Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Zweiter Band

Erstes Kapitel.

Ein Schwärmer und seine Tochter. – Ein Engländer, wie die Ausländer ihn sich denken.

Wir müssen jetzt die Leser mit Karakteren bekannt machen, die von den bisher dargestellten sich durchaus unterscheiden.

Vor der unsterblichen Stadt, an der Via Appia, wohnte ein wunderlicher, phantastischer Schwärmer, Namens Volktmann. Er war von Geburt aus Däne, und die Natur hatte ihn mit einer Geistesrichtung begabt, die, wäre er im eilften Jahrhundert zur Welt gekommen, ihm ein ausgezeichnetes Leben gesichert hätte. Volktmann war ganz ein Mann der Vorzeit: das Wesen seines Enthusiasmus war prophetisch, mittelalterlich; für die Geschöpfe unserer Zeit hatte er nicht die geringste Sympathie; ihre Liebe, ihr Haß, ihre Politik, ihre Literatur fand keinen Anklang in seiner Brust. Er vermied jedes Zusammentreffen mit ihnen, sein Leben war die Einsamkeit, das Studium seine Beschäftigung, ein Studium, welches ihn täglich untauglicher für den Zweck des Lebens machte. Mit einem Wort, er war ein Sternenseher, ein Gläubiger in der träumerischen, geheimnisvollen Wissenschaft der Astrologie. Zur Bildhauerei auferzogen, hatte er sich frühzeitig nach Rom, als dem Quell der Begeisterung, gewandt, aber schon damals hatte er den äußeren und brütenden Sinn seines nordischen Himmels mitgebracht. Die Bilder der klassischen Welt, die glänzenden, schönen und kalten Gottheiten, deren Gestalt und Natur der Marmor besonders so trefflich verkörpert, sprachen Volktmanns finstere, beschäftigte Einbildungskraft nur wenig an. Treu dem Aberglauben des Nordens, hatte die liebliche Majestät der südlichen Gefilde in ihm nur den Mensch erregt, die Grundsätze, nach denen sie geschaffen waren, auf die Versinnlichung jener wilden Visionen anzuwenden, welche allein seine trübe und wüste Phantasie ins Leben rufen konnte. Diese Richtung der Begeisterung bewahrte ihn wenigstens vor dem ärgsten Fehler des Künstlers – gemeiner Nachahmung. Er blieb originell, und seine Fehler selbst waren erhaben und imposant. Ehe er jedoch die große Erfahrung hatte erlangen können, welche allein das Genie vervollkommnet, hatte sich seine natürliche Energie bereits nach einem andern Kanal gewendet. Während einer Krankheit, welche ihn an der Ausübung seiner Kunst gehindert hatte, war ihm zufällig ein Werk über die Astrologie in die Hände gefallen. Die wilden, betäubenden Theorien dieser Wissenschaft – wenn man sie wirklich so nennen darf – bezauberten und rissen ihn hin. Die hellen, strahlenden Nächte seines Vaterlandes schwebten wieder vor seinen Augen; er erinnerte sich des mystischen, unerklärlichen Eindrucks, mit dem der Anblick der Himmelslichter ihn erfüllt, und bildete sich ein, daß gerade diese Unbestimmtheit seiner Gefühle ein Beweis für das Hellsehen der Wissenschaft sey.

Die Söhne des Nordens sind vor allen andern der schwärmerischen Aufregung der Gefühle ausgesetzt, welche die stille, sternenglänzende Nacht erwecken muß. Ein langes, ununterbrochenes, berauschendes Schweigen, welches in ihrem eisigen Klima vom Untergang der Sonne bis zu dem Aufgange herrscht; die plötzlich auftauchenden Meteore, welche mit zauberhaftem Leben am stillen Himmel erhaben hinzucken, der besondere Glanz der Sterne, und selbst der öde, strenge Anblick der Erde, welche sie mit ihrer geisterhaften, kalten Klarheit erleuchten, verstärken die Wirkung der gespenstischen Erzählungen, mit welchen das Ohr der Kindheit erfreut wird, und verknüpfen die dunkleren und phantastischeren Lebenstriebe mit dem Einflusse oder wenigstens mit den Bildern der Nacht und Himmel.

