Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Eilftes Kapitel.

Gespräch zwischen Godolphin und Saville. – Erklärung gewisser Ereignisse. – Saville's Entschuldigung eines schlechten Herzens. – Godolphin's undeutliches Gefühl für Lady Erpingham.

– Gerechter Gott, so ist Konstanze Vernon wieder frei!

– Und wußtest Du das wirklich nicht? Du mußt an Deinem See in der That ein Einsiedler-Leben geführt haben. Lord Erpingham ist schon vor sieben Monaten gestorben.

– Träume ich denn? – murmelte Godolphin, als er in dem Zimmer seines Freundes ungestüm auf und ab ging.

Saville lag auf einem Sopha, und unterhielt sich damit, verschiedene Tabake auf einem kleinen Tische vor sich untereinanderzumischen. Es ist kläglich, wie oft unsern Freunden unsere wichtigsten Vorfälle als Kleinigkeiten erscheinen.

– Aber – sagte Saville, ohne aufzusehen – Du scheinst nicht neugierig zu erfahren, wie und wo er gestorben ist? Du mußt wissen, daß Erpingham zwei Hauptleidenschaften hatte, die eine für die Pferde, die andere für Violonisten. Als er nach Italien abreiste, hoffte er, wie natürlich, die letzten vorzufinden, hielt es aber für zweckmäßig, die ersten mitzunehmen. Er füllte also das Schiff mit diesen vierbeinigen Geschöpfen und vertrieb sich zwei Tage nach der Landung die Langeweile mit einem kleinen Ritte. Er stürzte und wurde sprachlos nach Hause getragen. Der Verlust der Sprache war kein großer Verlust für seine Bekannten, aber er starb in derselben Nacht, und das war in der That ein Verlust, denn er gab sehr schöne Diners; aber bah! – Saville athmete den Geruch einer neuen Mischung ein.

Saville hatte eine gefällige Manier, eine Geschichte zu erzählen, besonders wenn sie von dem Tode eines Freundes, oder einer ähnlichen anmuthigen Begebenheit handelte. – Die arme Lady Erpingham war gewaltig erschüttert, und sie hatte Ursache dazu, denn ich glaube, die Trauer steht ihr schlecht. Sie ist in kleinen Tagreisen hierhergekommen, damit die gefeierten Todten die Erinnerung an den Seligen verscheuchen mögen.

– Ihr Herz ist nicht besser geworden, Saville.

– Herz? Was ist das? O, das Ding, das Dienstmädchen haben, und das ihnen John, der Lackei, entzwei bricht. Herz! Mein lieber Junge, du gewöhnst Dir Phrasen an, und sprichst Worte, die keinen Sinn haben.

Godolphin war zu einem Gespräch dieser Art nicht gestimmt, und Saville fuhr etwas ernster fort: – So spricht auch Alles von der Welt! Die Welt! Jeder legt ihr eine andere Bedeutung je nach der Natur des Kreises bei, der seine Welt bildet. Aber wir Alle stimmen in dem Einen, in der Weltlichkeit der Welt überein. Nun aber ist keine Welt so lieblos, als die unsre, die feine, höfische, die große Welt: je feiner die Luft, je schlechter das Wachsthum. All unser Reiz, unser Zauber besteht in einer großen Spottsucht; das Wesen unserer Unterhaltung ist, alle Personen, alle Dinge auf eine hübsche Art lächerlich zu machen. Dieser Ton kann natürlich nicht zum Ernste der Neigungen passen. Mancher arme Teufel unter uns heirathet und läßt sich durch plebejischen Haushalt verderben. Die Gewohnheit fesselt ihn an sein häßliches Weib, und an seine schreienden Kinder, er wird liebevoll und kommt außer Mode. Wir unverheiratheten Männer aber haben für Niemand zu sorgen, als für uns: stirbt jemand, so ändert das nichts in unserer häuslichen Behaglichkeit. Wir finden immer jemand, uns unsern Thee zu machen und uns unsere Magenpillen zu geben. Unsere Verluste treffen uns nicht bis in das Innerste. Wir zucken die Schultern und gehen weiter. So ist es glücklich genug, daß wir aus Mangel an Kummer und Sorge – ich brauche das Wort Dir zu Liebe – hartherzig werden. Wir erstarren in Philosophie, und handeln wir nicht weise, daß wir dieses Leben der Gleichgültigkeit und Isolirung annehmen?

