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Neues zur Literaturgeschichte

Joseph A. von Bradish, Goethes Erhebung in den Reichsadelsstand und der freiherrliche Adel seiner Enkel. Heft 1.

Leipzig: Alfred Lorentz 1933. 240 S. (Veröffentlichungen des Verbandes deutscher Schriftsteller und Literaturfreunde in New York. Wissenschaftliche Folge.)

Die Schrift legt eine ungewöhnlich wertvolle Aktensammlung vor. Erscheint sie als ein Nachtrag zum Goethejahr, so hebt ihre Bedeutung sie über die große Masse der Jubiläumsschriften entschieden heraus. Sie umfaßt zwei Zyklen von Dokumenten, jeder von einer kurzen sachdienlichen Einleitung eröffnet. Der erste umfaßt den Aktenvorgang, der in Goethes Erhebung in den Adelsstand durch Joseph II., deutscher Kaiser, mündete; der zweite die Schriftstücke, die 78 Jahre später in Sachsen-Weimar zur Erhebung seiner Enkel in den Freiherrnstand, sowie die späteren, welche Wolfgang von Goethe die Anerkennung dieses Standes in Preußen gesichert haben. Halten die Urkunden der ersten Sammlung sich im Rahmen eines Jahres, so erstrecken die der zweiten sich über fünf. Man wäre in Verlegenheit zu sagen, welche von beiden aufschlußreicher ist. Die erste atmet nach Haltung und Sprache noch die Luft des Römischen Kaisertums deutscher Nation; das Geschäft, das zwischen Wien und Weimar abgeschlossen wurde, hat ein ganz anderes Gesicht als die behutsamen Verhandlungen, deren Schauplatz auf das Großherzogtum Sachsen-Weimar beschränkt blieb. Und weiter ist bezeichnend, wie betriebsam der Enkel sich verhält, wie ungemein gemessen dagegen Goethe dem Vorgang, der ihn angeht, von weitem folgt. Es gibt nicht viele Episoden in Goethes Leben, die dem Betrachter einen höheren Begriff von Goethes Lebenskunst und Umsicht, einen gediegeneren von der Schwierigkeit der Verhältnisse geben können, in die er in Weimar eintrat. Wenn es nicht in der Absicht des Autors lag, einen Beitrag zu Goethes sozialer Physiognomie zu liefern, so tritt sie wie von selbst in den Exzerpten, welche die Aktensammlung einleiten, ans Licht. Und je heller dies Licht um so rätselhafter jene Physiognomie. Die seiner Enkel ist es dagegen weniger. Ihr fünfjähriger Kampf um die »Anerkennung« des angeblichen Goetheschen Freiherrntitels hat einen tragikomischen Anflug. Die beiden Brüder blieben die Letzten des Geschlechts, dessen erbliche Würde sie über die des Dichters zu erhöhen unternommen hatten.

 

Georg Keferstein, Bürgertum und Bürgerlichkeit bei Goethe.

Weimar; Verlag Hermann Böhlaus Nachf. 1933. XII, 286 S. (Literatur und Leben. 1.)

