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Jemand meint
Zu Emanuel Bin Gorion, »Ceterum Recenseo«

Emanuel Bin Gorion, Ceterum Recenseo. Kritische Aufsätze. Neue Folge. Berlin: Morgenland-Verlag 1932. 174 S.

 

Jeder kann seine eigene Meinung haben, aber manche verdient Prügel.

Chinesisches Sprichwort

 

Wenn Cato maior im Senat seiner Rede die Worte anschloß: »Ceterum censeo Carthaginem esse delendam«, so war es das erste Mal nur eine Meinung. Beim vierten oder fünften Mal war es ein Tick, beim zehnten Mal war es eine Losung und nach einigen Jahren der Anfang der Zerstörung Karthagos geworden. Auf Catos Wort spielt der Verfasser eines Bandes von Kritiken mit einer Wendung an, die im Mund eines Prager Gymnasiasten verzeihlich wäre. Ein Polemiker – und Bin Gorion hält sich für einen – hätte dieses Diktum besser verwerten können. Es läßt sich viel aus ihm lernen. Jeder Polemiker hat sein Karthago und anfangs gar nichts in der Hand als seine Meinung. Wie schmiedet er sie aber zur Waffe um? Zum Instrumente der Zerstörung, die er plant? Er leiht ihr seine Stimme, seine Gegenwart; er stattet sie mit allem Inkommensurablen, Zufälligen seines privaten Daseins aus. Für ihn, den wirklichen Polemiker, gibt es zwischen Persönlichem und Sachlichem gar keine Grenze. Nicht nur was die Erscheinung seines Gegners angeht, sondern vor allem, und noch mehr, die eigene. Ja – man erkennt ihn daran, daß er sein moralisches und intellektuelles, sein publizistisches und sein privates Leben der öffentlichen Meinung so deutlich macht wie ein Akteur sein Dasein auf der Bühne. Ihm ist die Kunst vertraut, die eigene Meinung so virtuos und bis in ihre letzten Konsequenzen zu verfolgen, daß der gesamte Vorgang umschlägt und die fast idiosynkratische Betonung der privaten Standpunkte, Vorurteile und Interessen zu einer schonungslosen Invektive gegen die herrschende Gesellschaft wird.

Kritik von dieser Haltung strebt seit jeher – ihre Linie von Swift bis Karl Kraus beweist es schlagend – zum politischen Pamphlet. Um diese große Überlieferung fortzusetzen, fehlt dem Verfasser jegliche Befugnis. Es soll hier nicht von einer Ignoranz in allen öffentlichen Dingen die Rede sein, die man bei einem Publizisten immer störend, bei einem Kritiker von Trotzkis Memoirenbande als durchaus unerträglich empfinden muß. Den Strategen des Bürgerkriegs in Rußland nennt Bin Gorion einen charakterlosen »Mannequin der roten Tracht«. So unverschämt das ist, so wird man dem Verfasser immerhin zugute halten können, daß nicht politische Verblendung ihn beseelt. Denn ahnungsloser kann man nicht gut sein, als sich Bin Gorion mit der Meinung darstellt, »daß Kommunismus keine Erfindung der Neuzeit ist, sondern seit jeher gelehrt und von den Edlen aller Zeiten praktiziert wurde«. Es ist aber dieser provokatorische Ton nicht nur in den politischen Betrachtungen der herrschende. Er zählt zum Reich der »Pseudo-Dichter« »etwa George und Rilke, auch Hofmannsthal, Hesse«. Nach der Begründung fragt man ihn vergeblich.

