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Der Irrtum des Aktivismus
Zu Kurt Hillers Essaybuch »Der Sprung ins Helle«

Kurt Hiller, Der Sprung ins Helle. Reden, offne Briefe, Zwiegespräche, Essays, Thesen, Pamphlete gegen Krieg, Klerus und Kapitalismus. Leipzig: Wolfgang Richard Lindner Verlag (1932). 336 S.

Seit geraumer Zeit setzt Hiller sich publizistisch für eine Reihe von höchst erstrebenswerten Dingen ein: für die Verhütung kommender Kriege, für ein neues Sexualstrafrecht, für die Abschaffung der Todesstrafe, für die Bildung einer linken Einheitsfront. Die allgemeine Absicht seines Schreibens gibt dem Verfasser Anspruch auf Sympathie. Man täte unrecht, aus den mancherlei Entgleisungen in der Sache und der öfteren Willkür der Form viel Wesens zu machen. Nun stellt aber die vorliegende Sammlung, die Arbeiten des Verfassers aus der jüngeren Vergangenheit präsentiert, im Grunde nur die mannigfache Abwandlung einer einzigen und zwar irrigen These dar. Weil der Verfasser keineswegs mit ihr allein steht – so sehr er Mut und Ehrlichkeit vor vielen, die auf dem gleichen Holzweg sind, voraus hat –, soll über diese These einiges gesagt sein.

Sie statuiert den Anspruch der Geistigen auf die Herrschaft oder: die »Logokratie«. Wenn wir nicht irren, war es gegen Ende 1918, und zwar im »Rate der geistigen Arbeiter«, daß sich die Parole, für welche Hiller so begeistert kämpft, zum ersten Mal nachdrücklich hören ließ. Seitdem ist er ihr treu geblieben. Daß er damit im heutigen Parteibetriebe nur die Stellung eines Außenseiters einnehmen kann, ist selbstverständlich, und mit dieser Feststellung beginnt er seine Vorrede. Ebenso selbstverständlich, daß er »am schärfsten die Partei angreifen muß, der er sich am nächsten weiß: die kommunistische«. Der Tatbestand, den Hiller so fixiert, ist, wie bekannt, für große Mengen Intellektueller heute typisch. Es soll auch nicht geleugnet werden, daß er zwei Seiten hat. Die eine, die spröde Haltung, die die kommunistische Partei, wie jede andere, gegen Intellektuelle an den Tag legt, wird bei Hiller zum Gegenstande heftiger Polemik. Sie soll hier aus dem Spiel bleiben. Der anderen aber, der Art von Führung, welche man beansprucht, also dem Credo des Aktivismus, hat man näher zu treten. Nicht so, als wolle man den Geistigen den Anspruch auf die Herrschaft streitig machen. Das uferlose Meer der Meinung über solche Fragen wollen wir nicht befahren. Wir ziehen vor, festen Boden unter den Füßen zu behalten und festzustellen: Man hat sich im Kreise Hillers ein Bild von »Herrschaft« zurecht gelegt, das keinerlei politischen Sinn besitzt, es sei denn, zu verraten, wie selbst die deklassierte Bourgeoisie sich von gewissen Idealen ihrer Glanzzeit nicht trennen kann. Nichts zeigt das deutlicher als die Revue der Partner, auf die man in den zahlreichen Polemiken des Bandes stößt. Da trifft man Coudenhove, F. W. Foerster, Schauwecker, von Schoenaich – Führer derselben Art wie der Verfasser, Persönlichkeiten, die einer – wie immer sonst man auch zu ihnen stehen mag – zehnmal besiegen, widerlegen kann, ohne deshalb um Handbreit seinem Ziele näher zu kommen. Kurz Couloirpolitiker, die nicht einmal den Korridor von einem Parlament zur Verfügung haben. Wo der Verfasser aber sonst auf Gegner stößt – die Sozialdemokratie, das Papsttum, den Militarismus –, auch da sucht er sie nirgends auf historischem Terrain, wo sie die Massen in Bewegung setzen, sondern in einem eristischen Utopien auf, wo nur »Zielsetzungen« einander gegenüberstehen, um die sich freilich dann alles säuberlich gruppiert. Nur daß es die Ordnung einer Sammlung ist, nicht einer Schlacht. Wenn Hiller seine Absage an die Parteiführer formuliert, so räumt er ihnen manches ein; sie mögen »in Wichtigem wissender sein ..., volksnäher reden ..., sich tapferer schlagen« als er, eins aber ist ihm sicher: daß sie »mangelhafter denken«. Wahrscheinlich, was kann das aber helfen, da politisch nicht das private Denken, sondern, wie Brecht es einmal ausgedrückt hat, die Kunst, in anderer Leute Köpfe zu denken, entscheidend ist. Oder mit Trotzki zu reden: »Wenn die erleuchteten Pazifisten den Versuch unternehmen, den Krieg mittels rationalistischer Argumente abzuschaffen, wirken sie einfach lächerlich. Wenn aber die bewaffneten Massen beginnen, Argumente der Vernunft gegen den Krieg anzuführen, dann bedeutet das das Ende des Krieges.« Es fehlen bei Hiller, neben problematischen Auseinandersetzungen mit dem dialektischen Materialismus, nicht eindeutige Solidaritätserklärungen an die Adresse der Sowjets. Darum ist es besonders auffallend, daß eine der wichtigsten Episoden der Oktoberrevolution, nämlich die Sabotage des neuen Regimes durch breite Massen der Intelligenz, gar keinen Mißklang in seine Zukunftsträume geworfen hat.

Kurz, mit Lichtenberg mag man annehmen, daß die Hunde, die Wespen und die Hornissen, wenn sie mit menschlicher Vernunft begabt wären, vielleicht sich der Welt bemächtigen könnten; die Geistigen, obwohl sie mit solcher Vernunft begabt sind, können es nicht. Sie können nur dahin arbeiten, daß die Macht in die Hände derer gelangt, die diese Sonderspezies Mensch – die nichts ist als ein Stigma am geistverlassenen Körper des Gemeinwesens – so schnell wie möglich zum Verschwinden bringen. Es handelt sich mit anderen Worten darum, der Gesellschaft jene vorbehaltlose Vernünftigkeit und damit jenen Sinn in jeder ihrer zahllosen Funktionen zu geben, welcher die pathologischen Stauungen liquidiert, deren Symptom das Dasein der Geistigen ist. Es steht damit nicht anders wie mit dem »Schöpferischen« oder dem »Produktiven«: von Haus aus nichts als Ausdruck von menschenwürdigen Beziehungen zwischen Menschen, sind sie in dem Grade, da sie im Leben der Gemeinschaft abgestorben sind, verdinglicht, als Embleme am Privatmann aufgetreten. Diese Privatleute als solche – nicht als »Angehörige gewisser Berufszweige«, sondern als »Repräsentanten eines gewissen charakterologischen Typus«, will Hiller die Geistigen definiert wissen – diese somit schon per definitionem amorphe Menge von Privatleuten politisch, etwa in einem Parlament der Geistigen, an die Spitze stellen zu wollen, ist eine ausgemachte Donquichotterie. Heute kann sie noch liebenswürdig, morgen schon schädlich sein.

 


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