Der Titel dieser Arbeit verspricht viel; sie selbst hält wenig. Man mag ihren unglücklichen Ausgangspunkt dafür verantwortlich machen. Dieser besteht in der Entgegensetzung von Künstlertum und bürgerlicher Existenz, für die der Autor – was er nicht verschweigt – Thomas Manns Werken und Essays verpflichtet ist. Nun hat zwar Mann – zumal in der Studie über »Goethe und Tolstoi« – gelegentlich auf solche Kategorien zurückgegriffen, aber doch nicht ohne Aufbietung seiner ganzen schriftstellerischen Behutsamkeit. In Manns Romanen vollends handelt es sich in der Erscheinung des Künstlers um eine interessante, gesellschaftlich jedoch bedenkliche Variante des bürgerlichen Typus, deren Konfrontation mit anderen Varianten des gleichen Typs gewissermaßen eine Auseinandersetzung innerhalb der Bourgeoisie darstellt. Es bedarf keines Worts, daß Goethes geschichtliche Position ihn hoch über eine solche hinausrückt. Ohne ihr im übrigen nachzugehen, läßt sich feststellen, daß seine Gestalt – in ihren bürgerlichen wie in ihren unbürgerlichen Zügen – zur Erscheinung nur an jenen geschichtlichen Verhältnissen kommen kann, die den Lebendigen lebensgroß umgaben. Die Auseinandersetzung zwischen Feudalität und Bürgertum, deren Feuerschein aus dem Westen auf Deutschland fiel, ist ausschlaggebend für die Bestimmung der gesellschaftlichen Bedeutung Goethes. Der Verfasser, der Goethes Riesenreich aufs Gradnetz des gesunden Menschenverstandes zu projizieren sucht, fördert sie nicht. Eine durch keinerlei geschichtliche Reflexion getrübte Vulgärpsychologie des Bürgers ist die Grundlage seiner Betrachtung. Konfuse Gegensätze – etwa zwischen »Philister« und »kapitalistischem Bourgeois« – wechseln mit Halbwahrheiten wie: »Das Drama geht immer aufs Außerordentliche«; »Der Handwerker verkörpert das Wesen des bürgerlichen Menschen am reinsten«; »Die strenge Formgebung der Klassik« steht »dem Bürgertum näher ... als die formlosere Romantik«. Daß dieses Bürgertum aus Gelehrten und Viehhändlern, Advokaten und Hofmeistern, Pastoren und Manufakturbesitzern, Beamten und Handwerkern, Landwirten und Krämern bestanden, daß es um die Jahrhundertwende Strömungen und Krisen der verschiedensten Natur gekannt, Goethe sie vielfältig in sich bewegt hat – von all dem vermittelt diese Schrift nichts oder wenig. Wie psychologische und soziale, so gehen normative und geschichtliche Kategorien durcheinander und bringen sich gegenseitig um jene Spannkraft, die der Erkenntnis unerläßlich ist. Die Wurzel des Übels freilich mag tiefer stecken: in einer apologetischen Nebenabsicht, deren Zwecken – so lauter sie sein mögen – man die Gestalt des Dichters nur ungern dienstbar gemacht sieht.

 

Hermann Schneider, Vom Wallenstein zum Demetrius.

Untersuchungen zur stilgeschichtlichen Stellung und Entwicklung von Schillers Drama. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 1933. VIII, 104 S. (Tübinger germanistische Arbeiten. 18.)

Schneiders Untersuchungen sind aus zwei Jahrzehnten akademischer Lehrtätigkeit hervorgegangen. Ihre Methode ist einleuchtend und solid. Es überrascht nicht, daß sie einer Reihe von Arbeiten des Tübinger germanistischen Seminars den Weg vorgezeichnet hat. Der Verfasser erklärt, den Anstoß zu seinen Forschungen durch das eigentümliche »Fremdheitsgefühl« erfahren zu haben, das für seine Generation – geschweige denn für die späteren – Schillers Dramen umwittert. Er kann sich für diese unbestreitbare Wahrnehmung zudem auf das gewichtige Zeugnis von Dilthey berufen. Mit kritischem Verstände spürt er die Ursachen dieses Fremdheitsgefühls auf. Wenn er freilich in der Vorrede es als seine letzte Absicht erklärt, dies Gefühl im heutigen Publikum abzumildern, so ist nicht leicht ersichtlich, worauf diese Hoffnung sich gründet. Zwar stellen seine Analysen, die in der des »Demetrius« gipfeln, die ausgereifteren Teile dieses Dramas als diejenige Stätte dar, an der zum ersten Male die in Schiller sich befehdenden Stilelemente des Shakespeareschen Historiendramas und der französischen Tragödie einem Ausgleich nahegekommen sind. Aber wenn das richtig ist – der Verfasser verficht es mit guten Gründen – so fällt doch diese Synthese eben aus dem Schillerschen Lebenswerke, wie es von der Bühne zu uns spricht, heraus. – Wie dem auch sei, die Arbeit – nüchtern und ohne weite Perspektiven, wie sie vorliegt – kann sich getrost neben der Mehrzahl jener geisteswissenschaftlichen Untersuchungen sehen lassen, die heute im Schwange gehen. Deren Ansprüche sind gewiß größer, ihre Ergebnisse aber vielfach geringer als die der vorliegenden Betrachtungen. Daß sie von der literarischen Analyse aus auf den Theaterpraktiker Schiller ein Licht werfen, ist ihr besonderes Verdienst. Der Verfasser hat also recht, wenn er sagt, er fürchte nicht den Einwand, »solche Untersuchungen seien vor 20 Jahren am Platz gewesen, heute habe man andere Mittel und Methoden, um stilgeschichtliche Fragen zu lösen. Es gibt viele Arten, einer so merkwürdigen Erscheinung wie dem Schillerschen Dramenstil nahezukommen; ich will nur zeigen, daß ein entstehungsgeschichtliches und vergleichendes Verfahren in die Lage setzt, vieles zu verstehen, manches wohl auch zu entschuldigen. Es ist oft ein seltsames Bild, das hier vom Schaffen des Dramatikers erwächst. Man ist gewohnt, sich das Verhältnis von Intuition und Willensleistung, von Eigenem und Angeeignetem anders vorzustellen. Es gibt doch offenbar mehr Erlernbares und Erlerntes in der dichterischen Kunst, als man gemeinhin annimmt.«

