Edward Bulwer-Lytton
Godolphin oder der Schwur
Edward Bulwer-Lytton

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Sechstes Kapitel.

In welchem zwei dauernd vereinigte Personen entdecken, daß kein Band eine Einigkeit der Gemüther hervorbringen kann.

Wochen gingen vorüber und Godolphin hatte sich scheinbar in das Verschwinden und das zweifelhafte Geschick Lucillas gefunden. Es lag nicht in seinem ruhigen, brütenden Wesen, viel Bewegung zu verrathen, aber doch zeigte sich oft, selbst in Konstanzens Gegenwart, eine Wolke auf seiner Stirn und die Anfälle von Zerstreuung, denen er immer wieder ausgesetzt gewesen war, wurden häufiger als je. Konstanze war seit Jahren an die unablässigsten, zuvorkommendsten Aufmerksamkeiten gewöhnt, die sie, jetzt viel allein mit Godolphin, etwas zu vermissen anfing, denn Godolphin konnte ein leidenschaftlicher, romantischer, aber kein sehr achtsamer Liebhaber seyn. Er vernachlässigte die petits soins. Die meisten Ehemänner machen es freilich nicht besser und es ist auch im Allgemeinen für Ehemänner nicht eben nöthig. Aber Konstanze war kein gewöhnliches Weib: sie liebte heiß, aber wie ein stolzes Weib lieben muß. Godolphin gegenüber wurde ihr stolzes Wesen ängstlich und besorgt; sie sprang immer zuerst auf und ihm entgegen, wenn er von seinem einsamen Spaziergängen zurückkehrte; er lächelte ihr mit seiner gewohnten Freundlichkeit zu, aber nicht so dankbar, wie er nach Konstanzens Meinung hätte thun sollen. Er war aber durch die leidenschaftliche Liebe Lucillas zu verwöhnt worden, als daß ihn irgend ein Beweis von Konstanzens Zärtlichkeit sehr hätte überraschen können. Zu stolz, zu sprechen, eine Klage fallen zu lassen, fühlte sich Konstanze doch ununterbrochen verletzt und zwang sich nach und nach – obgleich ihren Gatten noch immer gleich sehr liebend – diese Liebe mehr zu verbergen. O über dies unselige Heimlichthun der Frauen, das sie immer in Widerspruch mit sich selber bringt!

Auch Godolphin fand seiner Seits Ursache zum Mißvergnügen. In Konstanzens Karakter lag etwas Glänzendes, rein Geistiges, daß man, wenn man sich in beständiger Berührung mit ihr befand, sich zu Zeiten nach einer menschlichen Schwäche, nach irgend einer Verirrung sehnte, an die man sich halten konnte. Blendend wie Schnee, schmerzte einem das Auge, wenn es zu lang auf sie blickte. Sie hatte in den Jahren ihrer unfreundlichen Ehe ihren Geist aufs Höchste gebildet; wenig Frauen waren so voll von Wissenschaft, ja sogar Gelehrsamkeit; ihre Unterredung ergoß sich immer in einem gleich schimmernden, blüthenreichen, reizenden Strom. Es gab Zeiten, wo Godolphin sich erinnerte, wie hart es ist, einen Band von Gibbon durchzulesen, der Seitenweis so köstlich ist. Ihre Liebe zu ihm war ihm zu geistig, und schien ihm nicht genug menschliche Wärme und Innigkeit zu haben.

– Ich habe Dir Deinen Hut gebracht, Percy – sagte Konstanze – Du vergißt, daß jetzt der Thau schnell fällt und daß Dein Kopf unbedeckt ist.

– Ich danke – sagte Percy freundlich, obgleich Konstanze dachte, der Ausdruck könne wohl etwas wärmer seyn. – Wie schön ist diese Stunde! Sieh dort hin – der Sonnenstrahl weilt noch auf jenen Hügeln – der einsame Thurm dort in der weiten Ebene – die Tannen, die wir seufzen hören! Das ist ein Anblick, bei dem wir unsere ganze Natur in Liebe schmelzen könnten; die Natur bestimmte uns nie zu dem ernsten, dürren Geschick, dem wir nach leben. Blick um Dich Konstanze, auf jedes Blatt ihres glorreichen Buches; wie glühend ist auf jedes der Spruch geschrieben: Liebe und sey glücklich! Du antwortest nicht? Du bist immer kalt gegen diese Gedanken.

– Sie athmen mir zu viel vom Geiste des Epikur – sagte Konstanze lächelnd. Ich ziehe dort jenen alten finstern Thurm, der von ruhmvollen Kämpfen und großen Thaten spricht, der ganzen zarteren Landschaft vor, auf welche die jetzige Entartung des Südens eingedrückt scheint.