Volktmann, der für abergläubische Eindrücke fast noch empfänglicher war, als seine Landsleute, wurde zu der Wissenschaft, mit der er zufällig bekannt geworden, mit einem Alles ausschließenden Interesse hingezogen. Er gab sich diesem neuen Streben mit ganzer Seele hin. Der Marmor wurde immer mehr vernachlässigt, und obgleich er noch von Zeit zu Zeit arbeitete, so hörte er doch auf, diese Kunst als den Zweck seines Lebens und das Ziel seines Ehrgeizes zu betrachten. Zum Glück war Volktmann, wenn auch nicht reich, doch nicht ohne Mittel, ein anständiges, bequemes Leben führen zu können, so daß er, glücklicher wie viele andere, im Stande war, allein seinem Eifer für so unfruchtbare Forschungen zu willfahren. Es verdient bemerkt zu werden, daß, wenn jemand sich einer Beschäftigung widmet, die ihn von der Welt entfernt, jedes große Unglück ihn nur, ohne Hoffnung auf Genesung, in seiner Neigung zur Einsamkeit bestärkte. Die Welt, die ihm zuwider ist, weil sie ihm kein Vergnügen gewährt, wird ihm auf immer verhaßt, sobald sich die Erinnerung eines Kummers an sie knüpft. Volktmann hatte eine Italienerin geheirathet, ein Weib, das ihn innig liebte, und das er mit jener energischen, obwohl nicht zärtlich schmeichelnden Neigung wieder liebte, die bei Männern seines Gleichen so gewöhnlich ist. Heiter und gesellig nach der Art und Weise ihres Landes, war die Italienerin nicht geneigt, den Astrologen bloß in Gemeinschaft der Sterne leben zu lassen. Sie suchte tändelnd und freundlich ihn zu der Gesellschaft der Menschen hinzuziehen, und Volktmann vermochte so wenig, wie irgend ein Erdgeborener, immer dem Einfluß seiner schönen Hausherrin zu widerstehen. Es traf sich, daß eines Tages, als sie eben besonders dringend ihn zur Theilnahme an einer jener Partien zu bewegen suchte, welche die Engländer nicht mit dem Begriffe von Vergnügen zusammenreimen können, weil man in ihnen »konversirt« – Volktmann das Bevorstehen eines großen Unglücks verkündet hatte. In der Ungewißheit über den Karakter der Prophezeiung, da er nicht wußte, ob das Unglück ihn in oder außer dem Hause erwarte, gab er dem Wunsche seiner Frau nach und begleitete sie nach der Wohnung ihrer Freundin. Ein junger Engländer, der kürzlich erst von Rom angekommen war, und der in den Zirkeln jener Stadt bereits wegen seines excentrischen Lebens und wegen seiner Leidenschaft für Schönheiten sich einen Namen gemacht hatte, war in der Gesellschaft zugegen. Er schien betroffen über den Anblick der Gattin des Bildhauers, und sein zuvorkommendes Benehmen erfüllte Volktmann zum ersten- und letztenmale mit den Qualen der Eifersucht: er eilte fort mit seinem Weibe.

Bei ihrer Rückkehr nach Hause wurden sie – ein von der Signora getragenes Juwel mochte Aufmerksamkeit erregt haben – in der finstern und schlecht beleuchteten Vorstadt von zwei Räubern angefallen. Obgleich Volktmann keinen Widerstand leistete, benahmen sich die Diebe doch mit roher Gewaltthätigkeit. Die Signora gerieth in eine fürchterliche Angst, ihr Geschrei rief einen Fremden herbei: es war der englische Jüngling, welcher eben Volktmanns Eifersucht erregt hatte. Als galanter Mann an Gefahren gewöhnt, ging der Engländer selten in diesem fremden Lande Nachts ohne Pistolen aus. Beim Anblick der Feuergewehre schwand den Räubern der Muth, sie ließen ihre Beute fahren und entflohen, worauf der Engländer mit Volktmann die Italienerin nach Hause geleitete. Aber der Schreck dieser Begebenheit hatte den zarten Körper zu stark erschüttert, und drei Wochen nach dieser Nacht war Volktmann ein Wittwer.

Seine Ehe war nur mit einer Tochter gesegnet worden, welche zur Zeit dieser Katastrophe ungefähr acht Jahre alt war. Die Liebe zu seinem Kinde versöhnte Volktmann noch einigermaßen mit dem Leben, und als die erste Betäubung sich gelegt hatte, kehrte er mit einer jetzt ununterbrochenen Beharrlichkeit zu seiner geliebten Beschäftigung und geheimnisvollen Forschung zurück. Nur Einem Freunde gelang es, häufig Zulaß zu seiner Klause zu erhalten: dies war der junge Engländer. Eine Art von Reue über die Eifersucht, die er empfunden, und zu der sein Weib, obgleich Italienerin, ihm nie nur den Schatten eines Anlasses gegeben, hatte den Widerwillen, der ihn zuerst gegen den jungen Mann ergriffen, in ein Gefühl verwandelt, das durch den Gedanken an die Dahingeschiedene, und durch den unbestimmten Wunsch, ihr wegen seines heimlichen Fehlers Genugthuunug zu geben, sich bis zum Wohlwollen steigerte. Verstärkt wurde dieses noch durch das einnehmende Benehmen des Fremden, durch seine Aufmerksamkeit gegen die Kranke, der er einen Englischen Arzt von großem Ruf – vielleicht den einzigen Doktor in jener Stadt, der etwas gelernt – geschickt hatte, durch das lebendige Interesse, welches er an den Lieblings-Theorien des Astrologen nahm.