 

Günther Voigt, Die humoristische Figur bei Jean Paul.

Halle/Saale: Max Niemeyer Verlag 1934. 98 S.

Vor kurzem hat Kommereil in einem umfangreichen Buch Jean Pauls Gestalt im Spiegel seiner Humoristen aufzufangen gesucht und ihn dabei vor einem weiten und bedeutsamen Hintergrund dargestellt. Jean Paul gefolgt von Schoppe, Leibgeber, Roquairol, Marggraf und seinen übrigen Trabanten erschien als Sachwalter ihrer »unpassenden Verkörperung«. Auch Voigt ist nicht entgangen, daß die humoristische Person bei Jean Paul ein »Spiegelbild des Dichters« ist. Der Hintergrund aber, den er in diesem Spiegel zu fangen sucht, ist weniger der ewiger Verhältnisse und Mißverhältnisse im Reiche der Gestalt als – seinen eigenen Worten nach – ein geisteswissenschaftlicher, der der Bestimmung »des mit Jean Paul erreichten Grades des Humors« dient. Zur Lösung dieser Frage bringt die Einleitung der Schrift, in der Geschichte und Funktion der humoristischen Literatur im achtzehnten Jahrhundert erörtert werden, wertvolle Ansätze. Hier interessiert zumal das Unternehmen, das Frühwerk von Jean Paul gewissermaßen als abgekürzte Wiederholung eines Entwicklungsganges dargestellt zu sehen, der in Formen der Satire (Wieland), des utopisch-rhapsodischen Humors (Hamann) und des elegischen (Hippel) die Elemente gestellt hatte, aus denen dann die Meisterwerke Jean Pauls die Synthese gewonnen haben. Zutreffend hält, in dieser Einleitung, der Autor den Versuchen, allgemein Jean Paul als Typ des Humoristen überhaupt zu fassen, entgegen, dieser Typus sei »nichts anderes als eine konstante Form für wechselnde geistesgeschichtliche Gehalte. Und die ›Gestalt‹ des Humoristen bei Jean Paul ist mithin nicht von dem ›Typus‹, sondern von ihrem Gehalt her zu erfassen.« – Wir wagen nicht zu sagen, daß es dem Verfasser geglückt sei, dies vorzügliche Programm nach seinem ganzen Umfang auszufüllen. Es hätte dazu eines echten historischen Horizonts bedurft, der ja niemals mit dem der bloßen Literatur-, ja auch nur der bloßen Geistesgeschichte zusammenfällt. Insbesondere Jean Pauls Werk aber greift in Tiefen des Volkstums und der Tradition hinab, die von den zeitgenössischen romantischen Philosophen nur trübe und verschwommen gespiegelt werden. Nichtsdestoweniger sind sie es, vor denen der Schluß der ernsten und gediegenen Arbeit das Bild des Dichters zu beschwören sucht. Sie mündet nämlich in eine theologische Interpretation. »Der Dichter Jean Paul tritt ... aus dem Kreise der Poeten der Zeit in den Kreis des Theologen, des Mystikers.« So der Verfasser. Die Apotheose, die er seinem Dichter dergestalt zuteil werden läßt, ist auf die Untersuchungen gestützt, die Benjamin in seinem »Ursprung des deutschen Trauerspiels« über die Allegorie angestellt hat. Kein Kenner des Jean Paulschen Stils kann zweifeln, daß die Allegorie ihm wesensverwandt ist. Doch hätte das nicht hindern, vielmehr nahelegen müssen, aus der geschichtlichen Bestimmung, die die allegorische Betrachtungsweise in der genannten Schrift gefunden hat, Handhaben für die andersartige des Jean Paulschen Standorts zu gewinnen. Leider hat Voigt das nicht unternehmen wollen. Er hat zu kurz gegriffen und sich so um seine besten Chancen oft betrogen. Was hier als theologische Quintessenz einer großen Dichtung erscheint, ist viel weniger das eigentliche Bekenntnis des Poeten als vielmehr die Materie seines Schaffens, die er in seiner Dichtung nicht verklärt, sondern überwunden hat. Die »ganze mitverwandte Welt«, die Jean Paul, wie, nach einem schönen Worte, alles Vollendete ausspricht, ist gewiß weniger die der Schellingschen Spekulation als die irdische, bunte und kümmerliche, reiche und bedrückte des deutschen Lesepublikums um achtzehnhundert, dem Jean Paul eine Habe, die es vergessen hatte, aus der Zeitenferne ans Herz legte.