Gewiß, man wird auch manchmal »seiner Meinung« sein. »Der Philister«, sagt Hebbel, »hat oft in der Sache recht, aber nie in den Gründen.« Und mögen nun die Ambitionen eines Schreibers noch so nobel sein – das Stück Philister, welches in ihm steckt, bricht immer durch. Bisweilen recht robust. So heißt es hier: »Echte Kunst wirkt erhebend und adelnd; die Pseudo-Kunst fördert noch den Glauben an die Materie.« Oder: »Kunst ist Natur und bildet sich ungefragt und ungerufen: Schund wird auf Bestellung gefertigt.« Nicht genug an der Gedankenlosigkeit dieses Kriteriums – hat Hebel nicht viele seiner schönsten Erzählungen auf Bestellung geschrieben und ist Goldschnitt-Lyrik besser, wenn sie keinen Verleger findet? – so fährt der Autor fort: »Das eine wächst, das andere wird fabriziert: das eine ist Butter, deren Ursprung in der Natur ist, das andere Margarine, die künstlich hergestellt wird.« Wenn hier der Ausdruck läppisch und gesucht ist, ist der Gemeinplatz, den er deckt, nur um so breiter: die sture Gegenüberstellung von Schriftstellerei und Dichtung, die am Tiefstand der heutigen Kritik mitschuldig ist. Kurz, eine Herabwürdigung des »Literarischen« ganz im Sinne der Reaktion, mit welcher der Verfasser auf seine eigene Weise kokettiert. Sein Bild vom »echten Dichter«, das dem Horizont der Lesekränzchen haargenau entspricht, beweist das. Wenn diesem nämlich »jedes Gedicht, das er formt ... Ausdruck eines inneren Erlebnisses, einer Ergriffenheit, eines Erstaunens oder einer Erkenntnis« ist, so geht »der Pseudo-Dichter ... aus nicht vom Leben und nicht von der latenten Musik, die in der Natur vorhanden ist, sondern er schöpft aus bereits bestehender Literatur und bewegt sich nur im Kreise von Vorstellungen, Gedanken und Formeln, die vor ihm schon ihre endgültige Prägung erhalten haben«. Falls diesen gänzlich müßigen Bestimmungen irgendein Sinn zukommt, ist es der, Schriftstellerei und Dichtung zu entzweien: der ersten als dem unbeträchtlichen Bezirk profaner Schreiber einen Tempelhain zu konfrontieren, in dem der »echte Dichter« seines Amtes waltet. In Wahrheit läßt sich keine große Dichtung – in ihrer Größe! – ohne das Moment des Technischen verstehen. Dieses aber ist ein schriftstellerisches. So viel von den »Attacken«.

Die »Apologien« sind belanglos. Wären sie es nicht durch ihre Haltung, so durch die Objekte. Der Verfasser hat weder die Autorität, die die Polemik, noch jene Tradition und Bildung, welche die fundierende Kritik verlangt. Die hohe Schule dieser letzteren ist im Schrifttum der Romantiker zu finden. Kritik erscheint in ihm als die Entfaltung der Wahrheit, welche in den Werken schlummert. Es wird ihr bildliche Figur verliehen, indem sie derart innig mit der Beschreibung sich verbindet, daß in den berühmten Mustern dieser Gattung jede Meinung des Rezensenten so vernichtet scheint wie nach der klassischen Ästhetik der Stoff im Kunstwerk. Und nicht umsonst hat diese Blüte der Kritik um 1800 sich an den Meisterwerken Shakespeares, Calderons, Cervantes' entfaltet. Nicht wie die Kletterrose sich am Stamm emporrankt, sondern wie eine jener seltenen Blüten, welche hin und wieder aus einer immergrünen stachligen und wie für die Unsterblichkeit gepanzerten Kaktee brechen. Im Kommentar hat dieses kritische Verfahren seine Grenzform. Die kurzen Stückchen, die hier unterm Titel »Apologien« eingeordnet sind, sind, ob sie Joseph Wittig oder Emil Strauß, Oskar Loerke oder Hans Voß gelten, unbeträchtlich. Sie sind wohlmeinend. Die Meinung aber ist das Rohmaterial des Kritikers. Man sieht es ungern, wenn er mit ihm auftrumpft. Noch weniger gerne, wenn er einer Zeit, welche sich so nicht bange machen läßt, den nahen Untergang in Aussicht stellt.


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