Godolphin hörte kaum, was Saville sagte, dieser aber fuhr fort:

– Ja, weise! denn diese Welt ist so voll Egoisten, daß, wer nicht eben so ist, im Nachtheil steht. Auch sind wir nicht schlimmer bei unserer Apathie. Scherzen wir über jemandes Unglück, so thuen wir es doch nicht ihm ins Gesicht. Warum soll man nicht aus dem Schlummer, nämlich dem Unglück, Gutes, d.h. Vergnügen ziehen? Drei Menschen in diesem Zimmer können durch einen Spaß über ein im nächsten zerbrochenes Bein erheitert werden: wird das gebrochene Bein darum schlimmer? Wenn aber die drei Menschen durch den Scherz ermuntert werden: ist der Scherz dann etwas Schändliches? Nein, er ist eine Wohlthat. Einige sagen freilich: Ja, aber diese Gewohnheit, das Unglück nicht zu beachten, stumpfe den Willen ab, wo eine Möglichkeit ist, ihm abzuhelfen. Abhelfen! Thorheit! Was können wir abhelfen bei der unendlichen Masse menschlichen Unglücks? Eben so gut können wir einen Tropfen aus dem Ozean schöpfen, und rufen: Haha! wir haben die See verkleinert. Was sind selbst die öffentlichen Mildthätigkeitsanstalten, was die besten Institute? Wie wenigen aus der Menge, und wie wenigen aus diesen Wenigen wird dauernd geholfen? Die Menschen sterben – leiden – verkümmern gerade noch eben so schnell und eben so oft; alle jene Anstalten sind nur Bäume, unter denen das öffentliche Gewissen schlummern kann. Nein, mein Lieber, wohin ich in der Stadt blicke, sagt alles: sorge für Dich selbst. Das ist die wahre Lebensmoral; wer sie im Auge behält, kommt vorwärts, gedeiht, und wird fett; wer nicht, kommt zu uns und borgt Geld, wenn er ein anständiger Mensch ist, oder fällt der Gemeinde zur Last, wenn er ein Plebejer ist. Ich habe mich danach gerichtet, lieber Godolphin, mein ganzes Leben lang, ich bin sehr zufrieden, Zufriedenheit ist ein Zeichen von Tugend – Doch bah!

Konstanze war Wittwe. Sie, die Godolphin so leidenschaftlich geliebt hatte, deren Stimme noch jetzt tief in seinem Herzen nachzitterte, und das seit Jahren schlummernde Echo weckte, war frei. Welch ein Heer von Gefühlen regte dieser Gedanke auf! Sie war erschienen, und eine neue Welt aufgegangen. Und ihr Blick, dachte er, war freundlich, ihre Stirn war voll süßer Hoffnung, ihre Erschütterung war sichtlich. Sie liebt mich noch. Soll ich zu ihren Füßen stürzen? Soll ich sie bitten, mir Hoffnung zu geben. Und, oh, auf welches Glück? – Arme Lucilla!

Diese Mahnung war eine Schranke, die sich jeder Aussicht auf die Wonne entgegenstellte, welche das Bild Konstanzens in ihm eröffnete. Konnte er, selbst um des Gegenstandes seiner ersten Liebe willen, sie verlassen, die für ihn alles hingeworfen hatte, deren Leben nur in seiner Liebe lag? Selbst die Kälte, mit welcher er, wie er fühlte, die Neigung des armen Mädchens erwidert hatte, machte ihm die Pflichten, die er ihr schuldig war, noch heiliger. War er nicht durch die Ehe mit ihr verbunden, so glaubte er edlen – wenn auch nur gerechten, doch seltenen – Sinnes, daß ihre Bande nur durch den Tod aufgelöst werden könnten. Und jetzt waren diese Bande vielleicht das einzige, was ihn von der Erfüllung seiner frühern Träume abhielt.

In diese Gedanken versunken, suchte Godolphin Saville's theilnahmlose Reden unbeachtet vorübergleiten zu lassen, bis der Name Lady Erpinghams seine Aufmerksamkeit erregte.

– Du gehst diesen Abend zu ihr – sagte er.

– Sie läßt nur ihre genauesten Freunde zu sich, Dich, mich und Lady Charlotte, denn Wittwen scheuen die Bekanntschaften in ihrem ersten Schmerze. Ich richte es jedoch so ein, daß ich immer zu den Zugelassenen gehöre.

– Schärfe ist gut für manche Wunde.

Godolphin lächelte.

– Aber glaubst Du – fuhr Saville fort – daß Milady sich wieder verheiraten wird; oder willst Du selbst es versuchen? Erpingham hat ihr beinahe sein ganzes Vermögen hinterlassen.

Godolphin stand erzürnt über Saville's Ton auf.

– Unter uns – sagte Saville, ihm Adieu sagend – ich denke nicht, daß sie wieder heirathen wird. Lady Erpingham liebt Freiheit, und selbst der junge Godolphin – und Du bist nicht mehr so hübsch, wie Du warst – dürfte sich hoffnungslos um sie bemühen.

Die letzten Worte hatten ein neues Gefühl in Godolphin erregt. Es war also möglich, sogar wahrscheinlich, daß der Kampf, den er bestanden, unnöthig war, und daß er gar nicht in die Verlegenheit gesetzt werden würde, zwischen Konstanze und Lucilla zu wählen. Auf jeden Fall, sagte er beinahe laut, will ich sehen, ob diese Behauptung ihrer frühern Liebe, im Bewußtseyn des heimlichen Wehs, welches ihr Ehrgeiz mir zufügte, Willens ist, mit die Genugtuung zu geben, welche das Schicksal in ihre Hand gelegt hat; dann, dann ist immer noch Zeit zum Opfer.


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