 

Paul Binswanger, Die ästhetische Problematik Flauberts.

Untersuchung zum Problem von Sprache und Stil in der Literatur. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann Verlag (1934). 183 S.

Unter den Romanciers des vergangenen Jahrhunderts hat keiner, wenn nicht durch sein Werk so durch seine Lehren, eingreifender auf seine Nachfolger gewirkt als Flaubert. Daß diese Wirkung eine apokryphe war, die selten eingeräumt, nie zur Debatte gestellt worden ist, macht die Darstellung jener Lehren nur wünschenswerter. Zu wünschen bleibt sie auch heute noch. Sie insbesondere – leider nicht sie allein – läßt Binswangers Studie zu wünschen übrig. Denn – um es kurz zu sagen – der Verfasser, der nirgends die geschichtliche Bedingtheit Flauberts erkannt hat, war eben darum außerstande, seine geschichtliche Tragweite zu erfassen. Nun mag es allenfalls für einen Ausleger der »Madame Bovary« oder »Salammbô« angehen, sie aus der geschichtlichen Bedingtheit, der sie in Flaubert entstammen, zu entrücken er wird dabei nicht viel ausrichten, aber auch nicht viel versehen können. Für einen Interpreten des Flaubertschen Denkens mußte die Sache sehr viel böser ausgehen. Abstand in dergleichen Untersuchungen ist ja nicht nur ein methodisches, sondern ein moralisches Erfordernis. Ihr Mangel macht sie nicht allein wissenschaftlich unergiebig; er entstellt sie. Denn nichts ist unerfreulicher als Impotenz, die sich den Schein der Kraft zu geben sucht. Binswanger, dem die wahre Kraft geschichtlicher Erkenntnis abgeht, gibt sich diesen Schein. Wie – das erraten wir. Denn sein Verfahren wurde je und je von denen praktiziert, die eines Gegenstandes der Geschichte sich ohne Abstand zu versichern suchten: sie modernisieren ihn. Binswanger modernisiert Flaubert; er glaubt, in seine Ästhetik neues Licht zu bringen, indem er sie in die Sprache der Existentialphilosophie überträgt. In Wahrheit setzt er ihr nur Lichter auf; flackernde und beirrende, die freilich noch hell genug sind, um die zahllosen Gebrechen des Sprachleibs, in den Flauberts Denken hier entstellt wird, aufdringlich zu machen. Möglich, daß es den regen aber primitiven philosophischen Interessen des Verfassers entspricht, mitten im neunzehnten Jahrhundert mit dem Schaffen Flauberts das düstere Zeitalter der Moderne anbrechen zu lassen. Das kann uns nicht dafür entschädigen, daß er nicht den Schatten eines Grundes für diese erstaunliche Chronologie anführt. Plötzlich, in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, ist die Naivität der früheren Zeiten verwichen. »In welcher Weise auch der Dichter, gleich dem Menschen jener noch eben nahen und nun plötzlich verwichenen Zeiten, an die Dinge des Lebens rühren ... mochte, er trat damit noch ungezwungen ein, fand aus sich heraus und wies hinüber in die werthafte Welt der Dinge, die in ihrem schauplatzmäßigen Vorhandensein, in ihren Vorfällen und Ereignissen, auch die gemeinschaftlich wirkliche, in ihrem Grund unwandelbare war, die irgend positiv oder negativ betont zur Wirklichkeit hinstand oder in Sage, Märchen, Fabel sie umspann.« An dieser sonderbaren Zeitenwende erhebt sich das Werk Flauberts, in dem wir es »mit einem epochalen künstlerischen Vorstoß in das Ganze des Lebens zu tun haben..., der, nur recht zur Anschauung gebracht, wohl geeignet ist, das gesamte literarische Schaffen des Jahrhunderts unter neuen hier anrührenden Gesichtspunkten erscheinen und sich rein in sich selbst abschatten zu lassen«. Diesen Vorstoß jedoch verdanken wir nach dem Verfasser einer Gabe, die er als selten darstellt, die es aber gewiß nicht halb so sehr ist wie die Gabe, sie zu entdecken, die dem Autor eignet. Kurz Flauberts Leistung beruht, nach Binswanger, auf einer »existentiellen Veranlagung«, welche es dem Dichter gestattet, die Welt – nein, keineswegs, vielmehr: »diese gegenständliche Welt, diese gemeinschaftliche Welt der Gegenstände, noch so wie sie als Wirklichkeit ist« – zu überschauen. Darin begründen sich schließlich, nach Binswanger, die Tendenzen von Flauberts Persönlichkeit, »die, in der Weise einer eigentümlich bewußten Erhobenheit zu einer großen Sache wie auch zugleich in einer unverkennbaren Versteifung im Obliegen und in der Vertretung dieser Sache« zu denken geben müssen. Freilich dürfte das Nachdenken über diese Probleme noch unfruchtbarer sein als das über den, der sie stellt, welches man getrost den Lesern seiner Schrift überlassen kann.