Volktmanns Mutter war die Tochter Schottischer Eltern gewesen und hatte ihm die Englische Sprache gelehrt. Dieser Umstand trug sehr dazu bei, seinen Umgang mit dem Fremden zu erleichtern, da er in keiner anderen Sprache, außer in dieser und der Dänischen, große Geläufigkeit besaß. Überdies fand er in der Gesellschaft eines Mannes, der so glühenden Sinnes, so voll Empfindung, so melancholisch, jedem abstrakten Studium so ergeben war, ein Vergnügen, welches er unter den feinen, lockern Geistern Italiens nie genossen hatte.

Der junge Engländer kam daher oft in das einsame Haus an der Via Appia, und die geheimnisvollen, überirdischen Gespräche des Sternensehers verschafften ihm, der frühzeitig die Spielarten seiner eigenen Klasse zu erkennen gelernt hatte, einen fremdartigen Genuß, der eben noch durch den Gegensatz erhöht wurde, welchen er mit den weltlichen Naturen seines gewöhnlichen Umganges und den ewig wiederkehrenden Beschäftigungen eines vergnügungssüchtigen Lebens offenbarte.

Aber noch jemand sah, obwohl nur ein Kind, den Besuchen des schönen Fremden mit sehnsüchtiger Bewegung entgegen. Allein auferzogen, seit ihrer Mutter Tod ohne allen Umgang mit Freundinnen gleichen Alters, kann es nicht befremden, daß bei ihr, die manchen schwachen Wiederschein von ihres Vaters wilden aber erhabenen Forschungen erhielt, der seine mit sonderbaren Zeichen und gewaltigen »Wörtern eines mächtigen Klanges« gefüllten Bücher offen standen, sich etwas Fremdartiges, Außergewöhnliches zu den Elementen des Karakters gesellte, welchen Lucilla Volktmann frühzeitig entwickelte – eines Karakters, der ganz Natur, aber nur bizarrer, ungleicher Natur war. Sie war nicht von stiller, sanfter Gemüthsart, sondern leidenschaftlich, unruhig, wechselnd. Sie lachte und weinte ohne scheinbare Ursache; die Farbe ihres Gesichts blieb sich nicht einen Augenblick gleich, und die launigsten Wechsel eines Aprilhimmels waren die Unveränderlichkeit selbst im Vergleich zu dem Spiel und Glanze des Ausdrucks, der auf ihren Zügen, und in ihren müden, dunkeln, beredten Augen wogte.

Ihr Körper glich ihrem Geiste: sie war schön, aber die Schönheit an sich überraschte einen weniger, als der sonderbare Karakter derselben. Ihre Augen waren so dunkel, daß sie Abends schwarz schienen, aber ihre Haare waren hellbraun; ihre Gesichtsfarbe war zart und durchscheinend, zuweilen blaß, zuweilen wie fieberhaft glühend; Zähne und Mund waren unbeschreiblich lieblich, Hände und Füße fast zu klein, und als sie erwachsen war, zeigte ihre nicht hohe Gestalt eine solche Harmonie der Verhältnisse, daß der Geist des Bildhauers sich zuweilen aus dem Nachsinnen des Astrologen fortriß, und mit derselben Bewunderung auf sie blickte, mit welcher er, trotz des Gegenstandes, auf die göttlichen Formen des Phidias oder Canova's geblickt haben würde. Aber hier war die Schönheit in Begleitung einer so endlosen Mannigfaltigkeit von oft wilden, wiewohl immer anmuthigen Bewegungen, daß das Auge sich nach der Ruhe sehnte, die für längere Bewunderung erforderlich ist.

