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Ferdinand Brunot, Histoire de la langue française des origines à 1900.

Bd. 9: La Révolution et l'Empire; 2. Teil: Les événements, les institutions, et la langue. Paris: Librairie Armand Colin 1937.

Unter allen Bereichen der Philologie hat der den »Wörtern und Sachen« vorbehaltene das augenfälligste Interesse für die Sozialforschung. Wenn es wahr ist, daß er nur vermittelt bei der Behandlung ihrer Methodenfragen zur Geltung kommt, so ist er von um so größerer Bedeutung für ihre konkreteren Studien. Es ist darum für die Sozialwissenschaft ein Glücksfall, wenn diese Wort- und Sachforschung, der meist enge monographische Grenzen (vgl. Zeitschrift für Sozialforschung 4 [1935], S. 257) gezogen wurden, sich einem Vorgang von solcher gesellschaftlicher Tragweite zuwendet, wie die französische Revolution es ist. Ein Glücksfall ist eine solche Untersuchung auch noch in anderm Sinne. Ihr Gelingen ist an arbeitstechnische Voraussetzungen gebunden, die sich nicht oft einfinden. Von ihnen gibt Brunots Gesamtwerk eine Vorstellung, von dem der neunte Teil »La Révolution et l'Empire« umfaßt. Dieser Teil hat es in einem ersten Halbband »Le français langue nationale« mit dem Kampfe zu tun, in dessen Verlauf die französische Revolution – die die »Sprachpolitik« inauguriert hat – das Französische auf Kosten des Latein und der Dialekte zu fast uneingeschränkter Geltung bei den Ständen und in den Provinzen brachte. Den folgenden Anmerkungen liegt der zweite Halbband zu Grunde »Les événements, les institutions et la langue«. »Die Revolution«, heißt es da, »hat in den Augen der Sprachforscher, die nur der Orthographie, den Formen und der Syntax nachgehen, so gut wie nichts geändert; aber sie hat einen großen Teil des Wortschatzes neu geschaffen.« (S. IX) Kurz, es handelt sich in diesem Halbband um die Wörter und Sachen. Wer deren »Geschichte verfolgen will, für den kann keine Bewegung in der gesamten Geschichte unserer Sprache sich mit diesem wenige Jahre währenden Umsturz messen« (S. X).

Brunots Gesamtwerk, die »Histoire de la langue française des origines à 1900«, hat Ausmaße, wie sie dem Werk eines Einzelnen nur noch selten erreichbar sind. Es umfaßt bis zum vorliegenden Bande neuntausend Seiten. Es stellt eine unerschöpfliche Fundgrube dar; es wahrt zugleich durch die Lebendigkeit seiner Formulierung wie durch die schlagende Aufteilung in sehr kurze Abschnitte die Signatur seines Ursprungs in einem Einzelnen. Dieser Einzelne hat nicht Anstand genommen, seinen Umriß gelegentlich scharf zu profilieren. Bekannt sind Brunots »Observations sur la Grammaire de l'Académie Française«, die ihn in Opposition zum Institut de France brachten.

Der vorliegende Band umfaßt zehn Kapitel; die drei umfangreichsten von je ungefähr hundert Seiten gelten dem Bürgerkrieg, dem Rechtswesen und dem Wirtschaftsleben. Lafargue hatte in seinem Essay von 1894 »La langue française avant et après la Révolution« darauf hingewiesen, daß die älteren Dictionnaires der Académie Française das Vokabular der Heraldik aufs sorgfältigste, das der Technik so gut wie gar nicht berücksichtigt haben. Im Beginn des Empire drängt die Technik mit einer stürmischen Nachfrage nach Prägungen gegen die Sprache an. Brunot behandelt am Schluß seiner Darstellung, der dem Einfluß des Wirtschaftslebens gewidmet ist, diesen Vorgang. Seine Feststellungen zu vielen anderen sind nicht weniger anregend. Immerhin handelt es sich in diesem Fall um eine Erscheinung von besonderer gesellschaftlicher Tragweite, nämlich um die Anfänge des sprachlichen Warenzeichens. So dürfte man Brunots Ausdruck »L'enseigne verbal« vielleicht wiedergeben.

