Nein, rief Godolphin heftig, und mit wem?
– Mit Miß Vernon.
So unerwartet dieser Schlag kam, so verzog Godolphin doch keine Miene.
– Ist es gewiß? fragte eine andere Dame.
– O, durchaus; ich habe es eben erst von Lady Erpingham erfahren.
– Und sie ist zufrieden mit dieser Verbindung?
– Das kann ich nicht sagen, denn der Brief widerspricht sich in jeder Zeile. Bald wünscht sie sich Glück zu einer so reizenden Schwiegertochter, bald bricht sie plötzlich ab, und klagt, daß die jungen Männer oft so übereilt handelten. Bald macht sie groß Aufhebens von der Partie, die ihrem lieben Pflegekind in den Wurf kommt, bald spricht sie von dem Glück, das Erpingham macht. Kurz, sie weiß nicht, ob sie sich freuen oder grämen soll, und, die Wahrheit zu sagen, es geht mir nicht besser.
– Man muß gestehen, sagte die erste Dame, Miß Vernon hat ihre Karten gut gemischt. Lord Erpingham wäre mit seiner Persönlichkeit und seinem Rufe schon an und für sich eine gute Partie gewesen. Sie war immer ein ehrgeiziges Mädchen.
– Und stolz, sagte Lady A..... Es kann nicht fehlen, daß Erpingham's Haus jetzt der Sammelplatz aller Schriftstellerinnen, Witzlinge und Gelehrten seyn wird. Miß Vernon, höre ich, ist eine zweite Aspasia.
– Ich hasse Mädchen, die so arglistig sind, sagte die andere Dame, die nur eine einzige, häßliche Tochter hatte, welche, in ihrem fünf und dreißigsten Jahre, eben den ersten ihr gemachten Antrag annehmen und sich mit einem jüngern Sohne, einem Gardeoffizier, vermählen sollte, auch halte ich sie für etwas gemein, und zweifle, ob ich sie – patrinisiren werde.
– Was denken denn Sie davon, Herr Godolphin? Sie kennen ja Miß Vernon.
Godolphin war fort.
Zehn Tage nach diesem Gespräch wartete Godolphin in einem Hotel zu Dover auf die Stunde, wo das Paketboot nach Calais abgeht; er nahm die Morning-Post in die Hand, und die erste Stelle, welche ihm in die Augen fiel, war folgende:
»Heirath in der vornehmen Welt. – Am vergangenen Donnerstag wurde in Wendover-Castle der Earl von Erpingham mit Konstanze, einzigen Tochter des gefeierten Herrn Vernon, verbunden. Der Anzug der Braut bestand und so weiter,« und darauf folgte das abgedroschene, flitternde Wortgepränge, das klingende Nichts, mit welchem Damen, die Gräfinnen werden, in den Ehestand geläutet werden.
– Der Traum ist vorüber, sagte Godolphin schmerzlich, indem er das Journal fallen ließ, bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, und blieb so bewegungslos, bis man ihm meldete, daß es Zeit war, abzufahren.
Und so verließ Percy Godolphin zum zweitenmale die heimathlichen Gestade. Welche Veränderung haben, wenn wir ihn wieder finden, die jetzt in ihm geweckten Gefühle in seinem Karakter hervorgebracht? Die Tropfen, welche in seiner Höhle herabfallen, versteinern, aber zu einer glänzenden Härte. Nichts ist glatter, nichts kälter, als die Weisheit, welche das Werk ehemaliger Thränen, ehemaliger Leidenschaften ist, und sich in einem grübelnden, abgeschiedenen Geiste bildet.