Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Vier und Zwanzigstes Kapitel.

Das besondere Verhältnis der Frauen in den höhern Ständen. – Das Ehestandsleben Konstanzens.

Wer erinnert sich nicht der Zeit, als das erwähnte Institut zuerst aufkam? Wer erinnert sich der Leiden nicht, die es in seiner Kindheit zu bestehen hatte? Aber es wuchs bald aus ihnen heraus, und in einem Jahre riß man sich mehr um dasselbe, als je seitdem, gewiß wenigstens mehr, als jetzt.

Ich hasse gemeine Skandale. Ich schreibe nicht gegen diese oder jene Dame; ich nenne daher keine der Patronessen, sage auch nicht, ob Konstanze eine derselben war. Vielleicht lag es in dem Karakter unseres weiblichen Castruccio, daß, wenn sie auch die Gewalt einer Patroneß bekleidete, sie das Gehässige zu vermeiden gewußt hat.

Indessen nahm mit jedem Monate, mit jedem Tage der Einfluß der jungen Gräfin zu. Ihr Haus kam, durch den politischen Karakter, den sie ihm gab, in einen wichtigeren und haltbareren Ruf wegen seiner Fröhlichkeiten, als wenn man bloß deren Eleganz und Schönheit gepriesen hätte. In ihren Salons wurden die Maßregeln ihrer Partei besprochen; in ihrem Boudoir, flüsterte man, wurden sie angeordnet. Diese von der Kirche gehaßte, von dem mächtigeren Theile der Aristokratie gefürchtete, und damals vom Volke mit Mißtrauen betrachtete und deshalb verachtete Partei wurde trotzdem durch ihre kluge Gewandtheit aufrecht erhalten und durch ihre geheime Macht verstärkt. Selbst jenes neue Institut, das scheinbar nur für junge Herren und Damen bestimmt war, die bloß Butterschnitten und Quadrillen verlangen, wurde zum Organ politischen Einflusses gemacht. Man gab ihm eine liberale Färbung und verweigerte nur selten Liberalen den Zutritt, so daß es nun Tag zu Tag mehr in Mode kam, liberal zu seyn. Das sind Thatsachen, und zwar von einer Art, welche das Schicksal einer Nation bestimmen, und doch übersieht sie die Geschichte. Arme Geschichte! Sie wähnt, die volle Wahrheit darzustellen, und greift nur nach den grellen Schatten.

Konstanze, Gräfin von Erpingham, war jung, reich, reizend wie ein Traum, verehrt wie eine Göttin. Aber war sie glücklich, war ihr Herz voll von den Nichtigkeiten, welche sie umgaben?

Tief in ihrer Brust schlummerte ein verhängnisvolles Bild, das sie nicht zu bannen vermochte. Zu allen Stunden und zu allen Zeiten stieg mit klagender, vorwurfsvoller Miene die Gestalt Godolphin's vor ihr auf. Kein anderes menschliches Wesen konnte den Reiz seiner Gegenwart ersetzen. Seine edlen, beredten Züge, die von Geist und Leidenschaft prangten, seine süße, tiefe Stimme, seine an Gemüth und Phantasie so reiche Unterhaltung, und die Zartheit, mit welcher er jedes an sie gerichtete Gefühl zu schmücken wußte (die feinste, anziehendste Schmeichelei für jedes empfindende, gebildete Weib), drängten sich ihr immer und immer wieder von neuem auf, und machten alles, was sie um sich sah, fade, langweilig, albern. Aber diese tiefgewurzelte Schwäche war nicht die einzige Schlange in den Rosen ihres Geschickes.

Ich muß hier den Leser um größere Aufmerksamkeit bitten. Das Schicksal der Frauen ist in den feinen Zirkeln der Gesellschaft höchst unnatürlich und unglücklich. Der Landmann und sein Weib stehen auf gleicher Höhe, selbst in Hinsicht des Ehrgeizes: dem einen steht keine Laufbahn offen, die dem andern verschlossen wäre; hier herrscht volle Gleichheit der Mühe und der Arbeit. Ist dies bei den Frauen des hohen Klassen der Fall? Bei den Frauen des Advokaten, des Pairs? Dort haben die Männer ihre Beschäftigungen, die Frauen aber (sie müßten denn, wie die arme Fanny, sich mit Arbeitsbeuteln und Papageien beschäftigen), keine. Sie gehen müßig. Sie beschäftigen die Phantasie und das Herz. Sie verlieben sich und sind unglücklich, oder sie bleiben tugendhaft und werden entweder erschöpft durch die ewige Eintönigkeit, oder verschleudern Geist, Gemüth und Karakter in den winzigsten Nichtigkeiten, die durch ihre einzige Zuflucht gegen Verstockung sind. Ja, es ist ein sonderbarer Fluch für das weibliche Geschlecht, den die Männer nicht berücksichtigen. Einmal verheirathet, haben die Höherstrebenden kein rechtes Ziel mehr für den Ehrgeiz: der Ehrgeiz zehrt an ihrer Ruhe, da er sich an nichts Anderm nähren kann.