– Du und Deine Engländer – sagte Godolphin etwas bitter – ihr schwätzt von der Entartung meiner armen Italiener auf eine so unsinnige Art, daß es, ich gestehe es, mich fast zur Verzweiflung bringt. (Konstanze erröthete und biß sich in die Lippen.) Entartung? Warum? Sie genießen, sie nehmen das Leben nach seiner wahren Moral; sie fühlen ihre Sterblichkeit, sind leichtsinnig, zufrieden und sterben. Das ist Entartung? Es mag seyn. Aber für was sollen sie es austauschen? Für die hartherzigen, kalten, wilden Verbrechen des alten Roms, oder für die schmachvolle Heuchelei, die heimliche Schlechtigkeit, den Mord und Trug, welcher das republikanische Venedig bezeichnet? Die Tage des Ruhmes, welche Du beklagst, sind Tage der finstersten Schuld und man schaudert, wenn man liest, was die, welche über das milde und träge Italien moralisiren, zurückwünschen.

– Du bist streng – sagte Konstanze mit einem schmerzlichen Tone.

– Vergib mir, Theuerste, aber Du bist oft auch streng gegen meine Gefühle.

Konstanze schwieg; der Zauber des Sonnenuntergangs war dahin und sie gingen nach Haus zurück, einer gegen den andern etwas erkältet.

An einem andern Tage, als der Regen sie am Ausgehen hinderte, sagte Godolphin nach langem Schweigen zu Konstanze, die ihren politischen Freunden Briefe schrieb, in welchen sie kein Wort von Italien und ihrer Liebe erwähnte, sondern sich nur über das geschäftsthätige England ausließ:

Willst Du mir nicht etwas vorlesen, liebe Konstanze? Mein Geist ist heut so niedergedrückt. Das Wetter spannt mich ab.

Konstanze legte ihre Briefe weg und nahm eines von den vielen Büchern auf, welche auf dem Tische umherlagen. Es war ein Band von einem unserer beliebtesten Dichter.

– Ich hasse Poesie – sagte Godolphin mit matter Nachlässigkeit.

Hier ist Machiavel's Geschichte des Prinzen von Lucca – sagte Konstanze schnell.

– Ja, lies das und erkenne, wie gehässig der Ehrgeiz ist.

Und Konstanze las, aber sie gerieth in Feuer, wo Godolphin verächtlich den Mund aufwarf. Trotzdem ward er aus seiner Apathie aufgerissen und er ergoß sich mit der Beredsamkeit, über welche er, einmal aufgeregt, gebieten konnte, in die Lehren seiner eigenthümlichen Philosophie. Konstanze lauschte ihm mit Entzücken; sie theilte nicht die Gesinnung, aber sie staunte über das Genie, mit welchem sie vorgetragen ward.

– Ach – sagte sie enthusiastisch – warum sollen diese glänzenden Worte für immer verloren seyn? Warum sie nicht dem fortlebenden Papier übergeben, oder sie auf der Rednerbühne wiederholen, die Dich berühmt und sie unsterblich machen würden.

– O ja – sagte Godolphin lachend – das Unterhaus wird eine rechte Sympathie für Philosophie haben!

Im Ganzen hatte aber Konstanze doch Recht. Allein der Fluch eines vergnügungssüchtigen Lebens ist keine Abneigung gegen nützliche Thätigkeit. Man spricht von dem Genius, der von Armuth erdrückt und begraben wird. Der Rang und Reichthum hat auch seine stummen Miltone und seine nicht zum Ruhme gekommenen Hampden. Ach, wie viel wahre und tiefe Weisheit finden wir unter den leichtfertigen Weltleuten, wie viele, die in mittleren Ständen sich Ruhm erworben haben würden, starben unbemerkt in der abstumpfenden, erschlaffenden Lust des höhern Ranges. Die beiden Extreme begegnen sich in der Zerstörung geistiger Gaben. Godolphin liefert ein Beispiel von diesem bösen Einfluß, den die Aristokratie selbst auf ihre Lieblinge ausübt. Aber die Welt geht einem Zustande entgegen, wo die beiden feindlich sich gegenüber stehenden Klassen verschwinden müssen. In Amerika kennt man sie schon nicht mehr; aber in Amerika fehlt noch, was Philosophie, Kunde und Wissenschaft zuletzt lehren und verbreiten müssen – die feinere Bildung, welche die Gleichheit gefälliger macht, und die hohe moralische Stimmung, als ein Gegengewicht gegen den Krämergeist, welcher einem Handelsvolke eigen ist.


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