Wenn sie angesprochen wurde, antwortete sie nicht oft geradezu, sondern schien mehr auf eine sich selbst gestellte Frage Rede zu stehen; mitten in einer Beschäftigung sprang sie zu einer andern über, ließ auch diese wieder liegen und saß dann in sekundenlangem Schweigen. Es versteht sich, daß diese Beschreibung Lucilla's auf eine um mehrere Jahre spätere Zeit paßte, als wo der junge Engländer zuerst ihre kindische, aber doch glühende Phantasie aufregte. Ihr schien dieses Gesicht mit seinen regelmäßigen, harmonischen Zügen, dem goldenen Haare, dem sanften, stillen, melancholischen Ausdrucke, einer höhern Klasse von Wesen anzugehören, als die waren, welche, mit ihrem grob hervorstehenden Umrissen und ihrer dunklen Farbe, sie umgaben und ihr mißfielen. Sie fand ein eigenes, sie durchschauerndes Vergnügen darin, sich an seine Seite zu schleichen, und unbemerkt zu seinem Gesicht aufzublicken, welches sie in seiner Abwesenheit bei Tage nachzuzeichnen suchte, und Nachts in ihren Träumen hervorrief. Aber nur selten sprach sie mit ihm und sie sprang mit schmerzlichem Erröthen von ihm zurück, wenn er sich ihr mit einer unschuldigen Schmeichelei nähern wollte, wie sie Kinder sonst gewöhnlich verlangen. Einmal jedoch hatte sie Muth, und forderte ihn auf, ihr das Englische zu lehren, einen Wunsch, den er zu erfüllen versprach. Sie lernte die Sprache mit überraschender Leichtigkeit, und da Volktmann ein Freund derselben war, so überwand sie ihre Schwierigkeiten bald dadurch, daß sie sich mit ihrem Vater nur in dieser, ihr unaussprechlich theuer gewordenen Sprache unterhielt. Der junge Fremde war entzückt, wenn er diese sanfte, melodische Stimme, mit ihrem zitternden, Italienischen Accente, die männliche, kräftige Sprache seines Vaterlandes in Musik umwandeln hörte. Unwillkürlich bemächtigte sich seiner ein gewisses zärtliches, ganz eigenes Interesse für dieses sonderbare, bezaubernde Kind – eigen in der That, und unerklärlich, da es nicht ganz das Interesse war, das wir an einem liebenswürdigen Kinde nehmen, und doch auch von keiner interessirten, schlimmern Art war. Wäre etwas Wahres an der Sternenkunde, so würde ich gesagt haben, sie hätte ihm offenbart, daß ihr Schicksal in das seinige greifen würde, und daß in dieser Überzeugung seine Neigung für das Kind seines Freundes etwas Mysteriöses, Ungewöhnliches angenommen hatte.

Der Engländer hatte einen romantischen Karakter. Er hatte sich selbst gebildet und seinem oft enthusiastischen und unklaren Geiste durch unregelmäßige, wenn auch zuweilen tiefe Studien seine Richtung gegeben. Seine Einbildungskraft überwog sein Urtheil, und man brauchte nur die erstere zu fesseln, um seinen ganzen Eifer für die erste beste Beschäftigung zu erzielen, bis sein natürlicher Scharfblick ihm endlich deren Trug aufdeckte. Wenn er auch zuweilen – da er sich in jenem raschen Weltleben umhertrieb, welches unsern gesunden Verstand so sehr schärft – über den ausdauernden Eifer des Astrologen lächelte, so theilte er ihn doch noch öfter und wurde, wie mit einem versteckten, aber tiefen Glauben an die von seinem Meister geübten Mysterien, sein Zögling in »der Poesie des Himmels.« Ich fürchte jedoch, daß die Enthusiasten ihre Verblendung auf die Spitze trieben, und sich in noch dunklere, nächtigere Regionen stürzten – ich meine die alten Geheimnisse der Alchymisten. Nacht für Nacht unterwarfen sie diese noch unverständigern Arcana ihrer ernsten Untersuchung und gaben sich ganz jenem schrecklichen Zauber hin, welchen das Streben und die Begierde, die Gränzen unserer Sterblichkeit zu überschreiten, selbst in den bestorganisirten Köpfen hervorbringt. Der so lange von dem grübelnden, einsamen Dänen genährte Gedankenflug war vielleicht eine bessere Entschuldigung für die Schwäche der Leichtgläubigkeit, als die Jugend und die umherschweifende Phantasie des Engländers. Aber der Schauplatz, der für den Einen nichts Lockendes hatte, steigerte bis zum Übermaß die romantische Begeisterung des Andern.

Der Engländer blieb, mit kurzen Unterbrechungen, beinahe drei Jahre lang in Rom. Den Abend vor dem Tage, an welchem er eine Nachricht erhielt, die ihn in seine Heimath zurückrief, begab er sich zu einer zufällig etwas spätern Stunde als gewöhnlich, nach dem Hause des Astrologen.


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