Dies war Konstanzens Hauptunglück. Ihr erhabener, rastloser, anstrebender Geist lechzte nach einem Wirkungsfelde, und sie fand nur Boudoirs und Ballsäle. Eine Hoffnung blieb ihr allerdings, und diese Hoffnung war die Quelle ihrer Ränke und Intriguen, ihrer Theilnahme an scheinbarem Tande, der Richtung ihrer Energie auf scheinbare Frivolitäten. Diese Hoffnung – dieses Ziel war, die übermüthige Gewalt des Standes zu verringern und zu beugen, zu dem sie selbst gehörte, in den sie nur getreten war, um ihn zu demüthigen, und den sie, da sie seine geheimsten Triebfedern erforscht hatte, mehr als je wegen seiner Seichtigkeit verwünschte, wegen seiner Einbildung verachtete, wegen des finstern, zerstörenden Einflusses verabscheute, den er, wie sie (vielleicht irrthümlich) glaubte, auf die andern Klassen der Gesellschaft ausübte. Aber diese Hoffnung war nur eine ferne, frostige Aussicht. Sie war zu verständig, um an eine zu frühe und wirksame Verbesserung in unserm gesellschaftlichem Zustande zu denken und zu reich begabt, um die Sklavin Einer Idee zu werden. Mit jedem Tage überkam sie mehr der Fluch der Großen – der Überdruß. Die großen Kräfte in ihr verstockten, ihr scharfer Verstand rostete in der Scheide.

– Wie geht es zu, sagte sie zu der schönen Gräfin C....., daß Sie immer so munter und voll Leben scheinen, daß Sie bei all Ihrem zarten Gefühle nie um eine Beschäftigung verlegen sind? Sie scheinen nie ermüdet – gelangweilt – wie fangen Sie das an?

– Das will ich Ihnen sagen, antwortete die hübsche Gräfin wichtig, ich nehme mir jeden Monat einen andern Liebhaber.

Konstanze erröthete und sagte nichts mehr.

Viele Frauen würden in ihrer Lage, nach einem fast allgemeinen Beispiele, ermüdet durch ein Leben, an dem das Herz keinen Antheil hat, ohne Kinder, ohne Führer, von allen Seiten und in allen Formen bestürmt und hofirt – viele Frauen würden es, wenn auch nicht mit einer großen Leidenschaft, doch wenigstens mit einer kleinen Caprice versucht haben. Aber Konstanze blieb kalt und glänzend, wie immer – »der von der Sonne nicht bestrahlte Schnee.« Allerdings mag das Andenken an Godolphin sie vor geringeren Gefahren geschützt haben. Der einmal vom Feuer durchglühte Asbest kann nie mehr von ihm verzehrt werden; doch lag in Konstanzens Natur noch eine andere Triebfeder, und das war der Stolz.

O Gott, wenn sich die Männer nur träumen ließen, was eine stolze Frau in den Liebkosungen duldet, welche sie demüthigen, so würden sie sich nicht wundern, warum stolze Frauen so schwer zu besiegen sind. Dies ist ein Gegenstand, den wir alle viel erwägen, über den wir aber aus Anstand nicht schreiben dürfen. Aber man denke sich eine lange, stolze, unschuldige Schöne, die mit einem Manne verheirathet ist, den sie weder liebt, noch achtet; sie wird aus diesem Mangel an Liebe wahrscheinlich nicht nur nicht fallen, sondern eher sogar vor dem bloßen Wort Liebe zurückschaudern.

Um diese Zeit starb die verwittwete Lady Erpingham, ein Ereignis, welches Konstanzen aufrichtigen Kummer machte, und welches das stärkste Band zerriß, das die junge Gräfin an ihren Gatten fesselte. Lord Erpingham und Konstanze sahen sich in der That von jetzt an nur sehr wenig.

Wie die meisten Männer, die ihre sechs Fuß und einen starken Backenbart haben, war er eitel auf seine Person, und wie die meisten reichen Adligen fand er Damen genug, die ihm versicherten, er sey unwiderstehlich. Die kalte und ruhige Höflichkeit Konstanzens hatte ihn bald verdrießlich gemacht, und da er viel mit unverheiratheten Männern lebte, so knüpfte er bald ähnliche Bekanntschaften an, wie diese, Bekanntschaften, welche den Mann leicht dazu bringen, daß er die Frau zu Hause vergißt. Trotzdem fühlte er, daß er glücklich in der Wahl seiner Gattin gewesen war. Sein politischer Einfluß war durch die Klugheit Konstanzens wenigstens verdoppelt worden; sie hatte sein Haus zum glänzendsten von London und seinen Namen zum gesuchtesten auf allen Listen der Pairie gemacht. Obgleich freigiebig, überschritt sie doch das Maaß nicht; obgleich eine Schönheit, hatte sie doch keine Intriguen angeknüpft; obgleich seine Unbeständigkeit am Tage lag, war sie doch nicht eifersüchtig, und wie unordentlich sein Benehmen auch war, setzte sie doch nie sein Interesse hintenan, widersetzte sie sich doch seinen Wünschen nicht, noch änderte sich die gleichmüthige und sanfte Stimmung ihres Temperaments. Über ein solches Weib konnte Lord Erpingham nicht klagen: er achtete sie, lobte sie, fragte sie um Rath und fühlte einige Eifersucht vor ihr.

Ach, Konstanze, wärst Du die Tochter eines Pairs oder eines Landmannes gewesen – wärst Du die Tochter des ersten Besten, nur nicht John Vernon's gewesen – welch unschätzbarer, unvergleichlicher Schatz würde dieses Herz, diese Schönheit, dieser Geist gewesen seyn!


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