 

Ronald Peacock, Das Leitmotiv bei Thomas Mann.

Bern: Paul Haupt 1934. 68 S. (Sprache und Dichtung. Forschungen zur Sprach- und Literaturwissenschaft. Heft 55.)

Obwohl diese Schrift nur 68 Seiten zählt, ist sie zu umfangreich. Mit langatmigen Klarstellungen, die die Form, umständlichen Klitterungen, die den Inhalt der Mannschen Werke betreffen, steht der Autor sich selbst im Wege. Denn er hat etwas zu sagen. Wenn er seinen Überlegungen die straffe Gestalt eines Essays gegeben hätte, so hätte er ihnen mehr Ehre erwiesen, als sie von dieser laxeren Fassung erwarten dürfen. Halten wir immerhin fest, daß das Leitmotiv bei Thomas Mann mehr als ein technischer Kunstgriff, die in ihm liegende Anspielung auf die Wagnersche Musik hintergründig und die Tradition des Protestantismus für diese Rolle der Musik im Werke nicht ohne Bedeutung ist. Der Autor ist ins Zentrum vorgestoßen, aus dem das Werk von Thomas Mann sich speist; seine Erörterung der Ironie beweist es. »Es liegt«, sagt Peacock, mit Bezug auf die staatsbürgerliche und pädagogische Bemühtheit seines Autors, »eine Ironie in diesem Ringen nach positiver Haltung, nach tapferer Bejahung des Lebens, nach dem Willen zum Leben bei lebhaftester Beschäftigung mit fragwürdigen und todesverwandten Dingen.« Daß zu diesen Dingen an erster Stelle für ihn das Dichten selbst zählt, ist Thomas Mann auszusprechen ja nicht müde geworden. Darin liegen, wie Peacock richtig gesehen hat, Ursprung und Sinn seines Schaffens, dessen solidestes Leitmotiv Ironie ist.


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