Die Nachfrage nach sprachlichen Warenzeichen traf mit der modischen Begünstigung der Antike zusammen. Sprachlich bestimmend wurde das Griechische. »Les causes du triomphe du grec« ist der letzte Abschnitt des Bandes betitelt. Brunot sieht diese Ursachen im Überraschungseffekt. Er spricht von dem »monstre grec qui attire en surprenant« (S. 1230). Vielleicht ist es erlaubt, an die eindrucksvolle Charakteristik zurückzudenken, die Alois Riegl vom Empire gegeben hat. »Beflissene Unterdrückung ... alles desjenigen«, so stellt er in »Möbel und Innendekoration des Empire« fest, »was an die zweckliche Not und den Zwang der technischen Prozeduren gemahnt. Die Fugen ... werden durch Zierleisten oder Ornamente sorgfältig maskiert ... Der Empirestil ist grundsätzlich ein Appliquestil. Am häufigsten findet sich Goldbronze verwendet.« (Alois Riegl, Gesammelte Aufsätze, Augsburg, Wien 1929, S. 23 f.) Solche vergoldeten Appliquen sprachlicher Art stellen die gräzisierenden Prägungen für die neuen Industrieerzeugnisse dar. Das »huile conagène«, das von Balzacs César Birotteau auf den Markt geworfen wird, bleibt ihr beständiges Muster. Sie haben das Überraschende, auf das Brunot hinweist; sie haben, wie Riegls Bemerkung erkennen läßt, zugleich etwas Verklärendes. Sie scheinen den Fetischcharakter der Ware auf ihre eigene Art zu umspielen. Jedenfalls zeichnet sich die Struktur der Reklame in ihnen ab.

Die belebende Kraft, die in den Fragestellungen von Brunots Werk waltet, kommt auch darin zum Ausdruck, wie es sich in die Tradition der französischen Sprachforschung einreiht. Sie bekundet sich nicht selten in den Zitaten. Der Gegenstand hat selbstverständlich lange vor Brunot die Blicke auf sich gezogen. Im Jahre 1798 weist, auffallend genug in der Ära der Reaktion, der Dictionnaire der Academie Française auf den Unterschied hin, der zwischen dem willkürlichen, oft bizarren Sprachgebrauch des beau monde und derjenigen Ausdrucksweise obwaltet, die durch die natürlichen Reaktionen der Wörter zu den Ideen gebildet werden. Mercier, der geistreiche Schilderer von Paris unter dem Empire, der bei Brunot vielfach zu Worte kommt, hat an diese Relationen gedacht, wenn er schrieb, die Sprache der Convention sei ebenso neu gewesen wie die damalige Position von Frankreich. Eine besonders prägnante Charakteristik der Revolutionssprache entnimmt der Autor dem Quellenwerk von Buchez et Roux, »Histoire parlementaire de la Révolution française ou Journal des Assemblées Nationales«, 41 Bände, Paris 1834-38. Dort heißt es: »Die Geschichte der Revolten, der Aufstände und des Bürgerkrieges zu kennen, bedeutet nichts; in alledem zeigt die Revolution nur, ... was sie Äußerliches und Natürliches hat... Wer aber sein Gefühl so will von ihr durchdringen lassen, wie sie ihre Zeitgenossen durchdrungen hat, der muß ihre Schrecken wo anders suchen. Sie sind in den Worten.« (Brunot, S. X) Und Quinet schrieb, daß das Wort »conjuration« die gleiche Wirkung habe wie das Wort »excommunication« im Mittelalter (S. 649).

Die französischen Schriftsteller der Epoche, in der Chenier, Chateaubriand, Paul-Louis Courier wirkten, sind in diesem Bande nicht berücksichtigt worden. Vermutlich wird der folgende »La langue classique dans la tourmente« ihnen ihren Platz einräumen. In Frankreich sind es bekanntlich nicht die Schriftsteller der Linken gewesen, denen das sprachliche Erbe der französischen Revolution als ersten zufiel; es waren die Schriftsteller der katholischen Opposition, an der Spitze Chateaubriand. Auffallender ist, daß dem Sprachgebrauch der großen Redner der Revolution bei Brunot keine gesonderte Betrachtung gewidmet ist. »Die Barnave und Vergniaud«, so schreibt einer von den Zeitgenossen, »pflanzten den Lorbeer, den die Constant, die Chateaubriand ernteten... Die Nationalversammlungen seit 1789 waren die Akademien, in welchen diese neue Schule der französischen Literatur sich bildete.« Es liegt im Wesen eines Quellenwerks wie des Brunotschen, daß es der Geschichte nur selten verkürzte Perspektiven abzugewinnen neigt. Desto schätzbarer ist seine Autorität und Hilfe jedem, der das unternehmen sollte.


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